Die CDU hat die Landtagswahl gewonnen und Armin Laschet steht gut da. Der feuchte Traum der AfD hat sich nicht erfüllt, sie verlor 3,4% und 14 von 15 Direktmandaten – nicht mehr als ein Dämpfer. Durch den Wiedereinzug der FDP erhöhen sich die Koalitionsmöglichkeiten der CDU in einem Parlament, das von Parteien rechts der politischen Mittellinie dominiert wird. In den meisten Wahlkreisen kommen die Parteien links zusammen nicht einmal mehr auf ein Viertel der Stimmen. DIE LINKE sieht nach dem erneuten Debakel schweren Zeiten entgegen. Der vollständige, 33seitige Wahlnachtbericht ist hier zu finden. Im Folgenden einige Auszüge.
Die konfrontative politische Auseinandersetzung mit der AfD hat die CDU in Sachsen-Anhalt gescheut, nicht zuletzt, weil maßgebliche Kräfte in ihren eigenen Reihen mit einer Zusammenarbeit mit der antidemokratische Partei liebäugel(te)n. Allerdings versperrte Haseloff durch seine erneute Kandidatur zunächst diesen Weg und schloss jegliche Zusammenarbeit mit der AfD im Landtag aus. Die »Brandmauer« soll Bestand haben, gleichzeitig mied die CDU »eine direkte Auseinandersetzung mit der völkisch-nationalen Konkurrenz (…). Man hat sich offenbar entschlossen, den blauen Elefanten im Raum zu ignorieren. Es ist ein Fehler mit Tradition.« (Ulrike Nimmt, SZ 5.6.2021) Der »Fehler«, das Ignorien reicht weit zurück, etwa bis zu dem aus Westdeutschland importierten sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der in den 1990er meinte, seine neuen Landsleute seien »immun« gegen den Rechtsextremismus. Ist es lediglich eine Ironie der Geschichte, dass Biedenkopf damit die Linie der DDR-Führung, das Beschweigen von Rechtsextremismus und Nationalismus unter DDR-Jugendlichen fortsetzte? Bereits Anfang der 1990er Jahre waren westdeutsche Kader der NPD in den Osten gereist, um rechte Netzwerke aufzubauen. Gauland, Höcke sind da nur Nachahmer, und die Ost-CDU steht ja angeblich auch auf Leuten aus dem Westen wie Maaßen, Merz, Söder.
Versäumnisse und Versagen in den letzten dreißig Jahren reichen bis weit in die 1990er Jahre zurück. 1998 wählten etwa 30% der jungen Männer in Sachsen-Anhalt, wenn sie denn wählten, die rechtsextreme DVU. Sie waren zu Wendezeiten bestenfalls 25 Jahre, im Regelfall jünger und viele nicht einmal 18 Jahre (siehe meinen Vorwahlbericht). Sie bildeten 2016 und bilden noch heute das im sozialen Alltag präsente Rückgrat der AfD-Wahlerfolge nicht nur in Sachsen-Anhalt. Ihre Erfahrungen sind geprägt vom Nationalen der »Wir sind das Volk«-Euphorie, welche auch Helmut Kohl und die Union gut zu nutzen wusste. Enttäuschte Hoffnungen auf ein gutes Leben unter den Bedingungen des westdeutschen Wohlfahrtsstaates der frühen 1980er Jahre folgten. Es galt das Credo der CDU: Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt, Demokratie, demokratische Beteiligung und Politik stören da nur.
Mit Marktwirtschaft und Kapitalismus kamen aber nicht Demokratie und Hoheit über die eigene Biografie in die Dörfer, Städte, Betriebe. Gleichwohl hing man weiter den ideologischen Illusionen nach, es handele sich bei Kapitalismus und Demokratie um eineiige Zwillinge und Demokraten fielen sozusagen vom Himmel. Stattdessen wurden Alltagserfahrungen vom Autoritarismus der Marktzwänge, des Kapitals geprägt, denen man nicht nur wegen fehlender, zuweilen sogar trotz vorhandener Tarifverträge, Betriebsräten und betrieblicher Mitbestimmung ohnmächtig überlassen war. Die AfD hat das – in West wie Ost vorhandene – antidemokratische Potential gehoben – und erneut gebunden.
Die Wahlbeteiligung blieb mit über 60% etwa auf dem Niveau der Vorwahl, d.h. das landespolitische Interesse blieb im Vergleich zu früheren Wahlen hoch. Der Briefwahl-Anteil verdoppelte sich auf etwa 29%, aber lag deutlich niedriger als bei den beiden Frühjahrswahlen. War er es bei der Vorwahl insbesondere die AfD, die Nichtwähler mobilisieren und zur gestiegenen Wahlbeteiligung beitragen konnte, so war es dieses Mal vor allem die CDU. Linke Parteien verzeichneten keine beachtenswerten Nichtwähler-Mobilisierungen. Aufgrund zahlreicher Überhang- und Ausgleichsmandate wir der neue Landtag nicht von 83, sondern 97 Abgeordneten gebildet.
Die CDU ist mit einem Plus von 7,4 Prozentpunkten die klare Gewinnerin am Wahlabend. Sie legt so stark zu wie seit dem Wahlsieg von Armin Laschet über Hannelore Kraft nicht mehr. Sie gewinnt 40 der 41 Direktmandate. Der Wahlerfolg kann als persönlicher Erfolg des parteiübergreifend geschätzten Ministerpräsidenten Reiner Haseloff gelten. Hasselhoff hatte sich im Landesverband, unter anderem gegen seinen ehemaligen Innenminister Stahlknecht, mit seiner Linie, jegliche Zusammenarbeit mit der AfD abzulehnen, durchgesetzt. Unter den CDU-Anhängern stieß diese »Brandmauer« auf deutliche Zustimmung. Insofern verdankt sich der eine oder andere gewonnene Prozentpunkt auch einer Zuspitzung der Wahlentscheidung auf die Frage, ob die AfD oder die CDU stärkste Partei würden. Hiervon, von der parteiübergreifend unterstützten Einstellung gegen die AfD, profitierten bereits die Amtsinhaber in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Allerdings dürfte dies nur einen kleineren Teil des Wahlerfolges der CDU ausmachen. Darüber sollte nicht vergessen werden, dass Haseloff der mit großem Abstand bekannteste und beliebteste Politiker des Landes ist, als guter Vertreter der (ostdeutschen) Landesinteressen im Bund gilt und eine Landesregierung anführt, die höhere Zufriedenheitswerte vorweisen kann als die Vorgängerregierung. Bundespolitisch ist der Sieg von Haseloff auch ein Sieg des Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Das Signal aus Magdeburg lautet: Mit Armin Laschet lässt sich das Kanzleramt verteidigen.
Die AfD erleidet Verluste (-3,4%) bleibt aber insgesamt aber relativ stabil. Es wird kaum noch möglich sein, die Wahl der Partei, deren Landesverband zum rechtsradikalen Flügel der Bundespartei zählt, noch als politisch ungerichteten Protest zu verharmlosen. Im Gegenteil: die AfD hat Kompetenzzuschreibungen auf einer Reihe von Politikfeldern hinzugewonnen Die AfD hat mit ihren Erfolgen das deutsche Parteiensystem nachhaltig verändert. Ein wichtiges Wahlziel hat die Partei nicht erreicht: Die CDU bleibt die mit Abstand stärkste Partei, damit scheitert ihr Vorhaben, direkten Einfluss auf die Regierungsbildung in Sachsen-Anhalt zu gewinnen. Auch kann sie nicht länger hoffen, dass die innerparteilichen Richtungskämpfe in der Union im Vorfeld der Bundestagswahl sich noch verschärfen werden. Die Enttäuschung darüber war ihren Vertretern am Wahlabend anzumerken. Hinzukommt: Die Partei verliert 14 ihrer 15 Direktmandate mit zum Teil sehr deutlichen Ergebnissen an die CDU. Allein im Wahlkreis 41 Zeitz kann Lothar Wähler sein Direktmandat knapp mit 27,1% der Erststimmen verteidigen. Die AfD ist in keinem Wahlkreis mehr stärkste Zweitstimmen-Partei, was ihr 2016 in 8 der 43 Wahlkreise gelungen war.
Die kleineren Regierungsparteien und die linke Oppositionspartei gingen mit dem Handicap in die Wahl, dass sie keine Alternative zu Reiner Hasselhoff und einer von der CDU geführten Regierung anbieten konnten. Auch sie mussten hoffen und hofften, dass die CDU stärker als die AfD bleiben würde. Eine Mehrheit gegen CDU und AfD war nicht im glaubwürdigen politischen Angebot. Insofern blieb SPD, Grünen und FDP ein Wahlkampf, in dem sie immer auch als Konkurrenten um die Gunst der CDU auftraten, ein Spielanordnung, bei der die Linke gar nicht erst auf dem Spielfeld stand. Entsprechend fielen die Ergebnisse aus.
Die SPD verlor erneut, erreicht mit einem einstelligen Ergebnis von 8,4% sächsisches und bayrisches Niveau. Für Olaf Scholz bedeutet das eine ordentliche Bruchlandung auf der Reise ins Kanzleramt. Keine Wende in den Umfragen, keine Wende in Sachsen-Anhalt – wie glaubwürdig kann da der Anspruch, Kanzler werden zu können, noch vermittelt werden? SPD – wie Linke – verloren weiter an Ansehen in ihrer Kernkompetenz, für soziale Gerechtigkeit sorgen zu können.
Für die Grünen stellt der kleine Zugewinn von 0,7% tatsächlich eine herbe Niederlage dar. Sie bleiben die kleinste Partei im Landtag. Der bundesweite Höhenflug findet in Sachsen-Anhalt nicht statt, das Ziel, zweistellig zu werden, bleibt in weiter Ferne. Annalena Baerbock entfaltet ähnlich geringe Zugkraft wie Olaf Scholz. Die Umfragen zeigen, dass eine deutliche (relative) Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger den Grünen die größte Kompetenz unter allen Parteien in Sachen Umwelt- und Klimaschutz zubilligt, eine deutliche absolute Mehrheit aber die Auffassung vertritt, dass es wichtigere wahlentscheidende Probleme im Land gibt. Da sich die Leugner des menschengemachten Klimawandels und jene Kritikerinnen, die die Notwendigkeit klimapolitischer Maßnahmen bestreiten, überwiegend bei der AfD versammeln, kann das Wahlergebnis der Grünen auch so interpretiert werden, dass einer Mehrheit die klimapolitischen Ambitionen der anderen Parteien ausreichend erscheinen: der Durchbruch zum »grünen Kapitalismus« ist ja vollbracht – siehe Kohle-Ausstieg in Sachsen-Anhalt – die Richtung stimmt ja.
Die FDP schafft mit 6,4% den sicheren Wiedereinzug in den Landtag nach zwei Legislaturperioden Abwesenheit. Allein das macht sie bereits zu einer Siegerin des Wahlabends. Gleichzeitig bereichert sie mit ihrem Einzug die möglichen Varianten einer Koalitionsbildung. Das kann ein Gewinn für den politischen Wettbewerb im demokratischen Parteienlager sein, wenn es mehr als eine Option gegen eine Beteiligung der AfD an der Regierung gibt (siehe den Abschnitt »Regierungsbildung«). Andererseits ist damit eine weitere Partei wieder im Landtag vertreten, die marktfreundlichen und nationalkonservativen Positionen nahe steht.
Die LINKE erlebte einen desaströsen Wahlabend und erleidet die größten Verluste aller Parteien (-5,4%). Sie erzielt mit 11% das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte in Sachsen-Anhalt. Das ursprünglich vom Landesvorsitzenden Stefan Gebhardt ausgerufene Wahlziel von 20 Prozent plus X wurde grandios verfehlt. Eine Trendwende zumindest, ein leichtes Plus nach den dramatische Verlusten von 2016, gelang ebenfalls nicht. Stattdessen reiht sich die Landespartei in den Wahlergebnisse von Brandenburg und Sachsen ein. Dennoch bleibt sie drittstärkste Kraft im Landtag – die größte Fraktion unter den kleinen…. Besonders bedenklich stimmt, dass dieses Ergebnis als linke Oppositionspartei im Landtag erzielt wurde, die sich nicht nur gegen die Landesregierung, sondern ebenso gegen die rechte Oppositionspartei Gehör verschaffen und ihre Themen setzen musste. Gleichzeitig erlitt sie in der parteipolitischen Konstellation den oben beschriebenen Bedeutungsverlust, für eine Regierungsbildung ohne AfD nicht im Spiel zu sein. Seitens der Bundespartei blieb bundespolitischer Rückenwind aus, nicht zuletzt wegen der lang anhaltenden innerparteilichen Blockaden in wichtigen strategischen Fragen der programmatischen Erneuerung, aber auch weil in einem schrumpfenden Flächenland, in dem es lediglich zwei mittelgroße Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern gibt, das Konzept einer bewegungsorientierte Parteiarbeit sich nur schwer tun kann.
Von den kleineren Parteien schneiden die Freien Wähler mit 3,1% der gültigen Zweitstimmen am besten ab, verfehlen aber den Einzug in den Landtag deutlich. Im Norden des Landes erreichen sie im Wahlkreis Zavelberg 14,8% und in Stendal 8,2% der Zweitstimmen. Von den beiden »Querdenker«-Parteien schneidet dieBasis mit 1,5% oder knapp 16.000 Stimmen am besten ab. Die konkurrierende Partei WiR2020 kommt nur auf ein Zehntel der Zweitstimmen. Die NPD verliert 1,6%punkte auf nunmehr 0,3%.
Das Wahlergebnis insgesamt ergibt unterm Strich ein Bild relativer politischer Stabilität. Nach dem großen Umbruch 2016 blieben weitere Erschütterungen aus. Die AfD ist zu einer mittelgroßen Partei aufgestiegen, andere Parteien sind zu kleinen Parteien abgestiegen. Diese relative Ruhe in der Wählerinnen-Volatilität ist indes wohl nur eine trügerische. In Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt werden die Mehrheiten gegen die rechtsradikalen, gegen den völkischen Autoritarismus von politischen Persönlichkeiten aus völlig unterschiedlichen Parteien angeführt. Ähnlich wie zuletzt in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kommt es für diese Stabilität auf das Vertrauen in politische Persönlichkeiten an, Mehrheiten und damit die relative Stabilität können schnell verloren gehen, wenn der personelle Wechsel an der Spitze misslingt.
In Sachsen-Anhalt hat diese relative Stabilität indes wie auch in Sachsen eine deutliche Rechtsverschiebung der politischen Kräfteverhältnisse im Gepäck: In den meisten Wahlkreisen erreichen die Parteien links der politischen Mittellinie des Parteiensystems kaum noch ein Viertel der Stimmen. In der Landeshauptstadt Magdeburg sind es zusammen immerhin noch 36,4%, in Halle 35,8% und in Dessau-Roßlau 32,6%.
2 Kommentare