Wer vom Afghanistan-Krieg profitierte

Foto: Damir Spanic auf Unsplash

Die USA haben Milliarden in Afghanistan verlocht, geht die Erzählung. Das ist nur die halbe Wahrheit. 20 Jahre nach nach 9/11 sind die USA raus aus Afghanistan. Ob der „Krieg gegen den Terror“ dort ein halber Erfolg war oder eine komplette Niederlage, darüber streiten sich Experten. Einig sind sie sich aber in der Regel in einem Punkt: der Krieg in Afghanistan hat die USA sehr, sehr viel Geld gekostet. Aber die Staatskasse ist nicht die ganze Wirtschaft. Es gibt auch noch die Unternehmen und unter diesen die Waffenindustrie.

Seit dem 18. September 2001 haben die Vereinigten Staaten insgesamt 2,26 Billionen (2260 Milliarden) Dollar für den Afghanistan-Krieg ausgegeben, 300 Millionen Dollar pro Tag. Das sind 40.000 Dollar für jeden Einwohner Afghanistans, rechnet „Forbes“ nach Zahlen des Projekts „Costs of Wa“» der Brown University Rhode Island vor. Die Kosten der Evakuierungsaktion sind darin noch nicht eingeschlossen.
«Costs of War» rechnet mit noch höheren Summen, wenn Folgekosten wie die Versorgung von Veteranen oder Zinszahlungen dazugezählt werden. 800 Milliarden Dollar flossen in die direkte Kriegsführung in Afghanistan und 85 Milliarden Dollar in die Ausbildung der afghanischen Armee.

Aus dieser Perspektive war der Afghanistan-Krieg ein finanzielles Desaster. Wechselt man die Sichtweise, war er ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen.

Die Wirtschaft eines Landes besteht nicht aus der Staatskasse allein. Dass Kriege die Wirtschaft ankurbeln, ist eine alte Weisheit. Der US-Börsenindex «Standard and Poor’s 500», kurz S&P 500, zu dem 500 grosse US-Unternehmen gehören, hat sich seit dem 18. September 2001, dem Tag der Ermächtigung durch US-Präsident George W. Bush, etwa versechsfacht. Wer damals 1000 Dollar in den Index investiert hätte, besässe im August 2021 vor Steuern 6100 Dollar, führt der „Intercept“ aus.

Profitiert haben die grossen Waffenschmieden

Die grossen Waffenschmieden sind Teil des S&P 500 und hatten einen besonders guten Lauf. Der Wert von Northrop Grumman und des weltweit grössten Waffenherstellers Lockheed Martin hat sich verzwölffacht, der von Boeing verzehnfacht, die Aktie von General Dynamics war im August immerhin sechsmal so viel wert wie vor 20 Jahren. Ausser Boeing erhalten diese Unternehmen den grössten Teil ihres Einkommens von der US-Regierung.

Entwicklung der Kurse von Lockheed Martin (LMT), blau; Boeing (BA), grün; Northrop Grumman (NOC), orange; General Dynamics (GD) violett, und dem S&P 500-Index (schwarz) seit Q4/2001 im Vergleich. Erstellt mit barchart.com. © Daniela Gschweng

Zeitweise befanden sich dreimal mehr nicht-militärische Angestellte als Soldaten für die USA in Afghanistan. Neben Soldaten und Kriegsmaterial braucht eine Armee eben auch Techniker, Übersetzer, Köche, Fahrer, Treibstoff, Verpflegung und so weiter. Zum nicht-militärischen Personal zählen auch „militärische Sicherheitsdienstleister“, zu Deutsch: Moderne Söldner. Angestellte etwa des berüchtigten Unternehmens Blackwater, das inzwischen Academi heisst, oder der russischen Wagner-Gruppe spielen in vielen Kriegen eine Rolle, worüber Regierungen aber ungern sprechen.

Private Sicherheitsdienste kassierten, Exxon lieferte den Sprit

Profitiert haben daher auch Unternehmen wie der Sicherheitsdienstleister DynCorp International, der 2,5 Milliarden Dollar dafür bekam, afghanische Polizeikräfte auszubilden, der texanische Anlagenbauer Fluor und der Flughafenbetreiber KBR.

DynCorp, das der Kapitalgesellschaft Cerberus Capital Management gehört, finanziert sich laut dem US-Magazin „Daily Beas“» fast ausschliesslich durch US-Staatsgelder. Das Unternehmen nahm in Afghanistan auch andere Aufgaben wahr, es stellte beispielsweise die Bodyguards für den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai und managte Bauprojekte. Es kam bei DynCorp mehrmals zu Unregelmässigkeiten, von denen einige nicht vollständig aufgeklärt wurden.

An die Fluor Corporation bezahlte das US-Verteidigungsministerium 3,8 Milliarden Dollar, den grössten Teil davon für Logistikaufgaben, die das Unternehmen für das US-Militär auch in anderen Ländern wahrnimmt. Eine innovative Anlage, die am Stützpunkt Bagram Speiseöl in Biodiesel verwandelte, um die Müllverbrennung zu betreiben, war vermutlich keine echte Einschränkung für ExxonMobil, das den Treibstoff für die Afghanistan-Mission lieferte und dabei wohl auch gut verdiente.

Gebracht hat der Krieg auch Drohnen- und Überwachungstechnologie

Auch andere Gewinne meist privatwirtschaftlicher Firmen bleiben wahrscheinlich unbeziffert: diejenigen im technologischen Bereich zum Beispiel. Die e-Technologie hat sich während des 20-jährigen Antiterrorkriegs substanziell weiterentwickelt, man denke etwa an den Drohnenkrieg einschliesslich der Tötung aus der Ferne, die oftmals die Falschen traf. Drohnen sind inzwischen weit verbreitet, auch Terrororganisationen experimentieren damit. Den Drohnenkrieg will die US-Regierung so schnell auch nicht beenden, weder in Afghanistan noch anderswo.

Dazu kommt Know-how aus der Entwicklung von (halb)autonomen Waffen und Überwachungstechnologien, letztere auch im US-Inland. Zahlreiche US-Unternehmen haben daran mitgewirkt, zum Beispiel Google mit dem AI-Projekt „Maven“, in dem künstliche Intelligenz Satellitenbilder für den Einsatz in militärischen Drohnen analysieren sollte (nach Protesten von Angestellten gab Google „Maven“ 2019 an ein anderes Unternehmen ab).

Weiterführende Informationen

Dieser Beitrag erschien zuerst auf INFOsperber.
Die täglich aktualisierte Online-Zeitung Infosperber, hinter der die gemeinnützige «Schweizerische Stiftung zur Förderung unabhängiger Information» SSUI steht, gibt es seit dem 21. März 2011.

Daniela Gschweng
Daniela Gschweng ist freischaffende Journalistin und ausgebildete Informatikerin.

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