Papstrede: Lichtblick und Ärgernis

Gründe, die katholische Kirche als Ärgernis zu bezeichnen, gibt es in den letzten Jahren und Monaten genug. In immer kürzeren zeitlichen Abständen kommen neue Gründe hinzu. Das Verhältnis Staat Kirche kann und wird so nicht auf Dauer Bestand haben. Und da kommt dann plötzlich bei einem aktuellen Thema ein kleiner Lichtblick: Der von vielen geschätzte Papst Franziskus hält im September (am 22.09.2023) in Marseille bei dem Mittelmeer-Treffen eine Rede, in der er vom „Schiffbruch der Zivilisation“ spricht, von einem „Schmerzensschrei“ der Migranten und von Migration nicht als Notfall, sondern als der „Gegebenheit unserer Zeit“.

Foto: Ggia auf wikimedia commons
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Kein guter Zustand im Rechtsstaat

Screenshot: Website “Kita-Verband-Buxtehude.de

Buxtehude? Ja, Buxtehude, oben im flachen Norddeutschland. Die Stadt darf sich »Hansestadt« nennen und davon gibt es nicht allzu viele im Land. Knapp vierzigtausend Menschen leben hier und sie sind stolz auf ihre geschichtsträchtige, schmucke Altstadt; lieben das grüne weite Umland und die nahe Nordsee, keine neunzig Kilometer entfernt. Die Menschen fühlen sich wohl in Buxthut, wie die Einheimischen ihre Stadt »plattdütsch« nennen. Auf den gelben Ortschildern steht es selbstbewusst unter dem offiziellen Stadtnamen. Das »Institut für niederdeutsche Sprache« in Bremen hat dazu seinen Segen gegeben. Es soll ja mit rechten Dingen zugehen, wenn es neben Buxtehude auch noch ein »Buxthut« gibt. Alles könnte also hier seinen gewohnten Gang gehen. Doch es rumort in der Idylle, der Stadt- und Landfrieden ist nachhaltig gestört.

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Freier Autor – krasser Job

You’re still young, that’s your fault.
Cat Stevens, Father and Son

Für meinen Sohn Michael

F: Du träumst von einem Beruf, der sich gar nicht ergreifen lässt, weil es ihn nicht gibt. Man nennt sowas Tagträume. Dusche kalt, mach Dich nüchtern, und überlege, was der Arbeitsmarkt nachfragt, und was Du ihm anbieten kannst.
S: Kalt duschen, sich abhärten, ich dachte, das sind die Sprüche von deinem Vater. Ich will doch nicht werden, was der Arbeitsmarkt nachfragt, das ändert sich sowieso ständig, sondern was mein Ding ist, und das ist nun mal, als Freelancer für Zeitungen schreiben.
F: Du hast eine völlig verkehrte Vorstellung davon, was free in diesem Zusammenhang bedeutet. Ein freier Autor ist einer, der meistens frei hat, während andere ihre Texte tippen, veröffentlichen und dafür am Monatsende ihr Geld bekommen. Das Wort ist ein Euphemismus, laut Duden also etwas, was eine beschönigende, verhüllende oder sprachlich mildernde Wirkung hat.

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Demokraten siegen – vor leeren Rängen

Wie ist so der demokratische Alltag, `draußen im Lande`? Im hessischen Offenbach, direkt neben Frankfurt am Main, siegte jüngst bei der Wahl zum Amt des Oberbürgermeister in überragender Weise die numerisch vereinigte Linke. Beinahe 80 Prozent erreichte sie. Zusammen: der (damit bereits im 1. Wahlgang wiedergewählte) SPD-Kandidat Felix Schwenke (69,93 Prozent) und die Kandidatin der Linken Gizem Erinc-Ciftci (7,18 Prozent). Alle freuen sich. Und weisen – nach langer Pause – darauf hin, ach ja, da läge schon noch ein Schatten auf dem Ergebnis: 26,53 Prozent Wahlbeteiligung. 25. 130 von 94. 714 Wahlberechtigten wählten.

Blick auf das Offenbacher Rathaus und das Haus der Wirtschaft
(Foto: Stadt Offenbach am Main auf wikimedia commons)
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Heil auf dem Holzweg

Foto: Stefan Brending auf wikimedia commons

Das deutsche Erfolgsmodell der aktivierenden Grundsicherung wird gegenwärtig von zwei Seiten in die Zange genommen. Man schwächt die Anreize Arbeit aufzunehmen im Gesetz und entzieht gleichzeitig den Jobcentern die Möglichkeiten, die Arbeitsuchenden gut zu beraten, zu qualifizieren und in Arbeit zu bringen. Ob das gutgeht?

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Ich lese und erschrecke

Seit wenigen Tagen halte ich die Textsammlung zum „Berliner Historikerstreit“ aus dem Jahr1879 in den Händen, die Nicolas Berg kommentiert und mit ergänzenden Beiträgen neu herausgegeben hat. Und ich bin erschüttert. Ich habe diese Texte bisher nahezu alle nicht gekannt. Wie konnte das passieren, wo mich doch keine politische Frage mehr umgetrieben hat als die: Wieso haben im deutschen Bürgertum Wissenschaftler, Politiker und Journalisten in den letzten hundert Jahren demokratisch, national und sozial so versagt, sich völkischem Gedankengut so bereitwillig geöffnet? Warum nahm im Deutschen Reich unter den bürgerlichen Eliten das antidemokratische und antijüdische Denken einen solchen Platz ein? Wer waren die treibenden Kräfte bei den Angriffen gegen die angeblich nationalunwürdigen jüdischen Deutschen? Wer war es, der ihnen absprach, Patrioten zu sein? Wie stark waren Gegenkräfte und wer stand für sie?

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Arbeit, Konsum, Privatvergnügen, alles andere is’ mir egal

Chilenisches Putsch-Fresko, Uni Bielefeld (wikimedia commons)

Würde Augusto Pinochet noch leben, er hätte wahrscheinlich rund um den 50. Jahrestag des Putsches in Chile seine helle Freude am Zustand der Welt, insbesondere an dem der Massen. Musste er seinerzeit noch mit Hilfe des Militärs und der CIA gegen eine sozialistische Regierung und eine selbstbewusste Gesellschaft putschen, können sich autoritäre Führer heute in weiten Teilen der Welt auf politische Mehrheiten verlassen oder wissen diese zumindest in greifbarer Nähe. Nicht nur in Chile. Die autoritäre Gefahr, sie kommt heute längst nicht nur von oben.

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Rechtsextreme im Kampf um Köpfe, Straße und Parlamente

Bild: johnhain auf Pixabay

Eine Polarisierung, die nur noch zwischen Freund und Feind unterscheidet, nimmt nach Auffassung des Sozial- und Bewegungsforschers Dieter Rucht auch in Deutschland zu. Aber unser Land sei nach wie vor auch geprägt von den „Konfliktlinien zwischen Arm und Reich, Staatsgläubigkeit und Marktliberalität, auch zwischen Links und Rechts, zwischen kultureller Offenheit und Geschlossenheit“. „Noch haben wir in Deutschland, anders als etwa in den USA, eine relativ starke politische Mitte, die einer Polarisierung entgegensteht“, betont Rucht im Interview mit Wolfgang Storz.

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Politische Machtfrage: Was müssen wir tun, um das Notwendige unterlassen zu können

Bild: geralt auf Pixabay

An der Frage, ob Parteien überhaupt noch adressiert werden sollten, wenn sie doch einem offensichtlich geradezu natürlichen Prozess der Kartellisierung unterliegen, kann man sich schon mal die Zähne ausbeißen. Denn noch jede Partei – egal, wie ihr Gründungsaufruf einst lautete – sieht ab einem bestimmten Punkt ihre Aufgabe nicht mehr darin, eine eigene politische Agenda durchzusetzen, die im allerbesten Fall einen der Fülle der Gegenwart und ihrer Probleme angemessenen Entwurf für gesellschaftliche Transformation enthält. Wobei schon das Wort Transformation inzwischen einen abgestandenen, schalen Geschmack hat, führen es doch alle im Munde und viele meinen damit: Was müssen wir tun, um das eigentlich Notwendige unterlassen zu können?

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Eis, Strandkorb und Barbie-Museum

Foto: analogicus auf Pixabay

Mit einem Strandkorb wäre es Urlaub gewesen. Doch die Eltern bezeichneten die fünf Mark Mietgebühren, die der schon damals pro Tag kostete, als Geldverschwendung. Vor Wind schützten auch die Dünen, selten genug sei Strandwetter, und das Haus der Großeltern liege keine Viertelstunde Fußweg entfernt, nah genug, um dort Ruhe zu finden, wenn der Ostseestrand überfüllt sei. Argumente, die eine 12-Jährige schon 1978 nicht überzeugten. »Zu den Großeltern fahren« war eben nicht das Gleiche wie »verreisen«, auch wenn ihre da wohnten, wo andere Urlaub machten. Aber diese anderen logierten in Hotels, Pensionen oder wenigstens Ferienwohnungen, saßen ständig in Restaurants und mieteten eben auch Strandkörbe. Für die gesamten 14 Tage, weil es billiger war. Damit der Mensch nicht aus der Touristenrolle fällt, muss ihm alles zur Ware gemacht werden – und umgekehrt.

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“Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren”

Antonio Guterres, seit 2017 UN- Generalsekretär, bei der Verleihung des Aachener Karlspreises 2019. (Foto: Olaf Kosinsky auf wikimedia commons)

„Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren“, erklärte UN-Generalsekretär Guterres anlässlich der Weltklimakonferenz Cop-27. Er hat allen Grund zur Sorge, denn wenn sich der Gegenwartstrend beim Ausstoß klimaschädlicher Emissionen in Zukunft fortsetzt, werden die CO2 -Budgets, die der Welt zur Verfügung stehen, um das 1,5-Grad-Erderhitzungsszenario noch zu erreichen, bereits in wenigen Jahren aufgebraucht sein. Ein Bericht von Oxfam deutet an, woran gutgemeinte Klimapolitik immer wieder scheitert: Zwanzig der reichsten Milliardäre emittieren bis zu achttausend Mal mehr Kohlenstoff als die Milliarde der ärmsten Menschen. Wie das Problem der Klimagerechtigkeit politisch bearbeitet werden kann, wird in den Sozialwissenschaften kontrovers diskutiert. Markt- und technikzentrierte Lösungen konkurrieren mit einem neuen Staatsinterventionismus, der sich wiederum durch Forderungen nach einem radikalen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft herausgefordert sieht.

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Moralisch aufgeblasen, sozial schlaff

Catherine Liu, Professorin an der University of California in Irvine und einst Unterstützerin der Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders, hat ihr Buch über linksliberale “Tugendpächter” noch während der Amtszeit von Donald Trump geschrieben. Die erst jetzt erschienene deutsche Übersetzung ist deshalb aber keineswegs uninteressant. Lius vorwiegend auf die Vereinigten Staaten bezogene Darstellung einer “neuen Klasse”, die sich “mit Moral tarnt und Solidarität verrät”, weist in vielen Punkten Ähnlichkeiten zur Situation in Deutschland auf. Lius scharfe (Selbst)Kritik der Linken und Linksliberalen kann man, wenn auch nicht eins zu eins, durchaus auf die urban-grün geprägte Klasse der “oberen zehn Prozent” in Deutschland übertragen.

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Martialische Rhetorik rechter Polizeigewerkschaften

Bild: Conmongt auf Pixabay

Bei einer Fahrzeugkontrolle erschoss ein französischer Polizist am 27. Juni im Pariser Stadtteil Nanterre aus nächster Nähe den 17jährigen Nahel M., einen Franzosen mit algerischen Wurzeln. Nach dem ersten entsetzten Schock über die „unentschuldbare“ Tat des Polizisten (Präsident Emmanuel Macron) verbreitet sich in der französischen Gesellschaft eine explosiv schwelende Mischung aus tiefer Ratlosigkeit, aus Überdruss an der seit den Protesten der „Gelbwesten“ vor fünf Jahren wachsenden alltäglichen Gewaltbereitschaft auf jedweden Demonstrationen sowie aus Feindseligkeit gegen afrikanisch- und arabisch-stämmige Franzosen, die das nur „auf dem Papier“ seien. So unterstellte der im Senat einflussreiche Republikaner Bruno Retailleau den eingewanderten Franzosen der zweiten und dritten Generation in aller Offenheit eine „ethnische Regression“ (in Franceinfo am 6. Juli).

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Debatte über den Verfassungsschutz: überfällig

Der deutsche Verfassungsschutz ist etwas sehr Besonderes. Einen solchen Geheimdienst haben andere westliche Demokratien nicht. Es ist ein Geheimdienst, der im Inland späht. Er richtet sich nicht gegen Kriminelle, sondern gegen Personen und Gruppen, die als politisch verwerflich erklärt werden. Er spioniert Bürgerinnen und Bürger aus, die keine Gesetze verletzen, sondern ihre demokratischen Rechte wahrnehmen. Dabei hat der Verfassungsschutz enorm große Freiheiten, enorm große Macht.
Das kritisiert Ronen Steinke, in Berlin lebender Journalist und Autor, der vor allem für die Süddeutsche Zeitung recherchiert und schreibt. In seinem neuen Buch geht er der Frage nach, ob dieser Geheimdienst die Demokratie schützt oder eher schadet. Er verhalte sich in seiner Überwachungspraxis auch demokratieschädigend, sagt Ronen Steinke und fordert eine neue über Debatte über die Legitimität des deutschen Verfassungsschutzes.

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