Wie es anders besser werden könnte

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Als moderne Menschen gehen wir davon aus, dass in Sachen Arbeit alles entscheidbar ist. Aber wer entscheidet worüber? Wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die den kleinen Planeten Erde übergreift, prahlerisch „Weltgesellschaft“ genannt. Diese Gesellschaft organisiert sich politisch in Ländern mit Nationalstaaten als politischen Entscheidungszentren. Ihre Arbeitsprozesse aber organisiert sie global und lässt sehr viele wichtige Entscheidungen von Privatpersonen treffen, die ihre Privatinteressen verfolgen und zugleich Leute dafür bezahlen, der Öffentlichkeit zu erzählen, sie seien Wohltäter. Tun wir trotzdem mal so, als sei das alles auf humane und gerechte Weise irgendwie in den Griff zu kriegen.

„‘Ein Leben in Arbeit‘ wurde von anderen für uns erfunden. Oder gegen uns. Erniedrigt zur Ausbeutung oder überhöht zum Fetisch bestimmt Erwerbsarbeit, was wir gelten und woran wir teilhaben können. Die Arbeitsgesellschaft begreift Leben als Ressource und verwertet es in Leistung. Schaffen wir sie ab. Die Postarbeitsgesellschaft begreift Leben als Sinn und verwirklicht es durch Care. Legen wir sie an.“

Jana Gebauer: »Imaging Otherwise. Fantastische Perspektiven auf Arbeit in der Transformation«. In Otto-Brenner-Stiftung (Hrsg.): »Welche Arbeit machen wir? Zur Zukunft von Wirtschaft, Natur und Kultur« (S. 219-238, hier S. 227f.). Frankfurt a. M.: Otto Brenner Stiftung 2022

Gute Arbeit hat eine kulturelle Beziehung zur Natur

Unter Arbeit, das wäre vorab wichtig, soll nicht nur die Arbeitsleistung verstanden, sondern auch der Konsum mitgedacht werden. Da Leistung und Konsum oft sowohl räumlich und zeitlich als auch sozial auseinanderfallen (die Erzeugnisse ihrer eigenen Arbeitsleistungen können sich viele Menschen gar nicht leisten), wird leicht vergessen, dass sie zusammen gehören. Von armen Menschen billig produzieren zu lassen und die Güter teuer an reiche Menschen zu verkaufen, macht gute Arbeit unmöglich. Gute Arbeit hat keine Chance, solange die Einkommensquelle Arbeitsleistung als Erpressungsinstrument gegenüber Personen, Kommunen und Ländern eingesetzt werden kann. Produktion, Distribution und Konsumtion funktionieren am Ende nur als Einheit. Der berüchtigte Satz „wer nicht arbeitet, soll nicht essen“, rechtfertigt Kinderarbeit und verurteilt ganz nebenbei jedes Baby zum Tode.

Arbeit, das ist ihr Sinn und Zweck, dient der Versorgung, der Bedarfsbefriedigung. Deswegen geht es bei der Arbeit immer auch in einem gewissen Ausmaß um – naturgegebene – Notwendigkeiten. Oder mit den präziseren Worten von Karl Marx:

Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur ausser ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. (MEW 23, S. 192)

Wenn das zutrifft, ist schon einmal etwas Fundamentales klar: Zerstören die Menschen zum Zweck ihrer Versorgung die Natur, vernichten sie sich selbst. Gute Arbeit sucht ein symbiotisches Verhältnis zur Natur, kein parasitäres. Parasiten machen von der Natur einen missbräuchlichen Gebrauch: Sie versorgen sich, indem sie nehmen, bis nichts mehr da ist. Symbiose, Zusammenleben braucht Wechselseitigkeit. Gute Arbeit unterhält eine kulturelle Beziehung zur Natur, also – im ursprünglichen Sinn des Wortes Kultur – einen pflegenden Umgang, der Grenzen der Verfügbarkeit einsieht und respektiert.

Allgemeininteresse gibt es nur temporär im offenen Dissens

Wie könnte das gehen, auf diesem Fundament eine Postarbeitsgesellschaft anzulegen? Drei Voraussetzungen nehme ich als unverrückbar an: 1. Ohne Arbeitstätigkeiten geht es nicht: Es fliegt nicht nach Bedarf fertiges Gemüse auf die Teller. 2. Es geht nicht so gut ohne Wirtschaft: Das Verhältnis zwischen dem Aufwand der Arbeitstätigkeit sowie der Quantität und Qualität der Güter und Dienste gilt es im Auge zu behalten – und nichts anderes ist der wohlverstandene Sinn des Wirtschaftens. 3. Es geht nicht so gut ohne Geld: In alternativen Zirkeln wird viel experimentiert, Distribution ohne Tausch zu organisieren, z. B. unter dem Namen Beitragsökonomie. Aber auf großer Stufenleiter fällt mir nur Tausch ein.

Mit dem Geld tritt der Tauschwert als eine selbstständige Größe neben den Gebrauchswert. Das bedeutet, man muss sich um ihr Verhältnis kümmern, und zwar so, dass die Bezahlbarkeit der als notwendig erachteten Güter und Dienstleistungen garantiert ist. Notstand und Wohlstand dürfen nicht über denselben Preis-Kamm geschoren werden. Die sogenannte Leistungsgesellschaft zwingt Einzelpersonen, die nicht genug Geld zum Leben haben, zu abhängiger Erwerbsarbeit oder wertet sie ab, grenzt sie aus.

Ob in steinzeitlichen Anfängen oder hoch entwickelt, Arbeit ist ein kollektiver Prozess. So ist zum Beispiel die Arbeitsleistung der einen, etwa einer Bäckerei, abhängig von der vorangegangenen Leistung anderer, etwa der Landwirtschaft, auch der Energieversorgung, der Qualifikation der Arbeitskräfte, den Transportwegen und -mitteln. Arbeitstätigkeiten sind meist selbst Konsumtionsprozesse der Erzeugnisse vorangegangener Arbeitsleistungen. Läuft es falsch, tummeln sich Luxusliner auf den Ozeanen, während marode Brücken Leben gefährden, und in abgewrackten Schulen Personal fehlt.

In Sachen Arbeit fallen ohne Unterbrechung Entscheidungen an. Wer entscheidet darüber, wer worüber entscheidet? Die moderne Pointe ist, dass politisch entschieden werden (kann und) muss, was transnational, was national, was von Organisationen und was von Privatpersonen entschieden wird. Auf den Mix kommt es. Heute sind Unternehmen und Privatleute viel zu mächtig. Dass einzelne mächtige, reiche Personen über große Organisationen entscheiden, ist zugunsten kollektiver Entscheidungsprozesse abzuschaffen, die Verfügung über große Vermögen ist zu demokratisieren, das Nähere regelt ein Gesetz. Am Ende geht es nur mit Ausprobieren (welcher Mix aus international, national, organisational und individuell erweist sich als besser?) – und mit Demokratie plus demokratisch legitimierter Hierarchie. Wo Demokratie nicht nur drauf steht, sondern auch drin ist, gibt es die Möglichkeit für Korrekturen im – immer umstrittenen, nur im offenen Dissens bestimmbaren – Allgemeininteresse.

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Arbeitstätigkeit kann inspirieren und motivieren

Gute Arbeit kann und darf, ebenso wie gutes Leben, nicht verordnet werden. Lösungen, die nicht zugleich, für wen auch immer, Probleme aufwerfen, gibt es nur in Märchen. Oder anders herum: Problem gibt es nur deshalb, weil sie, für wen auch immer, Lösungen sind. Empfehlungen kann man trotzdem geben. Was könnten Orientierungslinien sein?

  • Bezahlte und unbezahlte Arbeitsleistungen sollen sich so verteilen, dass alle gleichermaßen daran beteiligt sind.
  • Niemand darf wegen sozialer Not gezwungen sein, eine Arbeitsleistung zu erbringen; das soziale Existenzminimum, ein Dach über dem Kopf, Gesundheitsversorgung und Bildungsangebot inklusive, ist kollektiv zu garantieren.
  • Für die Einkommen aller, die erwerbstätig sind, soll es Unter- und Obergrenzen geben, selbstverständlich für Männer und Frauen dieselben.
  • „Qualifizierte“ und „einfache“ Arbeitstätigkeiten sollen keinen sozialen Status begründen.
  • Berufliche Spezialisierungen sollen nicht lebenslänglich festlegen; (ganz) andere Qualifikationsprofile darüber hinaus zu erwerben, soll sozial abgesichert möglich sein.

Unter dem Zwang, den die Arbeitsgesellschaft zu abhängiger Erwerbsarbeit ausübt, droht verloren zu gehen, dass Arbeitstätigkeiten inspirieren, motivieren, Körper und Geist beleben, erfahrungs- und erlebnisreich sein, soziale Beziehungen erweitern und Anerkennung vermitteln können. Aber alle diese positiven Eigenschaften sind nicht an Arbeitsleistungen gebunden, sie können auch mit freien, musischen, künstlerischen, spielerischen Tätigkeiten gewonnen werden. Sich sinnvolles, erfüllendes Tun nur als Arbeit vorstellen zu können, macht die spezielle Borniertheit der Arbeitsgesellschaft aus. Wie viel Lebenszeit Menschen für Arbeitstätigkeiten aufwenden sollen, ist eine sowohl gesellschaftlich als auch individuell zu treffende Entscheidung. Sie hängt zusammen mit den Konsumambitionen und mit dem technischen Stand der Produktivkraft – sofern die Verwertungsgier des Kapitals nicht Leistung und Konsum ohne Ende durchsetzt und dabei die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde in Kauf nimmt.

Wider die Meckeropas

Keiner der Gedanken dieses Artikels ist neu, keiner ist chancenlos. Manches wird bereits praktiziert, einiges in größerem Maßstab, das meiste andere auf kleiner Stufenleiter in gesellschaftlichen Nischen.

Im Alter von 87 Jahren hat der französische Philosoph Michel Serres (1930-2019) eine schmale Streitschrift publiziert unter dem Titel „Was genau war früher besser? Ein optimistischer Wutanfall“. Darin knöpft er sich die „Meckeropas“ vor und erinnert zum Beispiel daran, dass „das sogenannte siècle des Lumières, das Zeitalter der Aufklärung, noch von der Kerze erleuchtet wurde“. Er schildert brutale Arbeitsbedingungen, schreckliche Hygieneverhältnisse, entrechtete, schuftende Frauen. Bei Tisch, schreibt er ironisch, „ja, da kamen uns früher nur natürliche, unverfälschte Dinge ins Glas und auf den Teller“: Von der Milch des Bauern bekam Michel Serres die Maul- und Klauenseuche und für den Schinken „brauchte es ein spitzes Messer, um die zwischen Fleisch und Fett sitzenden Maden aufzustöbern und sie, unsere direkten Konkurrenten beim Fleischverzehr, herauszupulen“.

Solche Erinnerungen liefern keine Gründe, das Engagement für gute Arbeit zu relativieren, sondern überzeugende empirische Belege, dass bessere Arbeit machbar ist.

Unter dem Titel „Gute Arbeit kommt von Ausprobieren und Demokratie“ erschien der Beitrag zuerst in der Dezember-Ausgabe 2022 von OXI. Wirtschafts anders denken

Hans-Jürgen Arlt
Hans-Jürgen Arlt (at) arbeitet in Berlin als freier Publizist und Sozialwissenschaftler zu den Themenschwerpunkten Kommunikation, Arbeit und Kommunikationsarbeit. Aktuelle Publikationen: „Mustererkennung in der Coronakrise“ sowie „Arbeit und Krise. Erzählungen und Realitäten der Moderne“.

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