Ukraine: Putin ante Portas und Trump im Weißen Haus

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Nach über 1000 Tagen Krieg, zahllosen Toten und Verwundeten, zerstörter Infrastruktur, zerbombten Häusern, Dörfern und Städten steht die Ukraine vor der Wahl, entweder aus einer Position der Schwäche über einen Waffenstillstand zu verhandeln oder zu versuchen, eine entscheidende Wende auf dem Schlachtfeld zu erzwingen. Letzteres ist allerdings ohne mehr westliche Waffen und – um es einmal auszusprechen – westliche Truppen kaum vorstellbar. Trotz westlicher humanitärer, finanzieller und militärischer Hilfe verschlechtert sich die Lage der Ukraine. Gleichzeitig dreht die Eskalationsspirale sich weiter – real und verbal.

Auch wenn nicht vergessen werden darf , wer diesen Krieg begonnen hat, wer Aggressor und wer Verteidiger ist, ist es in der Verlaufslogik des Krieges letztendlich nicht entscheidend, wer angefangen hat. Die Logik des Krieges verlangt nach immer mehr Soldaten und mehr und schwereren Waffen, solange der Feind nicht niedergerungen ist. Und Generäle haben die Tendenz, Politikern zu versprechen, dass mit noch entschlossenerem Militäreinsatz ein Sieg möglich ist.

Eine gewisse Nonchalance

Gebremst wurde und wird die Eskalation nur, weil der Westen das ultimative Risiko eines Großkriegs bis hin zum Einsatz atomarer Waffen befürchtet, wenn Russland keinen anderen Weg sieht, eine Niederlage abzuwenden. Diejenigen, die befürworten, der Ukraine alles zu liefern, was sie braucht, und freie Hand zu geben, auch Ziele in der russischen Weite mit westlichen Raketen beschießen zu können, halten dagegen Putins Atomdrohung für einen Bluff. Und je länger der Krieg dauert, desto mehr schleicht sich bei den Befürwortern bedingungsloser Waffenhilfe – auch weil man sich von Putin nicht einschüchtern lassen will – eine gewisse Nonchalance gegenüber dem Risiko des Atomwaffeneinsatzes ein.

Dabei erhöht jede wirkungslose Drohung das Risiko, dass Russland irgendwann zu dem Schluss kommen könnte, den Drohungen müssten Taten folgen, um ernst genommen zu werden. Es hilft nichts, wenn man im Westen davon ausgeht, Putin wisse selbst, dass der Einsatz taktischer Atomwaffen töricht ist. Die verquere Sichtweise des Gegners ins Kalkül zu ziehen, ist ein Gebot der Vernunft. Geradezu naiv mutet da die Auffassung des Leiters der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, im Deutschlandfunk an, dass man Putins Nukleardrohung nicht ernst nehmen müsse, weil ja China gesagt habe, es sei dagegen. Nach dem Motto, der Westen muss keine Angst vor Putins Nukleardrohungen haben, Xi Jinping wird uns schützen.

Inwieweit Putin blufft und wann er meint, keine andere Wahl als die ultimative Eskalation zu haben, ist für politische Entscheidungsträger eine der schwierigsten Abwägungen. Dies dürfte der wesentliche Grund sein, weshalb Präsident Biden und in seinem Gefolge Bundeskanzler Scholz nur Schritt für Schritt die Waffenlieferungen ausgebaut haben und keine unbegrenzte Waffenhilfe zusichern. Wie auch immer man dieses Vorgehen bewertet, die Fortsetzung dieser Politik ist keine Strategie für die Zukunft, weil die Ukraine vor unseren Augen im wahrsten Sinne des Wortes verblutet und den Abnutzungskrieg nur noch eine begrenzte Dauer durchhalten kann.

Die Frage zusätzlicher Soldaten ist dabei die Achillesferse des ukrainischen Widerstands und noch dringlicher als die Frage zusätzlicher Waffen. Es mehren sich die Berichte von totaler Erschöpfung der kämpfenden Truppe, massiven Rekrutierungsproblemen, zunehmender Desertation bzw. Umgehung der Einberufung durch Flucht und Korruption. Im Gegensatz zu Putin hat die Ukraine keine Diktatorenfreunde, die einfach junge Menschen an die Front und in den Tod abkommandieren können, ohne auf die Stimmung im eigenen Land und die Sorgen der Menschen Rücksicht nehmen zu müssen.

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Waffenstillstand entlang der Frontlinie?

Soll die Ukraine siegen bzw. zumindest aus einer Position der Stärke verhandeln können, erfordert dies nicht nur westliche Waffen, sondern eben auch westliche Soldaten. In Großbritannien und Frankreich wird laut Le Monde zwar darüber nachgedacht, aber dabei geht es wohl eher um Ausbilder, technische Wartung von Waffen und möglicherweise Kämpfer von privaten Sicherheitsfirmen à la Blackwater. Es ist schwer vorstellbar, dass sich bei den ukrainischen Verbündeten politische Mehrheiten finden, der Ukraine mit eigenen Truppen zur Hilfe zu kommen.

Präsident Selenskyj hat sich wahrscheinlich sowohl deshalb, als auch angesichts der Lage an der Front und des Wahlsiegs von Donald Trump entschieden, das Ziel der militärischen Befreiung der besetzten Gebiete aufzugeben und einen Waffenstillstand entlang der Frontlinie bei gleichzeitiger NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ins Gespräch zu bringen. Die negative Entwicklung an der Front und der Wille Trumps, den Krieg schnellstmöglich zu beenden, haben es Selenskyj gleichzeitig ermöglicht und ihn gezwungen, trotz der starken patriotischen Kräfte im eigenen Land, die für das Maximalziel weiterkämpfen wollen, einen Weg zwischen Eskalation und Kapitulation zu suchen. Die Aussichten, den Krieg einzufrieren, wären 2022 nach der Befreiung von Cherson möglicherweise besser als jetzt gewesen, wo die Ukraine aus einer Position der Schwäche heraus verhandeln muss. Umso mehr sollte der Westen jetzt entschieden handeln, damit dieser so schwierige, aber dennoch richtige Schritt Selenskyjs einen Weg zur Rettung der Ukraine und nicht zum russischen Sieg eröffnet.

Die Präsidentschaft von Donald Trump bietet unter Umständen eine Chance für einen Waffenstillstand. Er hat eine klare wie simple Botschaft. Putin kann zwischen einem Waffenstillstand, bei dem er die eroberten Gebiete besetzt hält, aber auch die freie und unabhängige Ukraine bestehen bleibt, oder einer Verschärfung des Krieges wählen. Niemand – auch Putin nicht – kann wissen, wie Trump reagiert, wenn Putin einen Waffenstillstand ablehnt. Mit Sicherheit kann man allerdings davon ausgehen, dass er seine Präsidentschaft nicht mit einer Niederlage beginnen möchte.

Europa sollte Trump entschlossen in seinen Waffenstillstandsbemühungen unterstützen, aber darauf drängen, dass nicht nur die Waffen schweigen, sondern auch die Sicherheit der freien Ukraine gewährleistet wird.

Angesichts eigener militärischer Schwäche bleibt Europa nicht viel anderes übrig, als Trump anzubieten, den Löwenanteil der finanziellen Kosten sowohl für eine sicherheitspolitische Absicherung des Waffenstillstandes oder, falls dies scheitert, für verstärkte Waffenlieferungen zu übernehmen. Aus europäischer wie aus ukrainischer Sicht muss jedwede Lösung Sicherheitsgarantien für die Ukraine beinhalten. Sollte ein NATO-Beitritt sowohl wegen des russischen Widerstands als auch einer Uneinigkeit innerhalb der Nato nicht möglich sein, sind die europäischen Großmächte gefordert, in Kooperation mit den USA glaubwürdige Sicherheitsgarantien abzugeben.

Die Hoffnung hat einen dreifachen Preis

Aber gibt es auf russischer Seite überhaupt Verhandlungsbereitschaft? Ist Putin bereit, seine Maximalforderungen von Regimechange und Entwaffnung der Ukraine aufzugeben? Ob die Aussicht auf einen Waffenstillstand die Stimmung in der russischen Bevölkerung ändern wird und sich mehr Stimmen gegen den Krieg zu äußern wagen, kann von außen nicht beurteilt werden. Inwieweit mehr oder weniger neutrale Staaten wie Indien, Brasilien und Südafrika und selbst China Russland angesichts des ukrainischen Vorschlags zu Verhandlungen drängen, bleibt abzuwarten. Für Putin bietet Selenskyjs Vorschlag die Möglichkeit, den auch für Russland kostspieligen und opferreichen Krieg zu beenden. Die Unberechenbarkeit Trumps ist ein Risiko, das Putin möglicherweise scheut. Auf jeden Fall kann das Zugeständnis Selenskyjs nur zu Waffenstillstandsverhandlungen führen, wenn Putin nicht hoffen kann, dass der Ukraine ohnehin bald nichts anderes übrig bleibt, als zu kapitulieren. Europa darf deshalb keinen Zweifel an seiner entschlossenen Unterstützung für die Ukraine aufkommen lassen.

Dafür wird Europa Hunderte von Milliarden mobilisieren müssen. Trump liefert, wenn überhaupt, Schutz vor Putin nur gegen Cash. Die Solidarität mit der Ukraine dabei über den Verzicht auf die gebotenen Investitionen in Infrastruktur, Klimawandel und soziale Gerechtigkeit finanzieren zu wollen, bedeutet Wasser auf die Mühlen derer, die den Krieg beendet sehen wollen, egal was dabei aus der Ukraine wird. Für Deutschland heißt dies daher, entweder die Schuldenbremse auszusetzen oder die Staatseinnahmen zu erhöhen, beispielsweise durch eine einmalige zehnprozentige Freiheitsabgabe auf alle Vermögen oberhalb einer Million.

Der Preis für einen Waffenstillstand auf Basis der militärischen Realitäten wäre also dreifach:

  • die Ukraine verliert zumindest vorübergehend 20 Prozent ihres Territoriums.
  • Europa bezahlt viele Milliarden für die amerikanische Militärhilfe, und
  • Donald Trump, der wohl gefährlichste Feind der amerikanischen Demokratie, verbucht einen großen außenpolitischen Erfolg.

Angesichts der Alternativen bleibt dies trotzdem der Hoffnungsschimmer zwischen Kapitulation und Armageddon.

Frank Hoffer
Dr. Frank Hoffer ist ehemaliger Mitarbeiter der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und Associate Fellow an der Global Labour University Online Academy. Zuvor war er als Sozialreferent in der Deutschen Botschaft in Moskau und Minsk sowie als Geschäftsführer der Initiative ACT tätig, die sich für existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie einsetzt.

3 Kommentare

  1. sehr gut und sehr richtig analysiert! Mit 2 Einschränkungen: 1. Die Hunderte Mrd. € für die Ukraine und für unsere eigene Sicherheit bzw. die Europas werden sich nicht alleine durch eine Sonder-Vermögensabgabe für Wohlhabende finanzieren lassen. Sondern sie werden massive Umschichtungen im Haushalt erfordern oder einen Verteidigungs-Soli von allen. 2. Im Fall einer Waffenruhe wird eine Koalition von Willigen, auch Deutschland, bewaffenete Friedenstruppen in die Ukraine schicken müssen, um Putin-Russland vor einem erneuten Angriff auch auf Nato- und EU-Gebiet abzuhalten. Trump wird keine US-Soldaten schicken. Und sich, wie Sie geschrieben haben, alles bezahlen lassen. Das sollten uns unsere Freiheit und Sicherheit wert sein. Das muss der neue Kanzler dann den Bürgern unmissverständlich klar machen, anders als der bisherige schwache.

    1. Ludwig Greven findet die Analyse von Frank Hoffer „sehr gut und richtig“. Ich teile diese Bewertung im Wesentlichen.

      Grevens Schlussformulierung – nach Art eines Ceterum Censeo – „der bisherige schwache“ Kanzler ist allerdings auf dem Hintergrund dieser „sehr guten und richtigen“ Analyse nicht nachvollziehbar.

      Im Gegenteil bestätigt doch diese „sehr gute und richtige“ Analyse eher, dass der Bundeskanzler mit seiner abwägenden, in Abstimmung mit den USA und den Verbündeten besonnenen Ukrainepolitik, ziemlich richtig lag und liegt und gerade dadurch Stärke bewiesen und gezeigt hat, dass er diese seine Politik gegenüber einer lauten und z.T unbesonnenen Kritik bis heute durchgehalten und ihr nicht nachgegeben hat.

      Insofern können sowohl die Analyse von Hoffer wie auch der Kommentar von Greven auch einen Anlass dafür geben, die Wahrnehmung der Politik des Kanzlers und
      die Rede von einem „schwachen Kanzlers“ zu hinterfragen und ggf. zu korrigieren.

  2. alles schön und gut. Aber entscheiden müssen wir uns trotzdem – zwischen Ciceros „ad portas“ und Loriots „ante portas“. Schwierig, schwierig. Hannibal hat es damals („temporibus illis“) in die Nähe Roms gebracht, also in die Richtung der Stadt: ad. Mehr nicht. Loriot ist immer „ante“: vor seiner Zeit, nach seiner Zeit – in Richtung Ewigkeit. „Vor“ der Ewigkeit, das wär etwas gewagt.

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