Hochkonjunktur für Bellizisten?

Der Sponti- Slogan „Raus aus der Nato, rein ins Vergnügen“ riecht in diesen aufgewühlten Zeiten einer mutmaßlichen Vorkriegszeit nach Mottenpulver. Während die oft totgesagte oder als 5. Kolonne Putins verächtlich gemachte Ostermarschbewegung ihre Friedensdemonstrationen für den April plant, wird Bundesverteidigungsminister Pistorius nicht müde wird, Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen. Und der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, legt nach mit der Prophezeiung, „spätestens Ende dieses Jahrzehnts dürften russische Streitkräfte in der Lage sein, einen Angriff auf die Nato durchzuführen.“ Hochkonjunktur für Bellizisten?

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Politik für morgen mit Zahlen von gestern

Die Bildungsminister:innen haben es jetzt Schwarz auf Weiß: In Deutschland werden immer weniger Kinder geboren. Der Rückgang – seit einem Höchststand vor vier Jahren mit 765 000 – ist dramatisch: Innerhalb von nur drei Jahren ist die Zahl der Geburten auf 674 000 (2024) gesunken. Aber die jüngste Konferenz der Bildungsminister beschäftigte sich mit der Unterstützung erkrankter Kinder und dem medienträchtigen Vorstoß aus Hessen zu einem angeblichen Handy-Verbot in den Schulen. Der folgenschwere Rückgang der Geburten, der die bisherigen Prognosen zum Kita-, Schul- und Lehrerbedarf einschneidend korrigiert, war dieser Konferenz keinen Kommentar wert. Auf ihrer Pressekonferenz in Berlin wurden die Ministerinnen Karin Prien (CDU), Simone Oldenburg (Linke) und Stefanie Hubig (SPD) auch nicht danach gefragt: Das Eltern, Schüler-und Lehrerschaft aufregende Thema „Handy-Verbot“ war wichtiger, obwohl es überhaupt nicht auf der Tagesordnung der Konferenz stand.

Um was geht es bei dem Rückgang der Geburten? Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm, der der Konferenz der Kultusminister (KMK), die es seit dem Herbst 2024 in drei Unterkonferenzen gibt (Bildung, Kultur, Wissenschaft), seit Jahrzehnten immer wieder vorrechnet, dass sie mit veralteten Zahlen Politik macht, hat sich wieder einmal die neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes angesehen und daraus Schlussfolgerungen für die Kitas und die Grundschulen gezogen. Für die Grundschulen gilt ab dem Schuljahr 2026/27 ein Rechtsanspruch auf eine ganztägige Bildungsförderung. Klemm weist in seiner Studie für das Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) nach, dass die KMK für 2024 immer noch von 756 000 jährlichen Geburten ausgeht: Und weiter steigenden Zahlen. Ein Irrtum, wie Klemm ausführlich belegt. Er wagt auch einen genauen Blick auf die Bevölkerungsstatistik und in die Entwicklung der Bundesländer. Vor allem in den östlichen Bundesländern (so in Brandenburg) wird sich die Lage zuspitzen, wie angesichts sinkender Schülerzahlen „wohnortnahe Grundschulangebote“ überhaupt noch zu sichern sind. Sich dieser Herausforderung zu stellen, wäre jetzt die Aufgabe der Bildungsministerkonferenz. Bei ihr liegt die Verantwortung für „gleichwertige Lebensverhältnisse“ und „das verfassungsrechtlich verbriefte Recht auf Bildung“ (Zitat aus der Gründungserklärung der BK vom 10. Oktober 2024). Vielleicht sollten sich die Ministerinnen und Minister einmal die Studie auf ihrem Handy herunterladen. Das wäre ein sinnvoller Gebrauch.

Lügen die Bilder, die Menschen oder beide

… ab 18. April in Amsterdam (Screenshot: Website World Press Photo)

Wir wechseln von der Angebotsseite der digitalen Kommunikation zurück auf die Nachfrageseite. Welche Folgen hat es für die Bürgerinnen und Bürger, wenn eine Kultur der Bilder die Kultur der Sprache und Schrift teilweise verdrängt? Zunächst ist festzuhalten: unser Bezug zur Welt ist technisch vermittelt. Wir leben in einer „Welt als Welt von Mitteln“ (Hegel), also auch in einer Welt von Bildern. Ein so vermittelter Realitätsbezug ist angewiesen auf seriöse Institutionen, wenn er nicht (be)trügerisch sein soll. Ich werde unterschiedliche Realitätsbezüge vorstellen: begründetes Misstrauen, Realitätsverlust und kontrollierten Weltbezug.

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Thesen im protestantischen Lutherton

„Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates schwindet, und damit schwindet auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie.“ Mit diesem wuchtigen Satz gingen Peer Steinbrück, Thomas de Mazière, Andreas Voßkuhle und Julia Jäkel – genau eine Woche, bevor der Bundestag mit verfassungsändernder Mehrheit den Weg zu milliardenschweren, historisch hohen Krediten für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz frei gemacht hat – an die Öffentlichkeit und stellten 30 Thesen  „für einen handlungsfähigen Staat“ vor.

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Kanzler Merz – das Tor zur Vorhölle ist stets offen

Foto: Elke Wetzig auf wikimedia

Die avisierte kleine Großkoalition aus Union und SPD unterscheidet sich an einer dramatischen Stelle grundlegend von allen bisherigen bundesdeutschen Regierungskoalitionen: Bildet die SPD mit Merz eine solche Regierung, dann ist nicht nur sie, sondern der gesamte rechtsstaatlich orientierte Bundestag von diesem Moment an der Union, dem Kanzler Merz und dessen Richtlinienkompetenz ausgeliefert. Die rechtsstaatlich-demokratisch orientierten Fraktionen hätten keine Möglichkeit, diesen Kanzler legal zu stürzen oder mit einem Misstrauensvotum beispielsweise Neuwahlen zu erzwingen
– weil Union und AfD zusammen die Mehrheit haben im Bundestag.

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Mark Zuckerberg und die sogenannte Zensur

Bild: MickeyLIT auf Pixabay

Mark Zuckerberg, CEO von Facebook und Instagram, hat 2024 angekündigt, in seinen Medien Faktenprüfer durch Community Notes, also Notizen der Kunden, Nutzerinnen und Nutzer, zu ersetzen. Dann werden Partnerorganisationen von ihrer Aufgabe enthoben, streitbare Beiträge auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und sie gegebenenfalls als falsch zu melden. Zuckerberg hält dieses Verfahren der Faktenprüfung nicht für zuverlässig, er hat sogar bei den prüfenden Instanzen eine „politische Schlagseite“ ausgemacht. Angeblich waren seine Kundinnen und Kunden misstrauisch geworden. Was hat es damit auf sich?

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Demokratie, Zumutung und Versprechen

Foto: PantheraLeo1359531 auf wikimedia

Die Hölle, so wusste Jean-Paul Sartre, «das sind die Anderen». In eine besondere Spielart dieser Hölle versetzt uns die Demokratie, die uns als Staatsform nicht nur ein großes Versprechen politischer Freiheit gibt, sondern auch die Zumutung auferlegt, die «Anderen» mit all ihren abweichenden Meinungen, Bedürfnissen und Interessen tatsächlich zu ertragen und mit ihnen in friedlicher Ko-Existenz zu leben. Ja, Demokratie ist eine Zumutung. Sie ist anstrengend, langwierig, bisweilen schlicht ermüdend. Viel bequemer ist es, wenn ein vermeintlich starker Mann (seltener eine starke Frau…) durchregiert, wenn man sich nicht allzu viele Gedanken machen muss. Genau mit diesem Versprechen einer radikalen Reduktion von Komplexität locken die Feinde der Demokratie.

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Aufrüstung ohne Limit und jedem seine Atombombe ?

Bild: Arman_Parnak auf Pixabay

Wer Atomwaffen hat, kann andere Länder überfallen. Die Nato bombardierte  Belgrad, um die Kosovaren vor Milosevic zu schützen. Dass Putin nicht mit der gleichen Härte begegnet wird,  liegt einzig und allein daran, dass er über Atomwaffen verfügt und es sich daher verbietet, Moskau oder St. Petersburg zu bombardieren. Bei dem Angriff gegen Ukraine dienen die Atomwaffen nicht länger als bedrohliche, aber nichtsdestotrotz friedenssichernde Abschreckung, sondern als ‚Schutzschirm‘ für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Der Krieg wird zwar weiterhin konventionell geführt, aber wegen der russischen Atomwaffen liefern die Verbündeten nicht alle Waffen, die die Ukraine gerne hätte. Die atomare Abschreckung verhindert den Krieg zwischen Atommächten, den Überfall auf Länder ohne atomaren Schutz dagegen nicht.

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Lange Schatten über dem Wahlergebnis

Bild: Satya_1 auf Pixabay

Mir kommt´s so vor, als habe sich eine große, massige, auftürmende Wolke vor das Ergebnis der Bundestagswahl geschoben. Sonne zeitweise weg. Wetterleuchten. Aufkommender Wind. Man beginnt zu frösteln. Ob das Wetter umschlägt, aus der Wolke Gewitter auf uns hinunterschlagen werden oder ob anderes geschieht, ist nicht zu erkennen. Man schließt die Fenster, kurbelt die Jalousie zurück. Jedenfalls verschattet dieses Gebilde mit seinen Eventualitäten das Ergebnis der Bundestagswahl. Obgleich diese Wahl unser Gemeinwesen durchschüttelt.

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Deals, Moneymaking, hemmungslose Macht

Bild: geralt auf Pixabay

Die Aufgaben einer möglichen neuen rot-schwarzen Koalition im Inneren (siehe Merz als ein wiederauferstandener Scholz) sind zwar sehr ambitioniert, fallen aber nicht grundsätzlich aus dem Rahmen dessen, was in der Bundesrepublik Deutschland im Lauf der Jahrzehnte passiert ist. Sicher, das dauerhafte Erstarken der AfD markiert eine Zäsur mit hohem Bedrohungspotential. Die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Schritte jedoch werden von einem Wandel gefordert, den man mit Fug und Recht epochal nennen kann.

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Merz als ein wiederauferstandener Scholz

Friedrich Merz, den die KI erst noch kennenlernen muss, springt über seinen eigenen Schatten.

Die Zeitenwende mit Russlands nicht endendem Angriffskrieg, der Trumpschen Zerstörungswut und einem deutschen Wahlergebnis, das viele Hoffnungen nicht erfüllt hat, vermag politische Ergebnisse hervorzubringen, die man für kaum oder überhaupt nicht für möglich gehalten hatte. „Was gestern unvorstellbar war, gilt heute als objektiv unabdingbar.“ (Thomas Fischer)
Der Bundestag ist voll funktionsfähig und seine gesetzgebende oder gesetzändernde Kraft hört nicht mit dem Wahltermin für einen neuen Bundestag auf, sondern erst mit dem Zusammentreten des neu gewählten Bundestages, genauso wie die Regierung bis dahin voll und danach geschäftsführend bis zur Wahl des neuen Bundeskanzlers und der Ernennung einer neuen Bundesregierung im Amt bleibt. Das jetzt Mögliche und Nötige kann deshalb ohne weitere schuldhafte Verzögerung verwirklicht werden – innenpolitisch sowie auch außen- und verteidigungspolitisch (dazu Deals, Moneymaking, hemmungslose Macht).

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Verrat – eine Frage des Datums

Klaus Lang, der langjährige Spitzen-Funktionär der IG Metall und Arbeitsdirektor in der Holding Georgsmarienhütte GmbH, analysiert anhand der CDU-Programme und deren intellektuellen und politischen Untiefen sowie dem „kollektiven Beschweigen“ (Hermann Lübbe) in der Partei die fast zwangsläufige Entwicklung zur Verbiegung von Kanzlerkandidat Friedrich Merz vor der AfD im Januar 2025. Als Untiefen identifiziert er etwa den pauschalen Bezug auf das christliche Weltbild oder die Identifizierung von „Werten“, die beliebig und undefiniert bleiben, in Verbindung mit rechtlichen Normen, die im Gegensatz zu jenen justiziabel sind. Lang sieht in der Entwicklung der CDU allerdings weder eine Tendenz zum Rechtsradikalismus noch gar zum Faschismus, wie einige Aufgeregte vermuten. Sehr wohl handelt es sich seiner Analyse nach aber um eine konservative Radikalisierung zum „technokratischen Konservatismus“.

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Reflexhafte Nato-Kritik ist geschichtsvergessen

Screenshot: Website ISE Institut für seltene Erden und Metalle AG

Trump droht dem vor laufender Kamera heruntergemachten ukrainischen Präsidenten, sein Land der Vogelfreiheit preiszugeben, sollte es das Rohstoffgeschäft ablehnen, das er mit Putins Hilfe den US-amerikanischen Industrien zuschanzen will. Trump tritt als der ideelle Gesamtkapitalist auf, der die territoriale Souveränität dem Recht des Stärkeren opfern will. Die US-Regierung gibt dem zentralen Artikel des Völkerrechts einen Tritt, da der Artikel mit der MAGA-Kampagne kollidiert. Die republikanische Partei favorisiert den Hobbeschen Naturzustand. Make America great again verspricht dem verführbaren Teil der US-Amerikaner Beuteanteile, während die herrschende Clique um Musk darin mehr als ein bloßes Versprechen sehen kann. Das ökonomische Interesse an Seltenen Erden rangiert vor dem Völkerrecht.

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Trump & Putin wollen Selenskyis Rücktritt

Europäischer Ukraine-Gipfel am Sonntag, 02. 03. 2025 in London (Screenshot: ARD-Tagesschau)

Was für eine Tragödie. Was für ein Farce. Der Mann, der seinem Land Hoffnung und Widerstandskraft gab, als es von Russland überfallen wurde und wie kein anderer den ukrainischen Freiheits- und Widerstandswillen verkörpert, wird vor der Weltöffentlichkeit zusammengefaltet und soll sich dann noch bei Trump entschuldigen. Der neue Häuptling im Weißen Haus fordert seinen Skalp. Alle die jetzt darüber reden, Selenskyj hätte sich besser so servil wie Macron oder Starmer verhalten sollen, müssen glauben, dass es in Selenkyjs Macht gestanden hätte, den Eklat zu vermeiden. Für Trump, Vance und Co ist die Bloßstellung Selenskyjs aber Teil ihrer Strategie, sich möglichst schnell mit Putin zu einigen. Putin will einen Regierungswechsel in Kyjiw und Trump erledigt es für ihn. Eine weitere Forderung Putins für eine Ende des Krieges wird vor laufenden Kameras erfüllt. Selenkyj hätte Trump die Füße küssen können und der „Eklat“ wäre nicht vermieden worden.

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Die Demokratie mobilisieren

Soll/kann es in der deutschen Politik jetzt wie gewohnt weitergehen mit zähen Koalitionsverhandlungen und einer Regierungspraxis mit langen Abstimmungs- und Entscheidungswegen oder bedarf es, Stichwort Ausnahmezustand, anderer politisch-institutioneller Wege und welche könnten es sein?
Das ist die dritte Frage zur politische Lage, die das Bruchstücke-Team sich und einem Kreis seiner Autor:innen gestellt hat. Auch darauf zehn Antworten.

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