Die intellektuelle und politische Kraft des Peter Glotz

Foto: Engelbert Reineke auf wikimedia commons

Der Medienwissenschaftler, Sozialdemokrat und langjährige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz starb vor 20 Jahren. Seine Mahnungen an die eigene Partei, seine Befürchtungen zu kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa und seine frühen Warnungen vor der nicht bezähmbaren Macht zukünftiger Tech-Giganten sind erstaunlich aktuell. Sie machen noch einmal deutlich, welche politische und intellektuelle Kraft in dem Denker mit der hohen Stirn steckten.

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„Bloquons tout“: Schafft es Lecornu bis zur Regierungserklärung?

Kann ein Land wie Frankreich regiert werden, wenn es in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von Misstrauen und einer allseitigen Blockade („bloquons tout“ ) beherrscht wird? Wenn „Kompromiss“ zum Schimpfwort wird? Vor drei Jahren ist Emmanuel Macron zwar als Präsident zum zweiten Mal für fünf Jahre gewählt worden, aber er verlor bei den anschließenden Wahlen zur Nationalversammlung die absolute Mehrheit: Vier (la oder le) premiers ministres haben seither versucht, im Palais Bourbon eine Rentenreform oder ein Budget auf geordnetem parlamentarischem Weg und nicht über ein Ausnahmerecht zu verabschieden. Elisabeth Borne, Gabriel Attal, Michel Barnier und François Bayrou sind gescheitert – entweder an Macron (durch vorschnell vorgezogene Neuwahlen im vorigen Jahr) oder am Misstrauensvotum der Rechts- und Linksextremen im Parlament (Barnier). Oder an einer selbst beantragten Vertrauensfrage, von der Bayrou wusste, dass er sie verliert: Im Scheitern nach neun Monaten ein trotziger Abgang eines alten Politkämpen der liberalkonservativen Mitte.

Nun also der fünfte Premier, Macrons getreuer Gefolgsmann Sébastien Lecornu (39), die „letzte Patrone“ des unbeliebten Staatspräsidenten, wie von Rechtsaußen gelästert wird. So jung er ist, Lecornu ist seit zwanzig Jahren Berufspolitiker (vom Bürgermeister bis zum Verteidigungsminister) und kein Absolvent einer der elitären Kaderschmieden. Er pflegt diskreten Umgang von sehr weit rechts bis zu den Sozialisten, aber ob er die Blockaden auflösen und die Wut auf der Straße befrieden kann? Die Medef (Mouvement des entreprises de France), der sturköpfig-mächtige Arbeitgeberverband, lehnte im Juni ein weites Entgegenkommen der pragmatischen Gewerkschaft CFDT in der Frage ab, die die Gesellschaft nach wie vor besonders umtreibt, die Rentenfrage. Ob die Sozialisten ihre „taxe Zucmann“ durchsetzen können (eine zweiprozentige Steuer für die 1.800 Haushalte, die über ein Vermögen von über 100 Millionen Euro verfügen)? Ob überhaupt ein Sparhaushalt in diesem hochverschuldeten und von den Ratingagenturen herabgestuften Land bis Ende Dezember verabschiedet werden kann? Niemand weiß es. Am 2. Oktober will Lecornu im Parlament seine Regierungserklärung abgeben. Wenn er es bis dahin überhaupt schafft.
 

Stimmenkauf und Lobby-Filz in der Confoederatio Helvetica (CH)

Anzeigenmotiv zum Schweizer Volksentscheid am 21.5.2017, bei dem sich die Mehrheit für ein AKW-Neubauverbot entschied.

Im Frühsommer hat der trinationale Atomschutzverband TRAS seine Studie zur Bedrohungslage in Deutschland durch die Schweizer Altmeiler vorgestellt, im Spätsommer geistern Träume von AKW-Neubauten am Hochrhein durch die Presse. Die ZEIT titelte «Das Risiko tragen die Nachbarn» und zitierte TRAS-Vorstand Stefan Auchter (BUND Freiburg), der vor einer Zementierung der bereits bestehenden Import-Abhängigkeit der Schweizer Atomwirtschaft von der russischen Brennstoff-Lieferkette warnte. Seit dem Volksentscheid vom 21. Mai 2017 gilt in der Alpenrepublik ein AKW-Neubauverbot. Doch diesen Beschluss wollen Atom-Missionare unter anderem aus dem Umfeld der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) die mit Albert Rösti auch den Energieminister stellt, wieder kippen. Brisant dabei ist zweierlei: Stimmenkauf und Lobby-Filz.

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Welch ein Mut in Zeiten brutaler Gewalt

Freiheit wäre, nicht zwischen Schwarz und Weiß zu wählen, sondern aus solcher vorgeschriebenen Wahl herauszutreten.“ Mit diesem Satz des deutsch-jüdischen Philosophen Theodor W. Adorno, geschrieben im kalifornischen Exil, publiziert in den Minima Moralia, wendet sich der 1954 in Zürich geborene israelische Wissenschaftler José Brunner an seine Leserinnen und Leser. „Brutale Nachbarn. Wie Emotionen den Nahostkonflikt antreiben – und entschärfen können“ ist der Titel seines Buches, das jetzt in Deutsch und bisher nur in Deutsch erschienen ist. Eindringlich beschwört er auf knapp 300 Seiten, „sich nicht mit der einen oder anderen Seite zu identifizieren“. Und führt fort: „ Lassen Sie sich durch die Opferdiskurse beider Seiten weder abschrecken noch verführen.“

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„Zölle korrigieren das Handelsdefizit jedenfalls nicht“

Foto: Syadthabigo auf wikimedia commons

Die zweite Amtszeit des US-Präsidenten Trump werde eine erhebliche Schieflage für die US-Wirtschaft bedeuten und eine tiefgreifende Veränderung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit sich bringen, „denn alle Industrieländer werden tendenziell Handel und Auslandsinvestitionen einschränken“, sagt der spanische Wirtschaftswissenschaftler Rafael Myro im Gespräch mit Klaus West, der auch die Übersetzung aus dem Spanischen besorgte. Die Unkenntnis des Unternehmers Trump in Wirtschaftsfragen sei sehr groß, betont Myro. „Erstens ermöglicht die unternehmerische Tätigkeit keinen vollständigen Überblick über das Verhalten einer Wirtschaft und die Wechselbeziehungen zwischen ihren verschiedenen Bereichen und Akteuren. Zweitens hat sich Trumps Praxis als Unternehmer auf das Baugewerbe und Spekulationsgeschäfte beschränkt. Drittens hört er seinen Beratern nicht besonders aufmerksam zu. Und viertens sind einige von ihnen nicht besonders brillant.“

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Stürzt bei der FR auch noch der Säulenheilige?

Karl Gerold (Screenshot FR |Fotograf: Kurt Weinerundatiert © FR / Kurt Weiner)

Interessieren Sie sich (ein bisschen) für links- oder sozialliberalen Journalismus, dessen Elend und Glanz, für seine Gefäße wie taz, konkret, Freitag, Neues Deutschland, Frankfurter Rundschau (FR) — dann lesen Sie weiter, droht doch bei der Frankfurter Tageszeitung — wenige Tage vor den Feierlichkeiten zum heutigen 80.Geburtstag — bisher erfolgreich Verdrängtes ans Tageslicht zu dringen. Muss die Geschichte der FR, ganz ohne Tagebücher, in Teilen neu … . Die letzten 25 Jahre war meist die Gegenwart dieser Zeitung turbulent, und jetzt die Vergangenheit… . Alles eben zu seiner Zeit.

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Das Buch der Triaden

Wie Scharfsinn und analytische Kraft in sprudelnden Ideen ertrinken und mit uferlosem Schreiben zugeschüttet werden, dafür hat „Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität“ 2011 ein 780seitiges Beispiel geliefert. Im Deutschlandfunk bescheinigte Ariadne von Schirach den Autoren Markus Metz und Georg Seeßlen, „die obszöne Totalität einer blödmaschinenenvermittelten Wirklichkeit“ verleite sie „zu einem ebenfalls obszönen Exzess an Kritik“. Thomas Neumann schrieb, problematisch werde das Buch nur, „wenn die brillante Analyse in undifferenziertes Geschwätz übergeht“. Inzwischen ist „Blödmaschinen II. Die Fabrikation der politischen Paranoia“ erschienen. Nicht halb so dick, genau so gestrickt. Den Verdacht, dass Verblödungs- und Verschwörungserzählungen verwandt sein könnten, hat Hans Magnus Enzensberger schon vor rund 40 Jahren formuliert. Schauen wir genauer hin.

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Eine Ideengeschichte des Grundeinkommens trifft viele alte Bekannte

Ein garantiertes soziales Grundeinkommen zur Abwendung von Notlagen ist in Deutschland als Sozialhilfe, als Arbeitslosengeld II bzw. neuerdings Bürgergeld oder als Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit als fester Bestandteil der sozialen Daseinsvorsorge etabliert. Es gibt Debatten über die Höhe, die Gestaltung und die Konditionalität des sozialen Grundeinkommens. Aber dass man so etwas in einer entwickelten Gesellschaft braucht, ist unumstritten. Das ist nicht überall so. In Italien etwa wurde ein garantiertes „Bürgereinkommen“ erst 2019 eingeführt. Bis dahin waren Menschen in Not auf private Netzwerke und ihre Familien angewiesen, um Hilfe zu bekommen. In Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien ist die finanzielle Grundsicherung noch ein relativ neues Thema. Aber es gibt hier durchaus schon eine Reihe von Erfolgsgeschichten, etwa die „Bolsa Familia“, die in Brasilien 2004 in der ersten Amtsperiode des Präsidenten Lula da Silva eingeführt worden war. Selbst in Entwicklungsländern mit niedriger Wirtschaftskraft gibt es inzwischen eine Reihe von Ansätzen für eine Mindestsicherung. Im Zusammenhang mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015, in denen die Bekämpfung von Armut höchste Priorität hat, haben Überlegungen in diese Richtung weltweit neuen Schub bekommen.

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Aufschrei in der französischen Küche: Wir wollen ernähren, nicht vergiften

Das grenzt an eine Revolution in Frankreich: 400 Köchinnen und Köche der Spitzengastronomie gehen gegen ein Gesetz auf die Barrikaden, das die mächtige Lobby der Agrarindustrie auf abenteuerliche Weise durch den Senat und die Nationalversammlung gedrückt hat. Das Gesetz trägt den Namen des konservativen Senators Laurent Duplomb und es erfüllt die Wünsche des Bauernverbandes FSNEA nach riesigen Wasserbecken zum Berieseln der Maisfelder und Lockerungen im Umweltschutz: Zwei seit sieben Jahren zur „Erholung von Biodiversität, Natur und Landschaft“ verbotene Pestizide sollen wieder auf Rübenpflanzen wie Kirsch-, Apfel-und Haselnussbäume gesprüht werden dürfen (Acetamiprid und Flupyradifurone), obwohl sie für Bienen, Bestäuber und die menschliche Gesundheit gefährlich sind.

Das treibt die Gastronomen um: „Wir machen unser Metier, um zu ernähren, nicht um zu vergiften“, klagen sie in einem Aufruf an, den Le Monde veröffentlichte. Als direkte Partner wüssten sie sehr wohl, unter welchem Druck die französischen Landwirte stünden, immer mehr zu immer niedrigeren Preisen zu produzieren. Das Gesetz Duplomb aber sei die falsche Antwort auf die Probleme. Sie fordern, das Gesetz zurückzuziehen und ein Moratorium, um einen Plan für eine umweltgerechte Landwirtschaft und Ernährung zu entwickeln.
Die Spitzengastronomen sind mit ihrem Appell nicht allein: Zwei Tage nach der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament am 8. Juli startete die 23jährige Studentin Eléonore Pattery eine in der Verfassung vorgesehene Petition gegen diesen „wissenschaftlichen, ethischen, ökologischen und gesundheitlichen Fehltritt“. Und löste eine ungeahnte Protestwelle aus: Bis zum 29. Juli unterschrieben 2, 047438 Millionen Französinnen und Franzosen. Damit muss sich das Parlament erneut mit diesem Gesetz befassen. Ohnehin liegen Dutzende von Beschwerden beim Verfassungsrat, denn dieses Gesetz des Lobbyisten Duplomb wurde vom Senat ins Parlament eingebracht, dort aber nicht beraten, sondern mit den Stimmen der Konservativen und Rechtsextremen in einen Vermittlungsausschuss mit konservativer Mehrheit geschoben und verabschiedet. Und jetzt: Spitzenköche gegen Bauernverband, zwei Millionen gegen die Agrarlobby. Allons enfants de la patrie…

Gebt mir, gebt mir ein Leitbild

Um Kärnten zumindest topografisch von slawischen Ursprüngen abzugrenzen, gibt es die Karawanken. Dahinter, so die Befürchtung, könnte in Slowenien das kärntnerischste Kärnten sein. Die Slowenen wiederum werden von einigen im Vielvölkerland Jugoslawien als piefige ›Deutsche‹ verunglimpft. Weiter südlich wird es auf dem Balkan gänzlich unübersichtlich Für Nichteingeweihte. Aus dem Schmelztiegel Jugoslawien ist seit dem Tod des Staatsgründers Tito (wieder) ein Pulverfass unterschiedlichster Identitäts- und Nationalitätsvorstellungen geworden. Da hilft nur noch Kunst, um die festgelegten Weltbilder gänzlich zu irritieren. Für Aufsehen und Hören sorgt seit Anfang der 80er Jahre die Rockband ›Laibach‹ als lautstarker Kern des Künstlerinnenkollektivs »Neue Slowenische Kunst« (NSK).

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Tickt der ländliche Raum weitrechts?

Die letzten Wahlergebnisse der AfD belegten nicht nur deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, sondern auch ein signifikantes Gefälle zwischen Großstädten und der Provinz. In ländlich geprägten, weit von den Ballungsgebieten entfernt liegenden Regionen sind extrem konservative oder gar rechtsextreme Einstellungen sowie die dahinter steckenden autoritären Haltungen offenbar weiter verbreitet. Das gilt auch für das Thema Antifeminismus: Althergebrachte patriarchale Geschlechterbilder und festgelegte Rollenzuschreibungen passen perfekt zur Romantisierung der guten alten Zeit und eines harmonischen Landlebens – einer Welt, die (scheinbar) noch in Ordnung ist. Johanna Niendorf, Fiona Kalkstein, Henriette Rodemerk und Charlotte Höcker arbeiten gemeinsam am Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universität Leipzig. Mit ihrem Sammelband, an dem zahlreiche weitere Autor*innen beteiligt waren, gehen die Wissenschaftlerinnen einen Überblick über ein bislang wenig untersuchtes Forschungsfeld: Wie hängen Autoritarismus und Provinzialität zusammen?

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»Wir verändern die Erde auf zehntausende Jahre hinaus«

Waldbrand in der Gohrische Heide, von Glaubitz aus gesehen
(Foto, 3. Juli 2025: Mosbatho auf wikimedia commons)

Wo stehen wir? Es werden extreme Temperaturen in aller Welt registriert. Laut ECMWF (European Center for Medium-Range Weather Forecasts) war der Juni 2025 global der drittwärmste Juni seit Beginn der Wetteraufzeichnungen – knapp ein halbes Grad wärmer als der Monatsdurchschnitt der Jahre 1991bis 2020 und etwa 1,3 Grad Celsius wärmer als der geschätzte vorindustrielle Juni-Durchschnitt von 1850 bis 1900. Vierzehn der letzten 24 Monate lagen deutlich über 1,5 Grad darüber. Die jüngste Hitzewelle in Westeuropa ist nach einer Studie des Imperial College London um bis zu vier Grad heißer ausgefallen und hat so auch die Zahl der Hitzetoten erheblich ansteigen lassen. „Über 50 Grad Celsius. Türkei meldet Hitzerekord.“

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Olivgrün im Vormarsch

Foto: Kürschner auf wikimedia commons

2023 fanden in Deutschland die “Invictus Games” statt. Das Sportereignis, gesponsert vom Flugzeugbauer Boeing, verfolgte auch ein durchaus honoriges Ziel: Mit Hilfe der ausgetragenen Wettbewerbe sollte sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Leid von Kriegsversehrten richten. Darüber berichtete auch das Aktuelle Sportstudio im Zweiten Deutschen Fernsehen. Eingeladen waren der gediente Verteidigungsminister Boris Pistorius sowie der britische Prinz Harry, der einst im Irak seinen Militärdienst absolvierte. Zwei weitere Ex-Soldaten traten auf: Der eine hatte bei seinem Einsatz in Afghanistan beide Beine verloren, der andere berichtete über seine andauernde posttraumatische Belastungsstörung.

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Die Sozialpolitik braucht dringend neue Impulse

„Soziales Unternehmertums“ stärker zu beachten und besser zu fördern, wird als probates Mittel zur Überwindung der Innovationsschwäche und der oft enttäuschenden Wirksamkeit der Sozialpolitik empfohlen. Seit den späteren 1990er Jahren gab es eine Vielzahl von Initiativen auf europäischer wie auf nationaler Ebene, unternehmerische Elemente im Bereich sozialer Interventionen im weiteren Sinne zu entwickeln, nicht nur im Bereich staatlich programmierter und finanzierter sozialer Praxis, sondern auch im Bereich zivilgesellschaftlichen Engagements und sozial verantwortlicher Unternehmensführung in der Wirtschaft. Die Literatur zum sozialen Unternehmertum in Wissenschaft und sozialpolitischer Praxis ist inzwischen nur noch schwer zu überschauen. Das Handbuch „Social Entrepreneurship in Deutschland“ gibt einen guten Überblick über konzeptionelle Ansätze, den fachlichen Entwicklungsstand und Problemfelder bei der Umsetzung sozialunternehmerischer Initiativen.

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