Warum erhalten Krankenschwestern und Pflegekräfte für ihr momentanes (auch noch riskantes) Schichtschuften in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, ambulant und stationär, nicht runde 9.000 Euro extra? Ohne viele Worte und ganz ohne Balkon-Klatschen. Einfach 9.000 Euro. Ob sie eventuell 500 oder 1500 Euro Sonderzahlung erhalten — das wird von der Politik hin und her gewendet. Der Autobauer Porsche ist da schneller: Seine gut 35.000 Beschäftigten erhalten diesen Bonus für ihre Arbeit in 2019; plus 700 Euro für die Altersvorsorge. Gratulation! Geschätzt etwa das Dreifache eines durchschnittlichen Pfleger-Bruttogehaltes. Warum nur die einen und die anderen nicht?
Die kompetenten Porsche-Beschäftigten stellen ein weltweit verkauftes High-Tech-Produkt her — dass es janusköpfig ist, mindert seinen Preis nicht. Es dient der Fortbewegung, wie vieles andere auch (Beine, Fahrräder, Busse, Produkte anderer Autobauer, Bahnen… ), bringt also Menschen von A nach B. Mehr nicht. Unentbehrlich ist das Produkt offensichtlich nur deshalb: Es fasziniert, und wer drin sitzt, fühlt sich frei. Nun gibt es in Deutschland nicht nur die wenigen hunderttausend Porsche-Personenkraftwagen, sondern noch knapp weitere 48 Millionen weitere Brüder und Schwestern, von weiteren Autobauern hergestellt. Und jeder Neue hat im Durchschnitt 150 PS unter der Haube und jeder Dritte unter den Neuen ist einer jener besonders profitträchtigen Straßenpanzer, die fälschlicherweise SUV (Sport Utility Vehicle) genannt werden. Erst in dieser Summe zeigt sich nun das andere Gesicht dieser hochentwickelten Technik und ihrer Produkte: Mit ihnen wird das ganze Land zugestellt, vor allem die Städte, sie machen diese unwirtlich und unsicher, schädigen die Natur, gefährden und töten Menschen aus Leichtsinn, Fahrlässigkeit, Unachtsamkeit; es gibt vermutlich keine Alltags-Technik in Deutschland, mit der unter allgemeiner Billigung regelmäßig so viele Menschen getötet, verletzt und zu Krüppeln gefahren werden, wie mit dem automobilen Individualverkehr, jedes Jahr einige tausend Tote und viele zehntausende Leicht- und Schwerletzte, eben eine Technik, die keinen Fehler erlaubt.
Wohin das Auge reicht — nur Gewinner
Da die meisten Menschen in dicht besiedelten Metropolregionen leben, in denen es genügend andere Verkehrsmittel gibt, und nur 15 Prozent der Bevölkerung in Dörfern mit weniger als 5000 Einwohnern, stellt sich die Frage: Reichen denn nicht beispielsweise nur 25 Millionen von diesen Kisten? Wäre doch ein erster Schritt — und allen und allem ginge es dann besser, den Menschen, den Städten, der Natur, dem Verkehr…, wohin das Auge reicht — nur Gewinner.
Das, was naheliegt, geht jedoch nicht, weil die Auto-Unternehmen mit ihren (in dieser Menge) auch völlig unnützen Schädlingen ganz schön viel Wert schöpfen, auf deutschen und weltweiten Märkten. Bei Porsche beispielsweise blieben unter dem Strich in 2018 rund 3,1 Milliarden Euro Gewinn, gut drei Prozent mehr als 2017. Und Daimler verzeichnete 2018 einen dramatischen Gewinneinbruch! Der Gewinn lag (vor Steuern und Zinsen) nur noch bei 11,1, anstelle von 14,3 Milliarden Euro im Jahr zuvor. Die Auto-Konzerne — ob Mercedes, BMW, VW, Porsche, Audi — verdienen also so mächtig viel, dass sie alle in der Regel ihre Stammarbeiter — nicht jedoch die Leiharbeiter — mit Jahresboni in Höhe von 4.000 bis 9.000 zusätzlich motiviert und loyal halten: ein Sümmchen, das bei einer Altenpflegerin vermutlich zwei bis vier Monatsverdienste ausmacht. Bei einer Fachkraft in der Auto-Produktion fällt es nicht ganz so ins Gewicht, beträgt das Durchschnittsgehalt doch etwa 50.000 Euro brutto im Jahr. Eine Krankenschwester erhält monatlich im Durchschnitt 3.400 Euro, eine Fachkraft in der Altenpflege (nach deutlichen Steigerungen seit 2012) 2.900 Euro, ein Helfer dort etwa 2.000 Euro, jeweils brutto.
Und was produzieren Pfleger und Krankenschwestern?
Eine Zwischenbilanz: Wer ein solch‘ janusköpfige Produkt herstellt, ist in dieser Gesellschaft hoch angesehen und verdient nicht nur als Manager und Führungskraft, sondern auch als Facharbeiter vergleichsweise viel Geld.
Und was produzieren die Krankenschwestern, Pfleger und Pflegerinnen, für die momentan eine Sonderzahlung zwischen 500 und 1.500 Euro im Gespräch ist?
Sie versorgen, pflegen Menschen, kümmern sich um sie, sprechen Mut zu, versuchen, ihnen wieder auf die Beine zu helfen, meist mit viel Geduld, Erfahrung und Expertise. Sie sind die Gesundmacher, die ganz nahe am Menschen dran sind, nicht nur an einem seiner Organe.
Es ist kein Zufall, dass gerade diese Arbeit nahe am Menschen, die meist von Frauen geleistet wird, sogar im Gesundheitswesen selbst etwas weniger angesehen ist als diejenige, die mit Technik und Effizienz zu tun hat.
Geht es nicht um High-Tech, sondern um Gesprächsmedizin, um Zuspruch und ausgeklügelte Schmerztherapien, also ’nur‘ um den Menschen, wird tendenziell immer noch gering entlohnt, damit zwangsläufig auch gering geschätzt. Ein Beispiel: die palliative Versorgung für Sterbende und Schwerkranke. Da wurde einiges ausgebaut in den vergangenen Jahren und trotzdem hat beispielsweise die Palliativ-Station des Universitätsklinikums in Frankfurt immer noch weniger als zehn Betten. In Deutschland stehen (in stationären Hospizen und Palliativ-Stationen) etwa 40 Betten pro eine Million Einwohner zur Verfügung; Experten sagen, es müssten als Untergrenze mindestens 50, wenn nicht gar 70 bis 80 Betten sein; gerade aufgrund der Alterung und der Zunahme chronischer Erkrankungen wie der Demenz.
Wie angesehen ist Arbeit mit und an Menschen?
Aber: Für Palliativmedizin kann wenig abgerechnet werden, weshalb sie für Privat-Krankenhäuser uninteressant ist. Hüft- und Herzkatheterpatienten sind lukrativer, und die meisten Chefärzte haben Verträge mit entsprechenden Boni-Systemen.
Diese Orientierung auf Technik-Medizin macht sich auch in der aktuellen Corona-Krise bemerkbar: Alle Energie wird darauf verwandt, Betten mit hochkomplexer Intensivbeatmung zu ‚produzieren‘. Wer einmal ein Interview mit einem Lungenfachmann gelesen hat, der lernt: um diese erfolgreich und ohne größere Schäden zu überleben, braucht man nicht nur einen hocherfahrenen kundigen Beatmer, der muss auch ziemlich gesund und körperlich robust sein. Der Wittener Palliativmediziner Matthias Thöns weist öffentlich auf diese Fehl-Leitung hin: „Die Politik hat jetzt eine sehr einseitige Ausrichtung auf die Intensivbehandlung, auf das Kaufen neuer Beatmungsgeräte, auf Ausloben von Intensivbetten.“ Und er weist auf diesen Zusammenhang hin: Wäre vielen der älteren und alten Gefährdeten nicht auch oder sogar mehr mit einer guten palliativen Versorgung geholfen — aber da gilt, siehe oben: weitgehend Fehlanzeige.
Teure Autos exportieren — Billige Pflegekräfte importieren
Es ist also kein Zufall, dass Krankenschwestern und Pfleger schlecht und Autobauer gut bezahlt werden. In Deutschland, meist Export-Weltmeister, gibt es eine Wirtschaftskultur, die technische Innovationen feiert, ja hofiert, soziale und humane sind bestenfalls Beiwerk. Fast 80 Prozent der hier produzierten Autos werden weltweit exportiert. Pflegekräfte dagegen importiert Deutschland aus dem billigen Osteuropa oder Thailand.
Es geht auch anders: Schweden hat zwar unfassbar wenig Intensivbeatmungs-Betten, wie jetzt in dieser Krise ins allgemeine Bewusstsein dringt. Aber die Wirtschaft in Schweden hat nach Untersuchungen des Industriesoziologen Michael Vester eine viel ausgeglichenere Struktur: im direkten Vergleich mit Deutschland prozentual weniger qualifizierte Beschäftigte im technisch-industriellen Sektor und dafür mehr qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsplätze im Bereich der humanen Dienstleistungen: Bildung, Pflege, Gesundheit.
Bei uns ist es dagegen so: Am Fließband von Daimler bauen die besten (hochbezahlten) Facharbeiter dieser Republik Autos für den Export zusammen. Und zwei Straßenzüge weiter kümmern sich mies bezahlte und oft auch schlecht ausgebildete Pflegekräfte um verwirrte kranke Alte.
Ausreichend hohe Löhne und gute Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte gibt der Markt nicht her. Das müssten wir gelernt haben. Deshalb müssen, von der Politik und Gesellschaft initiiert, organisiert und subventioniert, dort politische Löhne gezahlt werden.
Also 9.000 Euro — ja oder nein?
Also, wie sieht’s aus? Aus den 9.000 Euro Boni für ‚unsere‘ Pflegekräfte wird’s wohl nichts. Der Markt gibt’s nicht her — wenn es um so viel Mensch mit so wenig Technik geht, rechnet es sich einfach nicht.
Das Porsche-Management verbindet die oben erwähnte Zahlung an die Beschäftigten mit der Bitte, man möge in diesen Zeiten doch auch an gemeinnützige Organisationen spenden. Der Vorstand selbst, so dessen Chef Oliver Blume, gebe 500.000 Euro dazu.
Wäre es darüber hinaus nicht eine tolle Aktion von Betriebsrat und Management von Porsche und der zuständigen IG Metall, öffentlich für eine Gleichstellung zu kämpfen: wir kriegen 9.000 Euro — und, keine Frage, Ihr im Gesundheitswesen habt das auch verdient. Und wenn es am Ende bei einer öffentlichen Geste der Solidarität bliebe.
Mehr davon bitte, ein toller Beitrag – mit einem kleinen Schönheitsfehler: es ist nicht die Technik, es ist die kapitalistische Wirtschaftsweise. Wenn sich mit humanen Dienstleistungen, Bildung, Gesundheit, Pflege, aus viel Geld noch mehr Geld machen ließe, die Technik hingegen „sich nicht rechnen“ würde, würden Pflegekräfte Porsche fahren (aber nur die männlichen und dümmeren unter ihnen).