Die miserable Lage der medizinischen Versorgung kranker Kinder wurde lange vorhergesagt und beklagt. Der Kinder-und Jugendmediziner Professor Berthold Koletzko beispielsweise reist seit Jahren durchs Land, um auf eine heraufziehende desaströse Situation aufmerksam zu machen. Es hat wenig gefruchtet.
Mangel an Kinderärztinnen und Kinderärzten gibt es seit Jahrzehnten. Ein kurzer Blick auf die Statistik: Für 100.000 Bürgerinnen und Bürgern stehen im Schnitt 170 Frauen und Männer der Allgemeinmedizin zur Verfügung, für 100.000 Kinder lediglich 12 (!) Kinderärztinnen und Kinderärzte.
In den Krankenhäusern wurde während der vergangenen Jahrzehnte jede fünfte Kinderstation geschlossen und die Zahl der Betten dementsprechend abgebaut. Das blieb auch so, obgleich die Geburtenzahl während der letzten Jahre stieg. Zu diesen seit langem bekannten Strukturproblemen kommen akute Problemlagen hinzu:
- Eine überdurchschnittliche hohe Welle an winterlichen Infektionen der Atemwege; insbesondere Kinder befallende Infektionen durch weltweit verbreitete, respiratorische Synzytial-Erreger (Synzytien sind mehrkernige große Zellen);
- Überlastung von medizinischem Fachpersonal nach den Corona-Jahren sowie fehlendes Personal.
- Fehlen von Basis-Medizin gegen Fieber und Schmerzen. Es blieben Lieferungen entsprechender Arzneimittel aus, teilweise wurden Mittel gehortet; Anbieter haben die Produktion eingestellt, weil die erreichbaren Preise von sogenannten „Nachahmer“-Produkten die Kosten nicht oder fast nicht mehr deckten. Lieferschwierigkeiten bei Medikamenten betreffen gerade auch Kinder. „Um gegenzusteuern, will Lauterbach in der kommenden Woche einen Gesetzentwurf vorstellen. Aktuell gebe es Lieferengpässe auch bei Krebsmedikamenten und Antibiotika, sagte er. ‚Wir sind auch in diesem Bereich mit der Ökonomisierung zu weit gegangen.‘ Der Preis habe die alleinige Rolle gespielt, die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine zu geringe Rolle“, zitiert ihn Die Zeit.
Kernproblem Studienplätze
Das Kernproblem der Misere ist nicht so rasch zu beheben: Die geringe Zahl der Ausbildungsplätze an den Universitäten für die Kindermedizin. Das ist ein hausgemachtes Problem. „Vor der Wiedervereinigung gab es insgesamt rund 13.500 Studienplätze in West- und Ostdeutschland. Nach der Wende sank die Zahl teilweise auf unter 10.000 bundesweit und liegt aktuell bei rund 11.000. Das ist deutlich zu wenig.“ Der Verband der Kinderärzte hält 15 000 Studienplätze für erforderlich.
Die Verantwortung tragen Landesregierungen, die keinen Druck machten und machen, um die entsprechenden Ausbildungskapazitäten zu erhöhen.
Zur Wahrheit gehört denn auch, dass die Krankenhäuser vor etwas mehr als 15 Jahren selbst entscheiden konnten, ob sie sich mit ihren Kinderstationen unter die Regie der Fallpauschalen stellen oder nicht. Sie hatten die Wahl.
Kinderheilkunde galt lange Zeit wenig. Bis in die Jahre der ersten Rot-Grünen Bundesregierungen hinein saßen die Kinderärzte und -innen während der Honorarverhandlungen am Katzentisch der Medizin. Was übrig blieb, fiel für sie ab. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung war in diesem Punkt knallhart. Das hat sich geändert. Man kann heute nicht sagen, dass Kinderärztinnen und Kinderärzte mit ihren Praxen weniger Reinerlöse hätten als manch andere ärztliche Richtungen – es sind um die 170.000 € im Durchschnitt und pro Jahr.
Aber alles in allem hat die Kinderheilkunde immer noch mit einem geringeren öffentlichen Ansehen zu kämpfen. Summe: Lauterbachs erste Schritte zur Bekämpfung der Misere sind richtig, sie reichen aber nicht.