Braucht “unsere” Wettbewerbsfähigkeit Kriegsverbrecher als Geschäftspartner?

Januar 2022 in Berlin: Protestaktion mit einer roten Linie gegen den Bau einer neuen Gaspipeline (Foto: Leonhard Lenz auf wikimedia commons)

Eine Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen will unverändert Gas und Öl beim Kriegsherrn Wladimir Putin einkaufen, sagt eine aktuelle repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Dass die Mehrheit gegen ein vollständiges Embargo so klar ist, das ist auch das Werk von Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender der BASF, der vor kurzem in einem vielbeachteten Interview vorhersagte, ein Embargo könne den hiesigen Wohlstand zerstören. Wie ticken und argumentieren deutsche Manager in solchen Kriegszeiten, Manager, deren Konzerne seit vielen Jahren von den besonders günstigen Gaslieferungen aus der Diktatur Wladimir Putin profitieren?

Vorweg ein Einschub: Martin Brudermüller ist ein Guter unter den Managern. Er wirbt seit Jahren für Erneuerbare Energien, arbeitet mit Hochdruck daran, seinen Konzern von der Produktion bis zu den Produkten komplett klimafreundlich zu machen und findet Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck bisher weitgehend klasse. Und er ist natürlich ein renommierter Manager eines der bedeutendsten Konzerne dieses Landes (Umsatz etwa 23 Milliarden Euro), zugleich einer der größten Energieverbraucher in Deutschland. Wie argumentiert so jemand?

Wenn wir uns beeilen, in vier bis fünf Jahren

Martin Brudermüller (Foto: Rilf Kickuth auf wikimedia commons)

Anfang April schaltete sich der BASF-Vorstandsvorsitzende mit einem ganzseitigen Interview der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in die gesellschaftspolitische Debatte über ein Gas-Embargo gegen Russland ein. Er sagt zu Beginn: „Die furchtbaren Nachrichten und Bilder aus der Ukraine gehen auch mir unter die Haut.“ Wegen dieses Krieges gelte: Russisches Gas müsse „mit Hochdruck“ ersetzt werden. Sein Zeitplan: „Wenn wir uns beeilen, können wir das in vier bis fünf Jahren hinbekommen.“ Warum geht es nicht schneller, warum nicht sofort?

Seine Argumente: Einerseits decke Russland „55 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs“ und andererseits seien „die russischen Gaslieferungen bisher die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie“. Also geht es „nur“ um die Wettbewerbsfähigkeit, Herr Brudermüller? Wäre das nicht zu verschmerzen, wäre die zeitweilig ein bisschen eingeschränkt, denkt der Leser. Aber Brudermüller steigert sich, legt in seinen Antworten gleich noch einige fette Briketts nach, damit das Drama so richtig lodert, flackert, brennt. Er prognostiziert: viele Insolvenzen, hohe Arbeitslosigkeit. Nein, noch mehr, sein Drama kommt erst noch zum Höhepunkt. Brudermüller: „Das würde zu irreversiblen Schäden führen. Und: „Das könnte … unseren Wohlstand zerstören.“ Mag Putin einen Vernichtungskrieg führen, deshalb dürfen wir doch unseren Wohlstand nicht zerstören, so die Botschaft. Er dramatisiert sich in eine Apokalypse hinein, ohne in dem sehr langen Interview irgendeine Untersuchung, irgendeinen Beleg zu nennen. Er schöpft die Prognose allein aus seinen persönlichen Erfahrungen und Kompetenzen als Chemiekonzern-Lenker.

Wird unser Wohlstand wirklich zerstört?

Der Interviewer weist ihn daraufhin, es gebe doch völlig anderslautende Szenarien von Wissenschaftlern. Zur Information: Elf Wissenschaftler der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, unter anderem Veronika Grimm und Ottmar Edenhofer, kommen nach ihren Analysen zu dem Schluss, auch ein sofortiger Lieferstopp von russischem Gas sei für die deutsche Volkswirtschaft „handhabbar“. Ähnlich sieht das eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern, unter ihnen Moritz Schularick, die mit einer Untersuchung der Folgen zu einem ähnlichen Ergebnis kamen. Und der renommierte unabhängige Wirtschaftswissenschaftler Volker Wieland, bis vor kurzem einer der Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten, kam auf Basis von Szenarienberechnungen von verschiedenen Wissenschaftler-Gruppen zu dem Schluss: Ein Gas-Embargo koste zwischen drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Natürlich werde „das schlimm“, so Wieland, es werde deshalb „eine tiefere Rezession“ geben. Wieland: „Das heißt aber nicht, dass die Wirtschaft zum Stillstand kommt.“ Von Zerstörung des Wohlstandes und ähnlichen apokalyptischen BASF-Weissagungen ist bei den Fachleuten nicht die Rede.

Brudermüller antwortet auf diese Hinweise, indem er zumindest indirekt all diesen Wissenschaftlern rundweg Kompetenz und Seriosität abspricht, sie als „Leichtmatrosen“ abtut, die leicht reden hätten: Die größten Wortführer eines Gas-Embargos, so Brudermüller, „sind diejenigen, die an dieser Stelle keine Verantwortung tragen“. Das Prinzip dieser Argumentation: Kompetent mitreden kann und darf nur, wer direkt von dem Konflikt betroffen ist, alle anderen sind nicht glaubwürdig, da latent zu leichtfertig.

Der Star der Manager: Putins billiges Erdgas

 Als der Interviewer ihn dazu bewegen will, doch einmal den Schaden und Nutzen eines Gas-Embargos abzuwägen, verweigert er sich und nutzt diese sehr naheliegende Frage zur weiteren Dramatisierung: „Ich frage Sie noch einmal: Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben? Ich glaube, ein solches Experiment wäre unverantwortlich.“

Der BASF-Manager mischt sich also in eine gesellschaftspolitische Debatte ein, weigert sich jedoch das Naheliegende zu tun: den Nutzen gegen den Schaden des Embargos abzuwägen. Was ein Gas-Embargo helfen könnte, um den Kriegstreiber eventuell früher zu stoppen und um damit Menschenleben zu retten, das interessiert ihn nicht, das ist ihm nicht einmal eine Abwägung wert. Er konzentriert sich allein auf die Vertretung der Interessen seines Konzerns, macht also auch in Angesicht eines Vernichtungskrieges nebenan allein Propaganda für Profit.

Kein Wort verliert er zu dem Thema: Was könnten er und sein Konzern beitragen, um das eben beschriebene Dilemma mindestens zu mildern. Dabei hat er Anlass dazu und zudem genügend Grund zur Selbstkritik: Denn die deutsche Industrie, darunter die BASF führend dabei, hatte im Pakt mit der politischen Elite in Deutschland die Strategie verfolgt, mit den billigen Energielieferungen aus Russland die hiesige Industrie wettbewerbsfähig zu machen und zu halten; die BASF-Tochter Wintershall Dea fördert in Russland Erdgas, in 2015 gab die BASF Gasspeicher an das russische Unternehmen Gazprom, erhielt dafür im Tauschgeschäft Gasfelder in Sibirien, und natürlich war die BASF über ihre Tochter am Projekt Nordstream 2 beteiligt. Eine Strategie, die gegen den Widerstand der USA und vieler EU-Länder durchgekämpft wurde, gegen die Ratschläge: Deutschland solle seine Energieversorgung vielfältiger gestalten, um von Russland nicht so abhängig zu sein. Es war also eine bewusste Strategie auch der deutschen Konzerne diese gefährliche Abhängigkeit einzugehen — allein weil der Profit lockte. Warum sollen diese Konzerne heute nicht auch konkret Verantwortung übernehmen, um das von ihnen mitverursachte Desaster zu managen? Immerhin hat beispielsweise BASF genügend Geld, um zur Stützung des Kurses in großem Stil Aktien zurückzukaufen und bietet seinen Anteilseignern eine sehr hohe Dividendenrendite von sechs Prozent.

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Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

3 Kommentare

  1. Zwei politische Anmerkungen zur Frage: “Braucht “unsere” Wettbewerbsfähigkeit Kriegsverbrecher als Geschäftspartner?“

    1 Die Frage nach Kriegsverbrechern als Geschäftspartner ist, da sie sich letztlich an die Politik wendet, rhetorisch zu verstehen, da sie innerhalb unseres Rechtssystems nicht positiv, d.i. mit „Ja“ beantwortet werden kann.

    Dass diese Frage rhetorisch gestellt wird, hat seine Berechtigung darin, dass „unsere Wettbewerbsfähigkeit“ offensichtlich den Eindruck erweckt, Kriegsverbrecher als mögliche Geschäftspartner zu akzeptieren.
    Insofern ist in der Frage ein politischer Missstand angeklagt, weil hier die Politik offensichtlich nicht eindeutig zu sein scheint, bzw. die Verhältnisse nicht eindeutig regelt. Zugleich enthält die Frage damit die politische Forderung, hier Eindeutigkeit herzustellen, d. h. entweder durch Regeln oder durch konsequente Rechtsdurchsetzung, Geschäfte mit Kriegsverbrechern auszuschließen.

    2 Die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit ist indes zunächst politisch irrelevant, da Wettbewerbsfähigkeit allenfalls ein privates oder betriebswirtschaftliches Ziel, aber kein politisches Ziel sein kann, zu dessen Erreichung was auch immer gebraucht wird.

    Warum das so ist, zeigt die nachhaltigkeitspolitische Perspektive, die heute die einzig relevante politische Perspektive ist.
    Denn: Nachhaltigkeitspolitik hat die nachhaltige Entwicklung d.i. die Stabilität des Mensch-Planeten-Systems zum Ziel.

    Innerhalb dieses Systems führt die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Einen zwangsläufig zu der Minderung der Wettbewerbsfähigkeit eines Anderen und ist damit das Gegenteil des von der nachhaltigen Entwicklung geforderten Abbaus von Ungleichheiten in und zwischen den Ländern.

    Wettbewerbsfähigkeit des Einen oder des Anderen kann daher kein Ziel einer Politik, die das Ganze der nachhaltigen Entwicklung im Blick hat, sein.
    Sofern z.B. die Politik der EU noch darauf zielt, die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt zu stärken, ist diese Zielsetzung nachhaltigkeitswidrig, weil eine solche Stärkung zwangsläufig mit einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit eines anderen Landes, Kontinentes etc. auf der Welt einhergeht.

    .

    Dass die Wettbewerbsfähigkeit kein politisches Ziel sein kann, heißt nicht, dass es Wettbewerbsfähigkeit nicht geben darf oder geben kann. Sie gehört aber in den Bereich dessen, was politisch gestaltet werden muss.

    Eine Politik für nachhaltige Entwicklung hat dabei die Aufgabe den Rahmen für Markt und Wirtschaft so zu gestalten, dass Wettbewerb, Wettbewerbsfähigkeit und jede wirtschaftliche Aktivität innerhalb dieses Rahmens das Erreichen der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung befördert und nicht behindert.

  2. Ich vermute, dabei sind 50 Prozent Deutsche, denen das Wasser bis Unterkante Oberlippe steht. Jene die Kredite für das Eigenheim bedienen müssen oder alle die im Supermarkt No Name Produkte nicht mehr bezahlen können. Wie auch alle, die in den Tafeln Reste zusammenkehren. Ich bin gespannt welcher Prozentsatz von Abiturienten sich zukünftig das Grundstudium leisten kann.
    Sind wir nicht insgesamt Kunden von Kriegsverbrechern oder Sklavenhaltern? Ob die nun in Spanien, Italien, Afrika oder Indien Menschen ausbeuten, meucheln oder niederschießen? Auch die Kriegsprediger Milnyk oder Selenskij müssen demnächst Antworten parat haben, wenn Kriegsflüchtlinge aus Deutschland zurückkehren und 14 Euro Mindestlohn oder europäische Tarifgehälter fordern.
    Wie viele Indigene müssen wohl ihr Leben lassen für die Ausweitung von Schieferölfeldern, von denen Neil Young schon sagte, dass er den wiederlichen Geruch aus 40 Kiliometern Entfernung bereits wahrnahm. Was bleibt den brasilianischen Indigenen von ihrem Grund, wenn dort noch mehr Urwald brennt. Die FDP öffnet bereits die Hintertür für TTIP. Das bedeutet langjährige, eigentlich jahrzehntelange Abnahmeverpflichtungen für Fracking-Gas. Zu Preisen, die sich kein EU-Haushalt oder deutsches Unternehmen leisten kann. Das bedeutet ewige Strafzahlungen wenn längst keine Lieferung mehr benötigt wird.
    Die deutsche Exportphilosophie beruht auf der Ausbeutung von Arbeitnehmern, dem Bezug preisgünstiger Rohstoffe, staatlicher Subventionen, Augen zu beim Umweltschutz und der Vergabepolitik billiger Gewerbeflächen, die zudem erschlossen, mit eigenem Autobahnanschluss, überlassen werden.
    Die Liste amerikanischer Kriegverbrechen ist bestimmt ebenso lang wie die der roten Zaren. Amerika ist bekannt dafür seine Rüstungs- und Kriegsausgaben, anteilig deutschen Steuerzahlern aufzubürden.
    Die entscheidende US Ansage ist, dass die deutsche Regierung künftig ihre Befehle aus dem ersten amerikanischen Regierungssitz auf deutschen Boden, Ramstein, erhält und sowohl Regierungsvertreter wie auch Bundestagsabgeordnete, zum monatlichen Befehlsempfang, einschließlich Huldigung und Gastgeschenk, dort antreten müssen. Ein ICE-Anschluss für die Grünen oder einige First-Class-Hotelunterkünfte nach US-Standart dürften ebensowenig Probleme bereiten wie ein Roter Salon für verdiente Natofreunde der Partei Die Linke. Eine Hoffnung bleibt mir, dass es verbliebene Linke an der Seite von Anarchisten, Gewerkschaften und russisch-sowie ukrainischen Akademikern schaffen ein neues, waffenfreies, sozial-ökologisches Europa zu gestalten.
    Die Unternehmen, die in Putin-Russland ausharren, kennen die Marktgesetze und werden das Dilemma aussitzen. Wenn sich dann die Lage beruhigt hat, auf einen Wodka oder ein Glas Krimskoje im Kreml vorbeischauen. Darin haben sie Übung.

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