Die Wiener Atomenergiekommission (IAEO) ist seit Tagen wegen der Berichte über die jüngsten Kämpfe um das ukrainische Atomkraftwerk alarmiert. Generaldirektor Rafael Mariano Grossi: Es dürfe zu keinem Unfall kommen, die IAEO müsse so bald wie möglich das AKW aufsuchen. „Es ist dringend“. Sein Plan: ein Abkommen über einen Cordon sanitaire für Atomkraftwerke. Im Detail: Die Unterzeichner verpflichten sich, diese Anlagen im Kriegsfall nicht anzugreifen oder zu beeinträchtigen. Dazu hat er „sieben Säulen“ definiert. Nur wenn alle beachtet würden, werde das AKW sicher betrieben. Jedoch: Alle diese Regeln würden im AKW Saporischschja verletzt, erklärte der IAEO-Direktor. Das Entscheidende: Bis jetzt hat keine Regierung auf seinen Vorschlag reagiert. Der deutsche Kanzler, die Außenministerin, die EU-Kommissionspräsidentin, alle, die sonst so beredt sind, schweigen bisher zu diesem Vorschlag. Wie gefährlich die Lage ist, zeigt die folgende detaillierte Schilderung.
Am 5. August stand das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja, etwa 70 Kilometer südwestlich der gleichnamigen Großstadt am Ufer des Dnepr gelegen, unter Beschuss. Mittags und erneut am Abend schlugen Geschosse auf dem Gelände ein. Zwar wurde keiner der sechs Reaktoren getroffen, aber eine Hochspannungsleitung beschädigt, was eine Notabschaltung bei einem der sechs Blöcke auslöste, von denen allerdings nur drei in Betrieb waren. Bei einem weiteren Reaktor musste die Belegschaft die Leistung drosseln. Schäden gab es auch an peripheren Einrichtungen. In der Siedlung der Kraftwerksmitarbeiter, Enerhodar, fiel der Strom aus. Unter dem Aspekt der nuklearen Sicherheit war es der kritischste Zwischenfall in der Anlage seit ihrer Besetzung von russischen Truppen vor fünf Monaten. Er bildete den vorläufigen Höhepunkt einer Serie gefährlicher Vorfälle in den letzten vier Wochen — wir erleben gerade eine Eskalation rund um und im AKW Saporischschja.
Die militärische Eskalation…
Noch am gleichen Abend des 5. August warfen sich beide Seiten gegenseitig den Angriff vor. Das russische Militär behauptete, vom gegenüberliegenden Ufer des Dnepr sei über den Fluss geschossen worden. Das ukrainische Unternehmen Energoatom, dessen Personal das AKW immer noch betreibt, erklärte, die Explosionen auf dem AKW-Gelände stammten von russischen Raketenwerfern. Russland missbrauche das Kraftwerk für militärische Aktivitäten und verfolge den Plan, dessen Infrastruktur zu zerstören und es vom ukrainischen Energienetz zu trennen. Präsident Selenskyj nahm diese Darstellung umgehend in seiner nächtlichen TV-Ansprache auf: „Heute haben die Besatzer wieder eine äußerst riskante Situation für alle Europäer geschaffen — sie haben das AKW Saporischschja beschossen, zweimal an einem Tag.“ Er warf Russland Nuklearterrorismus vor und forderte eine Ausweitung der Sanktionen auf die russische Atomindustrie. Einem Land, das Nuklearterrorismus verübe, müsse die Fähigkeit abgesprochen werden, Atomanlagen zu betreiben.
Bei den Vorfällen in den Wochen zuvor war die Darstellung des Geschehens weniger umstritten. Am 22. Juli gab der Militärgeheimdienst der ukrainischen Streitkräfte bekannt, eine russische Stellung auf dem Gelände des AKW Saporischschja angegriffen zu haben. Zur Dokumentation stellte das Verteidigungsministerium in Kiew einen Videoclip ins Netz. Die offizielle Beschreibung lautet:
Eine Kamikaze-Drohne wurde eingesetzt, um die feindliche Stellung und deren Ausrüstung zu treffen, darunter Flugabwehrkanonen und BM-21 Grad-Fahrzeuge. Nach vorliegenden Informationen wurden bei dem Anschlag 3 Menschen getötet und 12 verletzt. Das Lager wurde durch ein Feuer zerstört, das lange Zeit nicht gelöscht werden konnte.
Leiter der Abteilung für Nachrichtendienste des Verteidigungsministeriums der Ukraine
Ruhm der Ukraine! Tod dem Feind!
Das Video zeigt zunächst den Beschuss eines Fahrzeugs, das inmitten von Sprühanlagen postiert ist, die zur Kühlung des Atomkraftwerks gehören. Dabei handelt es sich nicht um die systemrelevanten primären und sekundären Kühlkreisläufe, sondern um eine spezielle periphere Kühleinrichtung, die man bei einigen Kraftwerken russischer Bauart findet. Das Objekt, bei dem es sich um das in der Mitteilung erwähnte Kampffahrzeug handeln soll, wird getroffen, die Umgebung anscheinend nicht beschädigt.
In der nächsten Sequenz des Clips nimmt die Drohne ein Zeltlager ins Visier, das die russischen Truppen auf dem Kraftwerksgelände direkt vor dem doppelt umzäunten Hochsicherheitsbereich errichtet haben. Nach den Bildern zu urteilen, befand sich das Lager im nördlichen Bereich des Terrains, 200 bis 250 Meter vom nächstgelegenen Reaktor und ebenso weit entfernt von dem Trockenlager für Atommüll, das an der nordöstlichen Ecke der Anlage gelegen ist. Die Aufnahmen zeigen, wie sich eine Explosion zwischen den Zelten ereignet; anschließend sieht man viele Menschen davonlaufen und schließlich den Einsatz einer Feuerwehr, um den Brand zu löschen.
Das Video ist mit martialischer Kriegsmusik vertont und bildet ein Symbol ab, auf dem eine Eule über der nördlichen Erdkugel schwebt und ein großes Schwert in das russische Territorium rammt. Dazu lesen wir als lateinische Inschrift Sapiens dominabitur astris, Der Weise wird die Sterne beherrschen, was eine offenherzige Beschreibung der Aufgabe von Geheimdiensten ist, aber ein bemerkenswertes Missverständnis von Philosophie.
Dass der Clip keine Fälschung ist, bestätigte das Portal ukrinform mit einer Meldung vom 23. Juli. Die mehrsprachige Nachrichtenagentur ergänzte, die Russen hätten 500 Soldaten auf dem Gelände des AKWs stationiert und im Untergeschoss eines Ausbildungszentrums ein Waffenlager eingerichtet.
Ein Atomkraftwerk als Schutzschild?
In den Tagen vor und nach dem Ereignis gab es einige Nachrichten, die damit zusammenhängen könnten. Die Welt behauptete am 16. Juli, die Städte Nikopol (120.000 Einwohner) und Dnipro (eine Million Einwohner) seien von Raketen getroffen worden, die vom Atomkraftwerk Saporischschja abgefeuert worden seien. „Man hat ein ungutes Gefühl, wenn das größte Kernkraftwerk Europas dafür genutzt wird“. Allerdings handele es sich nur um eine Vermutung der ukrainischen Seite, räumte die Welt-Reporterin ein.
Die FAZ berichtete, die Geheimdienstabteilung des ukrainischen Verteidigungsministeriums habe die Bürger in der Region Enerhodar dazu aufgerufen, Informationen über die russischen Besetzer wie auch über „Kollaborateure“ weiterzugeben: Adressen, Wohnungen, Arbeitsplätze — wer sympathisiert mit den Russen? Enerhodar (50.000 Einwohner, zu deutsch Energiegeschenk) ist der Standort des AKW Saporischschja. Die Stadt wurde schon in den ersten Kriegstagen von den Russen eingenommen, ihr Bürgermeister, Dmytro Orlov, abgesetzt. Orlov zufolge, der seine Stadt verlassen hat, gab es schon in der Vorwoche des Drohnenangriffs eine aus ukrainischer Sicht erfolgreiche Sabotageaktion im Atomkraftwerk; neun russische Militärangehörige seien verletzt ins städtische Krankenhaus eingeliefert worden. Dies sei eine Vergeltungsmaßnahme dafür, dass die Russen vom Gebiet des Kernkraftwerks benachbarte Siedlungen beschossen hätten. Gleichzeitig beklagte der ehemalige Bürgermeister, die Besetzer entführten Kraftwerksmitarbeiter. Bereits am 17. Juli, so das Erste Regionale Fernsehen von Saporoschschja, sei der Umweltbeauftragte des AKW, Igor Kwaschnin, entführt worden. Etwa hundert Beschäftigte sollen verhört worden sein; dabei sei auch gefoltert worden. Dies destabilisiere den Kraftwerksbetrieb, erklärte Orlov laut taz.
Am 1. August wartete die New York Times mit einer großen Reportage über Nikopol auf. Die Stadt liegt gegenüber von Enerhodar auf der anderen Seite des Dnepr, der hier zu einem See gestaut ist. Blickt man von Nikopol aus über den breiten Strom, sind die Silhouetten der sechs Reaktoren des Atomkraftwerks und seine beiden Kühltürme gut zu erkennen. Der Bürgermeister von Nikopol sagte NYT, russisches Militär habe sich mit voller Absicht im Atomkraftwerk verschanzt, „damit sie nicht getroffen werden können“. Die Russen schickten Raketen über den Fluss nach Nikopol und auf andere Ziele, aber die Ukraine könne den Beschuss „mit ihren von Amerika erhaltenen fortschrittlichen Raketensystemen“ nicht erwidern, ohne zu riskieren, das Atomkraftwerk oder sein Atommülllager zu treffen. „Und Russland weiß das“. Diese Situation behindere die Gegenoffensive im Süden des Landes, glaubt NYT, mit der die ukrainische Armee die Stadt Cherson befreien wolle.
Die Angst gilt einem neuen Tschernobyl
Die Zeitung hält das Argument für sehr gewichtig, obwohl es weit hergeholt zu sein scheint. Cherson liegt 200 Kilometer südwestlich von Enerhodar. Auch der Staudamm Nowa Kachowka, den die ukrainischen Truppen laut NYT als nächstes im Visier hätten, ist 150 Kilometer entfernt. Die russischen Besetzer werden wohl kaum vom Atomkraftwerk aus in solche Entfernungen schießen wollen. Wie auch umgekehrt die HIMARS-Raketen, die die Ukraine von den USA erhalten hat, sich kaum bis dorthin verirren werden, sollten sie vor Cherson zum Einsatz kommen. Hier droht eine ganz andere Gefahr, die von NYT offenbar übersehen wurde: Wenn der Staudamm bei einem Gefecht Schaden nähme, würde sich im worst case eine riesige Flutwelle stromabwärts über Cherson ergießen. Und das stromaufwärts gelegene Atomkraftwerk hätte keine Kühlung mehr.
Wie in Kriegszeiten üblich, hat NYT nur die ukrainische Sicht der Dinge wiedergegeben und nach der russischen gar nicht erst gefragt. Gleichwohl lässt der Artikel erkennen, dass es unter den Einwohnern von Nikopol sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Sie fürchteten, wie die Zeitung einräumt, nicht nur die russische Artillerie; sie seien auch in großer Sorge, dass die eigenen Leute ein Leck in das Atomkraftwerk schießen könnten. Oder dass sie das Atommülllager treffen, errichtet vom US-Konzern Westinghouse und bestückt mit 167 großen Containern, die jeweils mit einer Betonummantelung versehen und auf Satellitenaufnahmen gut zu erkennen sind. Oder es könnte sich, noch gefährlicher, ein Geschoss in die kaum gesicherten Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente verirren.
Die Angst gilt einem neuen Tschernobyl. Sie wird dieses Mal nicht von den angeblich ständig verunsicherten Deutschen geäußert, sondern von Ukrainern der Region, die von einer Verstrahlung zuerst und am schwersten betroffen wäre. Als am 29. Juli eine große Rauchwolke unweit der Atomanlage zu sehen war, weil ein ukrainisches Geschoss ein russisches Waffendepot getroffen hatte, waren sie erschrocken. Denn für sie hat das Wort Kamikaze eine sehr direkte Bedeutung (das steht freilich nicht in NYT). Das ukrainische Militär weiß nicht so recht, wie es solche Befürchtungen zerstreuen soll. Ein Truppenführer sagte der Zeitung: „Suchen Sie nicht nach Fairness im Krieg, besonders wenn Sie gegen die Russen kämpfen.“ Das ist eine sibyllinische Antwort: Zurückhaltung ist weder von der einen noch von der anderen Seite zu erwarten.
Droht die Ukraine so mit einem Atomschlag?
Insgesamt zählen wir im Zeitraum März bis Anfang August fünf militärische Auseinandersetzungen im oder am AKW Saporischschja, dem nominell größten Atomkraftwerk Europas. Nachdem die Russen in einem abenteuerlichen Feuergefecht am 4. März die Anlage übernommen hatten, gab es im Juli drei ukrainische Attacken. Das Kraftwerk, vom Feind besetzt, aber von seinen rechtmäßigen Besitzern nach wie vor betrieben, bleibt ein brisanter Schauplatz dieses Krieges. Dass die Kontrolle über annähernd sechs Gigawatt elektrischer Leistung einige Bedeutung besitzt, steht außer Frage. Ebenso klar ist, dass diese Verfügungsgewalt nicht mit herkömmlichen militärischen Gewaltmitteln erreicht werden kann. Ein Atomkraftwerk kann weder erobert noch verteidigt noch zurückerobert werden. Jeder derartige Versuch würde in Kamikaze enden, das müssten auch diejenigen Militärs verstehen, deren Kompetenz die Panzerschlachten sind. Vielmehr wird die Kontrolle des Werks demjenigen zufallen, der die Region beherrscht.
Die Scharmützel im und um das AKW Saporischschja, denen auf beiden Seiten Menschen zum Opfer gefallen sind, scheinen daher sinnlos zu sein. Das heißt: Sie bringen keiner Seite einen Vorteil für den Kriegsverlauf. Die Russen haben mit dem gefährlichen Treiben begonnen, als sie das Gelände Anfang März besetzten, wie sie ja auch den ganzen Krieg begonnen haben. Das macht die ukrainischen Attacken nicht weniger riskant oder, wie es in den Nachrichten heißt, „brenzlig“.
Was könnte das Ziel dieser Attacken gewesen sein? Offenbar will die ukrainische Seite demonstrieren, dass das Kraftwerk in ihrer Reichweite liegt, dass es ungeschützt ist und dass es, was von vornherein klar war, jederzeit mit einem massiven Angriff getroffen werden kann. Droht die Ukraine also indirekt mit einem nuklearen Angriff der anderen Art, mit einer Zerstörung des Atomkraftwerks? Das hätte verheerende Auswirkungen für die russisch besetzten Territorien, aber auch für die Westukraine und, je nach Wetterbedingungen, für Südrussland und Europa.
Nein, eine solche Drohung hat es bisher wohlweislich nicht gegeben. Sie würde ja auch sofort die Frage nach der Sicherheit der anderen vier ukrainischen Atomanlagen vor dann möglichen weiteren russischen Angriffen aufwerfen. Denn der bisherige Kriegsverlauf hat gezeigt, dass die russische Zerstörungswut keine Grenzen kennt.
Atomkraftwerke als Waffe
Es kommt aber letztlich nicht einmal darauf an, ob Drohungen ausgesprochen werden oder unausgesprochen in der Luft liegen und ob vermeintliche oder reale Absichten existieren. Zivile Atomkraftwerke sind in einem Krieg ein Teil der nuklearen Abschreckung. Anders als die hierfür erfundenen Atombomben schrecken sie allerdings nicht den Gegner ab, sondern den Besitzer, auf dessen Territorium sie errichtet wurden. In Enerhodar liegt die Nuklearanlage derzeit direkt an der Frontlinie zwischen den kriegführenden Parteien; das sollte eigentlich beide Seiten abschrecken.
Atomkraftwerke wurden unter der optimistischen, geradezu „pazifistischen“ Annahme gebaut, dass sie dauerhaft in weiter Ferne von Krieg und Terrorismus betrieben werden könnten. Diese Annahme war so selbstverständlich, dass sie in den Atomgesetzen und Genehmigungsverfahren gar keine Rolle spielte. Nur bei der Endlagerung des Atommülls, wo es um hunderttausend Jahre geht, gehört eine Vorsorge gegenüber kriegerischen Ereignissen zu den diversen Konzepten, deren Realisierung allerdings immer weiter verschoben wird.
87 Warnungen der IAEO
Während die deutschen Medien eher beiläufig über den Drohnenangriff berichteten, den sie in ihren „Live Blogs“ auflisteten, war die Wiener Atomenergiekommission (IAEO) über diese Ereignisse einmal mehr alarmiert. Generaldirektor Rafael Mariano Grossi gab ein Statement heraus, sein 87. Update zur Situation in der Ukraine, wie er auch sofort nach dem Artilleriebeschuss reagierte. Grossi rief zu größter Zurückhaltung auf, um einen Unfall zu vermeiden, der die öffentliche Gesundheit in der Ukraine und anderswo gefährden könnte. „Diese Berichte sind sehr beunruhigend und unterstreichen, wie wichtig es ist, dass die IAEO das Kernkraftwerk Saporischschja aufsucht. Ich setze meine entschlossenen Bemühungen fort, so bald wie möglich eine Mission zur Sicherheitsüberwachung an diesem Standort zu vereinbaren und zu leiten“, sagte der Generaldirektor und fügte hinzu: „Es ist dringend“.
Da die IAEO die Anlage seit fünf Monaten nicht mehr besuchen konnte, sei sie nicht in der Lage, die jüngsten Berichte über das größte AKW des Landes zu bestätigen oder zu dementieren. Der unscheinbare Satz ist von einiger Bedeutung. Grossi würde wohl keine Sekunde zögern, eine Nutzung des Kraftwerksgeländes als Basis für russische Raketen und Artillerie entschieden zu verurteilen. Aber er scheint von den entsprechenden Behauptungen noch nicht überzeugt zu sein. Das unterscheidet ihn von US-Außenminister Antony Blinken, der sich kurz nach dem Erscheinen des NYT-Artikels den dort vorgebrachten Einschätzungen anschloss. Wie dem auch sei: in diesem Krieg wird vieles fotografiert, und viele Menschen ergänzen die Arbeit der Kriegsreporter mit eigenen Handyaufnahmen. Das Bild einer Rakete, die vom AKW kommend den Dnepr überfliegt, war bisher nicht dabei.
Was es allerdings gibt, sind Bilder von russischen Militärfahrzeugen vor und zwischen den Reaktorgebäuden. Das heute journal des ZDF zeigte am 6. August gestochen scharfe Aufnahmen einer beträchtlichen Zahl von Militärlastern mit der weißen Z-Markierung und von mindestens einem Kampffahrzeug, offenbar ein intensives militärisches Treiben.
Grossi schwebt ein Abkommen über einen Cordon sanitaire für Atomkraftwerke vor. Die Unterzeichner würden sich verpflichten, diese Anlagen im Kriegsfall nicht anzugreifen oder zu beeinträchtigen. Dazu hat er „sieben Säulen“ definiert, auf denen ein sicherer Betrieb von Atomkraftwerken beruhe. Alle diese Regeln würden im AKW Saporischschja verletzt, erklärte der IAEO-Direktor.
Sein Vorschlag fand bisher keinerlei Resonanz. Das liegt daran, dass die Regierungen der 175 Mitgliedsstaaten der IAEO zunächst auf die Reaktionen Russlands und der Ukraine warten. Doch Wladimir Putin denkt nicht daran, einen Fehler einzugestehen, und Wolodymyr Selenskyj glaubt eventuell, eine solche Vereinbarung würde ihm als Verzicht auf das Atomkraftwerk ausgelegt werden. Die NATO überlässt es bekanntlich Selenskyj — zumindest nach offizieller Darstellung — zu entscheiden, ob, wann und worüber die Ukraine verhandelt. Der IAEO wäre Erfolg zu wünschen, aber derzeit spricht wenig dafür. Wie viele weitere Warnungen muss sie noch veröffentlichen? Unverständlich ist, warum Grossi noch keine Empfehlung ausgesprochen hat, auch die letzten Reaktoren des AKWs herunterzufahren und zu entladen. Denn das war bereits im Januar auf einem Seminar der IAEO mit Energoatom besprochen worden, falls eine „sehr spezielle Periode“ eintreten würde.
Eine Reiseempfehlung für die deutsche Politik
Machen wir uns nichts vor: Die hier beschriebenen Sachverhalte sind für die deutsche Politik zu kompliziert. Hierfür muss man sich einige Fakten merken, ein paar Gedankengänge kombinieren und für neue Erkenntnisse offen sein. Es ist anspruchsvoller als die überschaubaren Formeln, mit denen die Herren Scholz und Merz oder die Damen Lambrecht und Baerbock ihre Aufgaben erledigen.
Viele Politiker, die in den letzten Wochen und Monaten in die Ukraine gefahren sind, haben allerdings übereinstimmend mitgeteilt, wie wichtig diese Erfahrung für sie gewesen sei. Man müsse einmal vor Ort gewesen sein und mit den Menschen selbst gesprochen haben. Dann könne man sich eine Meinung bilden.
Es bleibt also ein Rest an Hoffnung, dass ein Besuch in Nikopol, der Stadt, die von der New York Times so anschaulich beschrieben wurde — und so schön, die publizierten Fotos wirken außergewöhnlich attraktiv —, vielleicht doch ein gewisses Verständnis für das Thema Atomkraft im Krieg hervorkitzeln könnte. Einmal durch die herrlichen Sonnenblumenfelder wandern, den Blick über die blaue Weite des Dnepr schweifen lassen und am anderen Ufer die Kuppeln der Reaktoren zählen. Es ist wirklich eine schöne Landschaft, aber bald könnte es für eine Reise zu spät sein.
War Markus Söder, der sich gerade das letzte bayrische Atomkraftwerk angesehen hat, eigentlich schon in der Ukraine? Sollte er noch hinfahren wollen, könnte er seine Gutachter vom TÜV Süd mitnehmen.
Eine gute Zusammenfassung der Ereignisse und der Moeglichkeiten. Es kommt fuer die Menschen nur eine sofortige Abschaltung in Frage.Oder Frieden – und besser beides sofort.