Befreiung in Zeiten des Lockdowns oder Freiheitskämpfer an allen Fronten

Bild: Lechenie Markomanii auf Pixabay

Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn sie für das Wichtige und das Wahnhafte, für höchste Verantwortung und größte Dummheiten nur ein einziges Wort hat? Es ist das Wort, das die Enzyklopädie Philosophie definiert als „die Fähigkeit, sich selbstständig zu bewegen, zu verhalten oder zu bestimmen“. Unbeschränkt fördere diese Fähigkeit die Beschränktheit, meint ein Kabarettist. Zweifelsfrei steht an der Spitze der Fähigkeiten, sich selbständig zu bewegen, bezahltes Fußballspielen. Solange das nicht geht, scheint alles verloren. Aber seit „Fight Club“ wissen wir, „erst nachdem wir alles verloren haben, haben wir die Freiheit, alles zu tun“.

Was ist mit der Freiheit, sich die Hände zu waschen? Erinnert sich noch jemand an das Jahr 2015, in dem es halbernstgemeinte Debatten gab um die Händewaschpflicht für Beschäftigte eines Starbucks-Cafés in den USA? Der damals neu gewählte Senator von North Carolina, Thom Tillis, beschwerte sich, dass die USA eine der am stärksten regulierten Nationen in der Geschichte des Planeten seien und setzte sich für die Freiheit von Starbucks ein, seine Angestellten von der Pflicht zum Händewaschen zu befreien.

„Ich habe kein Problem mit Starbucks, wenn sie sich dafür entscheiden, diese Politik abzulehnen. Solange sie ein Schild aufstellen, auf dem steht: ‚Wir verlangen von unseren Mitarbeitern nicht, dass sie sich nach dem Verlassen der Toilette die Hände waschen‘ – der Markt wird sich darum kümmern.“

Wie Trump heute beteuerte Tillis gestern, so etwas nicht gesagt, und falls doch, es nicht so gemeint zu haben.

Händewaschen sieht inzwischen auch Trump als einen Weg in die eigene Keimfreiheit und erklärt „sich zu benehmen, sich die Hände zu waschen, mit Mama und Papa in der Wohnung zu bleiben“ zur ersten Kinderpflicht. Sich die Hände zu waschen, scheint überhaupt eine von vielen Neuentdeckungen zu sein, denn der Seifenverkauf stieg (in Deutschland) seit dem Ausbruch der Pandemie in ungeahnte Höhen und verzeichnete in der zwölften Kalenderwoche 2020 ein Plus von 337 Prozent im Vergleich zu den sechs Monaten davor.

Was ist mit der Freiheit der Frisuren und der Friseure? Was bedeutet es, wenn Friseusen zu Freiheitskämpferinnen werden? „Wenn wir ans Telefon gehen, haben wir auch geöffnet.“ Diese Einstellung bringt einer Friseuse in den USA eine siebentägige Haftstrafe ein.  Nachdem sie sich fünf Wochen lang den Regeln und Verboten des Corona-Lockdowns gebeugt hat, beschließt sie Ende April: jetzt reicht‘s.

Was ist mit der Freiheit im Land der Freiheit? Im Autokorso durch die Straßen, Plakate mit „Land of the Free“ schwenkend, treffen in Denver freiheitsliebende Protestanten auf Krankenhausmitarbeiter, die täglich ihre Leben aufs Spiel setzen, um andere Leben zu retten. Auch die Leben derer, die sich die Freiheit nehmen, gegen die Sicherheits- und Schutzmaßnahmen auf die Straße gehen. 


Was bedeutet es, den 75. Jahrestag der Befreiung von massenmordenden braunen Terroristen zu feiern, wenn sich eine Woche vorher „Hygiene-Demonstranten“ vor der Berliner Volksbühne um der Freiheit willen zum „demokratischen Widerstand“ versammeln, „eine illustre Querfront von linksaußen bis rechtsextrem, Verschwörungstheoretiker, Holocaustleugner, Russlandhörige, versprengte NPD-Aktivisten und zahlreiche Mitglieder des rechtsextremen „Flügels“ der AfD“ (rbb24)?

Anno dazumal hieß das Wort, das alles erklären und alles begründen konnte, Gott, heute ist es die Freiheit, die jede und jeder anders meint.

Fabian Arlt
Fabian Arlt (far) arbeitet in Berlin im Bereich Gamification an der Erforschung, Konzeption, Gestaltung und Realisation von Spielen und schreibt an der Universität der Künste an einer Doktorarbeit über „Entscheidungsspiele: Leadership in Games und Unternehmen“. alivetoplay.weebly.com

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