Das Ringen um die Hoheit über den weiblichen Körper

Foto: Jan M. Gerlach auf wikimedia commons

Im Bundestag liegt derzeit der Gesetzentwurf einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten vor, der eine moderate Änderung des – im internationalen Vergleich – restriktiven deutschen Rechts des Schwangerschaftsabbruchs vorschlägt. Der Entwurf sieht Änderungen nur für die Frühschwangerschaft bis zur 12. Woche nach der Empfängnis vor. Nach aktueller Rechtslage bleibt der Schwangerschaftsabbruch straffrei, wenn sich die Schwangere vor dem Eingriff hat beraten lassen und zwischen der Beratung und dem Eingriff drei Tage vergangen sind (§ 218a Abs. 1 StGB). Der Schwangerschaftsabbruch bleibt aber rechtswidrig. Auch wenn die Schwangere die rechtlichen Verfahrensregeln einhält, bleibt also – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 88, 203) – ein „Unwerturteil“ an ihr hängen, und seien die Gründe für den Abbruch noch so nachvollziehbar. Der Gesetzentwurf, der nun im Parlament verhandelt werden soll, sieht dagegen vor, die Abbrüche nach Pflichtberatung als rechtmäßig zu behandeln. In der Folge würden die Kosten des Eingriffs von den gesetzlichen Krankenkassen getragen, müssten also nicht wie bisher im Regelfall von den Betroffenen selbst finanziert werden.

Die erwartbare Gegenreaktion bleibt argumentativ schwach. Jüngst forderte eine kleine Gruppe von Ärzt*innen und Rechtswissenschaftler*innen in der FAZ eine „nüchterne[…], interdisziplinär aufgeklärte Bewertung“ des Reformvorschlags. Im Ergebnis wird jede Veränderung des geltenden Rechts kompromisslos abgelehnt. Der Staat habe eine Schutzpflicht für das ungeborene Leben, die nicht zugunsten einer vollständigen Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aufgegeben werden dürfe. Die Befürworter*innen der Reform seien, so die kleine Diffamierung am Rande, „von bemerkenswerter Einseitigkeit der Perspektive, von unzutreffenden Prämissen und fehlerhaften Ableitungen geprägt“. Die jahrzehntealte Debatte um Recht und Ethik des Schwangerschaftsabbruchs wird damit auf ein paar wenige vermeintliche Wahrheiten verkürzt. So einfach ist es jedoch nicht. Geboten ist daher eine Einordnung wesentlicher Argumente aus rechtsethischer und verfassungsrechtlicher Sicht.

Zum Status von Embryonen und Feten leider kein neues Argument unter der Sonne

Der Status von Embryonen und Feten ist und bleibt umstritten, daran kann und wird auch die noch so oft wiederholte Behauptung des Gegenteils nichts ändern. Die starke ethische Annahme, Embryonen und Feten seien dem geborenen Menschen in ihrem Schutzanspruch gleichzustellen, gibt keineswegs einen Konsens oder auch nur eine Mehrheitsmeinung wieder – dies gilt für die Ethik wie für die Verfassungsrechtswissenschaft, die hier ethische Argumente weitgehend rezipiert. Kurz zusammengefasst, folgert eine Position, die man als „embryozentriert“ bezeichnen kann, aus vier Umständen des embryonalen/fetalen Daseins seine Statusgleichheit mit dem geborenen Menschen. Dies sind die sogenannten SKIP-Argumente der Spezieszugehörigkeit, der Kontinuität der Entwicklung sowie der Individualität und Potenzialität des Embryos/Fetus.

Der Streit um die Bedeutung dieser Argumente füllt Bibliotheken. Zwingende Folgerungen lassen sich aus ihnen nicht ableiten. Die These, Embryonen und Feten seien dem geborenen Menschen an moralischen und juridischen Rechten gleichzustellen, weil sie als individualisiertes menschliches Leben das Potenzial hätten, geboren zu werden, wird vielfach kritisiert – nicht nur im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch, sondern auch in der Debatte um die Fortpflanzungsmedizin. Auch wenn die Individualisierung schon in der frühen Phase der Schwangerschaft stattfindet, gibt es gute Gründe, das sich entwickelnde menschliche Leben in den unterschiedlichen Phasen der Schwangerschaft unterschiedlich zu behandeln. Gerade das Prozesshafte der embryonalen und fetalen Entwicklung spricht für abgestufte Lebensschutzkonzepte, wie sie beispielsweise auch dem Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin der Bundesregierung zugrunde liegen, die im April 2024 ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Auch dort findet sich die gut begründete Empfehlung, den Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Frau in der Frühphase der Schwangerschaft als rechtmäßig zu behandeln

Von der notorischen Missachtung der Lebenserfahrung „Schwangerschaft“

Vor allem aber befindet sich der Embryo/Fetus im Körper einer anderen Person. Dieser Umstand kann weder mit „Zweiheit in Einheit“ (so das Bundesverfassungsgericht), noch mit „Ein Körper, zwei Personen“ (so der jüngste Meinungsbeitrag in der FAZ) adäquat beschrieben werden. Daran ändert sich auch nichts, wenn man behauptet, der Embryo/Fetus entwickle sich organisch weitgehend „unabhängig“ von der Schwangeren „über die aktive, selektive Entnahme von Nährstoffen und Sauerstoff aus dem mütterlichen Kompartiment durch sein größtes biologisches Organ ‚Plazenta‘“. Medizinisch mag man die Plazenta als ein Organ des Embryos oder Fetus und nicht der Schwangeren ansehen können, aus dem der Embryo/Fetus sich aktiv ernährt und nicht etwa ernährt wird. Schon ein oberflächlicher Blick in die Medizingeschichte, zeigt allerdings, wie unterschiedlich die Schwangerschaft zu verschiedenen Zeiten beschrieben wurde (siehe nur: Barbara Duden, Der Frauenleib als öffentlicher Ort). Der Verdacht liegt nahe, man wolle uns hier doch wieder nur die aristotelische Idee des Frauenkörpers als eines passiven Brutgefäßes in modernem Gewand verkaufen. Wie dem auch sei, auch so beschrieben findet die vorgeburtliche Entwicklung des Menschen im Körper einer Frau statt.

Bild: Joyce Mary Wallace auf wikimedia commons

Wer in der Schwangerschaft eine „Zweiheit“ sieht und in der Folge einen Konflikt zwischen Embryo und Schwangerer konstruiert, macht bei näherem Hinsehen Folgendes: Der Embryo/Fetus wird aus der Schwangeren herausphantasiert und ihr als gleichrangiges Gegenüber präsentiert („Mutter-Kind-Konflikt-Modell“). Auf dieser Grundlage werden sodann gegenläufige Rechtspositionen abgewogen, und zwar so: Für den Embryo/Fetus geht es um sein Leben. Für die Schwangere um ihre Selbstbestimmung, Gesundheit, körperliche Integrität, Intimsphäre – vermeintliche Kleinigkeiten im Vergleich zu der Alles-oder-Nichts-Position „Leben“. Von den formal einbezogenen Grundrechten der Schwangeren bleibt in dieser simplen Gleichung: nichts. Ein patriarchaler Zaubertrick von beeindruckender Wirkungsmacht trotz anhaltend bescheidener Überzeugungskraft. Die Frau bleibt abhängig von der Gnade eines Staates, der von seinem Unwerturteil nur dann abrücken muss, wenn die Motive für den Abbruch seinen Vorstellungen von Unzumutbarkeit entsprechen.

Eine andere Sicht auf die Schwangerschaft

Gegenstimmen dazu gibt es seit Langem (für einen Überblick siehe hier). Eine Auseinandersetzung mit ihren Argumenten wird vorsichtshalber nicht einmal versucht. Hier nur eines davon: Eine Schwangerschaft ist kein Schauplatz eines Duells zweier antagonistischer Individuen. Sie ist eine ebenso alltägliche wie besondere Beziehung, ein Entwicklungsprozess nicht nur für den Embryo und später den Fetus, sondern auch für die Schwangere selbst. Der Embryo zieht nicht vorübergehend in eine Einliegerwohnung im Körper der Schwangeren ein, wo er sich in behaglicher Autarkie aus seinem Plazenta-Gärtchen selbst versorgt und ansonsten nicht weiter auffällt. Es ist der Körper der Schwangeren, der sich mit der Entwicklung des Embryos und später des Fetus fundamental verändert. Es ist das Leben der Schwangeren, das um diese Erfahrungswelt erweitert wird, ob sie die Schwangerschaft nun positiv erlebt, negativ oder ambivalent. Schwangere und Embryo/Fetus sind für die Dauer der Schwangerschaft eine Einheit, keine „Zweiheit“. Die Schwangerschaft betrifft die Frau in ihrer Identität. Sie ist nicht nur ein nährendes Umfeld oder „mütterliches Kompartiment“. Für ein liberales Recht des Schwangerschaftsabbruchs zu sprechen, leugnet nicht den Wert des menschlichen Lebens und versagt ihm nicht den Respekt. Für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs spricht das besondere Beziehungsgeschehen der Schwangerschaft, das eine mündige Grundrechtsträgerin in tiefgreifenden Aspekten ihrer Identität und Integrität berührt.

Für den Umgang mit der Schwangerschaft gilt darum: Zwischen dem Embryo/Fetus und Dritten steht immer und unausweichlich die Schwangere mit ihrer gesamten Existenz. Für die Dauer der Schwangerschaft ist der Embryo/Fetus bei aller Individuierung und organischer Selbstorganisation ein Teil ihres Selbst. Wer den Embryo/Fetus medizinisch behandeln möchte, behandelt immer auch die Schwangere. Wer den Embryo/Fetus vor einem Abbruch retten möchte, muss sich dazu mit der Schwangeren auseinandersetzen. Wer eine Frau dazu zwingt, gegen ihren Willen eine Schwangerschaft auszutragen, erlegt ihr nicht nur eine vorübergehende Lästigkeit auf, sondern zwingt sie in eine identitätsprägende Lebenserfahrung hinein, zu der am Ende auch die Geburt mit ihren Schmerzen, Risiken und eventuellen Langzeitfolgen gehört.

Darum hat die Entscheidungsfreiheit der ungewollt Schwangeren ein solches Gewicht. Es geht um ihren Körper, ihr Leben und auch um ihre Verantwortung während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Die holzschnittartige Gegenüberstellung abstrakter Rechtspositionen (hier Leben – dort Selbstbestimmung) wird dem Beziehungsgeschehen „Schwangerschaft“ nicht im Ansatz gerecht. Sie entwirft ein Szenario, in dem die Frau nur verlieren kann. Es gibt durchdachtere Modelle in Ethik und Verfassungsrechtswissenschaft, die eine graduelle Betrachtung des Entwicklungsprozesses während der Schwangerschaft erlauben (eine Zusammenfassung findet sich hier, S. 177 ff.). Sie eröffnen Spielräume dafür, die Lebensrealitäten ungewollt schwangerer Personen in den Blick zu nehmen und differenzierte Lösungen zu diskutieren.

Ein reiches sozialpolitische Betätigungsfeld

Denn hier liegt eine weitere bemerkenswerte Leerstelle in der Argumentation gegen liberale Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs: Eine Auseinandersetzung mit den Lebensumständen und Motiven, die zu einer Entscheidung für den Abbruch führen, sucht man bei den Verteidigern restriktiver Gesetze vergebens. Dabei gibt es – anders als noch zur Zeit der zweiten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch 1993 – mittlerweile gesicherte Befunde: Die häufigsten Gründe dafür, eine Schwangerschaft nicht fortzusetzen, sind Partnerschaftsprobleme oder ökonomische Sorgen (Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, S. 83 ff.). Wer Frauen wirklich dazu ermutigen möchte, ungewollte Schwangerschaften auszutragen, fände hier ein reiches sozialpolitisches Betätigungsfeld. Stattdessen wird immer noch und immer wieder um die Hoheit über den weiblichen Körper gerungen.

Nur am Rande sei erwähnt: Mit dem schematischen „Konflikt-Modell“ der Schwangerschaft, gern auch als Grundlage eines alternativlosen „Kompromisses“ präsentiert (eine Antwort darauf hier), lassen sich weitreichende Verschärfungen des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs begründen. Vorschläge dafür stehen in einschlägigen Wahlprogrammen, unterstützt von offen frauenfeindlichen  Kampagnen in den sozialen Netzwerken). Man wäge ab, mit wem man sich gemein zu machen bereit ist.

Unter dem Titel „Eine Schwangerschaft, eine Beziehung. Plädoyer für eine differenzierte Bewertung des Schwangerschaftsabbruchs“ erschien der Beitrag zuerst auf dem Verfassungsblog.

Friederike Wapler
Prof. Dr. Friederike Wapler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Rechtsphilosophie und Öffentliches Recht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie habilitierte sich zum Thema „Kinderrechte und Kindeswohl. Eine Untersuchung zum Status des Kindes im öffentlichen Recht“.

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

bruchstücke