Paragraph 218: Noch ein Großkonflikt?

Foto, 1988: Unbekannt auf wikimedia commons

Die SPD- Bundestagsfraktion hat jetzt eine Position zu Schwangerschaft und Abtreibung bezogen, die Beginn eines großen, großen gesellschaftlichen Konflikts ein gutes Jahr vor einer Bundestagswahl werden könnte. Eine traditionell stärkere Verankerung der Sozialdemokratie in den Zweigen der christlichen Glaubensrichtungen als Grüne und Linke und FDP legen die Vermutung eines solchen Konflikts nahe. Die politisch Konservativen in den C-Parteien sind gegen eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs.

Die SPD-Fraktion folgt mit ihrer Position Empfehlungen einer Regierungskommission, die vor einigen Monaten ihre Arbeit vorgelegt hatte. Die Kommission fand, dass es bis zum Zeitpunkt der eigenständigen Überlebensfähigkeit des Fötus  außerhalb des Uterus einen gesetzgeberischen Handlungsspielraum für eine Neuregelung außerhalb des Strafrechts gebe. Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und die Rechte der Schwangeren müssten daher neu austariert werden.

„Die aktuelle Regelung berücksichtigt das Selbstbestimmungsrecht von Frauen nicht ausreichend“, argumentiert die rechtspolitische Sprecherin Sonja Eichwede. Die Strafrechtsregelung bringe zum Ausdruck, dass ein selbstbestimmter Schwangerschaftsabbruch Unrecht sei. „Das halten wir – wie die unabhängige Expert:innenkommission – für nicht vereinbar mit den Grundrechten der Schwangeren. Deshalb wollen wir den § 218 StGB in seiner jetzigen Form streichen und klare Voraussetzungen für einen selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch jenseits des Strafrechts regeln“, sagt Eichwede.

Gravierend veränderte Verhältnisse

Eine Abtreibung, so die Fraktion nun, solle nicht mehr allein an die Existenz eines Fötus geknüpft sein, wie dies das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen festgelegt hatte, sondern ein Fötus soll erst ab dem Zeitpunkt der Überlebensfähigkeit außerhalb des Körpers der Mutter nicht mehr abgetrieben werden dürfen. Das Netzwerk Neonatologie schrieb hierzu: „Mittlerweile gelingt es Medizinern, selbst extrem unreifen Kindern ein Überleben zu ermöglichen, die vor der 24. SSW und damit mehr als vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin geboren wurden. Sie wiegen bei der Geburt nicht selten weniger als 500 Gramm.“

Die Bundestagsfraktion weist zur Begründung darauf hin, dass aus den Urteilen des Verfassungsgerichts keine Bindungswirkung für den Gesetzgeber entstünde, wenn sich eine Neuregelung auf veränderte Verhältnisse stütze. Und die Verhältnisse hätten sich aufgrund der heutigen Gewichtung des Selbstbestimmungsrechts, der veränderten menschenrechtlichen Beurteilung von reproduktiven Rechten und der weiter fortschreitenden Verschlechterung der Versorgungslage schwangerer Frauen gravierend verändert.

Ob das Verfassungsgericht sich auf die Argumentation der SPD-Juristen und -Juristinnen einlässt, ist sehr zweifelhaft. Das Gericht hat die Grundlegung des heutigen Abtreibungsrechts vorgenommen. Neben Konflikten über Zuwanderung und Ausgestaltung des Sozialstaats, neben Klimakrise und Krieg in Europa noch ein Großkonflikt? Oder will man noch auf den Weg bringen, was eben möglich ist, bevor andere das Heft in die Hand nehmen?

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Klaus Vater
Klaus Vater arbeitet als Kommunikationsberater und Autor. Er war stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, zuvor Pressesprecher des Gesundheitsministeriums sowie des Arbeitsministeriums. Seinen Jugend-Kriminalroman "Sohn eines Dealers" wählte die Kinderjury des Literaturpreises "Emil" 2002 zum Kinderkrimi des Jahres.

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