Können Städte Labore für die erfolgreiche Bewältigung der vielfältigen Menschheitskrisen sein? Ja, sagt Peter Kurz. Aber damit das gelingt, müsse die Politik gründlich umgekrempelt werden, gerade auch in Deutschland.
Kurz war von 2007 bis 2023 Oberbürgermeister der Stadt Mannheim. Darüber hinaus war er Mit-Initiator des Global Parliament of Mayors (Weltparlament der Bürgermeister) und ab 2019 dessen Präsident. Auch auf europäischer Ebene hatte er Funktionen in kommunalen Gremien und war viele Jahre Präsident des Bundesverbandes Wohnen und Stadtentwicklung (VHW). Als Oberbürgermeister der vom Strukturwandel geprägten und keineswegs einfachen Stadt Mannheim hatte der Sozialdemokrat, wie Kommunalexperten und Oberbürgermeisterkollegen bescheinigen, in vieler Hinsicht durchaus ein gutes Händchen. Wenn Peter Kurz nun in einem schmalen Bändchen thesenhaft seine Idee von „guter Politik“ vorstellt, sollte man also hinschauen.
Nawalnys Vermächtnis
Die Autobiografie des im Februar in einem russischen Straflager ermordeten Kremlkritikers Alexej Nawalny ist jetzt erschienen. Sein Buch »Patriot« ist eine ebenso politische wie persönliche Anklageschrift gegen Putins Regime – und das Vermächtnis eines mutigen Mannes, der den Glauben an eine bessere Zukunft Russlands nicht aufgeben wollte.
Das Ende war so, wie er es vorausgesehen hatte: „Ich werde den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen und dort sterben. Es wird niemand da sein, von dem ich mich verabschieden kann,“ notierte Alexej im Putin´schen Gulag. Am 16. Februar 2024 starb er allein im Straflager „Polarwolf“ in der Arktisregion unter nicht geklärten Umständen. Tagelang weigerten sich die Behörden, seine Leiche herauszugeben, bis seine Mutter Ljudmila Nawalnaja in einem Videoappell an Putin die Erpressungsversuche öffentlich machte. Sie erreichte es letztlich, dass Nawalny am 1. März unter großer Anteilnahme Tausender Menschen in Moskau beerdigt wurde.
Gefesselt, mit Haut und Haaren einverleibt oder Ohne Abstand kein Anstand
Kennen Sie das noch? Vor nicht allzu langer Zeit sind die meisten von uns (ich bin Österreicher) pünktlich um 19:30 Uhr vor dem Fernsehgerät gesessen (mit „sicherem“ Abstand zum Bildschirm, meist auf dem Sofa oder einem gemütlichen Stuhl) und haben uns an einem Ort (im Wohnzimmer) zur gleichen Zeit (um halb acht) mit derselben massenmedialen Hintergrundrealität (den „Nachrichten“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) versorgen lassen. Dort hat uns lange Zeit Hugo Portisch „die Welt“ erklärt – und wir sind dieser „Instanz“ andächtig gefolgt und haben das Gesagte nicht weiter hinterfragt (da lag ein Latenzschutz drüber, das war außerdem ganz schön „wissenschaftlich“, also wahr – und zudem verständlich). Ein wenig systemischer vielleicht? Ok.
Weiterlesen →Social Media uniformiert und polarisiert
Zu Anfang eine ungeheure Chance: „Wie niemals zuvor verfügt die Menschheit heute über vielversprechende Methoden, weitverstreute Quellen des Wissens und der Kreativität in einem Strom zusammenzuführen, dessen Produktivität erstaunlich ist.“1 Der Wert dieser Methoden hängt allerdings davon ab, wie die Bürger:innen sie verwenden. Damit beginnen die Probleme. Denn der ungeheuren Chance steht eine ungeheure Einschränkung gegenüber: das Internet und die Social Media sind ein Nährboden für Polarisierung und Extremismus. Sie führen Gleichgesinnte zusammen und machen es ihnen leicht, missliebigen Ansichten auszuweichen. Dies ist problematisch für eine demokratische Alltagskultur.2
Weiterlesen →Wird das „Bürgerrecht auf Bildung“ vom Kopf auf die Füße gestellt?
Die Freiheit der Berufswahl nach Artikel 12 des Grundgesetzes bedeutet nicht, dass mittellose Studentinnen oder Studenten einen Rechtsanspruch haben, dass der Staat für ihr Hochschulstudium die Kosten zum Lebensunterhalt und zur Ausbildung vollständig übernimmt. Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts setzte in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung (1 BvL 9/21 vom 23. September 2024) zu der Ausbildungsförderung des Bundes (Bafög) andere Prioritäten. Und zum ersten Mal wägt das Gericht in dem Urteil ab, ob es „unverzichtbar“ ist, ein Studium durch eine staatliche Förderung zu ermöglichen im Vergleich „zu anderen Sozialbedarfen“, zum Beispiel „etwa der frühkindlichen Bildung“. Es ist verzichtbar, sagen die Richterinnen und Richter im 1. Senat und werfen einen überraschend neuen Blick auf die „sozialstaatliche Aufgabe, ein durchlässiges Bildungssystem zu verwirklichen“ (S.18).
Weiterlesen →Die Linke in Not – setzt auf Wut statt auf Debatte
Die Ampel hat sich abgeschaltet, jetzt steht ein Wahlkampf ins Haus, bei dem es nach den Worten des Sozialwissenschaftlers Horst Kahrs für Die Linke darum geht, überhaupt eine Rolle zu spielen. Im Interview mit Wolfgang Storz lautet seine Zustandsbeschreibung: „Ich sehe eine Partei, die sich darauf konzentriert, bei der Bundestagswahl um ihr politisches Überleben zu kämpfen. Die deshalb den seit Jahren überfälligen längerfristigen Erneuerungsprozess noch einmal hinausschiebt. Eine Partei, die sich, aus existentieller Not heraus, auf außerparlamentarische Bewegungen fokussiert, auf gesellschaftliche Opposition und sich noch weiter vom Anspruch einer sozialistischen Gestaltungspartei entfernt.“ Als er diese Diagnose stellt, hat Kahrs diesen Wahlslogan der Partei Die Linke noch gar nicht kennen können: „In diesem Wahlkampf geht es um eines: wir hier unten gegen die da oben„.
Weiterlesen →Wer läuft wohin und zu wem über?
Der Hoffmann und Campe Verlag hatte es 1951 abgelehnt, Siegfried Lenz´ Roman “Der Überläufer“ zu veröffentlichen. Der schien dem Verlag damals dem deutschen Publikum nicht zumutbar. 2016 wurde “Der Überläufer“ publiziert – von Hoffmann und Campe; posthum, 17 Monate nachdem Lenz verstorben war. Überläufer nennt man Menschen, die sich auf verborgene Weise zum militärischen Gegner, zum Feind aufgemacht haben, übergelaufen sind.
Gebräuchlich ist das Wort nicht. Nun tauchte es wieder auf. In der Bild-Zeitung und am 7. November ebenfalls in der FAZ. Es war auf den FDP-Politiker Volker Wissing gemünzt, der im Gegensatz zu anderen FDP- Repräsentanten die Regierung Scholz nicht verlassen hatte, sondern der geblieben und der praktisch zeitgleich aus der FDP ausgetreten war.
Weiterlesen →Wiedervereinigt für Wohlstand, nicht für Demokratie
35 Jahre ist es jetzt her, dass mutige Menschen zuerst in Leipzig und später dann in vielen Städten der damaligen DDR auf die Straße gegangen sind und mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ eine Diktatur zunächst ins Wanken und dann zu Fall gebracht haben. Wenn mich meine Erinnerung nicht trübt und ich genauer hinschaue, dann ist bei mir aus dieser Zeit folgendes hängengeblieben: Es waren nicht die „bösen westdeutschen Kapitalisten“, die es kaum erwarten konnten, sich auf einen kolonialistischen Beutezug nach Ostdeutschland auf den Weg zu machen. Das Tempo und das Verfahren, wie die Deutsche Einheit hergestellt werden sollte, wurde ganz wesentlich durch die Wählerinnen und Wähler in Ostdeutschland „erzwungen“.
Was viele politische Akteure auch nicht wahrhaben wollten oder vielleicht auch nicht gesehen haben: Schon unmittelbar nach der Wende kristallisierte sich in der ehemaligen DDR ein beachtlicher rechtsextremer Bevölkerungsanteil heraus, der zwar zu der herrschenden SED Diktatur in Opposition stand, aber mit der „liberalen Demokratie „westlicher Prägung“ nichts am Hut hatte.
Fragen deutscher Identität – unbearbeitet und unbeantwortet
„Der vormundschaftliche Staat“: In kaum einem der zur Zeit so erfolgreichen Bücher über die Ostdeutschen fehlt dieser Hinweis auf den Charakter des untergegangenen Staates namens Deutsche Demokratische Republik (DDR), der im Namen des Sozialismus „vormundschaftlich“ von der Wiege bis zur Bahre das Leben seiner Bewohnerinnen und Bewohner geregelt und gelenkt und ausgeforscht hat. Die Zuschreibung benutzen Bestsellerautoren wie Steffen Mau oder Dirk Oschmann, aber auch Ines Geipel oder Ilko-Sascha Kowalczuk, um zu beschreiben, warum sich so viele Ostdeutsche mit der Demokratie und den tragenden Institutionen einer pluralistischen Zivilgesellschaft wie Parteien, Kirchen, Verbänden oder Gewerkschaften immer noch schwer tun, warum sie gegen den Westen, die USA, die Nato und Waffenlieferungen an die Ukraine sind. Und neuen (rechtsextremen bis nationalistischen) Vormündern hinterherlaufen, die vorgeben, das Leben an der Seite des Bruderlandes Russland wieder so überschaubar und geregelt wie im einstigen vormundschaftlichen Staat machen zu wollen.
Weiterlesen →Spekulatives über Folgen für die deutsche Politik
Die Ungewissheit des Ausgangs der Wahl in Amerika lähmte in den vergangenen Monaten auch in Deutschland politische Prozesse und führte zum Aufschub politischer Klärungen und Entscheidungen bis nach dieser Wahl. Insofern kann der Wahlausgang, je nachdem, ob Harris oder Trump gewinnt, gleichsam auch zum Scheidepunkt politischer Prozesse in Deutschland werden. Ab Mitternacht (MEZ) des 5. November dürften erste Prognosen (aus Indiana und Kentucky) vorliegen, gegen 1 Uhr werden dann die Wahllokale im ersten Swing State (Georgia) schließen, der 2020 an Biden ging. Vorab einige Spekulationen darüber, was es für die Ampelparteien, die Union, die Schuldenbremse, das AfD-Verbotsverfahren, die Brandmauer gegen rechts und den Ukrainekrieg bedeutet, wenn Harris gewinnt, und was, wenn Trump gewinnt.
Weiterlesen →Der Kampf um Amerikas Zukunft geht erst richtig los, wenn die Wahllokale schließen
Wir stehen unmittelbar vor einer Wahl, die über weit mehr als die US-amerikanische Präsidentschaft entscheidet. Über den Wahlkampf zwischen Donald Trump und Kamala Harris wurde schon viel gesagt, deshalb ersparen wir Ihnen hier Wiederholungen. Um es zusammenzufassen: Trump verspricht das rechtsstaatlich verfasste amerikanische politische System in weiten Teilen auszuhöhlen, Millionen von Menschen abzuschieben und schon am ersten Tag seiner Amtszeit eine Diktatur zu errichten. Wir glauben, dass wir ihn ernst nehmen sollten. Harris hingegen hat mehrere moderate politische Versprechen gemacht, vor allem aber hat sie versprochen, nicht das zu tun, was Trump vorhat. Diese Wahl – sowohl des Präsidenten bzw. der Präsidentin, als auch des Kongresses – wird sich auf Millionen Menschen auswirken, in den USA und anderswo.
Weiterlesen →Treffen sich ein Hamster und ein Rad
Was Massenmedien als Information anbieten, unterliegt der Logik öffentlicher Kommunikation. Sie verlangt als erstes, das gehört zum Grundschulwissen, die Aufmerksamkeit eines Publikums. Auch wie Aufmerksamkeit gewonnen werden kann, hat, dank Social Media, weit über die Expertise der Medien- und Kommunikationswissenschaften hinaus inzwischen in den Alltag Einzug gehalten: Dramatisieren, emotionalisieren, personalisieren, skandalisieren und alles am besten im Superlativ. So entsteht eine massenmediale Wirklichkeit aus Aufregung und Geschrei, Highlights und Abgründen, Streitereien und Beleidigungen, Krisen und Katastrophen. Ob ein Hamster und ein Rad aufeinander treffen oder ein Massenmedium (auch so ein winziges wie Bruchstücke) und eine freie Öffentlichkeit, die Folgen sind absehbar.
Weiterlesen →Enttäuschung und Zorn einer Jazz-Ikone
Archie Shepp ist eine Ikone des freien Jazz . Er war ein enger Freund und Weggefährte des stilbildenden Saxofonisten John Coltrane und u.a. an den wichtigen Coltrane-Platten, “A Love Supreme“ und “Ascension“ beteiligt. Außerdem ist Shepp einer der herausragenden Intellektuellen der Black Community der vergangenen 50 Jahre. Als Aktivist, Musiker und langjähriger Professor für Afroamerikanische Studien hat er Generationen von insbesondere schwarzen Jazzmusikern maßgeblich mitgeprägt. Anlässlich des Enjoy Jazz Festivals 2016 – das Festival findet jährlich im Oktober und November in den Städten der Rhein-Neckar-Region Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen statt – führte Enjoy Jazz mit Archie Shepp kurz nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten ein Interview, das noch heute von erstaunlicher Aktualität ist.
Weiterlesen →Glaubt ihm
Ich nehme alles zurück. Ich dachte, die diesjährige Oktober-Überraschung sei die Tatsache, dass Trumps Geisteszustand so stark nachgelassen hatte, dass er keinen zusammenhängenden Wahlkampf führen konnte. Es stellt sich heraus, dass die Oktober-Überraschung 2024 die faschistische Kundgebung der Trump-Kampagne im Madison Square Garden war, eine Kundgebung, die so extrem war, dass republikanische Kandidaten für ein Amt sie in Social Media verurteilen.
Es stand außer Frage, dass diese Kundgebung nichts anderes sein würde als ein Versuch, Trumps Basis aufzuhetzen. Der Plan für eine Kundgebung im Madison Square Garden selbst erinnerte bewusst an seinen Vorgänger: eine Nazi-Kundgebung im alten Madison Square Garden am 20. Februar 1939. Zu dieser Veranstaltung im Zeichen des „wahren Amerikanismus“ kamen etwa 18.000 Menschen, die auf einer Bühne mit einem riesigen Porträt von George Washington in der Uniform seiner Kontinentalarmee, das von Hakenkreuzen flankiert wurde, zusammentrafen.
Wildwest im Ostend? Was Frankfurt mit der US-Wahl zu tun hat
Am Abend des 19. November 2020 glaubte Chris Krebs, Fachmann für IT-Sicherheit, „die gefährlichsten eindreiviertel Stunden Fernsehen in der amerikanischen Geschichte“ zu erleben, „und vielleicht die verrücktesten.“ Kurz zuvor hatte er noch die US-Behörde für Cyber- und Infrastruktursicherheit (CISA) geleitet und in dieser Funktion die Integrität der Wahlen vom 3.11.2020 überprüft, die von Joe Biden mit Kamala Harris als Vizepräsidentin gewonnen wurden. Krebs erklärte offiziell, die Wahlen seien aus der Sicht seiner Behörde ordnungsgemäß verlaufen und die Auszählungen fehlerfrei. Die Fälschungssicherheit digital gestützter Verfahren sei dadurch gewährleistet, dass jede einzelne Stimme in Papierform aufbewahrt werde und Prüfungen daher jederzeit durch händische Nachzählungen möglich seien. Stunden später wurde er vom noch amtierenden Präsidenten Donald Trump fristlos gefeuert.
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