Villa in Berlin-Schmargendorf, Raketen auf Kiew

Putin & Rotenberg im März 2020 (Foto: Администрация Президента России auf wikimedia commons)

Das Gesetz hat einen einprägsamen Namen: Es heißt Rotenberg Gesetz. Es ist ein russisches Gesetz, das 2014 in der Duma verabschiedet wurde und das Folgendes regelt: Wird einer der russischen Superreichen, Oligarchen genannt, von westlichen Sanktionen gebeutelt, kann er vom Staat entschädigt werden. Benannt ist das Gesetz nach Arkadi Rotenberg, dem Vernehmen nach einem Duzfreund des Kremlchefs. Rotenberg ließ die Krimbrücke bauen, die Putins Herz so erfreute, und die im vergangenen Jahr in die Luft gejagt worden ist. In Berlin-Schmargendorf ist Arkadi Romanowitsch Rotenberg, Größe 1,68 m, kein Unbekannter.

Rotenberg kaufte vor Jahren, wie zu lesen war, für die Tochter dort eine sehr schöne Villa, die nun verlassen von besseren Tagen träumt. Ob sie Rotenberg noch gehört, einer Briefkastenfirma oder eigentümermäßig bereits weiter gewandert ist, weiß niemand so recht. Rotenberg soll nicht nur in Berlin Immobilien als Eigentümer haben, sondern auch das Münchner Opernpalais gekauft haben – für 300 Millionen Euro.

Im März schrieb der Spiegel: „Reiche Russen kauften in den Nobelvierteln der deutschen Hauptstadt jahrelang Häuser und Wohnungen. Besonders umtriebig: Oligarch Arkadij Rotenberg – der seine Investments bestens kaschiert.“ Wie viele Objekte der Schmargendorfer Art gibt es noch in der Bundesrepublik? Sind sie alle unter Sanktion gestellt? Oder wachen dort die Hausmeister, bis sich die Zeiten geändert haben? Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Catherine Beltin hat sie in ihrem Buch „Putins Netz“ vor Jahresfrist umfänglich dargestellt, wer aus Putins Diktatur Vorteile zieht. Wo leben all die, denen das Shoppen in Moskau nicht mehr reicht? Es sind Tausende, die aus der russischen Arbeiterklasse rausgepresst haben, was sich holen ließ, die ihre Vermögen in westliche Länder verbracht haben, wo sie oft ihre Kinder „gute Schulen“ besuchen ließen, Häuser besitzen, ihren Reichtum genießen möchten.

Man schätzt die Zahl derjenigen, die während der vergangenen Jahrzehnte Millionäre in Russland wurden auf 100 000 Personen. Die Beschaffungsagentur für Pässe Henley& Partner gab vergangenes Jahr an, dass 15 000 von denen auf gepackten Koffern säßen, um in den Westen auszuwandern. Wie viele von ihnen sind schon im Westen? Und wo kamen sie unter?

Der mächtigste Hebel?

Erinnern wir uns. Am 20. Februar 2022 hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der ARD mit Blick auf die wachsende Kriegsgefahr, verursacht durch die Politik der russischen Führung erklärt: Es werde ein massiv wirkendes Sanktionspaket vorbereitet, das sich des „mächtigsten Hebels“ bediene, der Russland an der „schwächsten Stelle“ treffen werde, nämlich an den Staatsfinanzen und in der Wirtschaft.

Der mächtigste Hebel? Als ich das damals sah und hörte, war ich beeindruckt. Womöglich wie viele andere dachte ich, dass das Putin-Regime wegen wachsender materiell- monetärer Isolation innerhalb der nächsten Monate aufgeben müsse. Falsch gedacht. Das erwähnte Paket trat zwar in Kraft. Der „mächtigste Hebel“ hat aber nicht so gewirkt, wie behauptet worden ist. Dem ersten Hebel sind weitere gefolgt. Das Regime in Moskau ist dennoch nicht eingeknickt. Einschränkungen, Erschwernisse, wachsende Verarmung und eine ins Groteske gesteigerte Repression werden von den meisten Menschen in Russland getragen, weil sie an solches über Jahrzehnte gewöhnt worden sind.

Putin hat seinen Krieg unter den Augen der Reichen sogar ausgeweitet. Bis auf atomare und biologische Waffen und hochgiftige chemische Kampfstoffe lässt er sein Regime alles einsetzen, was den Eroberungskrieg zu einem totalen Krieg macht. Die Zahl der getöteten russischen Soldaten interessiert ihn offenkundig nicht. Er lässt seit Monaten vorzugsweise zivile Ziele in der Ukraine bombardieren. Er lässt Privatarmeen angreifen, die zum großen Teil aus Kämpfenden bestehen, die aus Gefängnissen und Arbeitslagern gepresst wurden. Arme Kerle, die bis auf ihr Leben nichts mehr zu verlieren haben. Er lässt Hunderttausende aus der Ukraine umsiedeln, Russland soll sie sich einverleiben. Deren Kinder werden zudem rusischen Familien zugesprochen. Den französischen Autor Jonathan Littell lässt diese Praxis an die Politik der Nationalsozialisten im damaligen Polen denken: Geschätzt bis zu 200.000 Kinder mit blonden Haaren und blauen Augen seien ihren Eltern genommen worden, um sie in Deutschland zu deutschen Kindern zu machen. Putin will aus ukrainischen Kindern russische Kinder machen.

Bitter, sarkastisch hat der ukrainische Autor und Dichter Boris Dralyuk dazu gesagt:

„Ich weiß nicht, ob ich jemals einen lebenden russischen Autor oder eine Autorin übersetzen möchte, der oder die während dieses Krieges in Russland geblieben ist. Trotzdem hoffe ich, dass sie überleben. Damit sie sich selbst und ihre Umgebung genau und schonungslos betrachten und versuchen, für uns darzustellen, wie es ist, inmitten erbärmlicher Verdorbenheit zu leben.“

Wirtschaftlich gesehen liegt die Ukraine zerstört am Boden. Dieses Ziel haben Putin und seine Mitstreiter erreicht. Der Wille der Menschen in der Ukraine aber, ihre Gesellschaft und die Weise des Zusammenlebens mit eigener Sprache, Kultur, Geschichte und Institutionen nicht zerstören zu lassen, ist ungebrochen. Wie der nahezu totale Krieg des Putin-Regimes ausgehen wird und zu welchen Mitteln der Diktator in Moskau noch greifen wird, weiß heute keiner. Begrenzte Wirkung auf Gemüter zeitigt der Verlauf im freien Westen. Mehr als deutlich wurde das zum Beispiel dieser Tage in einem Leserbrief an die FAZ. Da fragte ein Pfarrer im Ruhezustand namens Sommerhoff, ob all die Ungeheuerlichkeiten eines Krieges in Kauf zu nehmen seien, „nur um selbst ein wenig freier und besser leben zu können?“ (In der FAZ vom 28. Januar 2023, Seite 27 – Überschrift: „Um der Wahrheit Christi willen“)

Hausmeister – allein zu Haus

Wurde während des vergangenen Jahres gar eine Chance nicht richtig genutzt, Putin unter Druck zu bringen? Was geschieht, wenn die superreichen Putin-Freunde erkennen, dass sie mit ihm alles verlieren, was ihnen lieb und teuer ist? Könnte der Westen den Druck in diese Richtung nicht verstärken?

Warum schicken die Staaten im Westen diejenigen nicht komplett zurück, die in Russland Millionäre wurden und das Land schon verlassen haben? Zu lesen ist, diese Millionäre würden sich nun in Singapur, in Saudi Arabien und Dubai nieder lassen. Reisen sie von dort nach Deutschland, in die Schweiz oder nach Monaco, ob auf ihren Besitztümern alles okay ist? Warum können viele von denen immer noch reisen, wohin sie wollen und im Westen genießen, was sie in Russland nicht haben können?

Warum gibt es keine Verständigung auf den Grundsatz: Bleibt in Russland, anderswo habt ihr gegenwärtig nichts zu suchen. Nutzt eure Macht in Russland, um Putins Krieg zu beenden. Dann werden die Grenzen für euch wieder geöffnet. Vorher nicht. Das wäre jedenfalls eine fabelhafte Ergänzung der Brüsseler Hebel.

Bis dahin muss Rotenbergs Schmargendorfer Villa sich mit dem Hausmeister begnügen.

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Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

1 Kommentar

  1. Offenkundig kann der Druck durch Geld immer noch ausgehebelt werden. Millionenbeträge bleiben wohl mächtiger als “der mächtigste Hebel”. Es ist ein Trauerspiel!

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