EMMA als Putins Troll-Agentur

Bild: Refica auf Pixabay

Für Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht ist ihr Manifest, über das Emma unter der Headline „Der Aufstand für Frieden — allerorten“ berichtet, ein großer Erfolg: Viele als Intellektuelle Bekannte haben unterzeichnet, in wenigen Tagen bald eine halbe Million BürgerInnen, in weiteren wenigen Tagen werde es eine Million und mehr sein, so die Vorhersage der Redaktion von Emma. Viel spricht dafür, dass mit dem Manifest „eine regelrechte BürgerInnen-Bewegung“, so Emma, für Wladimir Putin, den Geheimdienstagenten, Vielfach-Schlächter (Tschetschenien, Syrien, Ukraine) und Diktator ausgelöst worden ist. Das Manifest kehrt mit wenigen Worten — meist offen und alles andere als subtil — die Schuldfrage um: Der ukrainische Präsident Selensky ist der Kriegstreiber, Putin ist der Angegriffene. Ein kommunikativ-handwerklich sehr kompetentes Machwerk an Manipulation und Verschwörungsarbeit. Wie geht das?

Zu Beginn werden die Leiden der ukrainischen Bevölkerung in drei, vier Sätzen beschrieben: getötet, vergewaltigt, verängstigt, traumatisiert. Wer das zu verantworten hat, wer das tut, dazu fehlt jeder Hinweis. Es ist neutral formuliert. Das können Ukrainer sein, Russen, jeweils Zivilisten, Soldaten oder Wagner-Kriminelle. Alles möglich. Seien wir doch ehrlich: wer soll das auch schon ganz genau wissen, bei der unübersichtlichen Lage?

Danach beginnt das zweite Kapitel mit dem Satz: „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.“ Da kann man sagen: klare Stellungnahme. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht in einer Analyse von „einem Alibi-Satz“. Jedoch ist dieser Satz mehr als nur ein Alibi: Denn sogar dieser Satz, mit dem — tatsächlich vermutlich nur zur politischen Garnierung — das Nun-gar-nicht-zu-Leugnende erwähnt wird, lässt vieles offen. Denn ein brutaler Überfall ist noch lange kein Krieg, und zudem bestätigt dieser Satz lediglich, es gibt Ukrainer. Aber ob es auch einen souveränen ukrainischen Staat gibt, gegen den Russland einen völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg führt, das wird nicht erwähnt, bestenfalls im Vagen gehalten, faktisch über Ignorieren und Nichterwähnen geleugnet.

Ein Fragezeichen als Alibi

Nun kommt das dritte Kapitel, in dem der ukrainische Präsident Selensky zum Kriegstreiber und Russland zum Opfer gemacht wird. Denn Selensky fordere immer mehr Waffen: Kampfjets, Langstreckenraketen, Kriegsschiffe. Die Möglichkeit, er fordert das, um sein Volk und seinen Staat vor dem eskalierenden Vernichtungskrieg von Seiten Putin-Russlands zu schützen, wird nicht erwähnt, damit geleugnet oder für eine zu ignorierende Perspektive gehalten. Also: Warum fordert Selensky diese vielen Waffen? Die Antwort der Manifestler: „… um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?“ Das Fragezeichen ist erneut ein Alibi — so nach dem Motto, wir fragen ja bloß und fragen wird man ja noch dürfen … . Das Fragezeichen ist deshalb pure Tarnung, steht doch ein Satz zuvor: Selensky mache „aus seinem Ziel kein Geheimnis“. Eben kein Geheimnis um sein Ziel: „… um Russland auf ganzer Linie zu besiegen?“ Sogar als Frage klingt das, wäre es nicht so traurig, lächerlich: schließlich stehen im Moment fast die kompletten russischen Streitkräfte in der Ukraine und kein einziger Ukrainer in Russland.

Aber die Verschwörungs- und Fake-Arbeit geht noch einen Schritt weiter.

Denn im Satz danach wird Putin endgültig zum Opfer des Kriegstreibers Selensky: „Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt.“ Auf deutsch: Mit dem Versuch, das eigene Territorium, die Krim, zurück zu erobern, greift der Kriegstreiber Selensky Putin und Russland an — und darf sich dann nicht wundern, wenn der Angegriffene in seiner Verzweiflung Atomwaffen einsetzt.

Mit dieser Stelle ist offenkundig, dass die Schreiber und Schreiberinnen den Text des Manifestes aus den Gehirnwindungen von Wladimir Putin heraus entwickelt haben und die UnterzeichnerInnen — ist dies alles doch sehr nachvollziehbar und offen dargelegt — Putins Kriegs-Politik, Gedankengänge und Interessen per Unterschrift unterstützen.

Entsprechend dann noch zwei konkrete Forderungen im Sinne von Putin: Bundeskanzler Scholz möge „die Eskalation der Waffenlieferungen“ stoppen. Was die Ukraine mit der Ankündigung enorm schwächen würde. Und es müsse sofort einen „Waffenstillstand“ und Friedensverhandlungen geben; das heißt, die russischen Truppen bleiben dort, wo sie jetzt sind, es geht also um einen bedingungslosen Waffenstillstand.

Spätestens mit dem Hinweis, Scholz solle auf diese Weise endlich „Schaden vom deutschen Volk wenden“, wird klar, um was es geht: um des lieben Friedens mit Putin willen die Ukraine opfern. Dann sollte es auch so formuliert werden, damit klar ist, wofür sie stehen: Franz Alt, Peter Brandt, Christoph Butterwegge, Rudolf Dressler, Günter Verheugen, Margot Käßmann, Peter Gauweiler, Jürgen Todenhöfer, Gerhard Trabert, Daniela Dahn….

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Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

5 Kommentare

  1. Zutiefst beschämend! Gerhard Schröder und z.B. von Dohnany lassenn grüssen, die afd schlägt sich auf die Schenkel. Alice, wie tief bist du gesunken!

  2. Wow, eine derartige Diffamierung der Friedensbewegung gab es zuletzt in den 1980er Jahren durch Franz Josef Strauß. Wunderbar ist auch immer, wenn eine Autor:in weiß, was andere, viele, “eigentlich” meinen wenn sie etwas schreiben. Und denen dann zugleich vorwerfen, sie “steckten in Putins Gehirnwindungen”. Bei aller notwendigen und richtigen Abgrenzung gegen Rechte, wieso darf bei komplizierten und lebenswichtigen Fragen wie Waffenlieferungen keine Kritik mehr formuliert werden, ohne dass die Kritiker:innen derartig diffamiert werden. In der Diskussionskultur hat der Bellizismus seine Wirkung offenbar schon entfaltet. Das es auf bruchstücke auch anders geht beweist glücklicherweise der Beitrag von Hendrik Auhagen, danke dafür

    1. Sicher sind einige Formulierungen von Herrn Storz etwas drastisch oder auch leicht überzogen, aber im Kern ist seine Kritik richtig. Seine Kritik wiederum als Diffamierung der Friedensbewegung zu bezeichnen, ist mindestens genauso verwegen. Vielleicht sollten wir Frau Wagenknecht, die sich lieber Putin unterordnet als Phantasie zu entwickeln, was der Ukraine und damit auch uns helfen könnte, und Frau Schwarzer, die verzweifelt versucht, schon längst verspielten Kredit mit wie auch immer gearteten PR Aktionen zurück zu erbetteln, einfach nicht so ernst nehmen.
      Was mich persönlich an solchen Aufrufen irritiert, ist ja die mitschwingende Unterstellung, dass sämtliche Verantwortliche in Politik und den Ministerien permanent damit beschäftigt wären, Lieferpapiere für Waffen abzustempeln und dabei ganz vergessen, mal mit den Russen zu telefonieren. Aber zum Glück für uns alle gibt es diese beiden oberschlauen Damen, die uns nun daran erinnern.
      Zum niederknieen!

  3. Das Gleichstellen der Friedensbewegung der 1980er Jahre mit heutigen Friedensinitiativen erscheint mir naiv, weil es einen fundamentalen Unterschied unterschlägt: Ob kalter Krieg herrscht oder ob vor unserer Haustür ein heißer Krieg stattfindet, bei dem ein großes Land ein kleines brutal überfällt, zerstört und Kriegsverbrechen an Kriegsverbrechen reiht.

  4. Wolfgang Storz analysiert genau richtig. Diese Initiative wird zum Glück sicher zu keiner neuen Friedensbewegung führen, genauso wenig wie Frau Wagenknechts “Aufstehen” zu einer neuen sozialen Bewegung geführt hat. Das Schema kennen wir doch seit Oskar Lafontaine: Anstatt sich in der SPD mit Gerhard Schröder auseinanderzusetzen und manches von dem zu verhindern, was er zu Recht befürchtet hat, hat er sein “linkes” Ego gepflegt und eine Zeit lang die LINKE beglückt. Aber auch hier waren die Mühsal der Ebene zu groß. Und ähnlich verfährt Sarah Wagenknecht. Anstatt in der LINKEN zu streiten, kämpft sie gegen sie. Bei beiden dominiert letztendlich politische Egomanie an Stelle sozialer Bewegung.

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