AUCH DAS NOCH! August 2022

  • Das Spiel, nur noch ein business case
  • Liebe Demokratie, wie geht es dir?
  • Ein goldener Sargnagel namens Schlesinger
  • Klima to go

Das Spiel, nur noch ein business case

Achten Sie bitte auf die Reihenfolge: Der grüne Robert Habeck stellt sich als „Gamescom-, Games-, und Wirtschaftsminister für dieses Land“ vor. Natürlich kokettiert er dabei mit seiner politischen Funktion, weil er den Veranstaltern der Gamescom und der großen Community der Gamer schmeicheln will.

Ernst an der Sache ist, dass das Spiel mehr denn je zu einer wirtschaftlichen Angelegenheit wurde. Seit je her haben viele versucht, sich das Spiel unter den Nagel zu reißen. Die Pädagogik sowieso, der Sport, die Kunst, sogar die Wissenschaft, man denke nur an die sogenannte Spieltheorie. Gegenwärtig am gierigsten ist die Wirtschaft. Einfach nur spielen, das ist fast unmöglich geworden.

Beim Glücksspiel hat das Ökonomische schon immer die Hand im Spiel. Auch die Spielzeugindustrie hat eine lange Geschichte. Zwar ist inzwischen China der größte Spielwarenproduzent, aber die Nürnberger Spielwarenmesse zeugt nach wie vor davon, dass die fränkische Metropole im 19. Jahrhundert als Welthauptstadt des Spielzeugs galt. „Nürnberger Tand geht durch alle Land“ hieß es damals.

Die Digitalisierung hat dem Spielen endgültig die Unschuld geraubt. Von der Spielkonsole, über den PC bis zu den MMOG, den Massively Multiplayer Online Games, ist alles Spielen zum business case geworden. Entwicklerstudios und Publisher-Agenturen kreieren, programmieren, vermarkten Spiele und haben dabei vor allem anderen Umsatz und Gewinn im Auge. Die Monetarisierung ergreift auch das Spielgeschehen selbst. Sowohl In-Game Käufe als auch Shoppen auf diversen Internetplattformen bringen Vorteile und Erfolge. Für Geld gibt es gelungene Spielzüge, spezielle Items, bessere Waffen und Rüstungen, mehr Leben.

Auch den Spielen selbst ist ihre Geschäftstüchtigkeit anzusehen. Computerspiele, die sich rentieren müssen, werden beherrscht von Aktionen „unterhalb des Halses“ wie rennen, schießen, springen, klettern, werfen, schlagen. Aktionen „oberhalb des Halses“, darauf hat der Spielentwickler Jesse Schell aufmerksam gemacht, fehlen weitgehend wie etwa reden, argumentieren, verhandeln. So etwas hält nur auf und verkauft sich schlecht.

Als „heißeste neue Strategie in der Wirtschaft“ gilt Gamification. Das Wort setzt sich zusammen aus Game und Infection. Die Absicht, die dahinter steckt, ist durchschaubar und es wird auch kein Hehl daraus gemacht: Wir sollen dazu verführt werden, Spaß an Dingen zu finden, zu denen wir eigentlich keine Lust haben, zum Beispiel an Arbeit unter schlechten Bedingungen. Alles kann bleiben, wie es ist, es wird nur mit ein wenig spielerischer Leichtigkeit infiziert. Man darf Punkte sammeln, wird auf Ranglisten gesetzt, bekommt Ehrentitel und Auszeichnungen. „Gamify life, get your name on the board, turn your goals into levels then level up more“ rät uns der amerikanische Rapper Chris Record.

Wo kann man Gamification denn einsetzen, fragt eine Berliner Agentur und gibt gleich selbst die Antwort: „Die Wahrheit ist: Letzendlich fast überall. Überall da, wo uns die Motivation fehlt, etwas zu tun, kann der Einsatz von Spielelementen nachhelfen.“

Der Gamification-Trend ist seit rund zwei Jahrzehnten im Gang und die Gaming-Branche gibt sich optimistisch: „Angesichts der seit Jahren steigenden Umsätze und der wachsenden Zahl an Führungskräften, die selbst mit Computerspielen aufgewachsen sind, könne man davon ausgehen, dass Gamification im Unternehmenskontext künftig eine noch größere Rolle spielen wird.“

Diese Prognose könnte realistisch sein, denn in Gamification versammelt sich ein Zeitgeist, den Milan Kundera mit dem Buchtitel charakterisiert hat „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“.


Liebe Demokratie, wie geht es dir?

Liebe Demokratie, wie geht es dir? Nicht so gut, sagen viele. „Demokratie ist lustig“ meinte Joseph Beuys und wollte damit sagen, dass sie nichts zu lachen hat. Die Demokratie leidet unter der Pandemie und den vielen Krisen genauso wie wir alle. Der jährliche Demokratie-Index der britischen Economist-Group sieht sie auf dem Rückzug. Nur 6,4 Prozent der Weltbevölkerung, so sagt der Index, leben gegenwärtig in Ländern mit einer „vollständigen Demokratie“; angeführt von Norwegen, Neuseeland und Schweden.
Eine Diktatur müssen mit 37,1 Prozent fast sechs Mal so viele Menschen ertragen.

Du bist noch jung, liebe Demokratie. Am 15. Dezember 1788 öffneten zum ersten Mal Wahllokale, George Washington wurde zum ersten Präsidenten der USA gewählt. In den 230 Jahren zwischen 1788 und 2018 hat es in mehr als 60 Ländern, darunter in so Riesenreichen wie China und Russland, noch nie einen Regierungswechsel durch freie Wahlen gegeben. Mark Twain ist allerdings der Auffassung, „wenn Wahlen irgendeine Bedeutung hätten, würde man uns nicht erlauben, sie abzuhalten“.

Was ist so problematisch an dir, liebe Demokratie? Du bist bekannt wie ein bunter Hund, Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt müssen deine drei Grundmerkmale lernen:
Wahlen und zwar freie, gleiche und geheime. Bürgerrechte wie die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Rechtsstaatlichkeit: vor dem Gesetz sollen alle gleich sein, sogar diejenigen, die gewählt wurden, um die Gesetze zu machen.

Warum die Demokratie unter Machthabern, unter Reichen und Einflussreichen nicht so viele Freunde hat, kann man sich leicht denken. Wer freie Wahlen zulässt, riskiert, entmachtet zu werden. Wer Bürgerrechte garantiert, macht den Weg frei für Kritik und Proteste. Wer den Rechtsstaat ernst nimmt, muss um seine Privilegien fürchten.
Das leuchtet alles ein – aber warum, liebe Demokratie, hast du dann weltweit auch in der Bevölkerung so viele Gegner? Ich habe mich mal unter das Volk gemischt und mich umgehört. Ich glaube, ich kenne jetzt einige deiner Probleme.

Erstens ist Demokratie anstrengend. Wo schon alles entschieden ist, wo unumstößlich feststeht, was richtig und falsch, gut und böse ist, dort kann es nicht demokratisch zugehen. Die Rechenaufgabe zwei plus zwei lässt sich nicht mit Meinungsfreiheit lösen. Das heißt im Umkehrschluss, Demokratie ist mit Unsicherheit verbunden, mit Ergebnisoffenheit, mit der Möglichkeit, dass es so oder so oder auch anders sein kann.
Zweitens kann in der Demokratie jeder sagen, was er denkt, ohne jede Verpflichtung, sich Gedanken zu machen.
Drittens muss der Name Demokratie herhalten für Verhältnisse, die gar nicht demokratisch sind. Nehmen wir nur Deutschland, das ja als eine „vollständige Demokratie“ ausgeflaggt wird. Wo, bitteschön, geht es denn da demokratisch zu? In den Betrieben, bei Aldi oder bei der Deutschen Bank? In der Schule oder an der Uni? Im Sportverein, am Theater, im Alltag des Rathauses oder der Kirche? Wohl kaum!
Viertens sind es vor allem Wohlstandsinseln der Erde, die sich mit der Demokratie schmücken. Dieser Wohlstand wird mit großer Zerstörungskraft erwirtschaftet und unser Planet hat es nur deshalb bis jetzt ausgehalten, weil viele ärmere Länder weniger Verwüstungen anrichten.

Man sieht, so einfach ist das alles nicht mit der Demokratie. Sie lässt sich gerne mit viel Pathos feiern. Aber mal ehrlich… etwas mehr Realismus würde ihr gut tun. . So singt es auch die Deutschrock Band audio activ: „Ihr maßt euch an für uns zu sprechen und versteckt eure Verbrechen unter dem Mantel der Demokratie“.

Liebe Demokratie, zu vieles, was da in deinem Namen passiert, hat mit dir nichts zu tun. Du solltest mehr Klarheit schaffen. Sonst machst du es denjenigen zu leicht, die propagieren, dass weniger Demokratie eine Lösung wäre. Wo Demokratie drauf steht, muss auch Demokratie drin sein.


Ein goldener Sargnagel namens Schlesinger

So etwas nennt man wohl ein gefundenes Fressen. Damit sage ich nichts gegen diejenigen, die es gesucht und gefunden haben. Obwohl ich sie auch nicht für Unschuldsengel halte. Das Verhalten der Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg hätte besser viel früher öffentlich kritisiert und juristisch überprüft werden sollen.

Politisch hat sich die unfreiwillig zurückgetretene Intendantin eine Ehrenmitgliedschaft im Förderverein des Rechtspopulismus verdient, plus eine Verdiensturkunde der AfD, der größten Gegnerin der öffentlich-rechtlichen Sender. Wenn die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland einmal beerdigt werden, wird ein goldener Sargnagel Patricia Schlesingers Namen tragen. Untreue und Vorteilsnahme lauten die potentiellen Anklagepunkte gegen Schlesinger, ihren Ehemann und gegen den Unternehmer Wolf-Dieter Wolf, Vorsitzender des RBB-Verwaltungsrates, Chefkontrolleur der Berliner Messe und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande. Potentielle Anklagepunkte, das wollen wir schon auseinanderhalten, sind noch keine bewiesenen Tatbestände.

Aber ersparen wir uns die Einzelheiten, die Juristen werden sie prüfen, immerhin hat die Berliner Generalstaatsanwaltschaft den Fall übernommen. Spannender als dieser eine Skandal ist die Frage, wie sich in Führungsetagen so viel Feudalismus frei entfalten kann, so viel Habsucht und Selbstherrlichkeit breit machen darf.

Alles, wirklich alles, was Führungskräfte auf Kosten ihrer Organisationen machen, ob Reisen, Hotelaufenthalte, Dienstwagen, Büroausstattungen, Bewirtungen, ganz zu schweigen von ihren Gehältern, Bonuszahlungen und Pensionen, wirklich alles geschieht unter Beobachtung.
Da sind nicht nur die offiziellen Kontrolleure und alle diejenigen, die Vergütungen und Rechnungen gegenzeichnen müssen. Es gibt auch die vielen Mitwisser, die persönliche Referentin und den Büroleiter, die Sekretärin und den Chauffeur, die Leute in den Finanz- und Organisationsabteilungen, ihnen allen entgeht wenig bis nichts. Führungskräfte zu beobachten und sich über deren Verhalten hinter vorgehaltener Hand zu mokieren, ist die absolute Lieblingsbeschäftigung in Unternehmen, Betrieben, Ministerien und Verbänden. Nichts wird intern gnadenloser verhackstückt als die Vorlieben und Launen, die Macken und Schwächen des Führungspersonals.
Allerdings: Führungskräfte repräsentieren die Organisation in der Öffentlichkeit, ihre Reputation ist besonders wichtig, ihr Ruf darf nicht beschädigt werden. Nach außen soll alles bestens, möglichst perfekt aussehen. Nach außen formiert man sich zu einem Schweigekartell oder schaltet auf Schönsprech um, sobald es um innere Zustände geht. Und sollte doch mal was passieren, hält der Liedermacher Reinhard Fendrich einen Tipp bereit:

Tango Korrupti
Wenn einer draufkommt und entpuppt di
Nimmst du dir einfach einen Anwalt
Der was kann halt –
Und bist schwuppti-wupp davon.

Das kollektive Schweigen und Vertuschen ist nur die eine Seite. Die andere Seite bilden ganze Stäbe von Fassadenspezialisten. Presse- und Marketingabteilungen, Unternehmens- und PR-Berater betreiben, was die Organisationsforschung „Impression-Management“ nennt. Eindruck schinden, schönen Schein produzieren, sagt die Umgangssprache. Organisationen lassen sich und ihre Führungskräfte in Heiligenscheine hüllen wie Christo den Reichstag in Polypropylenstoff.

Hin und wieder bekommt die Fassade Risse, dann kann es wie im Fall Patricia Schlesinger passieren, dass die ganze Kulisse in sich zusammenfällt. Jetzt hat es der Rundfunk Berlin Brandenburg immerhin in einem Punkt geschafft, Fassade und Fakten in Einklang zu bringen. Sein aktueller Marken-Slogan lautet: „Bloß nicht langweilen“.


Klima to go

„Es wird noch heißer“, sagt das Elektropop-Duo 2raumwohnung auf seinem 36Grad-Album voraus. Baumarkt-Prospekte versprechen in diesen Hitzewellen-Wochen „einen Hauch von frischer Luft zu einem unschlagbaren Preis“.
„Bei Ihnen Zuhause oder im Büro ist es unerträglich heiss? Die Luft ist abgestanden und die schwüle Luft haben Sie satt? Unsere Klimageräte retten Sie davor“, verheißt eine andere Werbung. Dank Klimawandel winkt in diesem Sommer das schnelle, große Geschäft.

Präziser lässt es sich kaum auf den Punkt bringen, wie wir arbeiten und leben: Aus Problemen ein Geschäft machen und dabei technische Lösungen zu günstigen Preisen in Aussicht stellen. Klima to go gibt es, attraktiv verpackt, im Sonderangebot, solange der Vorrat reicht.

Klimageräte, Klimakompressoren, Klimaanlagen: Die technische Verfügbarkeit des Klimas wird mit einer Selbstverständlichkeit verkündet, die keinen Zweifel erlaubt. Und die Alltagserfahrung scheint das ja auch zu bestätigen, jede Heizung und jeder Kühlschrank kann als Beweisstück dienen. Unser Klima machen wir uns selbst, die Geräte und Anlagen dazu holen wir im Laden oder wir bestellen online und lassen sie liefern. In den USA verfügen 90 Prozent aller Haushalte über eine Klimaanlage, in Indien sieben Prozent. In Deutschland mit seinem bis vor kurzem gemäßigten Klima sollen es drei Prozent sein.

Vor mehr als hundert Jahren baute der amerikanische Ingenieur Willis Haviland Carrier die erste funktionsfähige Klimaanlage. Seither gibt es kaum noch einen geschlossenen Raum, in dem es nicht grundsätzlich möglich ist, das Klima in die eigene Hand zu nehmen. Einfaches Drücken auf Knöpfe und Drehen an Schaltern genügt, ob im Auto, im Flugzeug, in der Bahn, im Büro oder in der Wohnung.

Nur außerhalb geschlossener Räume klappt es noch nicht so richtig. Da wurden die dazugehörigen Schalter und Knöpfe noch nicht entdeckt. Mir kommt es so vor, als ob die Leute, die den Klimawandel leugnen, bis heute nicht begriffen haben, dass all die Klimageräte keine Lösung sind, sondern im Gegenteil sogar ein Teil des Problems.

Das Klima unseres Planeten – und jetzt rede ich tatsächlich über das Klima, nicht über ein paar technische Manipulationen an Temperatur und Luftfeuchtigkeit – wirkt sich unmittelbar auf die Lebensbedingungen und Überlebensmöglichkeiten aus. Der Weltklimarat geht davon aus, dass ein durchschnittlicher Temperaturanstieg von 1,5 Grad das Aussterben von etwa 20 bis 30 Prozent aller Arten von Lebewesen verursachen könnte. Schon heute sterben jeden Tag etwa 150 Tier- oder Pflanzenarten aus, sagt der Autor des Buches „Die Triple-Krise: Artensterben, Klimawandel, Pandemien“.

„150 Arten am Tag heißt ja, wir haben 150 Mal eine ganz eigene Historie, Geschichte, Evolution sozusagen vernichtet, die über Jahrmillionen angewachsen ist.“

In der Tat, um solche Dimensionen geht es beim Klimawandel. Das Klima wird nämlich nicht nur von der Sonne und den physikalischen wie auch chemischen Abläufen innerhalb der Atmosphäre beeinflusst. Hinzu kommen die Einflüsse und Wechselwirkungen der anderen vier Erdsphären, nämlich der Hydrosphäre, also des gesamten flüssigen Wasservorkommens der Erde, der Kryosphäre, also aller Formen von Eis und Schnee; der Biosphäre, also der Gesamtheit der Lebewesen, welche die Erde besiedeln, und schließlich der Lithosphäre, also der  äußersten Hülle unserer Erde, die aus festem Gestein besteht.

Hier die erdgeschichtlichen Dimensionen des Klimawandels, dort diese kurzsichtige Geschäftstüchtigkeit unserer Wirtschaft, die auf die Tageskasse starrt und vielleicht noch auf den Quartalsbericht – „Die Ärzte“ sehen und singen es so: „Es ist nicht Deine Schuld / dass die Welt ist, wie sie ist / Es wär‘ nur Deine Schuld / wenn sie so bleibt.“

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