
(Foto: Office of Speaker Mike Johnson auf wikimedia commons)
Israel hat die Armeen seiner Gegner pulverisiert. Was davon noch übrig ist, hat nicht den Hauch einer Chance, Israel ernsthaft zu bedrohen. Der grandiose Sieg dürfte diejenigen bestätigen, die glauben, Israels Zukunft am besten mit militärischer Gewalt statt durch Völkerrecht, Verhandlungen, Kompromisse und einen eigenen Staat für das palästinensische Volk dauerhaft sichern zu können. Aber jeder Siegfrieden, jede gewaltsame Unterdrückung trägt den Keim des Widerstands in sich.
Wo militärische Überlegenheit überwältigend ist, kann Fremdherrschaft lange dauern. Jahrhunderte kolonialer Herrschaft legen davon Zeugnis ab. Sich selbst und das eigene Volk davon zu überzeugen, dass die Unterworfenen keine ebenbürtigen Menschen sind, sondern Wilde, eine minderwertige Rasse oder allesamt Terroristen, ist dabei die ermöglichende psychologische Voraussetzung, um bereit zu sein, andere Menschen mit Gewalt zu missionieren, zu entrechten, zu vertreiben oder sogar zu versklaven oder zu vernichten.
Trotz militärischer und ökonomischer Überlegenheit und der Bereitschaft zu rücksichtsloser Gewalt ist die dauerhafte Entrechtung und Unterdrückung von Völkern fast überall am Widerstand der Unterdrückten gescheitert. Dies gilt für die europäischen Kolonialreiche, ebenso wie für die Sklaverei, das südafrikanische Apartheidregime oder das russische/sowjetische Imperium. Das allgemeine Menschenrecht, das Gebot der gleichen Rechte für alle Menschen, einmal in der Welt, ist eine Befreiungsbotschaft, der die Mächtigen zwar Gewehre und Bomben, aber keine moralische Rechtfertigung entgegenzusetzen haben. In dem Sinne arbeitet die Zeit seit 1967 in den besetzten Gebieten gegen Israel.
Der Schock des 7. Oktober 2023
Vollständige Vertreibung oder nahezu vollständige Vernichtung haben dagegen aufgrund ihrer Endgültigkeit in vielen Fällen neue dauerhafte Fakten geschaffen. Das Schicksal der First Nations in Nordamerika, der Genozid an den Armeniern in der Türkei, die Vertreibung der Finnen aus Karelien, der Bevölkerungsaustausch zwischen Pakistan und Indien nach der Unabhängigkeit sind Beispiele, wie durch Vernichtung oder Vertreibung auf Unrecht beruhende neue stabile Lagen geschaffen wurden.
Die Alternative zu permanenter Unterdrückung oder ultimativ zu Vertreibung oder gar Vernichtung, ist ein Miteinander oder Nebeneinander, das allen Beteiligten ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Auch das ist möglich. Seit dem westfälischen Frieden schlagen sich Katholiken und Protestanten nicht mehr gegenseitig tot, dass gilt mit 350 Jahren Verzögerung sogar für Nordirland. Nach dem Ende der Franco-Diktatur ist es mühsam gelungen, den Konflikt zwischen spanischer Zentralregierung und der baskischen ETA zu befrieden. Viele afrikanische Länder haben nach der Unabhängigkeit nicht an den mit dem Lineal gezogenen kolonialen Landesgrenzen gerüttelt, sondern Klugheit über Ethnonationalismus gestellt. Die USA haben seit dem amerikanischen Bürgerkrieg auf dem noch immer unvollendeten Weg von der Sklaverei zur Gleichberechtigung unbestreitbar große Fortschritte gemacht.
In Israel ist die Regierung dagegen offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass die seit 1967 praktizierte militärische Unterdrückung in der Westbank und die periodischen Strafaktionen in Gaza – sprachlich unwürdig als „Mowing the lawn (Rasen mähen) bezeichnet – für Israel nicht länger ausreichende Sicherheit bieten. Unter dem Schock des 7. Oktober scheint jetzt die Vertreibung der Palästinenser das Ziel. Dafür wird der Gazastreifen dem Erdboden gleichgemacht, werden die Menschen aushungert und in der Westbank Repression und Vertreibung verschärft.
Unterstützt von den USA und darauf vertrauend, dass Deutschland ernsthafte europäische Sanktionen gegen Israel verhindert, hat Israel nach den militärischen Triumphen über Hamas, Hisbollah, Syrien und Iran freie Hand, in Gaza und der Westbank zu tun, was es will. Diejenigen, die Israel stoppen wollen, können es nicht, und diejenigen, die Israel stoppen könnten, wollen es nicht.
Grausamkeit mit Grausamkeit bekämpfen?
Viele Länder des Südens schauen fassungslos auf die westliche Welt, und insbesondere die USA und Deutschland, die unverbrüchlich und mit Waffenlieferungen an der Seite Israels stehen. Die mantrahafte Beschwörung deutscher Staatsräson, die rückhaltlose Unterstützung der israelischen Regierung, lediglich gedämpft durch vorsichtig geäußerte und folgenlose Mahnungen, hat zu einem massiven Ansehensverlust Deutschlands bei den Menschen in der arabischen Welt und nicht nur in der arabischen Welt, sondern auch bei vielen anderen Menschen im globalen Süden und selbst innerhalb Europas geführt.
Der Holocaust begründet eine besondere Verpflichtung Deutschlands zur Verteidigung universeller Menschenrechte und zum wachsamen Anti-Anti-Semitismus. Letzteres ist allerdings nur wirksam und letztendlich nachhaltig, wenn er nicht als Zurückweisung jedweder Kritik an dem Vorgehen Israels in Gaza und auf der Westbank instrumentalisiert wird. Die Entschlossenheit, mit der in Deutschland israelkritische Menschen ausgeladen, Veranstaltungen abgesagt, Sprech- und Demonstrationsverbote praktiziert werden, stößt bei vielen, auch und gerade im Ausland, auf Unverständnis. Manchmal hat man den Eindruck, Deutschland habe Angst vor sich selbst, Kritik an Netanjahus Politik in Gaza könne schnell dazu führen, dass der alte Geist des Anti-Semitismus wieder sein Haupt erhebt.
Die Verteidiger israelischen Vorgehens verweisen auf die besondere historische deutsche Verantwortung und darauf, dass die Hamas die alleinige Verantwortung für die Gräuel in Gaza habe. Sie habe mit dem Terrorangriff den Krieg ausgelöst, missbrauche Zivilisten als Schutzschilde und könne den Krieg durch Kapitulation und Freilassung der Geiseln sofort beenden. Proteste sollten sich daher lieber an die Hamas als an Israel richten.
Das ist absurd. Von Terroristen fordert man nicht die Einhaltung der Menschenrechte, sondern man bekämpft sie. Aber bei der Bekämpfung darf die Grausamkeit der Terroristen nicht zur Rechtfertigung eigener Grausamkeiten führen. Gerade weil Israel für sich in Anspruch nimmt, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, muss es sich an diesem Maßstab messen lassen. 15.000 tote Kinder als unvermeidliche Opfer rechtfertigend in Kauf zu nehmen, weil Zivilisten eben von der Hamas als menschliche Schutzschilde genutzt würden, ist zynisch und unehrlich. Wer im 1500 km entfernten Teheran, im Libanon oder in Syrien mit gezielten Schlägen und exzellenter Geheimdienstarbeit Gegner ausschalten kann, hat in Gaza keine Alternative zu Flächenbombardements, Blockade jeder humanitären Hilfe und der Tötung von über 50.000 Menschen, um die Hamas auszuschalten?

(Foto: Jaber Jehad Badwan auf wikimedia commons)
‚Zwangssolidarität‘ verweigern
Aus den unvorstellbaren und unverzeihbaren deutschen Verbrechen an Juden ergibt sich keine Begründung, die Totalzerstörung in Gaza als israelische Selbstverteidigung zu rechtfertigen. Das Selbstverteidigungsrecht unterliegt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Und das ist in Gaza erkennbar weit überschritten.
Die Nonchalance mit der von Nato, USA und Bundesregierung die völkerrechtlichen Bedenken gegen den Angriff auf den Iran beiseite gewischt werden, entspricht Clausewitzens Idee vom Krieg als der Fortsetzung von Politik mit anderen Mittel. Für den richtigen Zweck darf man bei den Mitteln nicht zimperlich sein. Gleichzeitig in anderen Konflikten die Einhaltung von internationalem Recht und regelgebundener internationaler Ordnung zu verlangen, führt zum Verlust der Glaubwürdigkeit. Eine doppelte sprachliche Entgleisung ist es, wenn ein deutscher Bundeskanzler Juden dann dankbar ist, dass sie die Drecksarbeit machen.
Die rechtsextremen Kräfte in der israelischen Regierung vertreten ein anti-palästinensisches Menschenbild und Staatsverständnis. Sie wollen ein Großisrael from the river to the sea. Die Palästinenser erleben und erleiden jeden Tag die Umsetzung dieser Politik. Ohne massiven Druck von außen werden diese Kräfte im Augenblick absoluter militärischer Stärke von ihrem erklärten Ziel eines jüdischen Gottesstaates nicht ablassen.
Israel in seiner moralisch und politisch falschen Politik in Gaza und in der Westbank nicht zu stützen, sondern sich einer ´Zwangssolidarität´, um ein Wort des deutschen Außenministers zu gebrauchen, zu verweigern, ist das Gebot verantwortungsbewusster Solidarität. Die Freunde Israel müssen ihre Mittel nutzen, um Israel zu stoppen, statt sich durch Untätigkeit oder Unterstützung mitschuldig zu machen. Nach 21 Monaten Krieg und Zerstörung das Minimum an Vertrauen zwischen Palästinensern und Juden aufzubauen, um den müheseligen Weg eines friedlichen Nebeneinanders beginnen zu können, ist unvorstellbar schwierig. Das sofortige Ende des Krieges in Gaza, Lebensmittel und medizinische Versorgung für die Menschen in Gaza, die Beendingung der Siedlungspolitik sind dafür unerlässliche erste Schritte. Eine solche Kursänderung Israels wird es allerdings ohne internationalen Druck auch aus Deutschland nicht geben.
1982 verlangte Ronald Reagan von Menachem Begin die Bombardierung Beiruts einzustellen. Er machte unmissverständlich deutlich („Menachem this is a Holocaust“), dass Israel die Unterstützung der USA verlieren werde, wenn es weiter Frauen und Kinder bombardiere . 20 Minuten später wurden die Luftangriffe eingestellt. Wo ein Wille ist, da ist auch eine Lösung.
Moin,
sorry, dieser Text ist so vollständig durchsetzt von unterschwelligen Antisemitismus, dass jeder weiter Kommentar sich erübrigt.