Geldschöpfung, Staatsanleihen, Staatsschulden und Schuldenbremse

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Die ideologiekritisch gemeinte Begründung für diesen Text liegt darin, dass es keinen Bereich in der Wirtschaftspolitik gibt, der so von Vorurteilen und verfestigten Mythen geprägt ist, wie die Frage der Finanzierung der Staaten über die Aufnahme von Krediten, anders gesagt, die Verschuldung der Staaten auf den Finanzmärkten.

Diese Mythenbildung hat mehrere Gründe.
> Einmal ist die Mehrheit der deutschen Ökonomen/innen von ordoliberalen Glaubenssätzen oder von der neoklassischen Gleichgewichtsutopie (Märkte tendieren von sich aus zum Gleichgewicht) geprägt, was auch für die große Mehrheit des Wirtschaftsjournalismus gilt.
> Zum anderen gibt es eine spezifisch deutsche Inflationsangst, die gerade bei Eingriffen des Staates in gesamtwirtschaftliche Kreisläufe aktiviert wird.
> Zudem werden die Zusammenhänge von Geld- und Kreditschöpfung in den meisten Lehrbüchern sachlich falsch dargestellt. Eine Ausnahme ist hier Peter Bofingers „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“, wo in der letzten Ausgabe von 2020 diese Prozesse meines Erachtens richtig dargestellt werden. Ich halte es für wichtig, dass es der politischen Linken gelingt, in diesen Fragen wieder Anschluss an das internationale Niveau der makroökonomischen Diskussion zu gewinnen.

1 Wie Staatsanleihen auf den Markt gebracht werden

Staatsanleihen werden via Tenderverfahren auf den Markt gebracht, also eine Auktion, die von der Finanzagentur des Bundes im Auftrag des Finanzministeriums eingeleitet wird. Die Staatsanleihen werden einer Bietergruppe von 36 großen Geschäftsbanken angeboten. Wer das beste Angebot, also den günstigsten Zins, bietet, kann die Staatsanleihen kaufen. Diese Ebene wird als Primärmarkt bezeichnet. Auf dem Sekundärmarkt bieten diese Geschäftsbanken die Staatsanleihen anderen Käufern an. Das sind andere Banken, Fonds, Versicherungen, auch Privatpersonen. Eine wichtige Rolle spielen hier Pensionsfonds und Geldmarktfonds.
Auf diesem Sekundärmarkt wird mit diesen Staatsanleihen gehandelt.

Wie bezahlen die 36 Geschäftsbanken die Staatsanleihen? Mit Zentralbankgeld, das sie auf ihren Konten bei der nationalen Zentralbank halten, in Deutschland also bei der Bundesbank im Europäischen System der nationalen Zentralbanken, das durch die EZB gesteuert wird. Jede Geschäftsbank hat ein Konto bei ihrer nationalen Zentralbank. Über dieses Konto laufen alle Transaktionen mit der Zentralbank und alle Transaktionen mit anderen Geschäftsbanken.

Auf die Rolle von Zentralbankgeld, dass die Geschäftsbanken von ihrer Zentralbank bekommen haben, hat Yannis Varoufakis (in der SZ vom 29./30.5. 2021) auf die Frage, wo das Geld der Investmentbanken herkommt, aufmerksam gemacht: Von der Federal Reserve, von der EZB.

„Seit Beginn der Pandemie sind 9 Trillionen Dollar gedruckt worden, 9 Trillionen in 14 Monaten“.

Das Geld, dass sich die Staaten über Staatsanleihen besorgt haben, um die wirtschaftlichen Kreisläufe zu stabilisieren, kommt von den Zentralbanken, nicht von privaten Investoren auf den Finanzmärkten. An die werden die Staatsanleihen weiterverkauft. Anders wäre es nicht möglich gewesen, so viel Geld in so kurzer Zeit zu mobilisieren.

Faktisch haben wir daher eine monetäre Staatsfinanzierung durch die Zentralbanken. Diese ist der EZB europarechtlich nur untersagt, wenn sie direkt auf dem Primärmarkt Staatsanleihen kaufen würde, wie dies andere nationale Zentralbanken machen. Auf dem Primärmarkt kaufen diese Staatsanleihen aber Geschäftsbanken. Die EZB bzw. ihre nationalen Zentralbanken kaufen Staatsanleihen nur auf dem Sekundärmarkt – sie kaufen den Geschäftsbanken und den Finanzinvestoren Staatsanleihen wieder ab.

Sinken die Kurse, steigen die Renditen

Der systematische Kauf von Staatsanleihen ist der Kern der unkonventionellen Geldpolitik der großen Zentralbanken.
Dieses Instrument wurde in der großen Finanzmarktkrise 2008 von der US Fed in großem Stil angewandt und die EZB hat es 2010 als mögliches Instrument angekündigt, jedoch nicht umgesetzt, so dass es in der sog. Eurokrise zu hohen Abweichungen (Spreads) zwischen den Zinsen auf deutsche Staatsanleihen und den Zinsen auf griechische, italienische, irische u.a. Staatsanleihen gekommen war.

Erst Mario Draghi hat in dieser „What ever it takes”-Rede 2012 angekündigt, gegebenenfalls davon Gebrauch zu machen und hat dadurch diese hohen Aufschläge auf den deutschen Zinssatz nach unten gedrückt. Wenn mit Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt gehandelt wird, bilden sich Kurse. Sinken die Kurse, so steigen die Renditen. Für Staatsanleihen hoch verschuldeter Länder ist das Risiko sinkender Kurse hoch, werden solche Staatsanleihen getilgt, so passiert das durch die Ausgabe von neuen Staatsanleihen. Diese werden aber nur gekauft, wenn ein höherer Zins angeboten wird. Die EZB nimmt dadurch Staatsanleihen aus dem Handel, so dass deren Kurs nicht fallen kann, bzw. ihre Ankündigung, Staatsanleihen zu kaufen, sorgt dafür, dass die Kurse stabil bleiben. Durch diese Praxis sind die Spreads zwischen deutschen und griechischen Staatsanleihen sehr gering geworden und der griechische oder italienische Staat kann weiter Staatsanleihen ausgeben und die Zinsen bezahlen. Daher habe ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Mai 2020, das meinte, diese Käufe von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt seien nicht verhältnismäßig, auch scharf kritisiert.

2 Kritik an der Staatsverschuldung

Dass Staatsanleihen und damit die Staatsverschuldung kritisch gesehen werden, liegt daran, dass viele, auch akademische Ökonomen den Staatshaushalt wie einen Einzelhaushalt betrachten und die Verfahren der Geldschöpfung im zweistufigen Bankensystem nicht kennen. In der wirtschaftspolitischen Debatte der 1970-er Jahre haben die neoliberalen und monetaristischen Ökonomen davon gesprochen, dass eine stärkere staatliche Kreditnachfrage einmal die Zinsen hochtreibt, weil mehr Kredite nachgefragt werden und zweitens private Investitionen dadurch verdrängt werden („Crowding out“). Hinter dieser Sicht stand und steht die Vorstellung, es gäbe so etwas wie einen fixen, also begrenzten Fonds von angespartem Kapital, das für Investitionen zur Verfügung steht.
Das war die Theorie der „Loanable Funds“. Diese bestehen aus den Ersparnissen plus der Geldschöpfung durch den Kreditmultiplikator. Dieser Multiplikator entsteht durch die Verwendung der Ersparnisse für Investitionen, die Gewinne abwerfen. Wenn diese ins Bankensystem zurückkommen, hat sich die Geldmenge, die zur Verfügung steht, erhöht. Das Modell lautet: Ersparnisse werden zu Investitionen und deren Gewinne erhöhen den Fonds der ausleihbaren Mittel.

Absurde Situation

John Maynard Keynes und vor ihm bereits Joseph Schumpeter haben jedoch gezeigt, dass dieses Modell zu einfach und daher falsch ist. Das realistische und daher wirklichkeitsnahe Modell lautet:

Zur Finanzierung von Investitionen sind keine Ersparnisse nötig, sondern Kredite. Kredite finanzieren Investitionen und Investitionen führen zu Einkommen, aus denen dann Ersparnisse gebildet werden.

Dagegen wurde eingewandt, dass für die Vergabe von Krediten vorher Ersparnisse gebildet werden müssen, die dann als Kredite ausgereicht werden. Dieser Einwand ist nur stichhaltig, wenn Banken Intermediäre sind, wenn sie also Kredite vergeben, die vorher als Einlagen oder Depositen bei ihnen hinterlegt wurden. Banken sind keine Intermediäre, sondern schaffen ihre Einlagen durch die Vergabe von Krediten selbst. Mit der Kreditvergabe wird neues Geld quasi aus dem Nichts geschöpft. (Siehe dazu auch M. Binswanger, Geld aus dem Nichts, 2015.) Inzwischen wird dieser Zusammenhang zwischen Banken, Zentralbanken und Nicht-Banken sowohl von der Bank of England wie auch von der Deutschen Bundesbank korrekt dargestellt. Die Bundesbank hat ihn in den Monatsberichten vom April 2017 und in einem Lehrbuch für die Oberstufe der Gymnasien beschrieben (Bundesbank 2017, 2019).

Wir haben inzwischen die absurde Situation, dass Oberschüler in Gymnasien eine Sicht lernen, die von Professoren der Volkswirtschaftslehre nicht gewusst oder sogar bestritten wird. Bis Mitte der 1980-er Jahre wurden diese Verfahren der Geld- und Kreditschöpfung durch das zweistufige Bankensystem noch gekannt, wie das ältere Lehrbücher zu Geld und Geldpolitik zeigen. Das zeigt, dass die Volkswirtschaftslehre eine akademische Disziplin ist, in der bereits erreichte Niveaus an Wissen wieder preisgegeben werden.

Bei der Vergabe von Krediten müssen bestimmte Regeln der bankgemäßen Rechnungslegung (IFRS) und internationaler Vereinbarungen (Basel III und IV) eingehalten werden. Werden die Kredite zurückgezahlt, wird dieses Geld wieder vernichtet. Diese Verfahren der Geldschöpfung über die Vergabe von Krediten kennen wir in der Wirtschaftsgeschichte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. In die wissenschaftliche Volkswirtschaftslehre hat diese Praxis Eingang gefunden durch den schwedischen Ökonomen Knut Wicksell (1898) und Joseph Schumpeter (1911). Keynes hat das 1930 weiter ausgebaut und die Geldschöpfung des Staates durch seine Zentralbank einbezogen (Fiat Money). Es ist daher umgekehrt:

Es kommt durch die über den öffentlichen Kredit finanzierten zusätzlichen Staatsausgaben nicht zu einer Verdrängung privater Investitionen, sondern diese werden durch die Ausweitung der staatlichen Nachfrage sogar angeregt. Es kommt zu mehr Investitionen und zu mehr Beschäftigung.

3 Die Verfahren der Geldschöpfung im zweistufigen Bankensystem

Die Geschäftsbanken schöpfen Buch- oder Giralgeld, die Zentralbank Zentralbankgeld. Die Verknüpfung dieser beiden Kreisläufe der Geldschöpfung finden auf den Konten der Geschäftsbanken bei ihrer nationalen Zentralbank statt. Die Geschäftsbanken müssen für ihre Kreditvergabe durch Buchgeld Mindestreserven von 1 % auf dieses Konto einzahlen. Dazu brauchen sie Zentralbankgeld. Das brauchen sie für die Transaktionen mit anderen Geschäftsbanken über diese Konten. Ferner brauchen sie Zentralbankgeld für das Bargeld, das sie ausgeben. An Zentralbankgeld kommen sie, wenn sie über Offenmarktgeschäfte und bestimmte Fazilitäten sich von ihrer Zentralbank gegen Sicherheiten, in erster Linie Staatsanleihen, Zentralbankgeld leihen. Mit dem sog. „Quantitative Easing“ hat die EZB die Geschäftsbanken in hohem Umfang mit Zentralbankgeld versorgt, als sich die Banken auf dem Geldmarkt nicht mehr selbst Kredite gegeben hatten. Die Leitzinsen wurden auf null gesenkt, der Einlagezins, den die Banken auf ihren Konten bei der Zentralbank bezahlen auf – 0,5 % abgesenkt. Dadurch haben die Geschäftsbanken ein starkes Motiv, Staatsanleihen zu kaufen, wenn die Rendite knapp unter – 0,5% liegt. Das wird komplettiert durch den Kauf von Wertpapieren (Staatsanleihen, Unternehmensanleihen) auf dem Sekundärmarkt.

4 Die Folgen der Schuldenbremse

Die deutsche Bundesregierung hat nach dem makroökonomisch richtigen Konjunkturprogramm 2009 einen fatalen Fehler gemacht, weil sie danach im Rahmen der sog. Föderalismusreform eine Schuldenbremse in ihre Verfassung geschrieben und diesen Mechanismus über den Fiskalpakt auch in der EU erzwungen hat. Dass die SPD dies unterstützt hat, obwohl die Gewerkschaftsökonomen massiv vor der Schuldenbremse gewarnt hatten, zeigt den weitgehenden Verfall des makroökonomischen Denkens in der SPD, der unter den Parteivorsitzenden Schröder und Müntefering stattgefunden hatte. Beide waren wirtschaftstheoretisch völlig desorientiert und haben sich deshalb an einer primitiven Form der neoklassischen Doktrinen orientiert, die ihnen von der Mehrheit des Sachverständigenrates präsentiert wurde. Das wurde nur 2009 unterbrochen, als in der Folge der internationalen Finanzmarktkrise und des massiven Einbruchs der Konjunktur eine kurze Phase expansiver Fiskalpolitik zwischengeschaltet wurde, die nach der Erholung der Konjunktur wieder durch die Politik der fiskalischen Austerität abgelöst wurde.

Diese restriktive Fiskalpolitik im Euroraum in der Folge des Fiskalpakts hat es erzwungen, dass die EZB auf eine expansive Geldpolitik übergegangen ist, um die Währungsunion vor ihrer Zerstörung in einer schweren, politisch selbst gemachten Wirtschaftskrise zu bewahren. In der sozialwissenschaftlichen Literatur wird diese Durchsetzung einer Austeritäts- oder Sparpolitik als „Ordoliberalisierung“ der EU bezeichnet. Der deutsche Ordoliberalismus ist keine ökonomische Wissenschaft, sondern ein Regelwerk von Moral- und Tugendlehren für sparsames Wirtschaften. Er hat in seiner Entstehungsgeschichte eine starke Basis in der pietistischen Variante des deutschen Protestantismus und ist in seinem harten theoretischen Kern vorwissenschaftlich.

Das zeigt aktuell Paul Kirchhof, der Negativzinsen für verfassungswidrig hält, weil sie in das Recht auf Vermehrung des eigenen Kapitals eingreifen. Das begründet er damit, dass Kapital „arbeitet“ und Zinsen die „Früchte des Kapitals“ sind (Kirchhof 2021; 6).
Karl Marx über diese Sicht gespottet (MEW 25; 405: „Es wird ganz so Eigenschaft des Geldes, Wert zu schaffen, Zins abzuwerfen, wie die eines Birnbaums, Birnen zu tragen“ – im zinstragenden Kapital ist dieser automatische Fetisch rein herausgearbeitet. Der Schweizer Ökonom H. C. Binswanger spricht zu Recht von einer „Glaubensgemeinschaft der Ökonomen“ und vom „sakralen Charakter des Geldes“ (Binswanger 2011).

5 Die Finanzialisierung

Seit der Mitte der 1980-er Jahre befinden wir uns in einer Phase der Finanzialisierung der Gesamtwirtschaft, die von einer Finanzialisierung der Unternehmen begleitet wird. Finanzialisierung bedeutet, dass die Produktion von Gütern und Dienstleistungen relativ rückläufig ist und der Handel mit Wertpapieren zunehmend die wirtschaftlichen Aktivitäten bestimmt. Im internationalen Maßstab bedeutet das, dass wir einen widersprüchlichen Zusammenhang von nationalen Schuldenökonomien und nationalen Exportwirtschaften sehen. Export- und Leistungsbilanzüberschüsse bestimmter Länder verfestigen sich, ebenso wie auf der Gegenseite die entsprechenden Defizite. Weltweit saldieren diese sich zu Null.

Die Schuldenökonomien sind nur die notwendige Kehrseite der Exportökonomie.

Die Vorstellung, alle Gesellschaften sollten Exportüberschüsse verzeichnen – sich also am Modell Deutschland orientieren – ist nur absurd. Es wird aber nicht in saldenmechanischen Zusammenhängen gedacht. Wegen dieser gravierenden Unterschiede zwischen strukturellen Exportökonomien wie Deutschland, China und Japan und den schuldengetriebenen Ökonomien, zu denen auch die USA gehören, verdeckt der neomarxistische Begriff eines „globalisierten Finanzmarktkapitalismus“ wichtige Unterschiede und ist analytisch wenig brauchbar.

Die Finanzialisierung wird getrieben von einer steigenden Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung, die Investitionen in die realwirtschaftlichen Sektoren bremst, weil im finanzwirtschaftlichen Sektor höhere Renditen erzielt werden können. Diese basieren aber nicht auf Gewinnen aus der Produktion, sondern aus Gewinnen aus Zirkulation von Wertpapieren und Spekulation. Insofern bleibt nur der Staat, der über seine Ausgaben und Investitionen den Überhang an anlagesuchendem Kapital abbauen kann. Diese Erkenntnis hat sich auch im Mainstream der internationalen Wirtschaftswissenschaft nach der sog. Eurokrise 2012 durchgesetzt (C.C. von Weizsäcker/ H. Krämer, Sparen und Investieren im 21. Jahrhundert, 2019). Auch im deutschen Finanzministerium ist diese Botschaft angekommen. Der Chefvolkswirt des Finanzministeriums, Jakob von Weizsäcker, war an den Diskussionen beteiligt, die zu diesem Buch seines Onkels und des keynesianischen Ökonomen Hagen Krämer, (der Mitglied der SPD ist), geführt haben. Es hat innerhalb des Finanzministeriums bereits vor dem Einsetzen der Pandemie ein makroökonomischer Kurswechsel eingesetzt.

6 Der Schattenbankensektor und die Rolle der Rückkaufvereinbarungen

Eine zunehmend größere Rolle auf den Geld- und Kapitalmärkten spielen Schattenbanken, also Institutionen, die, im Unterschied zu den Geschäftsbanken, selbst nicht Kredite und damit Geld schöpfen, sondern Kredite vermitteln, also Intermediäre sind. Sie werden anders als die Banken politisch nicht mit Vorschriften reguliert. Sie beschaffen sich Geld über Repos (=Repurchase agreement operations), das sind Wertpapiere, die sie verkaufen und wieder zurückkaufen. Diese werden durch Derivate, also Kreditausfallversicherungen, die andere Schattenbanken und Hedgefonds anbieten, besichert. Das unzureichende Angebot von sicheren Wertpapieren, wie Staatsanleihen, erhöht die Risiken, die mit dem Aufbau von Finanzblasen und damit von späteren Finanzkrisen verbunden sind.

Wir haben gegenwärtig akute Zeichen von Vermögensblasen sowohl auf den Immobilien- wie auf den Aktienmärkten. Das grundlegende Problem besteht hier in der völlig unzureichenden Regulierung des Schattenbankensektors, so dass die Zentralbanken gezwungen sind, auch den Finanzakteuren auf den Finanzmärkten, die selbst kein Geld schöpfen, weil sie keine Banken, sondern Intermediäre, also Kreditvermittler sind, den Zugang zu Zentralbankgeld ermöglichen.

Eine aktuelle Darstellung der Prozesse auf den Finanzmärkten finden wir in dem neuen Buch von Joscha Wullweber, Zentralbankenkapitalismus, das im Juni 2021 bei Suhrkamp erschienen ist. Wullweber bestätigt auch die hier referierte Sicht auf die Geld- und Kreditschöpfung. Diese wird auch bestätigt durch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags in der Expertise vom 18.12.2020 – Az: WD 4-3000-129/20.

Die Einführung von Finanztransaktionssteuern bleibt auf der Tagesordnung, weil die Finanzmärkte viel stärker politisch reguliert werden müssen. Der Ausbau kapitalgedeckter Alterssicherung, deren Erträge auf Finanzmärkten gesichert werden sollen, ist aus makroökonomischer Sicht grober Unfug. Umlagefinanzierte Sozialsysteme sind krisenfester. Über höhere Sozialversicherungsbeiträge steigende Arbeitskosten in Deutschland sind aus europäischer Sicht sinnvoll, weil sie die hohen Export- und Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands in der EU und in der Welt verringern helfen. Die steigende Inlandsnachfrage führt dann zu höheren Importen.

7 Was tun?

Die beste Lösung ist die Streichung der Schuldenbremse aus dem Grundgesetz. Die dazu erforderliche 2/3-Mehrheit ist auf absehbare Zeit nicht realistisch. Die Union und die FDP setzen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik eher auf ein Roll Back zu einer restriktiven Finanzpolitik. In der kurzen Frist kann es gelingen, die Aussetzung der Schuldenbremse zu verlängern und über Investitionsgesellschaften außerhalb der öffentlichen Haushalte die gesellschaftlich notwendigen Investitionen zu finanzieren. Das Streichen der Schuldenbremse wird Ziel sozialdemokratischer Wirtschafts- und Finanzpolitik bleiben. Die SPD hatte 2009 der Schuldenbremse zugestimmt, weil sie die Verfahren der Finanzierung von Staatsanleihen nicht verstanden hatte. Sie glaubte, dass die Staatsanleihen direkt von den Akteuren auf den Finanzmärkten gekauft würden. Der Weg über den Primärmarkt war ihr nicht bekannt. Die Schuldenbremse war als vertrauensbildender Akt gegenüber den Finanzmärkten gedacht. Sie sollte signalisieren, dass die Staaten in der Lage sind, ihre niedrigen Schulden zurück zu zahlen. Da die Zentralbanken unbeschränkt Geld schöpfen können, sind sie auf die Finanzmärkte zur Finanzierung ihrer Ausgaben nicht angewiesen.

Die Schuldenquote am BIP ist nur interessant als statistische Größe, nicht als Zielgröße. Auch Länder mit höheren Schuldenquoten am BIP, wie die USA (130 %) oder Japan (200 %) sind finanziell uneingeschränkt handlungsfähig und die ihre Volkswirtschaften sind funktionsfähig. Die neue amerikanische Regierung unter Joe Biden demonstriert dies gegenwärtig. Die angemessene Zielgröße ist die Zinsquote am BIP, also die Zinskosten für öffentliche Kredite, weil sie zeigt, wieviel Kreditaufnahme finanzierbar ist. Sollte es gelingen, Schuldenbremse und Fiskalpakt aufzuheben, wird die staatliche Kreditaufnahme ausgebaut. Eurobonds werden ausgegeben. Das Mandat der EZB wird dann entsprechend auf die Sicherung von Wachstum und Beschäftigung erweitert.

Kommt es zur Anwendung der Erkenntnisse der Modern Monetary Theory (MMT)? Die MMT ist eine korrekte Beschreibung der Verfahren der Geldschöpfung im zweistufigen Bankensystem und der Finanzierung der Staatsanleihen. Dadurch, dass die Zentralbanken Staatsanleihen kaufen und deshalb die Zinsen für Staatsanleihen stabil niedrig halten, kommt es faktisch zur Anwendung von Vorschlägen aus dem Instrumentenkasten der MMT – quasi durch die Hintertür. Sie wird aber von ihren Anhängern weitergedacht als eine Konzeption der Finanzierung der Staatshaushalte direkt durch die Zentralbank des jeweiligen Staates. Dadurch werden öffentliche Beschäftigungsprogramme und eine ökologisch-soziale Transformation möglich gemacht.

Eine Chance auf europäischer Ebene

Die beste deutschsprachige Darstellung der MMT finden sich in Dirk Ehnts, Geld und Kredit: Eine €-päische Perspektive, Marburg 2020. Dazu auch Maurice Höfgen, Mythos Geldknappheit, Stuttgart 2020. Die MMT spielt in den Diskussionen und Vorschlägen des linken Flügels der US-Demokraten zur Finanzierung eine New Green Deals eine wichtige Rolle und wird dort von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez propagiert. Eine direkte Staatsfinanzierung ist auch in der Europäischen Währungsunion möglich, weil jedes Mitgliedsland eine nationale Zentralbank hat. Die Finanzierung würde dann durch die EZB koordiniert und durch die nationalen Zentralbanken durchgeführt. Das ist gegenwärtig rechtlich nicht möglich, weil die direkte Finanzierung über den Primärmarkt der EZB untersagt ist. Sie darf Staatsanleihen nur auf dem Sekundärmarkt kaufen. Das wird gegenwärtig auch praktiziert.

Wenn der Fiskalpakt korrigiert und eine höhere öffentliche Kreditaufnahme möglich wird, bekommen wir Effekte der MMT, ohne sie förmlich anzuwenden. Machtpolitisch halte ich die Durchsetzung einer Wirtschafts- und Finanzpolitik nach den Erkenntnissen der MMT in Deutschland nicht für möglich. Hier sind Union, FDP und AfD auf absehbare Zeit politisch noch zu stark. Auch in der SPD und bei den Grünen ist hier Widerstand zu erwarten. Dagegen gibt es auf europäischer Ebene eher die Chance, den Fiskalpakt zu reformieren. Er wurde von Deutschland gegen den Willen anderer, vor allem südeuropäischer Mitgliedsländer durchgesetzt und kann daher auf der europäischen Ebene reformiert werden, wie dies von Frankreich bereits gefordert wird. Die deutsche Ampelregierung redet viel von Fortschritt, hier wäre er machbar.

Literatur

Binswanger, Hans-Christoph, Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen, Hamburg 2011
Binswanger, Mathias, Geld aus dem Nichts, Weinheim 2015
Bofinger, Peter, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, München 2020
Deutsche Bundesbank, Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungs-prozess, in: Monatsberichte April 2027
Deutsche Bundesbank, Geld und Geldpolitik, Frankfurt 2019
Ehnts, Dirk, Geld und Kredit: Eine €-päische Perspektive, Marburg 2020
Höfgen, Maurice, Mythos Geldknappheit, Stuttgart 2020
Keynes John M., Vom Gelde, Berlin 1983 (1930)
Kirchhof, Paul, Geld im Sog der Negativzinsen, München 2021
Marx, Karl, Das Kapital Band III, in: Marx-Engels-Werke Bd. 25
Schumpeter, Joseph A., Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung Berlin 1997 (1911)
Wicksell, Knut, Geldzins und Güterpreis, (1898), München 2006
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, Verfahren und Wirkungen bei der Emission von Bundeswertpapieren, Dezember 2020
Wullweber, Joscha, Zentralbankkapitalismus, Frankfurt/M. 2021

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Michael Wendl
Michael Wendl studierte Soziologie und Volkswirtschaftslehre. Er arbeitete von 1980 bis Anfang 2016 als Gewerkschaftssekretär bei ÖTV und ver.di. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift »Sozialismus«.

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