Für Jahrhunderte zurückliegende Enteignungen erhalten die Kirchen noch immer Entschädigungen vom Staat in Millionenhöhe. Die Ampel-Regierung will das beenden – gegen den Widerstand der Länder und der CDU. Wenn man Menschen – ganz gleich, ob gläubig oder ungläubig – versucht, die sogenannten „Staatsleistungen“ an die Kirchen zu erklären, trifft man auf Kopfschütteln. Kaum jemand weiß davon. Es geht dabei nicht um staatliche Zahlungen, etwa für den Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen, die ohnehin fast vollständig von öffentlichen Haushalten (also von allen Steuerzahlen) an Caritas oder Diakonie geleistet werden. Nein, die Kirchen bekommen das Geld als – salopp formuliert – „Ausgleichzahlungen“ aufgrund der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts.
Weiterlesen →Rente: Eine gewisse Ratlosigkeit ist verständlich
In der Ampel wird über ein Programm zur Sicherung der Renten gestritten. Der Streit hat eine Wucht, dass er der Ampel eine Trennungssituation bescheren kann. Kann – nicht muss. Es geht um Leistungen für aktuell rund 21 Millionen (bis Mitte der dreißiger Jahre werden fünf Millionen hinzukommen) Rentnerinnen und Rentner. Wendet sich nur ein Teil dieser riesigen Zahl von CDU/CSU einerseits und von den Sozialdemokraten andererseits ab, brauchen die, salopp geschrieben, zur Bundestagswahl im September 2025 nicht mehr anzutreten. Was läuft also da gegenwärtig und woher kommt das?
Weiterlesen →Pragmatische Kommunen, panische Debatten
Boris Kühn ist wissenschaftlicher Leiter des Projekts GENIUS in der Forschungsgruppe Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Gemeinsam mit dem Mediendienst Integration hat er knapp 800 Kommunen zum Stand der Flüchtlingsaufnahme befragt. Zu den Befunden gehört, dass der Anteil an Kommunen, die sich bei der Unterbringung von Migrant:innen überfordert sehen, “im Osten deutlich geringer ist als im Westen. Wir gehen davon aus, dass das im Wesentlichen auf einen entspannteren Wohnungsmarkt zurückzuführen ist.” Im Interview mit Wolfgang Storz erläutert Kühn seine Forschungsergebnisse. Er sieht viel kommunalpolitische Pragmatik, wenig von der massenmedialen Panik.
Weiterlesen →Klimapolitische Leitgedanken
Im November 2022 veröffentlichten das Bundeskanzleramt und das Bundesministerium der Justiz “Empfehlungen zur Stärkung der Verbindlichkeit der Nachhaltigkeitsziele bei der Erstellung von Gesetzen und Verordnungen”. Darin werden alle Ressorts aufgefordert, “die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und Ziele sowie Prinzipien der Deutschen Nachhaltigkeitsstra-
tegie (DNS) von Beginn an bei allen Prozessschritten der Konzeption und Ausarbeitung von Gesetzen und Verordnungen einzubeziehen”. Vor diesem Hintergrund und zugleich darüber hinaus weisend sind die folgenden “Sechs klimapolitischen Leitgedanken” zu sehen und zu verstehen.
Ein unbeliebter Staatspräsident und eine Regierung auf tönernen Füßen
Seit zwei Monaten geistert in unserem Nachbarland Frankreich ein Wort durch die Politik, die Medien, die gesamte Gesellschaft: „inédit/inédite“ heißt es und meint „etwas ganz und gar Neues“. Noch nie hat es in der V. Republik seit 1958 einen derartigen Stillstand in der Politik gegeben: Wochenlang blieb die Regierung des Gabriel Attal nur „geschäftsführend“ im Amt. Der Haushalt für das kommende Jahr wird der neu gewählten Nationalversammlung im Palais Bourbon nicht zum 1. Oktober vorgelegt werden, wie es die Verfassung vorschreibt, sondern eine Woche später. Einen Premierminister ernannte Staatspräsident Emmanuel Macron nach wochenlangem Zögern und einem demütigenden Schaulaufen mehrerer Kandidatinnen und Kandidaten schließlich am 5. September: Seine Wahl fiel auf den 73jährigen Michel Barnier, der noch vor drei Jahren mit markigen rechten Sprüchen selbst Staatspräsident werden wollte.
Weiterlesen →Entscheidbare Fragen sind trivial, unentscheidbare machen frei
links: Fons, zeichnet einen Kreis mit geschlossenen Augen |
rechts: KI, zeichnet einen Kreis mit geschlossenen Augen (Bild: © Fons Hickmann)
Es fällt auf, dass es zum Substantiv Intelligenz in unserem Sprachgebrauch kein Verb gibt. Zweifellos ist damit eine Fähigkeit gemeint, die zunächst keine Hinweise auf die Intelligenz erzeugenden Handlungen gibt. Bei der Suche nach einem geeigneten Tätigkeitswort, das intelligentes Handeln kennzeichnen könnte, stoße ich auf eine ursprüngliche Bedeutung in der Philosophie der römischen Klassik: „Das Verb »intellegere« (inter-legere) bezeichnete die konkrete Handlung des Aussortierens.“ (Pastore 2010: 1120) Um etwas auszusortieren, braucht es zunächst Unterscheidungsvermögen, um die Zahl der Optionen zu vergrößern. Viele Auswahloptionen lassen auf einen kreativen Prozess der Kriterienfindung schließen und umgekehrt. Im anschließenden Entscheidungsprozess entscheiden wir uns dann zwar »für« eine Option, „aber sowohl im englischen »decision«, ebenso im Spanischen, Italienischen und Französischen, als auch im deutschen Wort Entscheidung liegt der Akzent hingegen auf Scheidung und Trennung“ (Arlt, Schulz 2019: VIII) und damit auf dem Aussortieren.
Weiterlesen →Wir schaffen das
Der heutige “Tag des Flüchtlings“ im Rahmen der interkulturellen Woche 2024 ist ein bitterer Tag für Flüchtlinge im Land und für die Asylbewerber an dessen Grenzen. Wir haben mittlerweile ein Klima, in dem sie alle in der Gefahr schweben, als mögliche Gefährder, Gewalttäter und Terroristen angesehen zu werden. Der Tag ist auch bitter für Deutschland insgesamt, weil Abschottung und Ausgrenzung an Stelle einer humanen Asyl- und Flüchtlingspolitik Überhand zu gewinnen drohen. Sicher auch deshalb, weil wir zu lange nicht darüber gesprochen haben, dass unsere Aufnahmebereitschaft auch Probleme schafft und viele Menschen überfordert.
Weiterlesen →In der Garantieklausel liegt die Wahrheit
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj pumpt Hoffnung in die wie verstopft erscheinenden Gespräche über eine festgefahrene Kriegslage. Er legt einen Friedensplan vor. Es ist nicht der erste Plan, den er präsentiert. Heute will er mit dem US-amerikanischen Präsidenten reden, anschließend werden wir lesen und hören können, was dem ukrainischen Politiker vorschwebt. Alles hängt daran, wie der russische Präsident reagiert. Reagieren wird. An dessen Absicht, die Ukraine als souveränen Staat auszulöschen und stattdessen dem Land eine wie auch immer geartete Vasallen- Position zu verordnen, vergleichbar vielleicht der Belarus´, hat sich ja nichts geändert. Aber von dieser Absicht müsste Putin runter.
Manchmal muss man, so schwierig das auch sein mag, solche Situationen vom – möglichen – Ende her betrachten. Denn erst am Ende kommt das, was wir den Augenblick der Wahrheit nennen. Der ist dann da, wenn es darum geht, der Ukraine, dem Land, den Menschen, den ukrainischen Existenzen, Sicherheit vor einem erneuten russischen Angriff zu geben. Eine erneute Vereinbarung, die der von Minsk I und II folgen würde, ergibt keinen Sinn. Die hat sich nicht bewährt. Eine neue Vereinbarung müsste weitere Staaten als Signatarmächte haben: die USA, die Volksrepublik China, die Türkei, Staaten der südlichen Halbkugel der Erde, sowie mehrere westeuropäische Staaten. Was wären alle diese Staaten bereit, real zu garantieren? Sicherheitsgarantien hätten für die Ukraine nur dann Sinn, wenn all diese Staaten zusammenstünden, um ohne Hintertürchen Schutz vor einem erneuten Angriff zuzusichern. Sicherheit zu garantieren, die der Sicherheit durch erprobte Beistandsmodelle gleichkäme. Solche Modelle sind ziemlich rar. Das beste bestehende steckt in der NATO. In der Garantieklausel steckt die Wahrheit.
Wie weit wir hier in der Bundesrepublik von der Realität weg sind, offenbarte – vielleicht unfreiwillig und ohne Arg, aber aufschlussreich – der Spitzenmann des BSW in Brandenburg, Robert Crumbach. Die FAZ übermittelte dessen Vorstellung zur Friedenslösung in der Ukraine im Wortlaut: „Um den Krieg dort zu beenden, könne er sich eine diplomatische Delegation vorstellen, an der auch Brandenburger beteiligt sein könnten. Als solche Friedensverhandler schlug er aber nicht sich selbst, sondern eigene Bekannte vor, die in Russland tätig gewesen seien.“
Potsdamer Allerlei 2
Nach den Landtagswahlen in Brandenburg gibt es aus der bruchstücke-Küche zweierlei Potsdamer Allerlei. Acht Kurz-Kommentare, verteilt auf zwei Tage, registrieren, analysieren und interpretieren, versuchen sich an Nahaufnahmen, Überblicken und Vorausschauen.
Heute in der Reihenfolge Fabian Arlt „Reichlich Asche, wer sieht den Phoenix?“, Klaus Lang „Die FDP soll ernst machen: Neuwahlen jetzt“, Klaus West „Das Me-first-Klima nicht mehr bedienen“ und Hans-Jürgen Arlt „Empörte Opfer oder Faschismus, eine moderne Konstante“.
Gestern waren es Wolfgang Storz „Meine Lieblingsthese, ein Rohrkrepierer“, Klaus West “Blankoscheck für eine Selbstinszenierung”, Thomas Weber „Jetzt kann die SPD die Ampel auch platzen lassen“ und Horand Knaup “Zu kitten ist da nichts mehr”.
Potsdamer Allerlei 1
Nach den Landtagswahlen in Brandenburg gibt es aus der bruchstücke-Küche zweierlei Potsdamer Allerlei. Acht Kurz-Kommentare, verteilt auf zwei Tage, registrieren, analysieren und interpretieren, versuchen sich an Nahaufnahmen, Überblicken und Vorausschauen.
Heute in der Reihenfolge Wolfgang Storz „Meine Lieblingsthese, ein Rohrkrepierer“, Klaus West “Blankoscheck für eine Selbstinszenierung”, Thomas Weber „Jetzt kann die SPD die Ampel auch platzen lassen“ und Horand Knaup “Zu kitten ist da nichts mehr”.
Morgen dann Fabian Arlt „Reichlich Asche, wer sieht den Phoenix?“, Klaus Lang „Die FDP soll ernst machen: Neuwahlen jetzt“, Klaus West „Das Me-first-Klima nicht mehr bedienen“ und Hans-Jürgen Arlt „Empörte Opfer oder Faschismus, eine moderne Konstante“.
Rückkehr nach Odessa
(Foto: HOBOPOCC auf wikimedia commons)
„Ob die Franzosen wissen, dass sie einen ukrainischen Premierminister haben?“, fragte Stéphane Séjourné seinen Freund. Nur wenige Tage zuvor war der 34jährige Gabriel Attal am 9. Januar zum neuen Premierminister ernannt worden und die erste Reise, auf die er Séjourné als neuen Außenminister schickte, war die nach Kiew. Nun, neun Monaten später, fährt er selbst in die Ukraine, nach Kiew und Kurisove, fünfzig Kilometer nördlich von Odessa, der Stadt, die der große Schriftsteller Isaak Babel einmal „eine Art Marseille oder Neapel“ am Schwarzen Meer genannt hat. Attal, der jüngste und kürzeste Premierminister Frankreichs, ein Ukrainer?
Weiterlesen →Moskau mobilisiert deutsche Ängste
Putins Russland setze vor allem in Deutschland darauf, die in besonderem Ausmaß vorhandenen Ängste wegen unserer Hilfe für die Ukraine zu eskalieren. Die Befürchtung, in den Krieg hineingezogen zu werden, weil wir den Ukrainern helfen, sei weit verbreitet. “Diese Ängste sollen mobilisiert werden”, sagt Osteuropa-Experte Andreas Wittkowsky. “Dazu gehören auch die regelmäßigen Drohungen, Atomwaffen einzusetzen. Moskau weiß, dass sie bei den Deutschen besonders gut verfangen. Und es gibt eine erhebliche Zahl von Einflussagenten, die im Sinne von Putin-Russland diese Botschaften und Ängste hier regelmäßig verstärken — sei es aus Überzeugung, Opportunismus, Käuflichkeit oder Druck. Diese Einflussagenten sind bei der AfD und beim BSW besonders prominent vertreten”, erläutert Wittkowsky im Interview mit Wolfgang Storz.
Weiterlesen →Eine neue Linke kann es wieder geben
Die vom Klimawandel verursachte Naturverheerung ist die keinen Aufschub vertragende Herausforderung der Gegenwart. Jede Wahl lässt von neuem zittern, ob die Wahlberechtigten dies auch so sehen. Der geschädigten Natur widmen sie keine privilegierte Aufmerksamkeit. Entsprechend kurzatmig reagiert das politische Personal auf die veränderten Präferenzen des Wahlvolks. Die Aufmerksamkeitszyklen einer Social-Media-Demokratie sind kurz getaktet, und was gestern noch Greta-Effekt und Wind auf die Mühlen der Grünen war, ist heute heftigstem Gegenwind ausgesetzt. Die den Raubbau an der Natur beendet sehen wollen, tun gut daran, ihr Dilemma nicht bloß durch mehr TikTok lösen zu wollen. Angezeigt ist es, das politische Handeln auf der Straße und in den Parlamenten durch eine theoretische Arbeit am Begriff der Natur zu ergänzen. An diesem Begriff fehlt es, und dieser Mangel teilt sich der ständig mit Scheitern bedrohten zweiten Aufklärung mit; so haben ihre frühen Vertreter die Ökologiebewegung einmal genannt.
Weiterlesen →Systemkritik am Limit. Stiefmütterlich behandelter Veränderungswille
Das ausführliche Lob für Buch und Autoren stand bereits vor einiger Zeit an vielen anderen Orten, auch in der Süddeutschen Zeitung. In Kürze der Inhalt der dortigen Rezension: Die beiden Politikwissenschaftler Ulrich Brand, Universität Wien, und Markus Wissen, Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, erweiterten präzis, umfassend und kompetent jene Analysen, die sie in ihrem – in mehrere Sprachen übersetzten — Bestseller „Imperiale Lebensweise“ (Oekom Verlag, München, 2017) darlegten. Ebenso schärften sie in dem neuen Buch ihre Grundsatzkritik: Da die Logik des heutigen Kapitalismus auf unaufhörliches Wachstum ausgelegt sei, würden alle bisher angepackten Konzepte von Decarbonisierung und ökologischer Modernisierung viel zu kurz greifen — eben solange mit dieser Logik nicht gebrochen werde. Die Autoren belegten auch dies „akribisch mit guten Argumenten“, so der Autor der SZ.
Wer nicht zum ersten Mal einen längeren Text, ein Buch zu diesem Thema liest, wer eventuell auch das Buch der beiden Autoren von 2017 gelesen hat, der fragt sich: Na und? Und jetzt?
Das Nationale, das Planetare und die öffentliche Irreführung
#1 Wo stehen wir? Mitten in einer deutschen Öffentlichkeit, in der sich alles um Migration dreht, besser: um deren Verhinderung. Praktische Lösungen für real existierende Probleme spielen im Wettlauf der Niedertracht nur am Rande eine Rolle; er wird von der Mechanik der Aufmerksamkeitsökonomie angetrieben: Wer kann noch lauter »Überforderung« sagen, wer noch ungerührter Forderungen wider allen Anstandes erheben? Mit Fakten kommt man in dem Lärm nicht weit, eine Zahl hier nur als Beispiel: Der Anteil der Kommunen, die sich als »überlastet« mit der Unterbringung von Geflüchteten sieht, ist von Oktober 2023 bis Mai 2024 von gut 40 auf knapp 23 Prozent zurückgegangen. Unter ostdeutschen Kommunen sind nicht einmal 8 Prozent »überlastet«. Dabei wird der parteipolitische Überbietungskampf ja gerade aus »Rücksicht« auf angenommene Haltungen »der Bevölkerung« in den derzeit wählenden Bundesländern betrieben. Wer auf rechtsstaatliche, ökonomische, demografische Argumente wert legt, ja einfach nur auf einen gesunden Menschenverstand und etwas Haltung, wird mit allen Varianten von »Ausländer raus« konfrontiert. Apropos Überforderung: Sechs von zehn Kommunen gehen laut Daten der KfW-Forschung davon aus, dass sie nur einen geringen Teil der für Klimaschutz und Anpassung benötigten Investitionen oder gar nichts davon stemmen können.
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