Schule – ein Ort der Rekrutierung?

Foto: U.S. Air Force photo by Tech. Sgt. Samuel Morse auf wikimedia commons
Screenshot: Westfalen-Blatt

Im ostwestfälischen Bad Salzuflen findet die Berufsmesse “MyJobOWL” statt. Den mit Abstand größten Stand aller Arbeitgeber hat die Bundeswehr, zwei Dutzend Soldaten sind im Einsatz. Ein riesig wirkender Tornado-Kampfjet thront in der Mitte der Halle, er bildet den größten Anziehungspunkt für die zumeist jungen Besucher:innen. Am Rande der stationären Flugschau führen Jugendoffiziere im kleinen Kreis Gespräche, Uniformierte berichten von ihren Auslandseinsätzen und schwärmen von den Karrieremöglichkeiten beim Militär. Die Bundeswehr hat ein drastisches Nachwuchsproblem.

Gut 180.000 Mann (und Frau) zählt die Truppe derzeit, bis Anfang der 2030er Jahre sollen es über 200.000 werden. Doch zuletzt ist die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten sogar leicht gesunken, es gibt schlicht zu wenig freiwillig Interessierte. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) denkt daher seit seinem Amtsantritt immer wieder laut über die Wiedereinführung der seit 2011 ausgesetzten Wehrpflicht nach. Leicht abgeschwächte Pläne dazu liegen schon in der Schublade: Alle 17- bis 18-Jährigen, auch die jungen Frauen, erhalten demnächst von der Bundeswehr per Post einen Fragebogen. Dessen Beantwortung ist zumindest für die jungen Männer obligatorisch; Teile dieser Gruppe werden dann aufgefordert, sich auch körperlich “mustern” zu lassen.

“Zeitenwende” und “Wehrhaftigkeit” müssten endlich in den Köpfen ankommen, verlangt Pistorius. Mit seinem Feldzug für “Kriegstüchtigkeit” bekämpft er die in der Bevölkerung weit verbreitete Ablehnung militärischer Einsätze. In der ideologischen Schlacht gegen unliebsame pazifistische Tendenzen in Deutschland kann er auf zahlreiche Mitstreiter zählen. Politiker fast aller Parteien, Linke und BSW ausgenommen, befürworten sein Drängen, den Dienst bei der Armee offensiver zu bewerben. Wichtigster Schauplatz dieser Kampagne sind, neben beruflichen Orientierungsveranstaltungen oder Jugendmessen, die Schulen.

Bayern prescht vor

Die Bundeswehr hat hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten gesellschaftlich eher ein Schattendasein geführt. Schon vor der Wende in Osteuropa verweigerte rund die Hälfte der jungen Männer den Kriegsdienst an der Waffe und leistete statt dessen lieber Zivildienst. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Rufe nach friedlicher Konversion immer lauter, die hohen Militärausgaben waren kaum noch zu vermitteln. In ihrer leicht verschämten Zurückhaltung ähnelte die Truppe der deutschen Rüstungsindustrie, die zwar eifrig und durchaus profitabel Waffen auch in Krisengebiete lieferte, sich aber öffentlich kaum exponierte. Inzwischen sponsert der boomende, mit Aufträgen bestens versorgte Rheinmetall-Konzern den Fußballklub Borussia Dortmund, und die lange ignorierte oder gar ungeliebte Armee soll ebenso “in die Mitte der Gesellschaft” gerückt werden.

Screenshot: Rheinmetall

Gleich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 forderte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) den Einsatz von mehr Jugendoffizieren an den Schulen, man müsse Kindern den Krieg und die deutsche Verteidigungspolitik erklären. Der bayerische Landtag verabschiedete im Juli dieses Jahres ein Gesetz zur “Förderung der Bundeswehr”. Im Rahmen der politischen Bildung, so heißt es dort, sollen wie einst im Kalten Krieg wieder regelmäßig Soldaten in die Klassenräume eingeladen werden. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) begründet die engere Kooperation von Schule und Truppe mit der veränderten Sicherheitslage. Um “abwehrbereit” zu sein, braucht man eben nicht nur Waffen, sondern auch Menschen, die sie bedienen.

Während Bayern vorprescht und die Militärpräsenz in den Schulen gleich zur Pflicht erklärt, sind andere Bundesländer vorsichtiger. Die meisten Kultusministerien reagieren zurückhaltend auf die Appelle, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen “kriegstüchtig” zu machen. Manche ostdeutsche Politiker fühlen sich gar an den “Wehrkundeunterricht” zu DDR-Zeiten erinnert. Bisher gewähren neun von 16 Bundesländern der Armee im Rahmen von Kooperationsverträgen einen privilegierten Zugang zu den Schulen.

Eine Art Unterweisung in Staatsbürgerkunde

Im schwarzgrün regierten Nordrhein-Westfalen zum Beispiel dürfen Soldaten schon jetzt Unterrichtsstunden gestalten. Allerdings geschieht dies auf freiwilliger Basis, die Auftritte der Uniformierten beruhen in der Regel auf der persönlichen Initiative einzelner Lehrer oder Lehrerinnen. Kein Pädagoge zwischen Rhein und Weser ist genötigt, militärische Aufklärungsmissionen in seiner Klasse zuzulassen. Dem bayerischen Vorbild folgen will im bevölkerungsreichsten Bundesland bislang nur die AfD, andere Parteien sind eher skeptisch. Allerdings fordern auch einzelne CDU-Politikerinnen wie die Kölner Bundestagsabgeordnete Serap Güler “verpflichtende Schulbesuche von Jugendoffizieren ab der 9. Klasse”.

Völlig ablehnend äußert sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. “Alle, die für Demokratie und Friedenspolitik werben, können keine Kooperation von Schulen und Bundeswehr befürworten”, sagt die GEW-Landesvorsitzende Ayla Celik, sie hält das für einen “Widerspruch in sich”. Schule sei ein Schutzraum und kein “Ort der Rekrutierung”, die Gewerkschafterin spricht von “gezielter Imagepflege”. Auch die nordrhein-westfälische Landesschüler:innenvertretung betont in ihrem Grundsatzprogramm, das Militär sei an den Schulen “nicht erwünscht”.

Der letzte Jahresbericht der Bundeswehr weist für 2023 insgesamt rund 5500 Veranstaltungen von Jugendoffizieren aus, knapp 122.000 Schülerinnen und Schüler wurden so erreicht. Es gibt zu diesem Zweck bundesweit 94 hauptamtliche Dienstposten, hinzu kommen mehrere hundert Stellen in der beruflichen Karriereberatung. Die Militärs interpretieren ihre Einsätze in Bildungseinrichtungen selbstverständlich ganz anders als die GEW. “Ich beeinflusse die Schüler nicht”, beteuert einer der engagierten Soldaten. Man wolle informieren und keineswegs gezielt anwerben, “Nachwuchsgewinnung“ stehe nicht im Vordergrund. Seine Auftritte vor den Klassen versteht der Offizier als eine Art Unterweisung in Staatsbürgerkunde, er referiere betont sachlich zu dem wieder aktuell gewordenen Thema Krieg und Frieden.

Foto: Matti Karstedt auf wikimedia commons

Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger drückt sich weniger vorsichtig aus. Im Mai 2024 verlangte sie unverblümt, Schulen sollten Kinder auf einen möglichen militärischen Konflikt vorbereiten. Sie müssten dafür sorgen, dass diese ein “unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr” entwickeln und Zivilschutzübungen durchführen. Längst dröhnen wie in Zeiten des Kalten Krieges auf Schulhöfen und in Klassenzimmern wieder die Alarmsirenen. Das hat keineswegs nur Sicherheitsgründe, unterschwellig dient es der psychologischen Vorbereitung auf den “Ernstfall”.

Viele Fragen zu den Ursachen von Krieg und Gewalt

Stark-Watzinger hat auch die Universitäten im Blick: Diese müssten sich für militärische Forschung stärker öffnen. Zivilklauseln, die Hochschulen verpflichten, ausschließlich für friedliche Zwecke wissenschaftlich tätig zu sein, gehörten abgeschafft, stimmt der CDU-Vorsitzende und künftige Kanzlerkandidat Friedrich Merz zu. Das CSU-regierte Bayern fordert gar eine “Kooperationspflicht im Interesse der nationalen Sicherheit”. Kritiker sehen darin einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Autonomie der Hochschulen und einen Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit.

Kinder und Jugendliche hätten seit den Konflikten in der Ukraine und in Gaza viele “Fragen zu den Ursachen von Krieg und Gewalt”, beobachtet Martina Schmerr, Referentin beim GEW-Hauptvorstand. Ein weiterer Anknüpfungspunkt seien die alltäglichen Kontakte zu aus Krisengebieten geflüchteten Mitschüler:innen. Die Gewerkschafterin hält es für wichtig, diese Themen altersgemäß zu behandeln. Das zentrale pädagogische Ziel laute dabei, gewaltfreie Konfliktlösungen zu diskutieren. Es sei notwendiger denn je, die Friedenserziehung zu stärken und verbindlich in Lehrplänen und Fortbildung zu verankern”. Diese Aufgabe gehöre “in die Hände der dafür ausgebildeten Lehrkräfte”, nur diese könnten gewährleisten, dass auch “unterschiedliche Sichtweisen” präsentiert werden. Vorträge von Jugendoffizieren, die “den Richtlinien des Verteidigungsministeriums verpflichtet sind” und folgerichtig eher für Aufrüstung und mehr Soldaten plädieren, betrachtet sie als wenig ausgewogenes Angebot. Schulen dienten nicht dazu, Nachwuchs für die Truppe zu rekrutieren, sie dürften nicht “für militärische Zwecke missbraucht werden”.

Unter dem Titel „Bundeswehr-Nachwuchs: Erziehung zur Kriegstüchtigkeit“ erschien der Beitrag zuerst in der Freitag.

Thomas Gesterkamp
Dr. Thomas Gesterkamp ist Politikwissenschaftler, Journalist und Buchautor. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Geschlechter- und Männerpolitik, zudem berichtet er über wirtschafts-, sozial-, bildungs- und kulturpolitische Themen. Er schrieb fünf Sachbücher und veröffentlichte rund 4000 Beiträge im Hörfunk, in Tages- und Wochenzeitungen sowie in Sammelbänden und Fachzeitschriften. Website: https://thomasgesterkamp.com/

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