Der Herr aus dem Siemens Zentralvorstand war für Compliance zuständig, ein in den Nullerjahren eingemeindetes Wort, das anzeigt, was damals vermehrt in den Schlagzeilen auftauchte. Herr Radomski stand der Anti-Korruptionsabteilung seines Hauses vor, und diese Sache machte dem Siemens Vorstand gerade schwer zu schaffen. Einer der ihren hatte den Chef einer Pseudogewerkschaft mit 30 Millionen Euro geschmiert, um gegen die IG Metall eine Art Bollwerk aufzubauen. Jürgen Radomski war zum Rücktritt gezwungen, weil seine Stabsstelle eine Art Krähennest war. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Es war die Staatsanwaltschaft, die seinem Schmiergeld transferierenden Vorstandskollegen auf die Spur kam. Dieser und der Fake-Gewerkschafter wurden zu Haftstrafen verurteilt. Leute wie den genannten Herrn hat man vor Augen, wenn man zu der in dem Buch „Die Politik der Rackets“ entfalteten Theorie passende Gesichter sucht.
Radomskis Name tauchte acht Jahre später wieder in der Presse auf, diesmal in den Panamapapers. Von Zürich ließ der einmal für Gesetzeskonformität zuständige Pensionär drei Millionen Euro am deutschen Finanzamt vorbei nach Panama transferieren, was ihn 0,5 Prozent Provision kostete Die Züricher Bank kassierte ihren Anteil an der zur Seite geschafften Beute. 15.000 Euro; nicht schlecht für eine Überweisung. Die Gebührenordnung der Camorra ist eine andere als die der Volks- und Raiffeisenbank.
Im die Vorstandsebene der Siemens AG umfassenden Racket gab es zwei Fraktionen, wie Radomski in launiger Runde gerne erzählte, die Tennisspieler und die Leichtathleten. Er war mit dem Racket doppelt befasst, mit dem Tennisschläger wie mit den Schmutzgeschäften.
Rackets sind Beutegemeinschaften
Die Rede vom Rackets geht auf die Autoren der Kritischen Theorie zurück. Zu dieser Theorie passt sehr gut, was Kai Lindemann in ihrer Fortsetzung schreibt. Den Bock zum Gärtner zu machen, entsprang dem Geist nach dem Millenium. Es war die Zeit der Ethikkommissionen, der Verhaltenskodizes, der Corporate Social Responsibilty-Erklärungen, womit die Unternehmen ihre Geschäftspolitik moralischen Regeln zu unterwerfen versprachen. Selbstverpflichtung war das Zauberwort; strafbewehrte Gesetze zu erlassen, galt fortan als bürokratische Überregulierung.
Die Anwürfe gegen die staatliche Bürokratie sind so alt wie der Neoliberalismus. Herr Lindner hat diese Platte im vergangenen Wahlkampf wieder aufgelegt und er hat es mit der alten Leier ins Kabinett, sogar zum Chef des Finanzministeriums geschafft. Wer zahlt, schafft an; das Bock-Gärtner-Modell erfährt dann sein Update.
Dieses Buch ließe sich gut auch als Kommentar zum letzten Wahlergebnis lesen. Die FDP verspricht die große Freiheit von New Work und Startup und camoufliert damit ihr Geschäftsmodell, die staatlichen Zahlungsströme so zu lenken, damit das große Privateigentum bedacht und nicht belastet wird.
Rackets sind Beutegemeinschaften. Der Begriff hebt grell ins Licht, was die Elitetheorie verschweigt, die Methodik der Mächtigen, das Klassenverhältnis zu verdecken und den Klassenkonflikt zu entschärfen. Das gelingt, indem das Racket Beuteanteile verteilt und damit Privilegien vorbehaltlose Anerkennung verschafft. „Racket-Herrschaft ist analog zu Hobbes und Machiavelli ein Spiel zwischen den Polen Widerspenstigkeit und Gefolgschaft“, schreibt Kai Lindemann. Wenn es dem Racket gelingt, Widerständigkeit in Unterwerfung zu verkehren, wird es seinem Begriff gerecht.
Legale, auf Tausch und Warenproduktion basierende Geschäfte und schmutzige sind miteinander vermittelt, um den feinen Hegelschen Begriff einmal zu verwenden, und nicht jede Erpressung lässt sich anzeigen. Das zeigt der Autor, und was er theoretisch entfaltet, trifft sich mit der Erfahrung. Um den als Zeugen gegen seine Klasse missbrauchten Herrn Radomski noch einmal zu bemühen: Die China-Exkursion des Aufsichtsrats einer Siemens-Tochter begrüßte er sehr. Jedes deutsche Gremienmitglied eines in China investierten Konzerns hat eine solche Reise gemacht, und die Choreographie der Reise war immer die gleiche. Erst zeigten die Manager den Betriebsräten und den Gewerkschaftsleuten die riesigen neuen Fabrikhallen, den beeindruckenden Maschinenpark und die Montagebänder, daran das im Einheitsdrillich heftig werkelnde Personal, um dann beim Abendessen im noblen Hotel zur Sache zu kommen. „Sie haben gesehen, was wir hier möglich machen. Unsere schwäbische Fabrik passt etwas dreimal in den chinesischen Standort hinein. Was bekommen wir von Ihnen, damit wir die Kühlschränke nur in China vermarkten und nicht nach Europa exportieren? Was das für die deutsche Belegschaft bedeuten würde, können Sie sich ausmalen.“
Die erpressten Belegschaftsvertreter waren mit dem Ausmalen schnell fertig. Von der Reise zurück mussten sie mit ihrer Gewerkschaft befinden, womit man den gierigen Vorstand besänftigen konnte. Mal mussten wertvolle Pausenminuten der Fließbandleute dran glauben, mal eine zum Abschluss des Geschäftsjahres fällige Sonderzahlung, mal handelte man sich eine um drei Stunden erhöhte Wochenarbeitszeit ein. Die Aneignung des gesellschaftlichen Mehrprodukts geht nicht ohne den mal stummen, mal lauten Zwang der Verhältnisse ab. Was kümmert es die Realität, dass die sie erfassenden Kategorien als unbrauchbar gelten?
Kai Lindemann (2021): Die Politik der Rackets: Zur Praxis der herrschenden Klassen. Münster: Westfälisches Dampfboot, 155 Seiten, 16€
Das Wesen muss erscheinen
Lindemann spricht treffend von institutionalisierten Räuberbanden. Die Geschichtsphilosophie der Kritischen Theorie greift er damit auf. Geschichtsphilosophie und die Soziologie moderner Unternehmen sind aber zwei Paar Stiefel, könnte man einwenden, und Herr Radomski sei bloß ein Einzelfall. Wo wird in einem heutigen Konzern systematisch bestochen und Komplizenschaft generiert? Auf allen oberen Ebenen. Hier bedenkt man sich wechselseitig mit handfesten Benefits. Zum Geld kommt hinzu: die Lebensversicherung, der Audi A8, die Geschäftsreise in der Business Class, die Tagung im Luxushotel. Die in ihrem Racket Organisierten haben einen eigenen, von Lindemann zitierten Kategorischen Imperativ: „Handle so, dass alles, was du unternimmst, Teil einer höheren Lenkung sein könnte, die dich zu dem von dir gewünschten Erfolg führt.“
Seine Begriffsbestimmung nimmt Erkenntnisse der Korruptionsforschung in sich auf und korrigiert deren gesellschaftstheoretisches Defizit. Die Phänomenologie des Rackets ist dem entfalteten Begriff nicht äußerlich. Lindemann verschafft seinem Begriff empirische Evidenz. Das Wesen muss erscheinen, ein alter dialektischer Gedanke. Es erscheint in den russischen Oligarchen, den afrikanischen Warlords, den arabischen Prinzen, den chinesischen KP-Bürgermeistern, den Offshore-Finanzplätzen Panama, Cayman und den Niederlanden, den Auftragsmorden der lateinamerikanischen Latifundienbesitzer.
OFK (Oberer Führungskreis/ Ohne Freundeskreis)
Man könne das nicht zusammenbringen, die nach archaischen Mustern verlaufenden Morde und die nach kodifiziertem Recht und Gesetz verlaufenden Geschäfte? Das Leben bringt zusammen, was zusammengehört. Ein Beispiel: In der eingangs erwähnten, als Siemens-Skandal aktenkundig gewordenen Episode verlor Klaus Kleinfeld (Radomskis Vorgesetzter) seinen Job. Er war die Nummer eins der deutschen Geschäftsführer; heute berät er den saudischen Kronprinzen Salman, der im dringenden Verdacht steht, er habe den oppositionellen Journalisten Khashoggi erst in eine Botschaft locken und dann ermorden lassen. Finanzanlage ist ein kompliziertes Geschäft, eine Leiche mit einer Motorsäge zerlegen, vergleichsweise einfach. Seinen Finanzberater ließ der Prinz, so war zu lesen, per Hubschrauber auf seine Jacht einfliegen. Fotos zeigen den einmal als Shooting-Star gehandelten Jung-Dynamiker als schwer in die Breite gegangen.
Zur Phänomenologie des Rackets gehört die phänomenale Mimikry seiner Mitglieder. Kommt der CEO bei der Sitzung statt mit dem obligatorischen schwarzen mit dem blauen Anzug daher, trägt dazu braune Schuhe und lässt die Krawatte weg, kann man darauf wetten, dass die nächste Aufsichtsratssitzung die sogenannten Arbeitgeber im identischen Outfit sieht.
Lindemann fügt dem Racket-Begriff der Kritischen Theorie Differenzierungen ein. Die Kaste der Manager kommt dabei bevorzugt ins Bild, die Juristen in den Zentralen, die dortigen BWL’er und VWL’er, sowie die Werksleiter in den bevorzugt Standort genannten Fabriken. Ihnen obliegt die Administration des operativen Geschäfts; in der Siemens-Nomenklatur spricht man vom oberen Führungskreis, dem OFK. (Ohne Freundeskreis, übersetzen die Neidischen). Die Eigentümer, die Stakeholder, kontrollieren das Geschäft, wobei keineswegs vorausgesetzt ist, dass sie davon wirklich etwas verstehen. Die Machtverschiebung vom Besitz zur Verfügungsgewalt ist natürlich nicht neueren Datums, jedoch hat der heutige Finanzmarkt-Kapitalismus den Beuteanteil der obersten Manager deutlich erhöht. Lindemann zitiert eine US-amerikanische Studie, wonach Anfang der 70er Jahre ein Manager zwanzigmal so viel wie ein Facharbeiter verdiente. Heutzutage fließt 278mal so viel Geld auf sein Konto.
Revolving door
Lindemann hat die dem Management gewidmete Soziologie gelesen; die Verschiebung von ownership zu control ist für seinen Gegenstand zentral. Der Drehtüreffekt, der Wechsel vom weniger lukrativen politischen auf den hochdotierten Managerjob (im Englischen revolving door genannt), nennt er kennzeichnend für den managerial capitalism. Dann stellt er die Dienstleister der Rackets vor, das Führungspersonal aus Regierungen, Parteien, Medien, Verbänden und den großen Anwaltskanzleien. Wer fußballbegeistert ist, dem leuchtet völlig ein, die Herren der FIFA, UEFA und des DFB als Racketeers bezeichnet zu sehen. Zu den Mc Kinseys kommen noch die ihr eigenes Racket bewirtschaftenden Starökonomen der gehypten Wirtschaftsinstitute hinzu.
Der Autor ist beim Vorstand des DGB beschäftigt. Auch ein Racket, und kneift er, die Gewerkschaften als solche zu analysieren, wie es Adorno, Horkheimer und Kirchheimer taten? Die Fakten sprechen dafür – soweit sie aus der US-amerikanischen, den Kritischen Theoretikern vor Augen stehenden Geschichte stammen. Al Capone fing seine Karriere als Arbeiterführer an. Das US-Militär musste mit Lucky Lucciano ins Geschäft kommen, damit seine Kriegsschiffe im Weltkrieg II aus den Häfen der Ostküste auslaufen konnten, erfährt der Leser. Die USA kannten keine institutionalisierten Klassenkämpfe, sich wechselseitig anerkennende Tarifparteien gab es nicht. Dieses cultural lag beförderte die mafiösen Organisationsformen der Arbeiterbewegung. Deren Funktionäre ahmten nach, was sie bei ihren Gegnern als erfolgreiche Strategie wahrgenommen hatten.
Den Korporatismus der Gewerkschaften mit linksradikalem Gestus zu verwerfen, vermeidet der Autor. Als Funktionär des DGB ist ihm bewusst: Es ist ein Unterschied ums Ganze, ob sich die Klasse der Eigentümer und ihrer Manager auf Vertragsbeziehung einlässt oder ob sie – wie in Teilen Ostdeutschlands oder der new economy – ein solches Arrangement für überflüssig erklärt. Mit Tesla wandert die new economy gerade in die old economy ein, und ob es der IG Metall gelingt, Herrn Musk einen Tarifvertrag abzuhandeln, wird man sehen. Auf viele Verbündete in der berühmten Zivilgesellschaft wird sie nicht rechnen können. Die Gewerkschaften als Komplizen der Herrschenden? Die in einer Angestelltengesellschaft ums Überleben kämpfen, laden ihr Gegenüber nicht gerade dazu ein, sie zu kooptieren.
Gewerkschaftliche Komplizenschaft – der Autor formuliert keine steilen Thesen. Um noch einmal die Siemens-Story zu bemühen: Als das Schmiergeldsystem aufflog, sannen die mit dem Laden befassten Gewerkschaftssekretäre auf Rache. Könnte man den Vorstand jetzt nicht mal richtig an den Eiern packen, und ihm all die Erpressung der vergangenen Jahre heimzahlen? Der Vorsitzende der IG Metall hatte ordentlich zu tun, um seine Leute zu besänftigen und seine Linie durchzusetzen. Die bestand darin, den angeschlagenen feinen Herrn ein Abkommen, ein tit for tat, abzuhandeln. Die Gewerkschaft verzichtete auf weitere Skandalisierung und gerichtliche Klagen, die Konzernspitze verpflichtete sich, für mehrere Jahre auf Kündigungen zu verzichten.
Der Autor begreift Kritische Theorie als eine eingreifende; was ein Zurück zu den Wurzeln bedeutet. Das gegenwärtig unauffindbare emanzipatorische Subjekt gilt ihm nicht als Ausrede. „Die Kritik des Rackets ist der Schlüssel zur Überwindung ihrer Praxis“, schreibt er, „und eine umfassende Demokratisierung ist der Weg zu ihrer Bewältigung.“ Es braucht eine bissige Anti-Trust-Gesetzgebung der Europäischen Kommission, eine Reform der Finanzmärkte, eine schlagkräftige Finanzpolizei, einen durchdachten, alle Posten durchmusternden Reformismus. Fehlt dies, schreibt er, versackt die Kritik in Kulturpessimismus.
Ein Racket gliedert den Einzelnen als „verlorenes Individuum“ ein, zitiert Lindemann die Dialektik der Aufklärung. Es gliedert ihn in die böse Karikatur einer Solidargemeinschaft ein. Die Beutegemeinschaften sind amorphe Massen, und mit diesem Hinweis bereitet der Autor sein Argument vor: Um den Racketeers zu widerstehen, braucht es eine richtige Solidargemeinschaft, starke Gewerkschaften also. Denn die verlorenen, nicht von respektablen Gemeinschaften aufgefangenen, von Existenzangst geplagten Individuen sehnen sich nach Rache-Rackets. Sie gehören dem Typus Wutbürger und Querdenker an, mit denen die Republik seit bald zehn Jahren ihre Erfahrung macht. (Damals war das Wort Querdenker noch positiv konnotiert). Lindemann ist auch deshalb der Kritischen Theorie treu, weil er seinen Gegenstand mit psychologischen Kategorien dreht und wendet. Masochismus ist ein wichtiger Aspekt, und was dazu psychologisch disponiert, ist ideologisch vorbereitet. Die liberale Gesellschaft prämiert demnach, was der Einzelne zu performen vermag, und wenn er es dabei zu nichts bringt, dann gilt halt: selber schuld.
Als verlorene Individuen regredieren die Gesellschaftsmitglieder auf einen Egoismus; dem eine tonangebende Soziologie die wissenschaftliche Weihe gibt. Wer heute das Fach, das doch einmal wie kein zweites für Gesellschaftskritik stand, studieren will, wird an Rational Choice kaum vorbeikommen. Im Racket hilft man sich wechselseitig, ist man doch durchs gleiche Beuteschema verbunden. Lindemann sieht es dagegen als die Aufgabe seiner Wissenschaft an; Herrschaftsschuld zu benennen und Kooperationen anzustoßen, in denen sich die Einzelnen umeinander kümmern, statt sich mit der Kälte des bürgerlichen Individuums zu begegnen. Die traditionelle Gesellschaftstheorie hat das Ende der großen Erzählung festgestellt, eine kritische geht gegen diese sich selbst erfüllende Prophezeiung an.
Die behauptete Allmacht leuchtet nicht ein
Wird dieses Buch von Kai Lindemann die Aufmerksamkeit erfahren, die ihm gebührt? Verstößt es doch gegen den gesellschaftlichen Comment, der das Reden über Klassen für unschicklich erklärt. Die vorherrschende Soziologie featured diese Übereinkunft. Wer von einer herrschenden Klasse und ihrem korrupten Geschäftsmodell erzählt, hat demnach den Schuss nicht gehört. Welcher für das deutsche Feuilleton schreibende Prof. will als für den neusten Trend taub gelten? Will er doch eher, genauso wie der Ressortleiter, dem er seine Rezension andient, zum feinsinnigen Racket dazugehören.
Lindemann beschenkt seinen Leser mit Theorie und mit Stories. Alles gut, wie die heutige Floskel lautet? Zwei kritische Anmerkungen seien zum Schluss erlaubt. Der Neoliberalismus ist nicht so allmächtig, wie ihn der Autor zeichnet. Die aktuelle politische Realität der Bundesrepublik bestätigt diese Diagnose nicht. Die in der Großen Koalition angeschobene Industriepolitik, etwas vollmundig Primat der Politik genannt, die korporativen, vom alten Kabinett eingerichteten Gremien, die das E-Auto und die regenerative Energie pushen sollen, lassen die Gewerkschaften nicht draußen vor. In der neuen Koalition wird diese Politik ihre Fortsetzung finden; selbst ein Herr Lindner wird dies nicht zu verhindern wissen. Der behauptete „Nicht-Entscheidungs-Staat“ entscheidet gegenwärtig über mehr denn je. Die Neoliberalen als Alleinherrscher zu mystifizieren, schwächt die widerständigen politischen Kräfte. Der Green New Deal ist einstweilig nur ein politischer Claim. Aber eine Linke, die darin nur Legitimationsbeschaffung sieht, probiert gar nicht erst aus, ob mehr daraus werden kann.
Kommt den Rackets wirklich die Macht zu, das von Marx beschriebene Wertgesetz aufzuheben, und den Krisenzyklus zu bannen, wie Adorno – mit der Erfahrung des Nazi-Behemoths in den Knochen – glaubte? Den mächtigen Rackets sei dies gelungen; sie würden diesem Gesetz nicht unterliegen, sondern würden mit seiner Hilfe gar herrschen, lehrte einmal das Frankfurter Institut für Sozialforschung. Lindemann scheint dies auch so zu sehen. Diese behauptete Allmacht leuchtet nicht ein; jede Krise spricht eine andere Sprache.
Auch Marx, apropos Racket, ist eigentlich ein Pate, der hinter Lindemanns Theorie steht. Er hat sein Werk Das Kapital genannt, nicht Der Kapitalist. Hinter dem System verborgen liegt das Handeln der bürgerlich Klassenbewussten. Das berühmte Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation zeugt davon. Die dort beschriebenen Verbrechen, die Schuld der Herrschenden, gehören nicht der Vergangenheit an. Das Buch zeigt dies an, und seinem Autor kommt das Verdienst zu, am Begriff der Klasse wertvolle Rekonstruktionsarbeit zu leisten.
Unter dem Titel „Von Tennisspielern und organisiertem Verbrechen “ erschien die Rezension zuerst auf Glanz&Elend
Mir war das Buch von Kai Lindemann entgangen. Danke für den Hinweis. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, die Besprechung liest sich interessant. ABER: weder die Besprechung noch das Inhaltsverzeichnis des Buches lassen erkennen, ob und ggfs. wie sich K.L. mit dem empirisch vielfach belegten und theoretisch (durchaus auch im kritischen Bezug auf die Kritische Theorie) fundierten Problem der „männlichen Herrschaft“ (Bourdieu), der „hegemonialen Männlichkeit“ (Connell) oder dem Konzept der „Unspoken Forces of Organization Violations“ von Jeff Hearn auseinandersetzt. Ich vermute/befürchte in Kenntnis der diesbezüglichen Tradition gewerkschaftlicher und linker Publikationen, dass der Gender-Code des Rackets allenfalls ganz am Rande thematisiert wird. Wenn sich das anders verhält, werde ich K.L. sehr loben und sein Buch entsprechend würdigen. Die Besprechung hingegen ist so oder so völlig geschlechtsblind – weil sie entweder ein wichtiges Moment im Buch von K.L. verschweigt oder weil sie das Fehlen einer genderkritischen Perspektive nicht moniert. Könnten wir nicht für die Bruchstücke die Verabredung treffen, dass sich unsere „konstruktiver Radikalität“ auch darin niederschlägt, dass wir grundsätzlich die Genderdimension von Herrschaft und Emanzipation nicht ausblenden, sondern zum Thema machen? Es ist doch einfach gemein und völlig unzeitgemäß, das Problem (so wie oft auch immer noch den Abwasch) ganz selbstverständlich den Frauen zu überlassen.
Liebe Ingrid, nicht zuletzt dank deiner Kommunikationsleistungen fiel mir auch auf, worauf du hinweist. Die Twittermeldung https://twitter.com/bruchst_info/status/1489870486892855298
zu dem Beitrag beginnt deshalb mit dem Satz: #Racketboys sind Beutegemeinschaften.
Gleichwohl: Die vorgeschlagene Verabredung kann es nur als laufenden Kommunikationsprozess geben, nicht als übergestülpten Beschluss.
Lieber Hansjürgen,
sind ja längst nicht mehr nur Racketboys. Es mischen ja auch längst einige girls mit. Und das wäre das schlimmste: wenn sich die hegemoniale Männlichkeit geschlechtsneutral kaschiert und sich so als Subjektkonstruktion in „Führungspositionen“ verallgemeinerte. Ohne Ausgleich durch den Weiblichkeitsmythos … Oh je.
Vielleicht könnten wir eine Rundmail schreiben: „Aus gegebenem Anlass: ‚Das Patriarchat ist zu Ende. Die Frauen glauben nicht mehr daran. Und damit ist es zu Ende.‘ (Libreria delle Donne di Milano). Wenn es nicht uns alle in seinem Niedergang noch mehr beschädigen soll, als wir ohnehin schon beschädigt sind, dann sollten wir den Geschlechtercode von Herrschaft und Emanzipation wenigstens zur Kenntnis nehmen“.