Der Ukrainekrieg – Anfang vom Ende der Ära Putin

Über Russlands/Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine mit all seinen jetzt schon verheerenden Folgen herrschen tiefe Verzweiflung und Ohnmacht. Daher sind die Forderungen von Präsident Selensky und aus der ukrainischen Zivilgesellschaft, die NATO solle eine Flugverbotszone einrichten, um wenigstens den Beschuss des Landes durch die russische Luftstreitkräfte zu beenden, nachvollziehbar. Dennoch wäre es falsch, weil hochgefährlich, diesen Forderungen nachzugeben.

Bei den drei seit Ende des Kalten Krieges verhängten und jeweils von den USA und diversen NATO-Verbündeten durchgesetzten Flugverbotszonen über Nordirak (1991), Bosnien (1992) und Libyen (2011) waren die Gegner militärisch schwach und hatten keine Atomwaffen. Bei einer von der NATO verhängten Zone mit einem Flugverbot für russische Kampfflugzeuge droht hingegen ein Krieg zwischen den beiden Mächten, die jeweils über rund 45 Prozent der weltweiten Atomwaffenarsenale verfügen.

Selensky bestritt dieses Risiko mit dem Vorwurf, die NATO-Länder hätten «selbst die Erzählung geschaffen, dass eine Schliessung des Himmels über der Ukraine eine direkte russische Aggression gegen die NATO provozieren würde». Doch die Option, das Risiko eines dritten Weltkrieges unter Einsatz von Atomwaffen einmal auszutesten, gibt es möglicherweise nur einmal. Und dann nie mehr.

Manche ukrainische BefürworterInnen einer Flugverbotszone argumentieren dagegen, der dritte Weltkrieg habe mit dem Angriff auf ihr Land doch schon begonnen. Wenn die NATO Putin jetzt nicht stoppe, werde dieser nach einer Zerstörung der Ukraine zunächst gegen die baltischen Staaten und dann gegen die EU und die NATO selbst vorgehen, um die Weltordnung zu verändern.

Erosion der Macht des Präsidenten

Temps perdu: Wladmir Putin schüttelt Prinz Philip die Hand, 6. Juli 2005. Von links Ljudmila Putina, Tony Blair und Elizabeth II. (Foto: Büro des russischen Präsidenten auf wikimedia commons)

Doch dieser deterministischen und fatalistischen Prognose ist zu widersprechen. Schon jetzt mehren sich die Anzeichen, dass der Ukraine-Krieg der Anfang vom Ende der Ära Putin ist. Die von Putin offensichtlich unerwarteten Schwierigkeiten beim Vormarsch seiner Bodentruppen, die mutigen und wachsenden Proteste gegen den Krieg in der russischen Zivilgesellschaft, die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen, Russlands Isolation in der UNO – all diese und weitere Faktoren erodieren schon jetzt die Autorität und Macht des russischen Präsidenten. Diese Erosion wird zunehmen. Russland wird die Ukraine selbst nach einem etwaigen militärischen Sieg, der Installation einer Moskau-hörigen Regierung in Kiev und der Etablierung eines Besatzungsregimes nie unter dauerhafte Kontrolle bekommen.

Doch wann führt diese Erosion zu Rissen und Interessenkonflikten in Putins Machtgefüge, die dann auch positive Auswirkungen hätten? Gibt es Oligarchen, die – und sei es nur, um ihre eigenen, durch die Sanktionen gefährdeten Privilegien und wirtschaftlichen Pfründe zu retten – Putin durch eine andere Person ersetzen, die den Krieg dann beendet? Befinden sich in der militärischen Führung besonnene Männer, die Putin am Einsatz von Atomwaffen hindern würden, so wie US-Generäle das vor sechs Jahren nach den nuklearen Feuertod-Drohungen von Präsident Trump gegen Nordkorea öffentlich angekündigt hatten?
Dass entsprechende Hoffnungen die aktuell herrschende tiefe Verzweiflung und Ohnmacht über diesen fürchterlichen Krieg kaum schmälern können, ist mir klar.

Unter der Überschrift „Warum keine Flugverbotszone über der Ukraine?“ erschien der Beitrag zuerst auf infosperber.

Andreas Zumach
Andreas Zumach ist Journalist und Autor. Von 1988 bis 2020 war er Schweiz- und UN-Korrespondent für die tageszeitung (taz) und andere Zeitungen mit Sitz in Genf. Er arbeitet als freier Korrespondent für deutsch- und englischsprachige Print- und Rundfunkmedien. 2021 erschien von ihm „Reform oder Blockade – welche Zukunft hat die UNO?“, Zürich: Rotpunkt.

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