
In Osnabrück rumort es, über zweitausend Arbeitsplätze im dortigen VW-Werk sind gefährdet. Spekuliert wird sogar über eine Schließung des ganzen Standortes, der einst Sitz des traditionsreichen Autoherstellers Karmann war. Doch die Rettung naht in Gestalt von Armin Papperger, Chef von Rheinmetall. Sein Unternehmen macht derzeit bombige Geschäfte, der Aktienkurs hat sich in den letzten drei Jahren mehr als verzehnfacht. Papperger hat bereits mit Kommunalpolitikern gesprochen, eine Delegation von Rheinmetall besichtigte Ende März die Fabrik. Das sind Indizien dafür, dass der Konzern die bisher auf zivile Fahrzeuge wie Cabrios ausgerichteten Fertigungsstraßen übernehmen und stattdessen dort Panzer bauen könnte. Es passt ins Bild: Deutschland hat 2024, berichtet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri, 88,5 Milliarden US-Dollar (77,6 Milliarden Euro) für das Militär ausgegeben – 28 Prozent mehr als im Vorjahr – und liegt damit hinter den USA, China und Russland auf Platz vier. „Keine Start-up-Szene wächst in Europa derzeit rascher als die der Rüstungs- und Sicherheitsfirmen“, schreibt Spiegel-Online über „Rüstungsboomer, junge Firmen, die eine Verteidigungsindustrie neu aufbauen wollen“ und im Ukrainekrieg eine Geschäftschance sehen.
Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) ist von der Rheinmetall-Idee angetan. Eher verhalten reagieren örtliche Sozialdemokraten. Von der Linkspartei und aus der Stadtgesellschaft kommt Protest, befürchtet wird ein gravierender Imageschaden. Denn Osnabrück vermarktet sich touristisch als „Stadt des Westfälischen Friedens“: Hier und im 50 Kilometer südlich gelegenen Münster wurden 1648 die Abkommen geschlossen, die den blutigen Dreißigjährigen Krieg beendeten. Rüstungsproduktion verträgt sich nur schlecht mit pazifistischen Sonntagsreden.
Wegen der von US-Präsident Donald Trump dekretierten Zölle von 20 Prozent auf Exporte in die USA hat sich Ratlosigkeit breitgemacht, die Waffenbranche wird zum letzten Strohhalm. Erinnerungen an die Nazizeit werden wach, als in Wolfsburg Volks- durch Kübelwagen und anderes Militärgerät ersetzt wurden. Doch Studien haben längst belegt: Rüstungsproduktion ist kein nachhaltiges Investment in die Infrastruktur. Sie mag zeitweise Arbeitsplätze schaffen oder zumindest erhalten, aber es gibt wenig langfristige volkswirtschaftliche Effekte.
„Verteidigungsorientierte Wirtschaftsstrategie“
Kriegsgerät hat für die Hersteller jedoch einen entscheidenden Vorteil: Sie müssen ihre Waren nicht hindernisreich vermarkten oder unbedingt exportieren. Der eigene Staat kauft die Produkte, er ist ein bequemer und sicherer Auftraggeber. Auf dieses altbewährte Waffenkartell setzen nun Politiker, Wissenschaftler und einflussreiche Industrielobbyisten – lautstark unterstützt von konservativen Medien.
Manfred Weber, als CSU-Abgeordneter im EU-Parlament Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, fordert in der Welt, gleich auf „Kriegswirtschaft“ umzurüsten. Er verlangt beschleunigte Genehmigungsverfahren für die Rüstungsproduktion, die Waffenbranche solle künftig auch am Wochenende im Schichtsystem arbeiten. Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, fordert unverblümt ein „Aufrüsten für den Wohlstand“.
Der frühere hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch entwirft in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine „verteidigungsorientierte Wirtschaftsstrategie“. Das verspreche ökonomisches Wachstum und „Chancen“, einen „gesellschaftlichen Konsens mit wichtigen Gewissheiten“ zu erreichen. Hinter der nebulösen Formulierung steckt Kochs Glaube, die wenig kriegsbegeisterten Deutschen würden dem Militärkurs der Meinungsführenden schon folgen, wenn es ihnen dadurch wirtschaftlich besser gehe.
3,5 Prozent für Waffen gleich 1,5 Prozent Wachstum?
Schularicks Institut prognostiziert ein (eher mageres) Wachstum von 0,9 bis 1,5 Prozent, wenn hierzulande statt zwei künftig 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Waffen ausgegeben würden. Welchen Sinn diese ständig bemühte Bezugsgröße haben soll, bleibt rätselhaft: Geht es nicht eher um die konkrete Sicherheitslage und weniger um das ökonomische Potenzial einer Volkswirtschaft?
Koch wärmt auch das fragwürdige Beispiel von der im amerikanischen Mondlandungsprogramm entwickelten Teflonpfanne auf. Aus der Rüstungsproduktion ergeben sich angeblich lukrative „Spin-off-Effekte“ für zivile Güter, schließlich habe auch das Internet einen militärischen Ursprung. Die Vorschläge des Ex-Politikers, der nach seiner politischen Karriere Führungsposten in der Industrie übernahm, zielen aber nicht nur auf die Waffenbranche.
Man brauche vor allem die „volle Innovationskraft aller Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch für die Verteidigung“. Die an vielen deutschen Universitäten verankerten Zivilklauseln, die eine direkte Kooperation mit Rüstungsunternehmen untersagen, will Koch komplett abschaffen. In Bayern ist dies mit dem „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ seit August 2024 schon Realität. Zahlreiche Kritiker sehen dort die Wissenschaftsfreiheit bedroht, sie klagen dagegen vor dem Verfassungsgericht des Freistaats.
Erfreut über Rüstungsmesse
Erstmals angeregt 1986 durch die Uni Bremen, hatten sich in den folgenden Jahrzehnten immer mehr deutsche Forschungsstellen auf friedlich orientierte Ziele in Zivilklauseln verständigt. Unter den 70 beteiligten akademischen Einrichtungen sind renommierte Technische Hochschulen wie die TU Berlin, die TU Darmstadt und die TU Dortmund, Universitäten wie Göttingen, Konstanz, Oldenburg, Tübingen, Halle und Erfurt. Außer in Bremen sind die Klauseln auch in den Ländern Hessen und Thüringen gesetzlich festgeschrieben, in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wurden zeitweise geltende Regelungen von den Landesregierungen wieder gestrichen. Nun fordern vor allem Konservative und Waffenlobbyisten, das Rad bundesweit zurückzudrehen – gegen den Widerstand einer eher skeptischen akademischen Community.

Von einem grassierenden „Massenwahn“ spricht der Autor und Philosoph Richard David Precht in einem Podcast angesichts der Aufrüstungspläne von Bundesregierung und EU-Kommission. Der Wahn hat tatsächlich Methode, doch Prechts Formel trifft es nicht präzise. Denn der Irrsinn grassiert vor allem in den Führungszirkeln, unter Meinungsführern in Politik, Wirtschaft und Medien. Umfragen machen deutlich, wie wenig kriegsbegeistert gerade junge Deutsche sind – ein gewichtiger Grund für die Personalprobleme der Bundeswehr.
Auf das Militär setzt neben Bayern nun auch Niedersachsen, das mit seinen VW-Werken von der Krise der Autoindustrie besonders betroffen ist. Dass die Messestadt Hannover eine neue Rüstungsmesse plant, erfreut Wirtschaftsminister Olaf Lies. Der SPD-Politiker wird in wenigen Wochen den abtretenden Ministerpräsidenten Stephan Weil ablösen, das scheint nur noch Formsache. Der milliardenschwere Ausbau der Rüstungsbranche sei „eine riesige Chance“ für sein Bundesland, verlautbarte Lies ebenfalls in der FAZ. Und wie CDU-Mann Koch rechtfertigt er seine Strategie mit zweifelhaften Argumenten, verweist auf die Segnungen des „Dual Use“, der vorgeblich nutzbringenden Kombination von Waffenherstellung und ziviler Produktion – ein längst widerlegter Mythos.
Unter dem Titel „Dürfen deutsche Universitäten bald mit Rüstungsunternehmen kooperieren?“
erschien eine ursprüngliche Version des Beitrags in der Freitag.