Holger Renke ist in Offenbach beim dortigen Sana-Klinikum Betriebsratsvorsitzender. Er war Hauptredner der DGB-Kundgebung zum 1. Mai. Den Inhalt seiner Rede diktierte das Sana-Management. Denn dieses hat bekanntgegeben, es werde bis Ende 2021 mehr als 1.000 Beschäftigte entlassen; sie sind in einer 100prozentigen Konzerntochter angestellt, der DGS pro.service GmbH.
Er habe in den vielen Jahren schon manches erlebt, aber das jetzt, mitten in der Pandemie … . Renke ist noch außer sich, hält deshalb vor den etwa 200 ZuhörerInnen auf dem Wilhelmsplatz gar keine ‚ordnungsgemäße‘ Mai-Rede, sondern hat diese eine Botschaft: Er fordert alle auf, den Widerstand gegen die Entlassungen zu unterstützen.
Sylvia Bühler, Bundesvorständlerin bei ver.di, hat bereits vor wenigen Tagen protestiert: „Hier sollen Menschen von einem profitablen Klinik-Konzern vor die Tür gesetzt werden, die in den letzten Monaten tatkräftig mitgeholfen haben, den Krankenhausbetrieb am Laufen zu halten.“
Es handelt sich um Beschäftigte, die, sowieso gering entlohnt, auf der Station assistieren, Patienten begleiten, putzen, das transportieren, was Angehörige ihren kranken Angehörigen zukommen lassen wollen, an der Rezeption arbeiten; im Rahmen der Konzernstrategie, Krankenhausarbeit zu industrialisieren, werden solche Beschäftigten oft mit sehr viel schlechteren Arbeitsbedingungen in `Töchter` ausgelagert.
Die Sana Kliniken AG gilt, verglichen mit anderen Gesundheitskonzernen, in Fachkreisen eher als maßvoll-, nicht als maßlosprofitorientiert. Das ist relativ. Die Aktien des Konzerns, der nicht an der Börse ist, werden von 30 privaten Krankenversicherern gehalten. Der Konzern hat mit seinen momentan 53 Standorten (knapp drei Milliarden Euro Umsatz, etwa 35.000 Beschäftigte) immer das Ziel gehabt, stark und profitabel zu wachsen. Das heißt in Zahlen: 2007 machte der Konzern (nach Steuern) 32 Millionen Euro Gewinn, 2014 bereits 61 Millionen und in 2018 knapp 100 Millionen; 2019 ist der Gewinn gefallen, lag aber immer noch über 60 Millionen.
Holger Renke ist die Mitteilung wichtig: Es helfe ihm und den Beschäftigten, wenn sich möglichst viele Leute mit ihrem Protest melden. Unter der E-Mail: info@sana.de oder über die Homepage: www.sana.de. Der Vorteil: Man muss nicht einmal auf den Balkon gehen und klatschen.
Aber bitte nicht wundern: Wer auf die homepage geht, dem prangen die PR-Zeilen entgegen „Gemeinsam gegen Corona. Sie und wir“. Das meint der Sana-Konzern nicht so. Eigentlich will er sagen: Was kümmert uns Corona, Sana – mit weniger Beschäftigten mehr Gewinn.
Vor wenigen Tagen hat die Bundeskanzlerin im Deutschen Bundestag den Lockdown gegen die Kritiker:innen mit Hinweis auf die Leistungsgrenzen der Krankenhäuser und die Belastungen der Beschäftigten verteidigt. Ihr ging es darum, dass (auch an Corona) erkrankte Menschen behandelt werden können. Dafür müssen die Kapazität der medizinischen Infrastruktur und der Arbeitsfähigkeit des gesamten Krankenhauspersonals zumindest erhalten werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Nachricht des Sana-Managements, bis Ende 2021 mehr als 1.000 Beschäftigte der Konzerntochter DGS pro.service GmbH zu entlassen, wie eine Provokation.
Schon vor zwölf Monaten hatten sich viele Bürgerinnen und Bürger gefragt, ob Europa sie ausreichend mit Medikamenten und Wirkstoffen versorgen kann. Die Produktionsstätten in Asien waren zeitweilig geschlossen und die Versorgungssicherheit Europas schien zeitweilig in Frage gestellt. Seither ist die Sorge um den Erhalt des öffentlichen Gutes Gesundheit allgegenwärtig.
Die Krise hat auch die Schwäche anderer gesellschaftlicher Institutionen offenbart. Sind die Gliederungen des Bildungssystems überhaupt in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen? Wird die Digitalisierung der Kommunikation der staatlichen Verwaltungen mit dem gebotenen Tempo voran gebracht? Aber auch: war die Ausdünnung der Versorgungseinrichtungen des Gesundheitssystem nicht ein grober strategischer Managementfehler?
Der Entscheidungsebene des Sana-Konzerns wird dies alles nicht entgangen sein. Wir wollen annehmen, dass sie zwischen der Verantwortung für das öffentliche Gut Gesundheit und den Interessen ihrer Kapitalgeber schwankt. Was ist zu tun, damit diese Frage zu Gunsten der Patient:innen und Beschäftigten beantwortet werden kann?