Trump & Putin wollen Selenskyis Rücktritt

Europäischer Ukraine-Gipfel am Sonntag, 02. 03. 2025 in London (Screenshot: ARD-Tagesschau)

Was für eine Tragödie. Was für ein Farce. Der Mann, der seinem Land Hoffnung und Widerstandskraft gab, als es von Russland überfallen wurde und wie kein anderer den ukrainischen Freiheits- und Widerstandswillen verkörpert, wird vor der Weltöffentlichkeit zusammengefaltet und soll sich dann noch bei Trump entschuldigen. Der neue Häuptling im Weißen Haus fordert seinen Skalp. Alle die jetzt darüber reden, Selenskyj hätte sich besser so servil wie Macron oder Starmer verhalten sollen, müssen glauben, dass es in Selenkyjs Macht gestanden hätte, den Eklat zu vermeiden. Für Trump, Vance und Co ist die Bloßstellung Selenskyjs aber Teil ihrer Strategie, sich möglichst schnell mit Putin zu einigen. Putin will einen Regierungswechsel in Kyjiw und Trump erledigt es für ihn. Eine weitere Forderung Putins für eine Ende des Krieges wird vor laufenden Kameras erfüllt. Selenkyj hätte Trump die Füße küssen können und der „Eklat“ wäre nicht vermieden worden.

Das vehemente, manchmal fast aggressive, Einfordern von Solidarität war in der Vergangenheit eine Erfolgsstory ukrainischer Diplomatie. Die Ukraine reklamierte ein Recht auf Solidarität. Wer für die Freiheit stirbt, muss nicht bitten, sondern kann fordern. In Deutschland trieb der ukrainische Botschafter mit Unterstützung deutscher Medien den Bundeskanzler vor sich her. Weder die Ausladung des Bundespräsidenten, noch die Bezeichnungen des Bundeskanzlers als beleidigte Leberwurst noch die maßlose Verunglimpfung von Rolf Mützenich als dem widerlichsten deutschen Politiker gaben damals in den Medien Anlass zu nennenswerter Kritik.

Trump nutzt jetzt das unterschwellige Unbehagen über die fordernde statt bittende Ukraine, um Selenskyj fehlende Dankbarkeit vorzuwerfen, und seine MAGA Fans jubeln. Trump, Vance und ihre Gefolgsleute wissen, dass es kurzfristig zur US-Macht keine Alternative gibt und sie sich alles erlauben können. Gerade weil die neue amerikanische Aggressivität neue globale Allianzen erzeugen wird, streben die USA „Blitzsiege“ an, um machtpolitische Fakten zu schaffen, bevor sich alternative Allianzen formieren können.

„‚Das undankbare Schwein bekam von den Besitzern des Schweinestalls eine kräftige Ohrfeige. Das ist nützlich.‘ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei ein ‚Kokain-Clown‘, fügte Dmitri Medwedew, der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, noch hinzu. Das Bild, das Medwedew zeichnet, umfasst den ganzen Spott und die ganze Häme, die dem ukrainischen Präsidenten nun in Russland entgegenschlägt“, schreibt der Standard.

Europas hilflose Solidaritätsbekundungen

Aufgrund der faktischen Schwäche Europas, schmilzt nach der Wende in den USA auch die Solidarität Europas wie Schnee unter der Sonne: nicht verbal aber real. Starmer sagt, dass das Vereinigte Königreich Friedenstruppen schicken werde, wenn die USA Sicherheitsgarantien geben, also im Klartext, dass man keine schicken wird. Macron fährt nach Kyjiw, um noch schnell einen Anteil an den ukrainischen Rohstoffen für Frankreich zu sichern. Donald Tusk hat bezüglich polnischer Truppen als Teil einer Friedenstruppe sofort abgewunken. Friedrich Merz wird sich hüten, in dieser Lage Taurus Marschflugkörper zu liefern. Die Bitten von Macron und Starmer in Washington, die Ukraine und letztendlich Europa nicht in Stich zu lassen, waren erfolglos. Die EU Außenbeauftragte Kallas, die sich kritisch über Trumps Ukrainepolitik geäußert hatte, wurde vom US amerikanischen Außenminister gar nicht erst empfangen. Und am Ende der Woche wurde Selenskyj vor laufenden Kameras abgekanzelt und dann mit leeren Händen nach Hause geschickt. Die Solidaritätsbekundungen Europas sind im Moment unweigerlich hilflos.

Europa ist zurzeit nicht ernsthaft Willens – und auch nur begrenzt fähig – die amerikanische Militärhilfe zu ersetzen und Russland auch ohne die USA militärisch die Stirn zu bieten. Angesichts der Zweifel an der Bereitschaft der USA ihren NATO Verpflichtungen nachzukommen, bekommt eine russische atomare Drohung gegenüber Europa ein anders Gewicht. Wenn es in den vergangenen Jahren eine strittige Frage war, ob Putins nuklear Drohungen real oder ein Bluff waren, so zeigt die Angst der Europäer, ohne den amerikanischen Nuklearschirm, einen Konflikt mit Russland zu wagen, dass es unter den veränderten Bedingungen eine größere Neigung gibt, sie für real zu halten.

Maximale Anstrengungen für das Minimalziel

Europa und Deutschland müssen schnell handeln, um mittelfristig handlungsfähiger zu sein. Schnell heißt aber nicht übereilt. Es wäre ein fatales anti-demokratisches innenpolitisches Signal, wenn die abgewählten Abgeordneten jetzt noch schnell hunderte von Milliarden für die Bundeswehr bewilligen würden. CDU und SPD haben keine Wahl als mit aller Kraft zu versuchen mit der grünen und linken Opposition einen „Pakt der Vernunft“ zu finden, der über die Änderung der Schuldenbremse die finanziellen Möglichkeiten schafft gleichzeitig in Infrastruktur, Wohnungsbau, Verteidigung und ökologische Modernisierung zu investieren. Last-Minute Deals mit zweifelhafter demokratischer Legitimation wären ein Fehler, der die Demokratieverdrossenheit befeuern würde.

Anders als Europa hat die Ukraine überhaupt keine Zeit. Sie ist in einer nahezu ausweglosen Situation. Sie kann mit verzweifeltem Heldenmut weiterkämpfen, aber wer will für eine verlorene Sache sterben? Die amerikanische 180 Grad Wende wird die Moral an der Front schwächen. Damit die vielen Menschen nicht umsonst gestorben sind, kann die Ukraine nur versuchen, bei den russisch-amerikanischen Verhandlungen das Schlimmste zu verhindern

Ein ukrainischer Präsident, der am Hofe in Washington eine persona non grata ist, kann seinem Land in dieser Situation nicht dienen. Selenskyj hat schon vorher für Sicherheitsgarantien seinen Rücktritt angeboten. Die Ukraine braucht jetzt jemanden, der das Vertrauen der Ukrainer hat, den die USA als Gesprächspartner akzeptieren und der keine Marionette Putins ist. Selenskyj sollte helfen diese Person zu finden, bevor ihm das Heft des Handelns völlig entgleitet.

Eine Finnlandisierung statt einer Belarusifizierung der Ukraine wäre unter den gegeben Bedingungen ein Erfolg. Es würde bedeuten, dass die Ukraine entlang des Frontverlauf geteilt wird. Die freie Ukraine verpflichtet sich zu militärischen Neutralität. Sie wird im ersten Schritt assoziiertes Mitglied der EU mit der Perspektive der Vollmitgliedschaft. Sie behält die vollständige Hoheit über die Stärke und Ausrüstung der eigenen Streitkräfte. Eine internationale Friedenstruppe unter Führung der UN und bezahlt von Europa bekommt ein russisch-ukrainisches Mandat um die Einhaltung des Waffenstilstands zu sichern. Selbst dieses Minimalziel braucht die Entschlossenheit Europas, seine objektiv begrenzten Möglichkeiten der Unterstützung der Ukraine voll einzusetzen.

Würden solche weitreichenden Konzessionen Putin genügen? Möglicherweise sind sie angesichts der massiven russischen Verluste hinreichend. Schützt ein solch weitgehendes Eingehen auf russische Forderungen die Ukraine vor einem weiteren Angriff Russlands in den nächsten Jahren? Dafür gibt es keine Garantie, aber was ist jetzt die Alternative?

Karnevalswagen in Berlin, März 2022 (Foto: Kwak 90 auf wikimedia commons)

Vom multilateralen Hühnerhaufen zum foederalen Staat

 Die Zeit arbeitet gegen Russland, wenn Europa bereit ist, sowohl den Wiederaufbau der Ukraine wirtschaftlich zu unterstützen als auch die eigene Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Die europäische Ökonomie ist um ein Vielfaches größer als die russische und den 144 Millionen Russ:innen stehen 450 Millionen Europäer gegenüber. Europa sollte sich nicht verzwergen. Die russische Armee hat in den letzten zwei Jahren 0,2% der Ukraine erobert. Ein konventioneller Krieg gegen Europa erscheint angesichts der mediokren Leistungen der russischen Armee an der ukrainischen Front auf absehbare Zeit etwas, was Putin vielleicht möchte, aber nicht ernsthaft kann. Und die Zeit ist weder ökonomisch, noch demographisch noch innenpolitisch auf Russlands Seite. Je länger ein fragiler Waffenstillstand hält, desto größer die Chance, dass er sicherer wird.

Selenskyj und das kämpfende ukrainische Volk haben darauf vertraut, dass der ukrainische Freiheitskampf auch im amerikanischen und europäischen Interesse ist. Die neue US-Außenpolitik hat andere Prioritäten. Es scheint darum zu gehen, mit Russland ins Geschäft zu kommen, um es bei der Auseinandersetzung mit China zu neutralisieren. Wie realistisch diese Strategie ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber dass dabei die Ukraine unter die Räder kommt, stört die USA nicht, und wenn es gleichzeitig Europa spüren lässt, dass die Zeiten des „luxuriösen Protektorats mit Mitbestimmung“ (Egon Bahr) vorbei sind, umso besser.

Die Lage ist bitter für die Menschen in der Ukraine. Bleibt zu hoffen, dass Europa neben der begrenzten militärischen Unterstützungsmöglichkeiten unbedingt die Kraft zu humanitärer und wirtschaftlicher Solidarität aufbringt. Für Europa selbst gilt: Es muss den Schritt vom multilateralen Hühnerhaufen zum föderalen Staat schaffen, wenn es der Ukraine helfen und nicht selbst zur Ukraine werden will: und zwar schnell.

Frank Hoffer
Dr. Frank Hoffer ist ehemaliger Mitarbeiter der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und Associate Fellow an der Global Labour University Online Academy. Zuvor war er als Sozialreferent in der Deutschen Botschaft in Moskau und Minsk sowie als Geschäftsführer der Initiative ACT tätig, die sich für existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie einsetzt.

3 Kommentare

  1. Das Schauspiel, das der amerikanische Präsident und der Vizepräsident am Freitag mit Wolodymyr Selenskyj im Oval Office aufgeführt haben, macht eigentlich sprach- und ratlos. Ein Duo an der Spitze der USA, das die Demokratie in den USA zerstört, in Europa zerstören will und der NATO als Wertegemeinschaft schon den Garaus gemacht hat, führt ein Theaterstück auf, um den Schurken Selenskyj verantwortlich zu machen für den Diktatfrieden, den Trump wohl Putin zugesteht, weil er nichts anderes bekommt, aber dennoch als „Peacemaker“ in die Geschichte eingehen will und gleichzeitig munter seine „Deals“, seine geldwerten und gewinnträchtigen Geschäfte mit Putin machen will. Es verschlägt einem die Rede. Der Beitrag von Frank Hoffer verlangt aber dennoch Widerspruch, da er im Grunde genommen gelassen und zwangsläufig das Ende Europas und damit einer politisch und wirtschaftlich noch mächtigen Einheit zur Verteidigung der liberalen Demokratie und jeder auf Recht gestützten nationalen und internationalen Ordnung beschreibt. Europa und die USA stehen jetzt vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Zögerlichkeit in der Unterstützung der Ukraine. Hätten die USA und Europa früher (nach der Annexion der Krim) und schneller, mit weitergehender militärischer Hilfe gehandelt und die Sanktionen gegen Russland verschärft und konsequenter kontrolliert, so hätten wir heute eventuell schon längst ein Ende des Krieges und keinen Donald Trump im Weißen Haus. Zu zögernd und zu wenig war das, was die Ukraine vor allem militärisch bekam. Anstatt, dass das unmittelbar betroffene Europa, vor allem auch Bundeskanzler Olaf Scholz, der selbst proklamierten „Zeitenwende“ Rechnung tragend, Joe Biden zu mehr Unterstützung aufgefordert hätte, hat sich Europa hinter der Zögerlichkeit des US-Präsidenten z.B. bei der Lieferung von Taurus immer wieder versteckt. Frank Hoffer gehört zu denen, die das zögerliche Vorgehen eher zustimmend beschrieben und beredt begründet, aber letztlich dabei dem Nachgeben gegenüber der Strategie Putins indirekt das Wort geredet haben. Er hält die Atomdrohung Putins für bare Münze und eine „Finnlandisierung“ der Ukraine nun für den einzigen Rettungsanker angesichts des schwachen Europas. Das ist schon zynisch genug, angesichts der Tatsache, dass sich Finnland selbst seiner „Finnlandisierung“ rechtzeitig durch den NATO-Beitritt entzogen hat. Aber der Logik Frank Hoffers folgend – was soll denn in den Kategorien dieses realpolitischen Kalküls dann die „Belarusifizierung“ der Rest-Ukraine verhindern? Die Atomdrohung Russlands ist durch das zögerliche Verhalten der USA und Europas nicht wirkungsloser, sondern wirkungsvoller geworden. Da bislang alle Verabredungen zur militärischen Unterstützung der Ukraine im NATO-Format und im Kreise der NATO-Verteidigungsminister in Rammstein getroffen worden sind, da die logistische Unterstützung der Kriegsführung der Ukraine durch die USA und die NATO offenkundig ist, hätte Russland schon längst die NATO vollumfänglich für die Gegenwehr in der Ukraine verantwortlich machen und angreifen können. Vielleicht war die noch vorhandene militärische und wirtschaftliche Schwäche der einzige Grund, Russland zur Zeit noch davon abzuhalten. Wir laufen Gefahr, unsere eigene Stärke klein und und die Macht Russlands groß zu reden. Wenn wir uns die Behandlung europäischer Politiker durch Trump und Vance gefallen lassen, sie als unabänderbar hinnehmen, wenn die europäischen Mitglieder nicht von sich aus die Aufkündigung einer wertlosen NATO in Erwägung ziehen, dann gibt es doch überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass die weiteren Taten Trumps und Putins nicht schlimmer sein werden als die bisherigen. Die NATO ist durch Trump als Wertegemeinschaft und als Verteidigungsbündnis aufgelöst. Wenn sich Europa nicht auf seine Stärke besinnt, schnell und entschlossen, mit aller politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht, zu der Europa durchaus noch in der Lage ist, dann ist Europa am Ende. Für die Stärke Europas gibt es etliche Ansatzpunkte. Aber wenn wir heute nur noch über die Teilung der Ukraine und die Finnlandisierung des Rests als Maximalziel, eher die „Belarusifizierung“ als „Realziel“ in der Logik der Schwäche und Wehrlosigkeit Europas, wie sie Frank Hoffer beschreibt, dann reden wir morgen über die vierte Teilung Polens und die Rückkehr der baltischen Staaten in das russische Imperium. Es ist höchste Zeit für Europa aufzuwachen – oder es geht sang uns klanglos unter und mit ihm ein letzter Hort der liberalen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Das ist dann auch eine Zeitenwende. Auch das römische Reich ist untergegangen und die Welt hat es überlebt. Aber wenn es so kommt, war das die hunderttausenden Toten und Verletzten und ein Land, weitgehend in Schutt und Asche, nicht wert. Von der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber der Ukraine und seiner Bevölkerung ganz zu schweigen. Von uns werden sich die Menschen in der Ukraine ganz besonders verraten und verlassen fühlen – und paradoxerweise dennoch zu Hunderttausenden zu uns flüchten.

    1. Einige Klarstellungen

      Was ist der Unterschied zwischen Milosevic und Putin? Putin hat Atomwaffen! Belgrad wurde bombardiert, bis Milosevic besiegt war. Da alle westlichen Führer das Risiko einer atomaren Konfrontation mit Russland sehen, wird mit Putin vorsichtiger umgegangen und weder Moskau noch St. Petersburg bombardiert, bis Putin seine Truppen zurückzieht. Klaus Lang ist der Auffassung, dass die atomare Bedrohung ein Bluff ist und keine westliche Vorsicht begründen sollte. Eine Annahme, die ich in der Tat nicht teile.
      Die europäischen Mächte haben gestern in London erneut betont, dass sie ohne die USA zurzeit nicht in der Lage sind, die notwendige militärischen Unterstützung der Ukraine zu leisten und es ohne ein „backing“ der USA auch nicht tun wollen.
      Der Vorschlag der Europäer einen vierwöchigen Waffenstillstand zu vereinbaren und in der Zeit Lösungen zu suchen, entspricht der Idee von Trump, erst die Waffen zum Schweigen zu bringen und dann über Lösungen zu verhandeln.
      Finnland konnte sich seiner Finnlandisierung entziehen, weil die Nato bereit war, es aufzunehmen. Das ist bei der Ukraine erkennbar nicht der Fall. Die USA sind dagegen.
      Europa kann entweder zusehen, wie sich Trump und Putin über die Ukraine einigen (Belarusifizierung) oder versuchen, zu retten, was zu retten ist: eine freie Ukraine mit einer starken Armee, wirtschaftlich und politisch in die EU eingebunden, aber eben nicht Mitglied der Nato und ohne die besetzen Gebiete. Dafür ist die weitere entschlossene Unterstützung der Ukraine unerlässlich: politisch, wirtschaftlich, humanitär und, soweit Europa es kann, militärisch.
      Wer eine solche Lösung für falsch oder feige hält, muss sagen, wie angesichts der neuen Machtkonstellation berechtigte weitergehende Ziele erreicht werden sollen.
      Ja, Europa sollte sich das Verhalten von Trump und Vance nicht gefallen lassen, deshalb muss entschieden und schnell gehandelt werden, um mittelfristig autonomer handlungsfähig zu sein. Das ändert aber nichts an der kurzfristigen Realität, dass die Europäer es im Moment nicht können.
      Wenn man die eigenen Werte nicht aufgeben will, muss alles versucht werden, auch innenpolitisch eine demokratische Mehrheit für die Aufhebung der Schuldenbremse zu finden, damit sich Deutschland innen- und außenpolitisch besser aufstellen kann.
      Europa muss schnell Wege finden, wie bei essentiellen Fragen gemeinsame Mehrheitsentscheidungen getroffen und durchgesetzt werden können.
      Ich halte die Schwäche und Wehrlosigkeit Europas nicht für unabänderlich, aber alle Militärexperten sagen, dass es heute so ist. Es ist ja gerade diese Schwäche, die Trump erlaubt, zu tun, was er tut. Dies zu ändern, ist einen dringende Aufgabe. Aber sie braucht selbst bei großer Entschlossenheit Zeit. Zeit, die die Ukraine nicht hat.

  2. Die in London versammelten europäischen Staaten haben einen Plan mit Punkten vorgelegt, die durchaus alternativ sindzu einer „Minimalziel-Politik“: Eine demonstrative Stärkung, keine Demontage von Selenskyj, die Fortsetzung, wenn nötig Intensivierung der militärischen Unterstützung, keine Verhandlungsformate ohne die Ukraine und über sie hinweg und keine im Vorhinein formulierten Minimalziele. Verständlich ist, dass die Abstimmung mit den USA versucht wird, auch wenn der atlantische Konsens aufgekündigt ist. Die spannende Frage ist, was passiert, wenn diese nicht gelingt. Europa hätte genügend Möglichkeiten, z.B. durch europäische Schulden, durch einen Rückgriff auf die eingefrorenen Russland-Milliarden, aber auch durch besondere nationale Maßnahmen gemeinsam mehr zu leisten – ohne die Alternative Sozialstaat oder Militärhilfe. Europa muss sich auch mit über 60 Milliarden Euro Militärhilfe gegenüber 42,2 Milliarden Euro der USA bis 2024 nicht verstecken. Schafft es Europa j e t z t nicht, notfalls auch ohne USA, die Ukraine beim weiteren Widerstand wirkungsvoll zu unterstützen und die Sanktionen gegen Russland aufrecht zu erhalten, um die Verhandlungsposition der Ukraine zu halten, wird die Situation im Laufe der Monate und Jahre nicht besser, sondern schlechter. Putin ist jetzt etwas geschwächt, wirtschaftlich und militärisch. Mit jedem Jahr Trump´scher Disruption und Putins wachsender Stärke nach einem Ende des Angriffskrieges nach seinen Vorstellungen werden sich die Fliehkräfte in Europa beschleunigen. Vor wenigen Wochen haben Boris Pistorius und Mark Rutte vor einem möglichen Angriff Russlands auf NATO-Gebiet gewarnt. Der Chef des Bundesnachrichtendienstes nennt 2030 als spätestes Jahr, in dem Russland dazu in der Lage wäre. Wenn sich die europäischen Staaten nicht jetzt zu intensiverem gemeinsamen Handeln und zu großen Anstrengungen aufraffen, wird die Chance für einen föderalen Staat Europa im Lauf der Jahre auch nicht besser, die Gefahr eines Zerfalls Europa und die Zuordnung seiner Staaten zu den bestehenden Machtblöcke ungleich größer.

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