Geschrieben und gesprochen von Joe Kerr
Die Kreuze, die in den Unterrichtsräumen bayerischer Schulen hängen, haben schon das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. US-amerikanische Eltern haben einem Kinderladen die Farbstifte verboten, mit denen sich ein Regenbogen zeichnen lässt. Die Ortsgruppe Hannover von Fridays for Future ließ die Musikerin Ronja Maltzahn nicht auftreten, weil sie Dreadlocks trägt; die globale, weltoffene Bewegung Fridays for Future präsentierte sich als engstirniger Provinzclub.
Was haben das Kreuz, der Regenbogen und die Dreadlocks miteinander zu tun? Sie sind Symbole.
„Geschrieben und gesprochen“ klappt heute nicht. Für den Podcast „Auch das noch“ bleibt es an diesem Sonntag bei „geschrieben“. Joe Kerr hat keine Stimme, nein, nicht Corona.
Menschen, das sind diese komplizierten Lebewesen, die allem einen Sinn geben wollen und sich mit Hilfe von Symbolen verständigen, vor allem mit sprachlichen, aber auch mit religiösen und politischen; deshalb verbrennen manche Leute Nationalflaggen. Die Summe der Symbole, die in einem bestimmten Lebensbereich gelten, heißt Kultur.
Tiere haben keine Kultur. „Kultur ist, grob gesprochen, alles, was wir tun und die Affen nicht.“ (Lord R. Raglan, Anthropologe und Feldmarschall) Im Unterschied zum Menschen verständigen sich Tiere mit Signalen. Sie hören bestimmte Laute oder sehen bestimmte Farben und wissen: Fressen, Feinde, Flucht. Menschen kennen das auch. Rote Ampeln oder der Piepton der S-Bahntür sind Signale, die eindeutig festlegen, was zu denken und was zu tun ist.
Symbole geben eine Orientierung, aber sie schreiben nichts vor, sie erlauben Gedankenspiele und lassen dem Handeln Freiräume.
Warum sorgen Symbole für so viel Aufregung? Ein Symbol ist nicht die Sache selbst. Ein Kreuz ist nicht die christliche Religion, ein Regenbogen ist nicht die sexuelle Freiheit, Dreadlocks sind nicht die schwarze Bürgerrechtsbewegung (allein ein Blick auf wikipedia zeigt, dass auch diese Deutung viel zu eng ist). Gleichwohl verbinden mehr oder weniger Menschen diese Bedeutungen mit diesen Symbolen, andere nicht. Und hier beginnt die schwierige Gratwanderung, bei der die Ortsgruppe Hannover von Fridays for Future so kläglich abgestürzt ist.
Wir können nicht miteinander diskutieren, wenn wir die Bedeutung einer ziemlich großen Anzahl von Symbolen nicht kennen und teilen. Aber es bedeutet eben nicht jedes Symbol für jeden Menschen dasselbe. Die sieben Buchstaben Kapital etwa können für Ausbeutung und Unterdrückung stehen oder für Fortschritt und Wohlstand. Darüber hinaus können sich Bedeutungen ändern. Das Wort Russland zum Beispiel bekommt für viele gerade einen anderen Sinn. Und was für die einen ein Symbol ist, ist für Andere vielleicht gar keines. Man kann in einem Kreuz auch nur eine einfache Holzkonstruktion sehen, in einem Regenbogen ein schönes Naturwunder und in Dreadlocks eine interessante Frisur.
Die große Herausforderung liegt darin: Wir brauchen Verbindlichkeit im Umgang mit Symbolen, sonst wissen wir nicht, woran wir sind. Aber wir brauchen gleichzeitig Offenheit und Toleranz, sonst simplifizieren und verhärten wir. Festhalten und loslassen, beides ist notwendig, ohne dass es ein allgemeingültiges Rezept für die Dosierung gibt. Klar ist nur, eine Überdosis erzeugt entweder Sturheit oder Gleichgültigkeit.
Man kann nicht Haltung zeigen, wenn man nicht an bestimmten Bedeutungen festhält; man kann sich nicht engagieren, wenn man keine Maßstäbe hat, was gerecht oder ungerecht, was richtig oder falsch ist. Aber man wird intolerant und respektlos, schlimmstenfalls übergriffig (wie die Ortsgruppe Hannover von Fridays for Future) oder gewalttätig, wenn man nicht offen dafür bleibt, dass Kreuze auch anders gesehen, Regenbögen auch anders gedeutet, Dreadlocks auch anders verstanden werden können.
„Sinn – und dieser Satz steht fest – ist stets der Unsinn, den man lässt.“ (Odo Marquard)
Weitere Folgen von ‚Auch das noch!‚ zum Hören gibt es hier, wer nachlesen möchte, findet hier einen monatlichen Rückblick.