
Vielen Beobacher*innen erscheint die aktuelle Politik der Trump Regierung als irrational und verantwortungslos. Das ist nicht falsch, greift aber analytisch zu kurz. Sie ist das Ergebnis von vier Jahrzehnten neoliberaler Globalisierung in den USA, deren reale Verlierer*innen politisch revoltieren, und deren reale Gewinner*innen den Staat dafür einsetzen wollen, ihre ökonomische Vormachtstellung nach innen und außen abzusichern. Die dadurch hervorgerufenen weltpolitischen Verwerfungen werden nur zu meistern sein, wenn die Staatengemeinschaft einschließlich der EU sich nicht auseinanderdividieren lässt und auf Kooperation setzt. Die Zollpolitik Donald Trumps muss im größeren geopolitischen Kontext verstanden werden. Europa wird sich entscheiden müssen, auf welcher Seite es steht.
Restrukturierung der globalen Handelsbeziehungen
Das vielleicht wichtigste Phänomen der wirtschaftlichen Globalisierung der letzten vier Jahrzehnte besteht weniger in der starken Zunahme des internationalen Handels per se, sondern in der Internationalisierung von Produktionsprozessen in Form von globalen Wertschöpfungsketten (WSK). Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu zwei Drittel des internationalen Handels heute im Rahmen solcher WSK stattfinden, vor allem durch den Handel von Zwischenprodukten.
Sogenannte Lead Firmen – meist US-amerikanische und europäische Unternehmen – gestalten ihre Produktionsstruktur auf Basis von Kostenüberlegungen. Bei gleicher Produktivität (und Infrastrukturbedingungen) wird dort produziert, wo die Arbeits- und sonstige Produktionskosten am niedrigsten sind. Wenn nicht selbst produziert wird, sondern andere Firmen als Zulieferer dies übernehmen, sind auch hier die Kosten das ausschlaggebende Kriterium für die Auftragserteilung. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass somit jede Komponente bzw. jeder Teil eines Endprodukts in jenem Land produziert wird, wo dies am absolut günstigsten möglich ist.
Handel entsteht daher vor allem aufgrund der Notwendigkeit, ein Zwischenprodukt zum nächsten Verarbeitungsschritt in ein anderes Land zu bringen, bzw. dann das Endprodukt an die Kund*innen in der ganzen Welt zu verkaufen. Die Elemente mit der höchsten Wertschöpfung – wie z.B. Marketing, Design, Forschung & Entwicklung – verbleiben dabei in der Regel unter direkter Kontrolle der Lead Firma in den USA oder Europa. Durch die Kontrolle der geistigen Eigentumsrechte (Markenrechte, Patente etc.), der Preispolitik samt steueroptimierender Gestaltung der Geldflüsse zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften lukrieren die Lead Firms den Löwenanteil der Gewinne, während die Zulieferer vor allem im Globalen Süden in der Regel mit sehr kleinen Margen vorlieb nehmen müssen.
Die Vorteile im Modell des WSK-basierten internationalen Handels sind also an der Spitze der Wertschöpfungskette konzentriert. Davon profitieren auch jene hochqualifizierten Arbeitnehmer*innen in den Konzernzentralen, die über für den Betrieb wichtiges technisches und wirtschaftliches Know-how verfügen. Niedriger qualifizierte Arbeitnehmer*innen, vor allem in den USA, aber zum Teil auch in Europa gehören hingegen zu den Verlierer*innen. Sie werden entweder ausgelagert oder verlieren ihren Arbeitsplatz, wenn Produktionen zugesperrt oder in andere Länder verlagert werden. Vor allem traditionelle Industrieregionen in den USA – der sog. Rust Belt im Mittleren Westen – litten stark unter dieser Entwicklung.
Lieferkettenhierarchien haben Chinas Aufstieg nicht verhindert
Das exportbasierte Wachstum der Schwellen- und Entwicklungsländer der letzten drei Jahrzehnte beruht zu einem großen Teil auf ihrer Teilnahme an diesen globalen Lieferketten als Billigfertiger und Zulieferer. Nachdem der dabei zu lukrierende ökonomische Ertrag aufgrund des hohen Kostendrucks mager ist, besteht grundsätzlich ein Anreiz, einen Aufstieg innerhalb der WSK hin zu wertschöpfungsintensiveren Produktionsschritten zu schaffen (upgrading).

Das setzt eine industriepolitische Strategie des jeweiligen Landes voraus, die neben Infrastrukturinvestitionen vor allem den Aufbau technologischer Kompetenzen und qualifizierter Arbeitskräfte im Rahmen industrieller Ökosysteme vorantreibt. China war sehr erfolgreich darin, aus einfachen Zulieferern technologisch avancierte Unternehmen zu formen. Auch andere Schwellenländer wie Korea, Taiwan oder Malaysia gingen diesen Weg. Diese Unternehmen übernahmen im Auftrag westlicher Lead-Firmen immer mehr Fertigungsschritte und entwickelten gleichzeitig eigene technologische Kompetenzen, über die die westlichen Lead-Firmen selbst nicht mehr verfügten.
Diese Dynamik erstreckte sich mit der Zeit auch auf immer mehr Hochtechnologiebranchen, etwa in der Elektronik, Telekommunikationsausrüstung, E-Mobilität oder Halbleiterproduktion. Dadurch traten Unternehmen aus China, Korea, Taiwan und anderen Ländern zunehmend in direkte Konkurrenz zu den westlichen Lead-Firmen. Sie bedrohen heute deren marktbeherrschende Stellung und hohe Profitabilität.
Der zunehmende globale Wettbewerb seitens dieser neuen Konzerne aus den Schwellenländern hat die bisherigen marktbeherrschenden US und EU Konzerne teilweise auf dem falschen Fuß erwischt, zeigt sich doch, dass die westlichen Konzerne zu lange auf ein sehr einträgliches Geschäftsmodell gesetzt haben, und damit die Zeichen der Zeit, etwa in der Elektromobilität, oder auch in der Halbleiterproduktion verschlafen haben. Als Konsequenz droht den westlichen Konzernen der Verlust ihrer Monopolprofite und ein verschärfter Wettbewerb mit ihren neuen Konkurrenten, die zudem wie im chinesischen Fall auf die aktive Unterstützung ihrer Regierung vertrauen können.
Die zweifelhafte Rolle von Big Tech und Big Oil
Diese beiden Elemente – die breite politische Frustration aufgrund des Niedergangs der US-amerikanischen Industrieregionen während der letzten 30 Jahre, sowie die zunehmende Bedrohung der Monopolprofite der US-Tech Giganten durch asiatische Konzerne – gehören zu den zentralen Gründen für den politischen Siegeszug von Donald Trump. Dazu kommt, dass die hochprofitable US Erdöl- und Gasindustrie sich von ihrem Geschäftsmodell nicht verabschieden will, und hartnäckig gegen die Klimawende lobbyiert. Der enorme Energiebedarf von Cloudcomputing und AI-Anwendungen tut das Seine dazu, dass auch Big Tech Firmen und in sie investierte Finanzfonds das Interesse an der Energiewende zunehmend verlieren.
Die massive finanzielle wie mediale Unterstützung seitens der einmal als politisch liberal geltenden Silicon Valley Konzerne – wie Alphabet, Apple, Amazon, Meta, aber auch von einflussreichen digitalen Sicherheitsdienstleistern wie Palantir und Tech-Investoren wie Peter Thiel und Elon Musk – hat Trump in die Lage versetzt, die Stimmen der unzufriedenen Wähler*innen in den politisch umkämpften “Swing States“ des Mittleren Westens zu gewinnen. Seine Botschaft, dass China (und die illegalen Migrant*innen) den US-Amerikaner*innen die guten Jobs gestohlen hätte, die er mittels Zollpolitik wieder zurückholen werde, ist simple, aber effektive Wähler*innentäuschung. Sie verschweigt nicht nur, dass dafür die Geschäftspolitik der US Konzerne selbst verantwortlich war, sondern auch, dass es gerade die Interessen dieser Konzerne und nicht die seiner Wähler*innen sind, die er einmal an der Macht dann umsetzt. Diese bestehen wenig überraschend in der Schleifung regulatorischer Standards, Einsparungen bei Behörden, Sozial- und sonstigen als unnötig erachteten Ausgaben (wie jenen der Entwicklungszusammenarbeit, Stichwort USAID), um damit im Gegenzug Unternehmenssteuern zu senken.
Die nationalistische Rhetorik der Konstruktion äußerer Feindbilder in Verbindung mit der leider im gesamten US-Establishment geteilten Einschätzung Chinas als Bedrohung für die US-amerikanische Vorherrschaft dienen als Rechtfertigung für eine (spät-)imperiale Außenwirtschaftspolitik. Diese will internationale Einrichtungen durch den Austritt der USA schwächen (samt der damit verbundenen Einnahmenverluste), und über die Drohung willkürlich festgesetzter Zölle die bilateralen Handelsbeziehungen zu Gunsten der USA verschieben.
Gegen „Regulierungsfanatiker“ wie die EU
Die Rechnung zahlen letztendlich die US Bürger*innen in Form schlechterer staatlicher Leistungen und höherer Verbraucherpreise. Die politische Reaktion seitens der US-Bevölkerung bleibt daher abzuwarten, aber die speed-kills-Politik von Elon Musk und Co. hat zumindest bislang zu einer weitgehenden Lähmung der Opposition und zur Einschüchterung potentieller Widerstandzentren wie den Universitäten geführt. Der rasante Abbau des US-Systems der „Checks and Balances“ durch die systematische Missachtung (verfassungs-)rechtlicher Vorgaben, politischen Druck auf die Gerichte und die weitgehende Ausschaltung des US-Kongress rückt auch den Übergang zu einem autoritären politischen System in den Bereich des Möglichen.
Big Tech, Big Oil und die großen Sicherheits- und Rüstungsfirmen sind offenbar bereit, eine solche Politik grundsätzlich zu unterstützen, solange der US Staat durch Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes – 2026 mit einem angekündigten Rekordbudget für Verteidigung von rund 1.000 Mrd. US-Dollar – für den guten Gang der Geschäfte sorgt, die Belastung aus Regulierungen und sonstigen Abgaben senkt, und international für die ökonomischen Interessen der Konzerne gegenüber lästigen „Regulierungsfanatikern“ wie die EU eintritt. Falls eigene Geschäftsinteressen zu stark gefährdet sind, verhandelt man eben individuelle Ausnahmen, wie gerade bei den Zollausnahmen für Apple geschehen.
Der Rest der Welt wird zur Kasse gebeten

Trump möchte auch die internationale Gemeinschaft für die von den USA zur Verfügung gestellten globalen öffentlichen Güter ordentlich zur Kasse bitten. Zu letzteren zählen für Trump vor allem der US Dollar als Reservewährung und der militärische Schutzschirm der USA. Beides möchte er erklärtermaßen beibehalten. Leistungen der USA sollen von den aus US-Sicht davon profitierenden Ländern in Zukunft bezahlt werden, entweder durch Finanzbeiträge, oder zum Beispiel durch Einräumung von Schürfrechten an wichtigen Rohstoffen für US Konzerne (siehe dazu die Fälle Ukraine und Demokratische Republik Kongo). Vor allem die EU soll dazu gebracht werden, für den militärischen Schutz durch die USA Tribut zu bezahlen, etwa durch den Kauf von US Militärgütern und High-Tech Produkten.
Der von Trump veranstaltete Zollpolitik-Zirkus mit anscheinend in erratischer Manier verhängten, dann teilweise zurückgenommenen oder ausgesetzten Zöllen, die dann doch wieder erhöht werden, dient dabei vor allem der Verbesserung seiner Verhandlungsposition durch das Schüren von allgemeiner Verunsicherung auf den (Finanz-)märkten und Einschüchterung der betroffenen Länder.
Dabei ist aber unwahrscheinlich, dass Trump seine Hochzollpolitik auf Dauer politisch durchhalten kann. Die dadurch ausgelöste Inflation würde seine politische Popularität untergraben, höhere Zinsen die Belastungen des US-Staatshaushalts deutlich erhöhen, und auch weite Teile der auf importierte Vorleistungen angewiesenen Wirtschaft empfindlich treffen. Auch dürfte die ökonomische Unsicherheit die Investitionstätigkeit in den USA beeinträchtigen, und damit die wirtschaftliche Dynamik bremsen. Das alles würde das Vertrauen in den Finanzplatz USA untergraben und damit die globale Rolle des US-Dollars schwächen. Last, but not least würde eine solche dauerhafte Hochzollpolitik auch die von ihm gewünschte internationale Unterstützung für seine Anti-China Politik unterlaufen.
Fazit: Gezielte Spaltung oder neue Einigkeit?
Wie Trumps geopolitische Gratwanderung letztendlich ausgeht, wird vor allem von der Reaktion der Weltgemeinschaft abhängen. Gelingt es ihm, die Welt zu spalten und hinter sich und seiner Anti-China Politik zu vereinen, oder reagiert die Weltgemeinschaft mit einer geschlossenen Haltung und der Entwicklung neuer Allianzen und Kooperationsmechanismen?
Vor allem die Positionierung der Europäischen Union wird dafür zentral sein. Bietet sie Trump die Stirn und sucht die Zusammenarbeit mit den BRICS-Staaten und dem Globalen Süden, stünden die USA am Ende des Tages weitgehend isoliert da. Auch wenn es Europa aus historischen Gründen wie auch aus sicherheitspolitischer Verwundbarkeit offensichtlich schwerfällt: Die politische und wirtschaftliche Emanzipation Europas von den USA ist jetzt eine Notwendigkeit.
Unter dem Titel „Trumps Zollpolitik: Geopolitische Gratwanderung mit unklarem Ausgang“ erschien der Beitrag zuerst auf der Website der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung.