Unsere Werte, unsere Wirtschaft und das Reich der Mitte 

Bundesaußenminister Genscher (rechts) im Gespräch mit Deng Xiaoping in der Großen Halle des Volkes am 29. Oktober 1985, dem Tag der Einweihung der Handelsförderungsstelle.
(Foto: Ulrich Wienke auf wikimedia commons)

Wenn die Vorstände der großen deutschen Konzerne sich gemeinsam äußern und mit ihnen die Vertreter der wichtigsten Industriezweige, dann geht es ums große Ganze. Riesig ist der chinesische Markt und aus den Umsatzzahlen von BASF, VW, Bosch und Siemens nicht wegzudenken. Genauso wie für die deutsche Pharmaindustrie, die Medizintechnik, die Autozulieferer und den Maschinenbau. Die in der FAZ kürzlich veröffentlichte gemeinsame Erklärung hat die Crème des deutschen Kapitalismus unterzeichnet, aus gegebenem Anlass ergänzt um die Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen AG. Man macht sich große Sorgen um die öffentliche, China viel zu kritisch kommentierende Meinung in Deutschland.

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Deutschland ist jetzt 50 Jahre her. Der erste nach Peking reisende Bundeskanzler war Helmut Schmidt. Er sprach mit Mao Tse Tung über Immanuel Kant, so wurde einmal kolportiert. Ob der kategorische Imperativ oder die Schrift Zum Ewigen Frieden Gegenstand des Zwiegesprächs war, weiß man nicht. Auf Mao folgte Deng und die Öffnung des chinesischen Marktes. Von Deng Xiaoping ist das die Ökonomie mit einer Katze vergleichende Zitat in Erinnerung geblieben: Es ist egal, ob eine Katze schwarz oder weiß ist -Hauptsache, sie fängt Mäuse. Dass es Deng war, der seine Panzer über die Leiber der auf dem Platz des Himmlischen Friedens demonstrierenden Pekinger Studenten rollen ließ, hat man vergessen. Später war Hu Jingtao der starke Mann. Auf einem Bankett zu Ehren der im Gefolge der deutschen Kanzlerin mitreisenden Konzernchefs brachte er einen Toast aus: „Lasst uns miteinander reich werden.“

Üppige Profitrate

Auch der Beitrag der heutigen Konzernchefs hebt mit einem historischen Rückblick an, rasch gefolgt vom Eigentlichen. Das Reichwerden sei eingetreten, ob‘s dabei bleibe aber sehr die Frage. Es sei China zu verdanken, dass Deutschland heute eines der weltweit höchsten Wohlstandsniveaus besitze. Man muss nicht zwischen den Zeilen lesen, denn die Botschaft steht in den Zeilen. Die Kritik an China mäßigen, am besten ganz unterlassen, ist die Botschaft und diese wird mit einer Drohung versehen. Die dortigen Investitionen in Frage zu stellen, gehe gar nicht an. Wir sichern damit Arbeitsplätze und Lebensunterhalt vieler Menschen in Deutschland.

Eine jedem Betriebs- und Aufsichtsrat eines Großkonzerns bekannte Praxis macht sich mit dieser gemeinsamen Erklärung öffentlich. In den Unternehmen sieht diese Praxis wie folgt aus: Kommt ein Vertreter der hiesigen Beschäftigten auf die Idee, eine Investition in eine chinesische Fabrik kritisch zu sehen, verweist ihn ein Vertreter der Kapitalseite auf die in China üppige Profitrate, mit welcher die hiesige magere gleichsam querfinanziert werde. Ein wenig rentables deutsches Werk werde von seinem chinesischen, hoch rentablen Pendant über Wasser gehalten. Noch weitere Fragen? Der Herr im Anzug (seltener die Dame im Hosenanzug) spricht natürlich nicht derb vom Profit, sondern vom Ebit, vom earning before interests and taxes. Im chinesischen Reich mache diese Ernte, bei Raten von 12, 15 Prozent, noch richtig Spaß.

Über die Lage der Uiguren verliert die Erklärung der acht Vorstände einen verschwurbelten Satz: Und die Menschenrechtssituation in der Provinz Xinjiang entspricht nicht unseren Werten.“ Die Menschenrechtsituation außerhalb dieser Provinz ist demnach ganz in Ordnung. Es wäre eine lohnende philologische Untersuchung, der Karriere des Wortes unsere Werte nachzugehen. Vermutlich hat dieses Wort beständig der Mund einer Dame geformt, deren Hände so gerne die Raute formten, und von dort ist das Wort übergegangen ins überzeitliche, allgemeine Politsprech. Zum europäischen Wertegerüst bekennen sich die Vorstandsvorsitzenden, das kostet nichts; bei den eigentlichen Werten macht man dabei keinen Verlust.

Ein Wink mit dem Zaunpfahl

Der von Gorbatschows Perestrojka inspirierte Protest auf dem Tiananmen war der Versuch, eine Gesellschaftsform einzuklagen, die sozialistische Gleichheit mit bürgerlicher Freiheit versöhnt. Als die Panzer auf sie zurollten, sangen die Protestierenden, darunter für freie Gewerkschaften demonstrierende Arbeiter, die Internationale. Seither ist die Idee eines die Bürgerrechte garantierenden Sozialismus tot.

Die Uiguren haben diese Idee nicht wiederbelebt. Sie wollen vermutlich nur Religionsfreiheit, das Recht, frei ihre Arbeitsstelle zu wählen, sowie Schutz vor der Willkür der Justiz und ihrer willfährigen Büttel. Aber was heißt nur? Mit diesem Begehren fing der Ausgang aus den Feudalverhältnissen des Mittelalters an. In solchem Feudalismus will die Partei die uigurische Minderheit und die ganze chinesische Gesellschaft halten.

Die ausländischen Unternehmen sind die Komplizen dieser Unterdrückung, weil sie, mit Hilfe ihrer Investitionen und Arbeitsplätze, den Güterreichtum für wachsende Bevölkerungsteile verfügbar machen. Xi Jinping und die Seinen brauchen den bescheidenen Wohlstand und die Aussicht darauf, denn mit Repression allein lässt sich nicht regieren. Die CEO’s verweisen in ihrer Erklärung auf die von Chinas Marktgröße ermöglichten ökonomischen Skaleneffekte. Wo Produktion mit hohen Stückzahlen möglich sei, seien sinkende Preise die logische Folge. Es ist ein Wink mit dem Zaunpfahl. Das Elektroauto werde für den deutschen Käufer erst erschwinglich, wenn die Produktanläufe in China ungestört über die Bühne gehen. Dem ökonomischen Skaleneffekt, auf den die deutschen Unternehmen setzen, entspricht ein reziproker Skaleneffekt, auf den die chinesische KP setzt: Ihre Macht wird noch größer und sie wird Gewalt nur noch brauchen müssen, wenn ein Virus außer Kontrolle gerät.

Vorstandsvorsitzende von Opel (Neumann), Peugeot (Varin), Daimler (Zetsche) mit dem Vertreter der chinesischen Automobilindustrie (Wan Gang) und Angela Merkel im Mai 2013
(Foto: Rudolf Simon auf wikimedia commons)

Decoupling ist gegenwärtig ein angesagtes Wort. Man liest es mehr bei den mit dem Film vertrauten Feuilletonisten, weniger bei den mit den realen Plots dieser Welt befassten Wirtschaftsjournalisten. Ist Decoupling eine kluge Idee? Die Frage ist falsch gestellt, denn keine Bundesregierung würde dieses Loskoppeln überleben. Volkswagen, Daimler, BMW machen über ein Drittel ihres Umsatzes in China; die deutsche IT-, Pharma-, Möbel-, Bekleidungsindustrie und der Maschinenbau beziehen zwischen 50 und 80 Prozent ihrer Vorprodukte aus chinesischer Produktion. Man ist mit der chinesischen Ökonomie in einer Weise verschachtelt, die die Abhängigkeit von Russland als einen Klacks erscheinen lässt. Das Statement der deutschen Konzernherren und -herrinnen (drei Frauen sind dabei) kommt Pekings Strategen so gelegen wie dem Herrn Putin die Demonstrationen der aktuellen Querfront der schlauen Rechten und dummen Linken gegen das angeblich bevorstehende, von der Ampelregierung zu verantwortende Erfrieren und Verelenden.

Sorgen um den Transportweg

Die Erklärung der acht Vorstände berührt einen Gegenstand, der ihnen wirklich Sorge macht, das sind die besorgniserregenden Spannungen in der Straße von Taiwan. Die Sorge gilt also dem Transportweg, nicht den Taiwanesen, die hinter dem Weg ein vom chinesischen Militär unbedrohtes Leben führen wollen. Das Ding rangiert vor den Individuen. Die Sprache ist schon ein eigen Ding, und manchmal legt sie dem Sprecher Klartext auf die Zunge, statt dass er salbadert.

Die deutsche Wirtschaft ist dermaßen mit China verbandelt, dass der Primat der Politik über die Ökonomie nicht existiert. Vermutlich muss man sich den Kanzler in Peking vorstellen als einen Makler, der die mitreisenden Geschäftsleute mit den dortigen zusammenbringt. Was aber streicht er als Maklergebühr ein? Die deutsche Managerelite weiß, was sie will. Die Spielregeln sollen in China und in Deutschland identisch sein. Wenn ein chinesisches Unternehmen sich in die Hamburger Hafen AG einkaufen kann, dann muss dies einem deutschen Logistiker in Shanghai auch möglich sein. Die Politik solle für faire Handelsbeziehungen, für das Level Playing Field sorgen.

Die Ampelregierung sollte die Unternehmer beim Wort nehmen – gleiche Bedingungen hier wie dort. Wenn Zwangsarbeit mit unseren Werten völlig unvereinbar ist, dann muss dies auch in den chinesischen Fabriken gelten. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes muss als Bürgerrecht unantastbar sein. Wenn der chinesische Staat dieses Recht nicht garantiert, dann garantiert es die Europäische Union. Das anstehende europäische Lieferkettengesetz verbietet Zwangsarbeit in den europäischen Eigentümern gehörenden Produktionsstätten. Dabei geht das EU-Gesetz über das deutsche, ab 2023 geltende hinaus, denn es soll Rechtswirkung auch für kleinere Betriebe und damit für mehr Beschäftigte entfalten. Dieses Lieferkettengesetz gilt es nun gegen den Widerstand der Unternehmer durchzusetzen.

Peter Kern
Peter Kern hat Philosophie, Politik und Theologie in Frankfurt am Main studiert, war kurzzeitig freier Journalist, dann langjähriger politischer Sekretär beim Vorstand der IG Metall und ist nun wieder freier Autor und Mitarbeiter der Schreibwerkstatt Kern (SWK).

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