Von Tagesschau bis Handelsblatt berichten (nicht nur) deutsche Medien, Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hätten im Iran Uran mit einem Reinheitsgrad gefunden, der mit 84 Prozent nur knapp unter dem zum Bau einer Atombombe nötigen Wert liege. Die UN-Atomenergiebehörde prüfe nun die Hintergründe. Über die Hintergründe der Hintergründe hatte Detlef Zumwinkel im Dezember 2022 bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Frankfurt a. M. einen Vortrag gehalten, den Bruchstücke in zwei Teilen dokumentiert hatte. Aus aktuellem Anlass präsentieren wir den gesamten Vortrag.
Guten Abend alle zusammen, ich bedanke mich für die Einladung und für Euer Interesse an diesem Thema. Denn unser Hauptaugenmerk gilt derzeit natürlich der neuen Widerstandsbewegung im Iran, die sich die sensationelle Parole „Frau, Leben, Freiheit“ gegeben hat. Alles Andere tritt zurück hinter diesen bewegenden Ereignissen und der schockierenden Brutalität, mit der das Regime die Revoltierenden bestraft. Und doch gibt es eine Art Elefanten im Raum – das ist das Atomabkommen, das die USA, Frankreich, Russland, China, Großbritannien, Deutschland und die EU 2015 mit dem Iran vereinbart haben. Die USA stiegen unter Präsident Trump wieder aus, doch die neue Administration in Washington wollte das Abkommen reaktivieren. Wie soll es damit weitergehen und welche Auswirkungen hätten die verschiedenen Optionen, die auf dem Tisch liegen? Darüber will ich heute vortragen und mit euch diskutieren.
Zunächst zu meiner Person: ich bin Diplomphysiker und habe mich mit theoretischer Physik beschäftigt. Dann habe ich alles Mögliche in meinem Berufsleben gemacht, Lehrer, Journalist, Aktivist und schließlich IT-Entwickler bei der IG Metall, bevor ich in Rente ging.
Um die Kernphysik habe ich während des Studiums einen großen Bogen gemacht, weil mir deren Dozenten unsympathisch waren. Das änderte sich, als in der Nähe von Hamburg, wo ich damals lebte, ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte, das AKW Brokdorf. Es gab heftigen Protest in den umliegenden Ortschaften, der auch in der Hansestadt immer mehr zum Thema wurde. Ich begann also zu recherchieren und nachzudenken und stellte fest, dass die demonstrierenden Bauern eigentlich Recht hatten.
„Ein Fingerl ans Knopferl“
Je weiter ich mich in dieses Gebiet einarbeitete – und je mehr Artikel ich darüber schrieb -, desto stärker wurde mein Eindruck, dass hinter der zivilen Atomenergie fast immer militärische Absichten lauerten. Für die fünf Atommächte, USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China, war das ohnehin klar: bei ihnen waren und sind die Grenzen zwischen den beiden Sektoren fließend und durchlässig. Aber nicht nur für sie, sondern ganz generell gilt, dass das Knowhow für die Atombombe und das Knowhow für nukleare Stromerzeugung eine große gemeinsame Schnittmenge besitzen. Der Friedensforscher Robert Jungk, den ich noch kennenlernen durfte, hat versucht, diese Sachlage begrifflich zu fassen. Er sprach von einer zivil-militärischen, einer dualen oder „zivilitärischen“ Technik.
Es war auch gar nicht zu übersehen, was konservative Politiker mit der Einführung der Atomwirtschaft beabsichtigten: „ein Fingerl ans Knopferl“ wollten sie bekommen, wie Franz-Josef Strauß, erst Atomminister, dann Verteidigungminister in den Regierungen von Konrad Adenauer, sich in gewohnt drastischer Weise ausdrückte. Und was hatten weltweit berüchtigte Diktaturen mit ihrer häufig aus Westdeutschland importierten Atomtechnik im Sinn, Südafrika, Argentinien, Brasilien, Libyen, Indien, Pakistan und der Iran? Es war doch klar, was die wollten, auch wenn die Bundesregierung stets beschwichtigte, und die Vermutung stellte sich alsbald als richtig heraus. Südafrika hatte schon 20 Atombomben produziert, darunter vier Wasserstoffbomben, als das Apartheidregime aufgeben musste. Indien und Pakistan veranstalteten Atomtests in den neunziger Jahren, Brasilien und Argentinien gestanden die unlauteren Bestrebungen nach Ende ihrer jeweiligen Militärdiktaturen ein, Ghaddafis Bemühungen flogen auf. Und der Iran? Nach dem Abtritt des Schahs Reza Pahlevi wurde sein ambitioniertes Atomprogramm auf Eis gelegt. Ayatollah Khomeini, der neue Machthaber, hielt die Nukleartechnik für westliches Teufelswerk, das in einer islamischen Republik nichts zu suchen habe.
Diese Auffassung hatte freilich nur eine kurze Halbwertszeit. Die Iraner bemühten sich wieder darum, dass der Siemenskonzern, der mit 5000 Beschäftigten den Bau des Atomkraftwerks Buschehr an der Küste des Persischen Golfs begonnen hatte, zurückkehrt und die Arbeiten wieder aufnimmt. Diesmal winkte die Bundesregierung ab: eine Zusammenarbeit mit dem Mullah-Regime kam damals nicht infrage. Stattdessen war Russland bereit, das AKW fertigzustellen, sodass Buschehr im Jahr 2011 schließlich seinen Betrieb aufnehmen konnte, übrigens auf einem bekanntermaßen erbebengefährdeten Terrain.
Eine unangenehme Frage
Aber – jetzt kommt schon mal ein erstes Aber: deswegen waren die Deutschen keineswegs raus aus dem Geschäft. Siemens gründete in Russland eine Gesellschaft, um die Turbine für Buschehr zu liefern. 24 % der Ausrüstung von Buschehr sollen laut New York Timesi Made in Germany sein. Und dann muss es wohl ein vertrauliches Abschiedstreffen zwischen iranischen Auftraggebern und scheidenden deutschen Auftragnehmern gegeben haben, auf dem die deutsche Seite vermutlich einen verhängnisvollen Tipp äußerte. Er lautete, dass man zwar selber nichts mehr liefern könne, aber die Iraner sollten es doch mal mit Argentinien versuchen. Die würden doch genau die deutsche Technik anwenden, an welcher der Iran so stark interessiert war: die Technologie des Schwerwasserreaktors, der für die Produktion von waffenfähigem Plutonium besonders geeignet ist.
Argentinien betreibt mit Atucha-1 und -2 zwei Reaktoren dieses Typs, die weltweit einzigen Schwerwasserreaktoren des Modells „KWU“ (Kraftwerk Union, eine frühere Tochtergesellschaft von Siemens und AEG). Sie haben die für Militärs höchst nützliche Eigenschaft, dass man Brennelemente während des laufenden Betriebs auswechseln kann. Das bedeutet, dass sich eine heimliche Abzweigung von erbrütetem Plutonium kaum überprüfen lässt. Wir müssen uns die unangenehme Frage stellen, warum einer der frühesten deutschen Forschungsreaktoren prompt mit dieser sehr speziellen Technik experimentierte.
Ich kann natürlich nicht beweisen, dass es eine deutsche Beratung gegeben hat, weil ich nicht dabei war, aber so ungefähr muss das Kapitel der iranisch-argentinischen Nuklearkooperation begonnen haben, das 1994 zu einem verheerenden Bombenanschlag auf das jüdische AMIA Zentrum in Buenos Aires führte und zwanzig Jahre später mit dem mysteriösen Tod des argentinischen Staatsanwalts Alberto Nisman endete. Nisman begründete seine Anklage gegen hochrangige iranische Politiker nämlich damit, dass sie sich für nicht eingehaltene Zusagen bei dieser Kooperation rächen wollten. Die „nukleare Komponente der Anklage“ werde allerdings bis heute unterschlagen, kritisierte ein argentinischer Journalist Ende 2018ii. Auf dieses Motiv des AMIA-Attentats war Nisman durch umfangreiche Telefon-Abhörmaßnahmen gekommen. Seine These wurde von einem argentinischen Geheimdienstoffizier gestützt, der den Verdacht zu Beginn des AMIA-Verfahrens äußerte und später in einem TV-Interview wiederholte: der Iran habe einen „Reaktor“ kaufen wolleniii. Argentinien habe das abgelehnt. Möglicherweise vermuteten die Machthaber von Teheran in typisch antisemitischer Manier jüdische Drahtzieher hinter der argentinischen Absage.
Friedensnobelpreis knapp verfehlt?
All das ist aber erst in den letzten Jahren in die Diskussion gekommen, und es interessiert auch nur eine kleine Minderheit. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte Siemens scheinbar sein Engagement im Iran beendet bzw. an die Russen übergeben, und damit schien das Thema erledigt zu sein. Doch im Jahr 2003 fand die Internationale Atomenergiebehörde IAEA Spuren von angereichertem Uran in der iranischen Wüste. Wie das?!
Eine Zeitlang überschlugen sich die Ereignisse. Iran musste einräumen, mit pakistanischer Hilfe heimlich eine Urananreicherungsanlage, jene in Natanz, errichtet zu haben. Der Verdacht, dass diese Anlage der Produktion von bombenfähigem Uran dienen sollte, wog schwer. Entsprechende Sanktionen durch die internationale Staatengemeinschaft standen zur Debatte. Doch die Europäer boten einen Ausweg an. Die Außenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands versuchten eine diplomatische Lösung: Wenn der Iran bereit sei, seine nuklearen Aktivitäten auf ein überprüfbares ziviles Maß zu reduzieren, werde man ihn dabei unterstützen. Der deutsche Außenminister, der diese Ideen vorbrachte und sogar Brennelemente für Atomreaktoren aus deutscher Produktion anbot, hieß damals Joschka Fischer. Er folgte einer von deutschen Strategen ausgearbeiteten Politik, die auf die Ausbeutung der iranischen Öl- und Gasfelder abzielte. Könnte nicht der Iran für Europa eine Rolle spielen, wie sie Saudi-Arabien für die USA spielt? Diese Strategie wurde von der deutschen Außenpolitik jahrzehntelang beharrlich verfolgt, von Schröder, Fischer, Steinmeier, Maas und sie ist immer noch unwidersprochen.
Doch der Iran willigte in den vorteilhaften Deal zunächst nicht ein. Unter dem Hardliner Ahmadinedschad, einem Holocaustleugner, wurde Natanz ausgebaut und eine zweite Urananreicherungsanlage, jene in Fordo, errichtet. Gegen Ende seiner Amtszeit verfügte der Iran über fast 20.000 Zentrifugen, allerdings älterer Bauart. Schließlich beschlossen die UN empfindliche Wirtschaftssanktionen gegen den Iran, sodass sein nächster Präsident, Rohani, die Verhandlungen um ein Abkommen reaktivierte. 2015 kam der als Friedenswerk und diplomatische Meisterleistung gefeierte Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) zustande. Er sah vor, die nuklearen Aktivitäten des Iran derart zu reduzieren, dass er, wenn er sich dazu entschlösse, aus technischen Gründen mindestens ein Jahr benötigen würde, um genug waffenfähiges Material für eine Atombombe herzustellen. Dies fasst man in dem Satz zusammen: die breakout time soll zwölf Monate betragen. Im Einzelnen lauteten die wichtigsten Restriktionen für das iranische Atomprogramm
- die 19.000 iranischen Zentrifugen auf 6.104 zu reduzieren,
- Uran für mindestens 15 Jahre nicht über 3,67 Prozent anzureichern,
- den Bestand von etwa 10.000 kg niedrig angereichertem Uran (LEU) auf 300 kg zu reduzieren,
- in Fordo bis 2030 keine Anreicherung vorzunehmen und zwei Drittel der dortigen Zentrifugen abzubauen,
- den noch nicht fertiggestellten Schwerwasserreaktor in Arak umzubauen, damit er für die Herstellung von waffenfähigem Plutonium ungeeignet wäre.
Im Gegenzug wurden die nuklearbezogenen westlichen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben und blockierte iranische Guthaben bei westlichen Banken freigegeben. Es soll sich um 100 Milliarden Dollar gehandelt haben; auch wenn die Zahl nicht verifiziert werden kann, gibt sie doch einen Eindruck von der fraglichen Größenordnung.
Als Architekten des JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) ließen sich vor allem vier Außenminister feiern, Mohammad Dschawad Zarif für den Iran, heute Privatmann, John Kerry für die USA, heute Klimaminister in der Biden-Administration, Frank-Walter Steinmeier für Deutschland, heute Bundespräsident und die damalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, heute Rektorin des Europakollegs in Brügge. So wie das Abkommen bejubelt wurde, haben sie einen Friedensnobelpreis wahrscheinlich nur knapp verfehlt.
Doch die Regierung Israels übte scharfe Kritik an der zeitlichen Begrenzung der im JCPOA festgelegten Maßnahmen und der nächste US-Präsident, Donald Trump, bezeichnete das Abkommen als einen schlechten Deal, den schlechtesten Deal aller Zeiten. Weil der Iran sein Ziel, Atommacht zu werden, nicht aufgegeben habe, kündigte Trump das Abkommen im Alleingang und verhängte wieder Sanktionen.
Ich selber bin, was die Kritik am JCPOA betrifft, im vielerlei Hinsicht einer Meinung mit Netanyahu und Trump. Innerlich widerstrebend räume ich diese partielle Übereinstimmung ein, ich bin sonst ganz sicher kein Freund dieser Herren. Doch wer die Wiener Atomverhandlungen 2014/15 im Detail verfolgt hat, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Europäer und Amerikaner, allen voran der damalige US-Präsident Barack Obama, unbedingt ein Ergebnis wollten. Diesen Vorteil nutzte die iranische Diplomatie weidlich aus. Als der Iran schließlich die freigegebenen Gelder für die Intervention seiner Revolutionsgarden in Syrien verwendete, um das angeschlagene Assad-Regime zu retten, waren die westlichen Hoffnungen auf ein völlig neues Kapitel der Beziehungen blamiert. Andererseits ist ein Deal ein Deal, er hatte ja auch ein paar Vorteile und man muss sich immer fragen, ob das, was danach kommt, besser ist.
i The New York Times, 2.1.2013, www.nytimes.com/2013/01/03/opinion/global/the-next-chernobyl.html
ii https://www.infobae.com/politica/2018/09/23/el-triangulo-nuclear-entre-teheran-caracas-y-buenos-aires-los-antecedentes-de-un-pacto-letal/
iii https://www.hagalil.com/2020/01/nisman/
Nach dem Ausstieg der USA hätte man eigentlich so verfahren können, dass der JCPOA nun eben nur noch zwischen den restlichen Unterzeichnern gilt, aber das wollte der Iran nicht. Er fühlte sich an die Vereinbarung nicht mehr gebunden und begann, auf allen Ebenen dagegen zu verstoßen. Neue, viel effizientere Zentrifugen wurden in Natanz und Fordo in Betrieb genommen. Nach der letzten Mitteilung der IAEA besitzt der Iran inzwischen 62,3 Kilogramm an hochangereichertem Uran – mit 60 prozentiger Anreicherung – und, was beinahe noch schlimmer ist, die Fernüberwachung der IAEA durch Videokameras ist seit fast zwei Jahren unterbrochen.
Die IAEA kann also nicht kontrollieren, was Iran mit seinem hochangereichertem Stoff macht, wo er es lagert und ob die Verwendung noch den geltenden Verträgen entspricht, vor allem dem Atomwaffensperrvertrag, den der Iran unterzeichnet hat. Die breakout time wird von Non-Proliferationsexperten (keine Weiterverbreitung von Atomwaffen) und ehemaligen IAEA Managern heute auf nur noch zwei Monate geschätzt. Wenn überhaupt!
Der Iran ist nicht drauf und dran, rote Linien zu überschreiten, wie es in den Medien oft warnend heißt: er hat die rote Linie bei der Urananreicherung bereits vor einem Jahr überschritten. Doch die Teilnehmerstaaten des JCPOA belassen es bei Mahnungen, dringlichen Mahnungen und ganz dringenden Mahnungen.
Das beeindruckt den Iran natürlich nicht. Ebenso wenig beeindruckt ihn, wenn Annalena Baerbock eine Liste zu sanktionierender Individuen zusammenstellt oder wenn US-Außenminister Blinken erklärt, dass derzeit keine neuen Verhandlungen aufgenommen werden. Was kann ihn dann überhaupt noch beeindrucken?
Aussichten für eine diplomatische Lösung schwinden
An dieser Stelle setzt die Diskussion über militärische oder quasi-militärische Mittel gegen das iranische Atomprogramm ein: Cyberangriffe wie mit dem Computervirus stuxnet im Jahr 2010, Sabotage wie (wahrscheinlich) beim Brand in Natanz 2020, Attentate wie gegen den früheren Leiter des iranischen Atomprogramms Mohsen Fakhrizadeh 2020 oder sogar Bomben oder Raketen gegen iranische Atomanlagen, die es zum Glück noch nicht gegeben hat. Meist wird Israel der Urheberschaft beschuldigt, auch wenn Beweise fehlen und bloß munter spekuliert wird. Aber Israel dementiert auch nicht, es will die militärische Option offenhalten. Das tut jede israelische Regierung, und sie muss es auch tun, sonst ließe sich der Iran noch weniger von seinen Ambitionen abhalten.
Da die Aussichten auf eine diplomatische Lösung von Tag zu Tag schwinden, während die iranischen Uranvorräte von Tag zu Tag wachsen, scheinen gezielte Militärschläge gegen Atomanlagen im Iran fast schon unausweichlich zu sein. Das würde wahrscheinlich einen weiteren hochriskanten Krieg neben dem Ukrainekrieg zur Folge haben, womit wir einem dritten Weltkrieg schon erheblich näher kämen. Aber sind militärische Maßnahmen wirklich das letzte noch verbleibende Mittel, um das Regime daran zu hindern, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich mit der deutschen Beteiligung und Mitverantwortung am iranischen Atomprogramm beschäftigen. Sie wird meistens verdrängt oder mit Bedacht verschwiegen.
Tatsächlich gab es eine Handvoll Prozesse gegen meist unbekannte deutsche Geschäftsleute wegen illegaler Exporte von Nukleartechnik in den Iran. Mal ging es um Spezialventile, mal um Messgeräte, mal um Vakuumpumpen, alles scheinbar nur Kleinigkeiten. Spektakulärer war da schon ein Bericht des HR-Fernsehensi über die Arbeit des Kölner Zollkriminalamts. Zwei Drittel ihrer Zeit, sagten die Beamten, wendeten sie allein für Iranexporte auf. Dann zeigten sie einige beschlagnahmte Waren in ihrer Asservatenkammer und nannten sie „Spezialrohre“, die der Iran für seine Urananreicherung benötigeii. Das Wort Zentrifugen fiel nicht, aber genau so sahen die Rohre aus. Ich weiß nicht mehr, wie viele Emails ich damals geschrieben habe, um zu verifizieren, dass es sich um Zentrifugenteile handelte: an das Zollkriminalamt, an den HR, an den VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau), ohne eine brauchbare Antwort zu erhalten, aber auch kein Dementi.
Weltweite Aufmerksamkeit für Stuxnet
Später sah ich in einer „ZDF heute“ Sendungiii zufällig ein Foto aus Isfahan, offensichtlich aus derjenigen Fabrik, wo neue Zentrifugen einsatzfähig gemacht und im Leerlauf getestet werden, bevor sie nach Natanz oder Fordo verschickt werden. Auf dem Foto wurden Stahlbehälter aus Kartons ausgepackt, die genau wie jene beschlagnahmten Waren aus dem Zollkriminalamt aussahen. Sie müssen also doch noch einen Weg zu ihren Empfängern gefunden haben. Das bestätigte mich in der Behauptung, die ich in meinem Brief an den Maschinenbau-Verband aufgestellt hatte: „Entweder handelt es sich, was angesichts der deutlich zu sehenden Bilder wenig wahrscheinlich ist, um Missverständnisse, die unverzüglich und vollständig aufgeklärt werden, oder man muss die Urananreicherungsanlage von Natanz als deutsche Fabrik ansehen“iv.
Das war im Jahr 2013. Zwei Jahre vorher hatte der Computervirus stuxnet weltweite Aufmerksamkeit erregt. Er war in den USA entwickelt worden, um in programmierbare Steuerungsgeräte für industrielle Produktionsprozesse einzudringen und physische Schäden anzurichten. Stuxnet verbreitete sich weltweit, allerdings traten 60 % der Infektionen im Iran auf. Computerexperten konnten rekonstruieren, dass der Virus ausschließlich auf eine bestimmte Software von Siemens abzielte; war diese auf den befallenen Rechnern nicht vorhanden, wurde er nicht aktiv. Dadurch wurde bekannt, das viele iranische Fabriken Steuerungssoftware von Siemens einsetzten, darunter das Atomkraftwerk in Buschehr und die Urananreicherungsanlage in Natanz. Stuxnet soll in Natanz tausend Zentrifugen durch wiederholte Maximalbeschleunigung der Rotation und anschließende Vollbremsung zerstört haben. Das war wohl auch das Ziel des Virus gewesen, der mit großem Aufwand und hohen Kosten programmiert worden war.
Stuxnet verdanken wir also die Erkenntnis, dass die iranische Urananreicherung ohne deutsche Software nicht stattfinden kann – jedenfalls damals nicht. Warum wurde diese Tatsache nicht skandalisiert, warum prasselten keine Vorwürfe auf den Siemens-Konzern ein? Ganz klar: weil er offensichtlich mitgeholfen hatte, stuxnet zu programmieren. Durch die tätige Teilnahme an der Cyberwar-Aktion kaufte sich das Münchener Unternehmen von Schuldsprüchen frei. Die Frage ist, ob auch Gerichte derart nachsichtig mit dem Unternehmen verfahren wären. Aber eine Anklage wurde gar nicht erst erhoben. Stattdessen ist einer der damaligen Siemens-Vorständler, Siegfried Russwurm, heute Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie.
Zarifs charmante Logik
Bei der nuklearen Kooperation deutscher Firmen mit dem Iran geht es nicht um Kleinigkeiten. Das wurde einmal mehr durch einen äußerst merkwürdigen – und wiederum diskret behandelten – Vorgang beim Abschluss des Atomabkommens 2015 deutlich. Der JCPOA untersagte nämlich die Lieferung von Nukleartechnik an den Iran für acht Jahre. Doch der damalige iranische Außenminister Mohammad Dschawad Zarif erreichte eine wichtige Ausnahme von dieser Regel. Er willigte in das ebenfalls im JCPOA verankerte Verbot von Urananreicherung in Fordo nur unter der Bedingung ein, dass dort weiter Zentrifugen betrieben werden dürften – „zu medizinischen Zwecken“, wie Zarif scheinheilig versicherte. Seine Verhandlungspartner waren einverstanden. Dann aber, argumentierte Zarif weiter, müssten sie auch bei der Installation und Inbetriebnahme dieser Zentrifugen helfen.
Zarifs charmanter Logik mochten sich John Kerry, Federica Mogherini, Frank-Walter Steinmeier sowie ihre anderen in Wien teilnehmenden Kollegen nicht entziehen. So kam es, dass die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrats, beschlossen am 20.7.2015, mit der der JCPOA international bestätigt wurde, eine Sonderregel für zwei Zentrifugen-Kaskaden in der Anlage Fordo enthältv. Diese sind vom nuklearen Ausfuhrverbot ausgenommen.
Die Resolution spricht an der betreffenden Stelle verschämt von der „Fordow facility“, doch es handelte sich vorher und nachher um eine „enrichment facility“, eine Anreicherungsanlage. In ihr wird seit Januar 2021 offiziell wieder Uran verarbeitet. Nichts Anderes war von Anfang an geplant. Um Zarifs Manöver zu durchschauen, hätte Steinmeier nur seinen Hausarzt fragen müssen, ob derartiges Gerät irgendwo auf der Welt medizinisch eingesetzt wird. Das ist natürlich nicht der Fall.
Es sind aber gerade diese neuen Zentrifugen, mit denen der Iran alle roten Linien überschritten hat, die man sich im JCPOA ausgedacht hatte. Sie versetzen ihn nicht nur in die Lage, das Material für eine erste Atomwaffe zu produzieren, sondern auch gegebenenfalls zügig nachzuliefern. Dabei liegt der Verdacht auf der Hand, dass deutsche Firmen Unterstützungsleistungen entsprechend der genannten Ausnahmeregelung erbracht haben. Wer sonst? Auf dem Gebiet hochperformanter Gaszentrifugen sind die Deutschen ihren amerikanischen, britischen und französischen Konkurrenten deutlich überlegen. Und man hätte keine Ausnahmeregelung in eine UN-Resolution eingebracht, wenn es dabei nur um Kleinigkeiten gegangen wäre.
Null nukleare Zusammenarbeit – muss man erst einmal wollen
Sieht so die von der Bundesregierung versprochene Verhinderung einer Nuklearbewaffnung des Teheraner Regimes aus? Nein, so sieht eine zwei Jahrzehnte andauernde deutsche Iranpolitik aus, die den Schaden, den sie heute beklagt, mit angerichtet hat. Die beschriebenen Geschäfte sind durch nichts zu entschuldigen, aber sie zeigen auch einen Weg, wie man den iranischen Nuklearisten erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Komplexe moderne Technik kann man nicht durch einen einmaligen Kaufakt erwerben und anschließend beliebig lange nutzen. Schulungen, Wartungen, Reparaturen, Auswertungen, Updates, Beratungen und erneute Schulungen sind erforderlich, die sich ohne den Hersteller nicht bewerkstelligen lassen. Wer einen Computer oder ein Smartphone besitzt, kennt das mehr oder weniger schon.
Deshalb brächte eine komplette Unterbrechung jedes Technologietranfers und jeder Dienstleistung das iranische Atomprogramm ins Schleudern. Das müsste eigentlich schon wegen des Atomwaffensperrvertrags eine Selbstverständlichkeit sein. Doch diese Selbstverständlichkeit rangierte bisher unter Ferner-Liefen und die geringe Beachtung, die ihr zuteil wurde, führte dazu, dass sie nicht befolgt wurde. Der nächste und seit langem fällige Schritt wäre also eine 100-prozentige Unterbindung jeglicher nuklearer Zusammenarbeit mit dem Iran und hohe Strafandrohungen für alle, die dagegen wissentlich oder unwissentlich verstoßen. Der entscheidende Beitrag dazu müsste von der Bundesrepublik kommen. Die könnte das leisten. Aber sie muss es erst einmal wollen.
i https://www.youtube.com/watch?v=H3jTnp7Lek4&list=UUKIfDYuVvZNvZ-OYc8lhbIQ
ii ebenda, Min. 16:25 – 16:40
iii ZDF heute-Nachrichten vom 23.11.2014
iv https://www.stopthebomb.de/deutschland-iran/vdma.html
v https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N15/225/27/PDF/N1522527.pdf
Sehr geehrter Herr zum Winkel,
vielen Dank für diesen so interessanten wie aufschluß- und kenntnisreichen Artikel (und ebenso für den zu Wende-Vero und ihre Atombombenaffinität – die unsäglichen Aktivitäten dieser Frau verfolge ich schon einige Jahre).
Ich habe schon frühere Beiträge von Ihnen (vor 2020) mit großem Interesse gelesen, bin aber leider erst jetzt auf Ihren Blog gestoßen, durch den ich mich nun hindurcharbeiten werde…
Besonders brisant finde ich in Ihrem Artikel den folgenden Aspekt, denn die sich daraus ergebenden Konsequenzen reichen ja weit über den Iran hinaus:
….“was beinahe noch schlimmer ist, die Fernüberwachung der IAEA durch Videokameras ist seit fast zwei Jahren unterbrochen.
Die IAEA kann also nicht kontrollieren, was Iran mit seinem hochangereichertem Stoff macht, wo er es lagert und ob die Verwendung noch den geltenden Verträgen entspricht, vor allem dem Atomwaffensperrvertrag, den der Iran unterzeichnet hat.“
Könnten Sie mir bitte die Quelle für diese Feststellung nennen? Es wäre vielleicht möglich, dass die IAEA noch andere Atomanlagen nicht mehr ordnungsgemäß überwachen kann. Deren Glaubwürdigkeit und Deutungshoheit leidet jedenfalls massiv durch diese Informationen, die leider viel zu wenig bekannt sind.
Vielen Dank für Ihr Engagement und freundliche Grüße
Bettina Waibel
Antwort auf Bettina Waibel,
mit Recht fragen Sie nach der Quelle für die schwerwiegende Behauptung, dass die IAEA ihre vertraglich vereinbarte Überwachung des iranischen Atomprogramms nur noch eingeschränkt wahrnehmen kann. Dies geht aus den Berichten „Verification and monitoring in the Islamic Republic of Iran“ der IAEA hervor, beginnend am 23.2.2021 unter https://www.iaea.org/sites/default/files/21/03/gov2021-10.pdf .
Zu Beginn dieses Reports heißt es im Abschnitt „Background“, Iran habe die Agentur über ein im iranischen Parlament verabschiedetes Gesetz in Kenntnis gesetzt, wonach sogenannte „freiwillige Transparenzmaßnahmen“ ab dem 23.2.2021 nicht mehr akzeptiert würden. IAEA Direktor Rafael Grossi schrieb zurück, dann sei eine zuverlässige und unabhängige Überprüfung der nuklearen Aktivitäten des Iran durch die Agentur nicht mehr gewährleistet. Mit anderen Worten, sie könne den durch die UN erteilten Auftrag nicht mehr erfüllen. Anschließend besuchte Grossi Iran, um mit dem Chef des iranischen Atomprogramms, damals Ali Akbar Salehi, eine „technische Vereinbarung“ für die nächsten drei Monate zu schließen. Sie sah vor, dass die Überwachungsinstrumente der IAEA (Videokameras) weiter in Betrieb bleiben würden, aber die IAEA – bis auf weiteres – keinen Zugriff auf die Daten haben würde. Vielmehr sollten die Daten versiegelt aufbewahrt werden, bis eine Einigung über eine Reaktivierung des Wiener Abkommens (JCPOA) erzielt sei.
Im Mai 2021 wurde die technische Vereinbarung um einen Monat verlängert,
im Juni teilte Grossi mit, er habe noch keine Antwort zur Frage nach dem weiteren Verfahren erhalten.
Im September 2021 informierte die IAEA darüber, dass Iran nach einem Brand in einer Zentrifugenfabrik vier dort installierte Überwachungskameras entfernt hatte. IAEA-Inspektoren wurden die z.T. beschädigten Kameras später gezeigt, jedoch ohne ihre Speichermedien. Die Agentur stellte fest, ihre Zuversicht, ein unterbrechungsfreies Monitoring liefern zu können, habe bereits vorher abgenommen und sei nun aber deutlich weiter gesunken. Es sei unerlässlich, dass der Iran unverzüglich Abhilfe schaffe
https://www.iaea.org/sites/default/files/21/09/gov2021-39.pdf .
Springen wir auf den derzeit aktuellen Report vom 10.11.2022. Hier berichtet IAEA, dass die Agentur auf Aufforderung des Iran Ausrüstungen in Natanz (Urananreicherung) und Khondab (Schwerwasserproduktion) abbauen musste, die sie zur Überwachung der Einhaltung des JCPOA installiert hatte. Insgesamt 27 Kameras und weitere Geräte seien der iranischen Atomorganisation zur Aufbewahrung übergeben worden. Damit hat die Agentur seit zwei Jahren keinen Zugriff mehr auf von ihr erhobene Daten, und seit Juni 2022 werden diese Daten an relevanten Orten auch nicht mehr erhoben. Selbst wenn das frühere Monitoring bei einer Reaktivierung des JCPOA wieder aufgenommen werden würde, sei es äußerst problematisch zu rekonstruieren, was in der Zwischenzeit geschah
https://www.iaea.org/sites/default/files/22/11/gov2022-62.pdf .