Gegen die Wand gefahren – Machtdelle der Autolobby?

Bild: Mohamed Hassan auf Pixabay

Verschiebt sich in dieser Krise das bisherige Macht-Gefüge? Ein vorläufiger spannender Hinweis: Im ersten Anlauf hat die Autoindustrie, einschließlich IG Metall und deren Betriebsräten, sich bei Olaf Scholz und Angela Merkel eine blutige Nase geholt und nicht das Geforderte bekommen, nämlich vom Steuerzahler finanzierte Kaufprämien. Das gab es bisher noch nie. Wir entscheiden frühestens Ende Mai, hieß es im Kanzleramt. Wurden bei diesem Auto-Gipfel nur Entscheidungen verschoben oder gar Einfluss und Macht?

Die Manager und Betriebsräte der Autoindustrie sind dieses Mal — wohl noch verwöhnt von der Abwrackprämie zu Zeiten der Krise des Finanzsystems — besonders dreist aufgetreten. Vielleicht war auch deshalb der Widerstand in Wissenschaft, bei Umweltverbänden, in der SPD und sogar in der Branche der Maschinenbauer so vehement — und hält nicht mehr lange an? Was jedoch auch sein kann: Die Auto-Industrie wird nicht länger als gehätschelte Leit-Branche akzeptiert und zu einer wie jede andere herabgestuft. 

„Wir brauchen eine Kaufprämie für Autos“ forderte Herbert Diess, VW-Vorstandsvorsitzender, noch am vergangenen Sonntag in einem FAS-Streitgespräch mit Cem Özdemir, Grüner, bevor er sich zusammen mit seinen Kollegen am vergangenen Dienstag (5.Mai) vor aller Öffentlichkeit eine (vorläufige) Abfuhr abholte.

In den zurückliegenden Wochen hatten Manager und Betriebsräte öffentlich getrommelt: Wir sind die Leitindustrie und nur wenn Ihr uns noch mehr Geld gebt, kommt die gesamte Wirtschaft wieder auf die Beine. Ihre Devise: Jedes neu gekaufte Auto ist für uns alle ein gutes Auto, egal wie sehr es der Umwelt schadet.

Dreister Auftritt

Als die Öffentlichkeit diese (vertraute) Botschaft hörte, ging sie jedoch nicht — wie früher meist — dankbar in die Knie, sondern gab Widerworte, auch von ungewohnter Seite. Das Gerechtigkeits-Argument von Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und SPD: Konzerne, die ungerührt Dividenden an ihre Aktionäre und Boni an ihre Manager zahlten, ob die überhaupt Hilfe vom Steuerzahler bräuchten? Carsten Schneider, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, wurde deutlicher: Der Auftritt der Autokonzerne sei „dreist“, hätten sie doch in den vergangenen Jahren riesige Gewinne gemacht und Innovationen verschlafen. Kurz vor dem Gipfel schloss sich sogar Lars Klingbeil, SPD-Generalsekretär, diesen Argumenten an. Und wenn selbst ein Sozialdemokrat wie Klingbeil, der auch noch aus dem VW-Bundesland Niedersachsen stammt, öffentlich so argumentiert, dann ist eines gewiss: Die Genossen gehen davon aus, dass sie in der Öffentlichkeit mit zusätzlichen Steuergelder-Hilfen für die Autoindustrie keinen Blumentopf gewinnen können; großzügigste Prämien für den Kauf von Elektro-Autos gibt es ja sowieso. 

Dieses Mal meldete sich kritisch sogar eine andere Industrie-Branche zu Wort: Der Verband der Maschinenbauer (VDMA) lehnt öffentlich eine Autoprämie rundweg ab; ebenfalls ungewöhnlich. Die Argumente von Präsident Carl Martin Welcker, die er unter anderem in der FAZ vortrug: Subventionen für einzelne Branchen seien „generell … nicht zielführend.“ Und: Der Konsument solle selbst entscheiden, wofür er Geld ausgebe. Welcker: „Und wenn er sich für einen neuen Kühlschrank entscheidet oder für eine Heizung …, dann hat das eine ebensolche Berechtigung wie der Kauf eines neuen Autos.“

Für Luisa Neubauer, Sprecherin der Klimabewegung „Fridays for Future“, ist eine Autoprämie allein aus Klima-Gründen „eine maximal unverantwortliche Idee“. Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale, argumentiert: Wenn es überhaupt Subventionen geben solle, „dann dürfen nur besonders klimaverträgliche Fahrzeuge wie Elektroautos eine Förderung erhalten“. Was Müller auf keinen Fall will: „Wir brauchen keine Abwrackprämie 2.0, die Verbrenner fördert und funktionstüchtige Autos zum Wegwerfartikel macht.“

75 % Männer versus 72 % Frauen

Auch Monika Schnitzer, neues Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“), meldete sich öffentlich erstaunlich deutlich zu Wort: Steuerfinanzierte Kaufprämien für alle Neuwagen, das sei „purer Lobbyismus, genauso wie die Forderung, nun Abstriche bei Umweltauflagen zu machen“, sagte die Wirtschaftswissenschaftlerin der „Rheinischen Post“.

Die Kritik ist also vielfältiger als bisher. Dazu zählt das Grundargument, das Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, in einer Talkrunde mit Anne Will in die Autoprämien-Debatte einbrachte: In Erziehung und Pflege arbeiteten, so Allmendinger, 72 Prozent Frauen, in der Autoindustrie zu mehr als 75 Prozent Männer — wo werde die Politik mehr helfen, wo werde sie Prioritäten setzen.

Der Kompromissvorschlag der umweltpolitisch geprägten Kritiker: Es solle eine Mobilitäts-Prämie gebe, so dass jede Bürgerin, jeder Bürger frei sei, sich für ein neues Auto, ein Fahrrad, eine Bahncard, für Car-Sharing oder für ein Jahresticket im öffentlichen Nahverkehr zu entscheiden.

Die vielfältige Kritik wird heute auch deutlich stärker gehört und weiter verbreitet. Ein wesentlicher Grund: Die Autokonzerne haben inzwischen zu viel auf dem Kerbholz. Sie betrügen, siehe Diesel-Skandal. Sie streichen höchste Profite ein; Anfang der 2010er Jahre lag der Gewinn von VW in einem Jahr sogar über 20 Milliarden Euro. Die Autokonzerne gelten inzwischen als unfähig zur Innovation, wie ihnen zuletzt die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer bescheinigte: Die Branche habe jahrelang „wichtige Trends wie die E-Mobilität und die Wasserstofftechnologie verschlafen“. Mit einer Autoprämie werde deshalb nur ein altes und veraltetes Geschäftsmodell weiter zementiert, so das inhaltliche Argument der Wissenschaftlerin; wobei sie Hilfen nicht ausschließt, dann aber nur für Elektro-Autos, verbunden mit Investitionen in Ladeinfrastrukturen.

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Finanzliquidität von Daimler: 68 Milliarden Euro

Und was den Dreistigkeits-Faktor noch hebt: Die Automanager brüsten sich öffentlich mit ihrer Liquidität. Warum brauchen sie dann Steuergelder, um für „eine flächendeckende Wiederbelebung“ der Konsumnachfrage nach Autos zu sorgen, egal ob Elektro-, Hybrid-, Diesel- oder Benziner-Auto, wie sie der IG Metaller Bernd Osterloh, Vorsitzender des VW-Betriebsrates, in einem Brandbrief an seine Belegschaft fordert.  Mit den zig Milliarden auf der hohen Kante können die Unternehmen das doch selbst organisieren.

VW-Finanzvorstand Frank Witter, laut FAZ vom 30.April: „Wir sind finanziell weiter robust aufgestellt.“ Und die Geschäfte liefen auch wieder gut: Von dem zentralen Markt China gebe es bereits „wichtige Zeichen der Erholung“. So lagen dort beispielsweise die Verkaufszahlen von Porsche und Bentley bereits im März über dem Vorjahresniveau. Und zur Lage bei Daimler sagt Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender: „Wir stehen mit einer robusten Liquidität da.“ Nach öffentlichen Angaben von dessen Finanzvorstand Harald Wilhelm verfügt Daimler über 68 Milliarden Euro verfügbare Finanzmittel.

Um diesen Streit um Macht und Richtung in der Verkehrs- und Klimapolitik präzise führen zu können, muss auch unterschieden werden: Ab wann ist eine Verkehrswende eine Verkehrswende?

Für Autoindustrie und große Teile der Politik, einschließlich vieler Grünen wie Cem Özdemir, Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg (Porsche, Daimler) und Tarek Al-Wazir, hessischer Wirtschaftsminister (Opel), besteht eine Verkehrswende vor allem darin: anstelle der inzwischen etwa 48 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor fahren künftig 48  Millionen Elektroautos in Deutschland herum.

Ab wann ist eine Verkehrswende auch wirklich eine Wende?

Klimaaktivisten sehen darin jedoch keine Verkehrswende, sondern ein Weiterso mit einer längst überholten Technik. Für sie bedeutet Verkehrswende: Abschied vom motorisierten Individualverkehr. Es geht ihnen also auch um den Rückbau von zig Straßen, Park- und Schrottplätzen, Parkhäusern, vor allem um die deutliche Verringerung der Zahl der Autos, es geht um den Abschied von der autogerechten Stadt. Warum die Zahl der privat genutzten Autos nicht auf 25 Millionen halbieren, damit Städte und Menschen durchatmen können. Was wäre die Folge? Die Autoindustrie, bisher Schlüsselbranche der Volkswirtschaft, müsste kräftig schrumpfen. Und zur Mobilitäts-Industrie werden, die künftig öffentliche Nah- und Fernverkehrssysteme in den Mittelpunkt ihrer Produktion rückt. Dann müsste bald mit den Arbeiten an einem Konversionsplan begonnen werden: Wie kann die Automobilindustrie so geschrumpft werden, dass sie für Natur und Mensch wieder erträglich wird und die jetzt dort Beschäftigten eine Chance auf gute neue Arbeit erhalten? Hier eine Antwort.

Klimaaktivisten bestreiten auch, dass der Elektromotor so umwelt- und klimaschonend ist, wie gemeinhin behauptet. Sie tragen diese Erkenntnisse vor: Elektroautos brauchen mit ihren Hochleistungs-Batterien viel Kupfer und Aluminium. Der Abbau von beiden Rohstoffen verursacht hohe Umweltschäden, die Herstellung von Aluminium aus Bauxit ist zudem besonders energieintensiv. Elektromobilität braucht den Rohstoff Lithium in rauen Mengen, bei dessen Abbau — vor allem in Salzsee-Regionen in Bolivien, Chile und Peru — enorme Mengen Wasser verbraucht werden. Und dann fehlt noch eine überzeugende Antwort auf die Frage, woher der Strom kommt: aus erneuerbaren Energien oder Kohlekraftwerken? Damit wird klar: Der Umstieg auf die Elektromobilität löst das Umweltproblem erst einmal nicht, sondern verlagert es nur. Entsprechend wandte sich der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums bereits im Frühjahr 2016 gegen die Kaufanreize für Elektroautos: Um das Ziel einer besseren Luft zu erreichen, seien Fahrverbote, die Umrüstung von Bussen und eine Innenstadt-Maut wie in London und Oslo viel effektiver.

Noch einmal die Frage: Was macht eine Verkehrswende aus? Nur wenn deren Ziele eindeutig benannt werden, können die Entscheidungen, welche die Politik Ende Mai/Anfang Juni treffen wird, angemessen bewertet werden. Nur dann kann gesagt werden: Hier haben sich in der Krise tatsächlich auch Macht und Einfluss zulasten einer veralteten Industrie verschoben — oder eben nicht.

Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

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