Auf die Konten zehntausender Mega-Reicher strömen — ohne dass die sich einen Finger krumm arbeiten — trotz und wegen der Pandemie zig weitere Milliarden. Die Corona-Krise hat vor allem den reichsten der Reichen rund um den Globus Vermögenszuwächse beschert. Das Gesamtvermögen der mehr als 2.000 Dollar-Milliardäre weltweit stieg bis Ende Juli auf den Rekordwert von rund 10,2 Billionen Dollar. Die öffentliche Hand verschuldet sich — und damit uns und unsere Kinder — wegen der Krise bis über die Halskrause. Und (fast) niemand, weder die Regierungen noch die Leitmedien, stellt die spannende Frage: Wer bezahlt diese exorbitante Rechnung? Nur Großes Schweigen. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung hat nachgeforscht.
Wenn die große Politik sich scheut, ein brisantes Thema anzupacken, dann könnten es doch wenigstens die großen Medien versuchen. Aber als die SPD-Vorsitzende Saskia Esken in diesem April als Ruferin in der Wüste das Thema doch ansprach und forderte, hohe Vermögen sollten höher besteuert werden, titelte sich die häufig seriöse Süddeutsche Zeitung lustig: „Huch, eine Vermögensabgabe“. Ab in den Papierkorb, gleich kommt der Putzmann zum Ausleeren. So passt die Studie “Streitfall Vermögenssteuer. Defizite in der Medienberichterstattung“ gut in diese Zeit. Die Medien- und Wirtschaftswissenschaftlerinnen Andrea Grisold und Hendrik Theine haben sie im Auftrag der Otto Brenner Stiftung (OBS) erarbeitet. Sieben Tages- und Wochenzeitungen — Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, Welt am Sonntag, Süddeutsche Zeitung, Taz, Der Spiegel und Die Zeit — untersuchten sie über den Zeitraum der Jahre 2000 bis 2018.
„Auf extrem niedrigem Niveau“
In diesen beiden letzten Jahrzehnten verharrte, so ein Ergebnis der Studie, die Berichterstattung „auf extrem niedrigen Niveau“. Sowohl qualitativ wie quantitativ. Das geht so: Es gibt zum Thema Vermögenssteuer keine Hintergrundberichte und Analysen. Es wird die These nicht debattiert, dass die wachsende Armut vieler vermutlich direkte Folge des immens wachsenden privaten Geldsegens weniger ist. Es wird lediglich routiniert, sofern aus der Politik mal was zu dem Thema kommt, ein Zweispalter unten auf Seite sieben oder ein kurzes Hörfunk-Interview ab 22.45 Uhr dazu produziert, das reicht. Und da sich die Politik — abgesehen von der Linkspartei, aber der geht es meist wie Saskia Esken — selten dazu äußert, gibt es auch nur selten dazu Zweispalter oder Kurzinterviews. Wer sich diesem Thema widmet, scheint seine Karriere nicht zu fördern, eher zu versauen. Und wird mal sogar die Wissenschaft zu diesem Thema befragt, dann sind es fast immer Personen, die auf diese Steuer skeptisch und kritisch sehen. Mit anderen Worten: Im Jahr 2018 wird so selten über Steuern für Großvermögen berichtet wie in 2000.
Von 0,008 bis zu sagenhaften 0,04 Prozent
Das Ergebnis der beiden Forscherinnen in Zahlen: Von 2000 bis 2018 sind in den sieben Medien knapp 10.000 Beiträge zu dem Thema der Steuern für Erbschaften und Vermögen publiziert worden. Das sind pro Woche und Medium rund 1,5 Texte. Natürlich gibt es markant-bescheidene Unterschiede zwischen den einzelnen Medien. Beispielsweise zwischen der Taz, der einstige Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza nannte sie immer „Kinder-Faz“, und der richtigen FAZ: erstere widmet 0,02 Prozent ihrer Beiträge dem Thema, letztere 0,008 Prozent. Beide weit geschlagen von der Wochenzeitung Die Zeit, die sagenhafte 0,04 Prozent ihrer Beiträge der Frage widmet, ob die Erbschaftssteuer erhöht und die Steuer auf Vermögen wieder erhoben werden solle.
Die Forscherinnen stellen zudem fest: Es gebe zwar immer ein Auf und Ab in der Intensität der Berichterstattung, je nachdem, ob der politische Betrieb dazu Anlass biete, weil er sich gerade um das Thema kümmere oder nicht, aber generell gelte: Es könne „insgesamt keine systematische Zunahme der Berichterstattung verzeichnet werden“. Noch ein bemerkenswertes Ergebnis: Unter den 30 Stimmen aus der Wirtschaftswissenschaft, die von den untersuchten Medien in diesem Zeitraum 2000 bis 2018 am häufigsten zu dem Thema der Vermögens- und Erbschaftssteuern zitiert wurden, waren zwar immerhin zehn ausgewiesene Keynesianer und Linke, aber nicht eine Frau.
Das brisante Thema verschwand von der Tagesordnung
Kurz zum Sachverhalt: Es gibt in Deutschland eine Vermögenssteuer, jedoch ruht sie seit 1997; das Bundesverfassungsgericht mäkelte damals, sie werde ungerecht erhoben, unter anderem werde im Vergleich das Immobilienvermögen zu gering belastet, weshalb die Politik dieses und jenes daran ändern möge, worauf diese das brisante Thema von der Tagesordnung nahm. Und dabei blieb es: Die Vermögenssteuer wird seit 23 Jahren nicht erhoben. Ebenso ruht die Berichterstattung darüber. Diese Ruhe ist leider kein deutsches Alleinstellungsmerkmal, sie entspricht dem internationalen Trend: Erhoben vor zwei, drei Jahrzehnten noch die Hälfte aller 37 OECD-Länder eine Vermögenssteuer, sind es heute nur noch die Schweiz, Norwegen und Spanien, wie die Diskussion gerade wieder aufflammt.
In diesen vergangenen zwei Jahrzehnten ist viel geschehen: Da wurden die Steuersätze auf Großvermögen und Erbschaften stetig gesenkt. Da gab es die Finanzmarktkrise, und die Politik rettete die Banken — und damit die Gelder der Reichen — mit Milliarden-Paketen.
Dasselbe geschah in der sogenannten Euro-Krise Anfang der 2010er Jahre. Im Jahr 2014 gab es den Welt-Bestseller von Thomas Piketty „Kapital im 21. Jahrhundert“, der das Unrecht der Verteilung der Privatvermögen nachwies. Und in all den Jahren mehrte sich die Armut der Vielen ebenso wie der Reichtum der Wenigen — auch eine direkte Folge der stillgelegten Vermögenssteuer. In Deutschland, einem der ungerechtesten Länder des Euro-Raumes, besitzen die oberen zehn Prozent etwa 65 Prozent des gesamten Privatvermögens, die unteren 50 Prozent gerade mal drei Prozent; so die Zahlen des Jahres 2014. Trotzdem: Politik und Medien ließen sich in ihrer Ruhe nicht stören.
„Steuern sind das Geld der Gesellschaft“
Zu Beginn des Wahlkampfjahres 2013 veröffentlichte der Sozialhistoriker Ulrich Wehler ein Buch, in dem er folgende Bilanz zog: „Hundert Milliardäre stehen 2012 an der Spitze von 345 000 Vermögensmillionären: Die deutschen Reichen waren noch nie so reich wie in der unmittelbaren Gegenwart.“ Den Stand der Dinge skizzierte er so: Seit Jahren verkörpern die Privatvermögenden die eigentliche Wachstumsbranche in Deutschland. Deutschland ist eine Erben-Gesellschaft. Von 2000 bis 2020 wurden und werden in Gänze privatrechtlich 5,7 Billionen Euro vererbt, mehr als die Hälfte des deutschen Gesamtvermögens. Zur Erinnerung: Auf Vermögen wird keine Steuer erhoben, auf Erbschaften eine geringe, auf Kapitaleinkünfte (Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne) und Spitzeneinkommen werden ebenfalls nur geringe Steuern erhoben, vor allem im internationalen Vergleich.
Noch ein Beispiel: Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes zahlen Einkommens-Millionäre aufgrund von Freibeträgen und Vergünstigungen im Durchschnitt nur 36 Prozent Steuern auf ihr Einkommen. Kein Wunder, dass Wohlhabende und Großvermögende Geld scheffeln. Zum Vergleich: Eine qualifizierte Arbeitnehmerin mit einem Jahresverdienst zwischen 40 bis 70 000 Euro bezahlt nicht nur höhere Steuern, sondern auch noch Sozialabgaben; in der Summe addieren sich deren Abgaben auf mindestens 45 Prozent. Das heißt auch: Nicht die Ober-, sondern die Mittelschichten finanzieren letztlich den Sozialstaat.
Stefan Bach, Steuerexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), machte bereits vor Jahren in einem Kommentar für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ auf den eigentlichen Wert von Steuern aufmerksam: „Steuern sind das Geld der Gesellschaft. Damit bezahlen wir die öffentlichen Dienstleistungen, die es auf dem Markt nicht zu kaufen gibt: Polizei, Militär, Infrastruktur, Rechtsordnung, soziale Sicherung.“ Und: „Das sind ´öffentliche Güter`, von denen alle profitieren und die notwendig sind für Wachstum und Wohlstand.“ Nur: Die Großvermögenden brauchen diese öffentlichen Güter nicht, sie finanzieren sich im Zweifel ihre eigene Welt.
Mit dem Thema sind Wahlen nicht zu gewinnen
So spielte ausnahmsweise im Wahlkampfjahr 2013 dieses Thema eine vergleichsweise große Rolle, auch weil es eine Mobilisierung um die Initiative „UmFairteilen“ gab: höhere Steuern auf die auf die enormen Millionen- und Milliarden-Vermögen in den Händen weniger Privatpersonen. Die Linke forcierte dieses Thema, die Grünen auch, zuerst auch die SPD, aber für keine der drei Parteien lohnte es sich am Wahltag. Die SPD vollzog kurz vor der Wahl noch eine politische Kehre, die Linken schnitten so leidlich ab, die Grünen eher schlecht.
So stellt sich schon die Frage: Wie gelingt es den Vermögenden, sogar in größten Krisen weitgehend ungeschoren davon zu kommen? Und: Was machen diejenigen falsch, welche diesen skandalös reichen oberen Fünfprozent seit Jahren in Form höherer Steuern einen Teil ihres Geld abnehmen wollen, um dieses Geld sinnvoll zu investieren?
Für die Richtung der veröffentlichten Meinung ist die Rolle der Medien bedeutend. Es gibt weitere Studien, welche die Ergebnisse der oben referierten OBS-Untersuchung im Prinzip bestätigen. In der Studie „Portionierte Armut, Blackbox Reichtum“ aus dem Jahr 2014 wurde nicht die Berichterstattung, sondern gezielt die Kommentierung in meinungsmachenden Medien untersucht. Kurz wenige Hinweise auf die Ergebnisse: Es gebe eine Blackbox Reichtum. Eine Auseinandersetzung mit der Macht privater Großvermögen, die ihre Interessen ohne Worte zur Geltung bringen könnten, fände nicht statt. Der riesige Reichtum in den Händen weniger werde entweder überhaupt nicht kommentiert oder selbst dann nicht genauer durchleuchtet, wenn er kritisch bewertet werde. Der Journalismus zerbreche sich mehr den Kopf „über die Probleme der Reichen als über die Folgen der Zusammenballung privaten Reichtums für den Rest der Gesellschaft“.
Die Wissenschaftlerin Klarissa Lueg hat sich vor diesem Hintergrund der Frage gewidmet, woher kommen Journalisten. Sie nimmt an, dass soziale Herkunft und Habitus „einen starken Einfluss“ auf deren Handeln haben. Die Untersuchung von Lueg bestätigt im Prinzip bereits vorhandene Forschungsergebnisse. Lueg: Das journalistische Feld sei „als Ganzes ein Feld der etablierten Sozialschichten“. Jahre zuvor ergaben Befragungen des renommierten Medienwissenschaftler Weischenberg unter gut 1.500 Journalisten, dass nur neun Prozent aus Arbeiterhaushalten stammen.
Wie sich die gesellschaftliche Stimmung verschoben hat, zeigt dieses Beispiel: Das Bündnis „UmFairteilen“ forderte im Bundestagswahljahr 2013 und danach, der Spitzensteuersatz auf hohe Einkommen solle 53 Prozent betragen; er liegt heute bei 42 Prozent. In weiten Teilen der veröffentlichten Meinung wurde und wird dies als unverantwortlich radikal abgetan. Zu Zeiten von Kanzler Helmut Kohl war er jedoch genauso hoch.
Geht es mehr um Gefühle, nicht um Zahlen?
Vielleicht ist es auch deshalb so gekommen, weil völlig unklar ist, wer reich ist. Vielleicht müsste das genauer definiert werden. Nicht dass die mittleren Schichten denken, in Wahrheit wollen die uns höher besteuern. Dieses große Missverständnis ist nicht ausgeschlossen. Denn laut offizieller deutscher Statistik gelten Haushalte als reich, die über 3.000 oder 4.000 Euro im Monat verfügen. Kein Wunder, dass alle durcheinander kommen, wenn von einer Reichensteuer die Rede ist.
Noch ein Hinweis: Martin Schürz hat jüngst ein interessantes Buch über „Überreiche“ geschrieben; so nennt er die zigfachen Millionäre und Milliardäre, denn er findet, „Reiche“ klinge viel zu positiv. Seine Grundthese sei hier nur kurz erwähnt: Mit Zahlen und Fakten allein komme bei diesem Thema niemand weiter, denn es gehe um Gefühle, „um Neid, Gier, Zorn, Bewunderung, Anerkennung“. Seine Konsequenz: Es müssten nicht nur die Schattenseiten der Überreichen angegriffen, sondern auch deren Tugenden aufgegriffen werden.