Die CDU hat sich mit Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze in sechzehn erfolgreichen Jahren fast zu Tode gesiegt. Ihr Zustand ist erbärmlich, keine Frage. Wo liegt die Rettung vor dem Absturz, wo der programmatische Stoff für den Wiederaufstieg? Alle reden von Erneuerung, noch niemand weiß, wie sie gehen, worin sie sie bestehen soll. Und: Viel spricht dafür, dass die CDU an ihrem Tiefpunkt noch nicht angekommen ist. Vermutlich steht er mit den Landtagswahlen (Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen) im ersten Halbjahr 2022 erst bevor. Aber egal wie tief es noch geht, eines sollte die CDU unbedingt beachten: Das Populismus-Modell Markus Söder — liebes Volk, ich bin Euer Macher, wählt mich, Partei ziemlich unwichtig! — endete jüngst im Nachbarland Österreich nach wenigen Jahren mit einem Crash.
Seit dem 4. Dezember läuft die Mitgliederbefragung: Wer wird neuer Vorsitzender der CDU? Das Ergebnis steht am 17. Dezember fest; erhält keiner die absolute Mehrheit, dann kommt es am 14. Januar zu einer Stichwahl. Offiziell wird dann auf dem Parteitag am 21. und 22. Januar in Hannover gewählt.
Egal wie die Wahl ausgeht: Herauskommen wird ein Übergangskandidat. Ob Daniel Günther, Tobias Hans oder Hendrik Wüst, die vergleichsweise jungen Ministerpräsidenten warten in ihrer jeweiligen Provinz, bis sich in Berlin die Nebel wenigstens etwas gelichtet haben. Sie tun gut daran sich zu schonen, ahnen sie doch, wie ruinös die Lage der CDU Ende 2022, also nach insgesamt vier Landtagswahlen sein wird. Und sie haben vor allem, wenn nichts dazwischen kommt, im Gegensatz zu den offiziellen Kandidaten (Norbert Röttgen, Friedrich Merz, Helge Braun) noch viele Jahre politischen Lebens vor sich.
Der Ausgang der Wahl ist offen. Klar ist dagegen: Eine Variante der Erneuerung scheint weniger denn je erfolgversprechend zu sein — das Modell Markus Söder. Das geht so: Söder hatte in diesem Frühjahr — im Kampf gegen Armin Laschet um die Kanzlerkandidatur — die Grenze vom populären zum populistischen Politiker überschritten. Der Populist sieht sich als Stimme, Anwalt des Volkes und versteht sich als dessen Anführer. Parteien und deren Gremien werden bestenfalls zur Dekoration ausgestellt. Demoskopie wird zum Instrument der Demagogie, der Wille des Volkes, die Meinung der Parteibasis werden einerseits nach Bedarf ausgelegt, andererseits notfalls gegen Establishment und Eliten mobilisiert und durchgesetzt.
Der Kampf gegen die „Hinterzimmer“
Wolfgang Schäuble hat damals in Interviews diesen entscheidenden Punkt herausgearbeitet: Nötig seien Parteiprofil, klare Strukturen „und nicht nur Meinungsumfragen”. Würden Parteien und ihre Gremien gezielt geschwächt, dann setze das Entwicklungen in Gang, “wie man sie in den USA mit Trump erlebt hat oder die in Großbritannien zum Brexit geführt haben.” Söder zeigte damals, dieses Risiko wäre er eingegangen: Denn er demolierte über Wochen hinweg repräsentative Gremien einer demokratischen Partei, der CDU, als „Hinterzimmer“ und versuchte, vor allem mittels für ihn günstigen Umfrageergebnissen die Basis gegen dieses Establishment zu mobilisieren. Damit überschritt er (nicht rückholbar) bewusst die Grenze vom Populären ins Populistische. Es ging ihm um die Agitation gegen Gremien der repräsentativen Parteien-Demokratie.
Markus Söder machte damals, ohne ein Donald Trump zu sein, testweise einen Ausflug in dessen politische Welt. Könnte dieser Weg die CDU, die Union aus der Krise führen? Im Nachbarland Österreich zeigt das Beispiel des (inzwischen ehemaligen) Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP), wie dieser Weg über kurz oder lang in der Sackgasse mündet.
Vom Wunderkind zum Paria
Sebastian Kurz hat dieses Modell vorgemacht. Er schaltete in den Jahren 2015 und 2016 — wie es jetzt nach und nach an den Tag kommt — auch mit fragwürdig skrupellosen Methoden die damalige Führung seiner Partei aus, ließ sich auf Basis von (vermutlich zum Positiven gefälschten) Umfrageergebnissen zum Spitzenkandidaten der ÖVP ausrufen, erreichte zudem, dass alle Parteimacht bei ihm konzentriert wurde; die Landesverbände der ÖVP mit ihren Eliten hatten danach so gut wie nichts mehr zu sagen.
Das Ergebnis dieser Strategie: Sebastian Kurz wurde in knapp fünf Jahren vom politischen Wunderkind zum Paria. Im linksliberalen Wochenmagazin „Falter“, Wien, ist zu diesem Werdegang zu lesen:
„Kurz galt als Prototyp dafür, wie sich konservative Volksparteien einer smarten Frischzellenkur unterziehen und sich so vor dem Fall in die Bedeutungslosigkeit retten. Kurz war schneidig, fesch, entschlossen, politisch klar rechts blinkend, dabei aber stets artig und manierlich – schließlich wollte man nicht nur vom Proletariat gewählt werden, das von den Arbeiterführern der Sozialdemokratie und den Freiheitlichen enttäuscht war, sondern auch vom Bürgertum. Unter Kurz kam die ÖVP regelmäßig weit über 30 Prozent, das sind Traumwerte in einer zersplitterten Parteienlandschaft. Von Berlin und München aus blickte man nach Wien und fragte sich: Wie macht das der Sebastian nur?“
„Pandemie gemeistert, Krise bewältigt“
Jetzt macht Kurz politisch gar nichts mehr: Er musste vor Wochen wegen Korruptionsvorwürfen vom Amt des Bundeskanzlers zurücktreten. Und inzwischen wurde er von der von ihm jahrelang kaltgestellten Parteielite ins Aus gedrängt, er gab alle seine politischen Ämter auf und gab seinen (zumindest vorläufigen) Abschied aus der Politik bekannt.
Abgesehen von einer gewissen Skrupellosigkeit und einem lockeren Umgang mit Regeln und Recht scheinen zu dieser Strategie ein vergleichsweise enormer PR-Aufwand und auch eine gewisse populistische Großmäuligkeit zu gehören: So ließ Kurz seine Partei ÖVP noch in diesem Sommer plakatieren „Pandemie gemeistert, Krise bewältigt“; heute ist Österreich seit vielen Tagen im vierten Lockdown, die Infektionszahlen galoppieren, die Intensivstationen quellen über. Der „Falter“ rät: „Kurz’ Aufstieg und Fall sollte allen Parteien eine Warnung dafür sein, was passiert, wenn konservative Parteien sich einem rechtspopulistischen Anführer unterordnen.“