Katholische Kulturkämpfer in Hochform

Katholische Pfarrkirche St. Martinus, Nottuln, Kreuzwegstation aus der Zeit des Kulturkampfs im 19. Jahrhundert mit dem Portrait Bismarcks als römischer Soldat, 3. v. l. (Bild: Westerdam auf wikimedia commons)

Das Drama oder Trauerspiel der gescheiterten Wahl neuer Verfassungsrichter im Deutschen Bundestag hat viele Aspekte. Es zeigt ein eklatantes Führungsversagen der Fraktionsspitze von CDU/CSU. Es offenbart auch die Einflussnahme von Repräsentanten der katholischen Kirche in einer Intensität, die schon lange nicht mehr erlebt wurde, und öffnet das Verfahren der Richterwahl zu einem Feld gesellschaftspolitischer, kulturkämpferischer Auseinandersetzung. Die aktuellen Interventionen der Kirche sind in Ton und Form ungewöhnlich und erheben einen Anspruch, der verkennt, so der Verfassungsrechtler Alexander Thiele, dass „das Grundgesetz keine ‚christliche’ Verfassung“ ist.

Kurze Erinnerung an die Vorgeschichte

Anfang Juni haben sich, so die grüne Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann (am 16. Juli in der Sendung Markus Lanz, ZDF), die Fraktionsspitzen von CDU/CSU, SPD und Grüne auf einen gemeinsamen Vorschlag für die Richterwahl verständigt mit Günter Spinner, Ann-Kathrin Kaufhold und Frauke Brosius-Gersdorf. Anfang Juli wird dieser Vorschlag öffentlich bekannt. Am 7. Juli nominiert der Richterwahlausschuss mit der erforderlichen zweidrittel Mehrheit Frauke Brosius-Gelsdorf und die beiden anderen Kandidaten für die Wahl im Plenum, die für den 11. Juli angesetzt wird. Noch am 9. Juli bezeichnet der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion und Sprecher der CSU-Abgeordneten Frau Brosius-Gersdorf „als respektable Kandidatin“ und betont, dass sie „ganz sicher keine linksradikale Aktivistin“ sei und dass ihre juristische Klarstellung zum Grundrechtskonflikt beim Schwangerschaftsabbruch kein Angriff auf das Schutz des ungeborenen Lebens sei. Gleichzeitig kommen kritische Medienberichte, Online-Kampagnen , aber auch massive Interventionen katholischer Bischöfe und Laien gegen Frau Brosius-Gersdorf.
Als Wissenschaftlerin hat sie sich zu etlichen grundrechtsrelevanten Themen geäußert, wie z.B. das Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst oder zur Impfpflicht bei Pandemie. Aufgegriffen werden aber vor allem ihre Aussagen zum Grundrechtskonflikt und zur Grundrechtsabwägung beim Schwangerschaftsabbruch. Ihre Aussagen stellen den Schutz des ungeborenen Lebens nicht in Frage und sind schon gar kein Plädoyer für die Freigabe der Abtreibung während der gesamten Schwangerschaft. Aber sie verweist darauf, dass die heutige gesetzliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch – 1995 vom Deutschen Bundestag aufgrund der Vorgaben im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten „Fristenregelung“ vom 28. Mai 1993 beschlossen – auch eine Grundrechtsabwägung enthält und den dem Embryo grundsätzlich zuerkannten Lebensschutz einschränkt . Sonst wäre auch während der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft kein Abbruch unter bestimmten Voraussetzungen rechtskonform und straffrei möglich, wie es die heutige Rechtslage vorsieht. Frau Brosius-Gersdorf erwägt als Wissenschaftlerin, verantwortungsvoll um Menschenwürde und Lebensschutz bemüht, eine andere Zuordnung der Grundrechte. Sie hält auch eine Regelung des nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches für sinnvoll und möglich.

Unrecht und Sünde

Präsidentin Dr. Irme Stetter-Karp (Screenshot: Website Zentralkomitee der deutschen Katholiken)

Die katholische Kirche hat die gesetzliche Regelung von 1995 nie akzeptiert, sie ist damals aus der Schwangerschaftsberatung ausgestiegen. Sie wittert hinter jedem Versuch, die heutige Regelung weiterzuentwickeln, Verrat am Lebensschutz und versucht, die Schlachten der 1990er Jahre neu auszufechten und möglichen Änderungen in der Zukunft vorzubauen. Katholische Bischöfe (Stefan Oster, Passau; Rudolf Vorholzer Regensburg; Kardinal Rainer Woelki, Köln) und die Präsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken äußern sich ab dem 9. Juli in seltener Geschlossenheit ungewöhnlich deutlich gegen Frau Brosius-Gersdorf und warnen nachdrücklich vor ihrer Wahl Eine solche Person dürfe nicht mit der „verbindlichen Auslegung des Grundgesetzes“ betraut werden (Vorholzer). Nachdem die Wahl im Deutschen Bundestag schon abgesagt war, folgt eine noch schärfere Verurteilung: Erzbischof Herwig Gössl (Bamberg) nennt in seiner Sonntagspredigt am 13. Juli Brosius-Gersdorfs Haltung zum Lebensrecht ungeborener Kinder einen „innenpolitischen Skandal“ und warnt vor einem „Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung“.

Nach kirchlicher Lehre ist jeder Schwangerschaftsabbruch Unrecht und Sünde, auch die geltende gesetzliche Regelung wird abgelehnt. Die Chronologie zeigt, dass dieser kirchliche Gegenwind maßgeblich dazu beitrug, die Wahl zunächst scheitern zu lassen – eine verschobene Abstimmung ohne historisches Vorbild.

Schlaglichter auf den katholischen Umgang mit Menschenwürde

Der kirchliche Anspruch auf unbedingten Lebensschutz des Embryos führt dazu, dass bis heute in Kliniken mit katholischer Trägerschaft Abtreibung verboten ist. Schwangerschaftsabbruch gilt grundsätzlich als schwerwiegende Sünde, die mit der Exkommunikation der Beteiligten verbunden sein kann (vgl. Codex Iris Canonici, can. 1397 §2). In kirchlichen Einrichtungen als Teil der „Heilungs- und Heilssendung“ der Kirche dürfen keine Abtreibungen vorgenommen werden, auch nicht im Rahmen der gesetzlichen Regelungen der Paragrafen 218a und 219 des StGB, keine Beratungsscheine nach § 219 StGB ausgegeben werden, die eine Voraussetzung für einen straffreien Abbruch sind. Das Verbot gilt nicht nur für operative Abbrüche, sondern auch für medikamentöse (z. B. Abgabe der Abtreibungspille Mifegyne).Diese Krankenhäuser unterliegen dem Bestimmungsrecht der Kirche, obwohl sie, wie alle Einrichtungen freier Träger, aus staatlichen Steuermitteln und Krankenkassenbeiträgen finanziert werden, welche die Steuerpflichtigen bzw. Versicherten aufbringen.

Die katholische Haltung führt immer wieder zu Konflikten, die die Menschenwürde und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen tangieren, wenn auch bei vergewaltigten Frauen medizinische Versorgung erfolgt, aber der Abbruch verweigert wird. Aktuell hat ein betroffener Arzt, Dr. Joachim Volz, Gynäkologe und Chefarzt der Frauenklinik in Lippstadt, eine Petition gestartet, weil ihm und seiner Klinik seit der Fusion des ehemals evangelischen Krankenhauses mit einem katholischen Träger jegliche Beratung und Abbruch verboten ist. Er formuliert seine Position: „Ich begleite Menschen in ihren verletzlichsten Momenten – bei unerfülltem Kinderwunsch oder wenn eine Schwangerschaft nicht mehr tragbar ist. Dazu braucht es medizinische Kompetenz, ethisches Feingefühl und vor allem großes Vertrauen. Dieses wird zerstört, wenn eine übergeordnete Institution in diese Entscheidungen eingreift – genau das ist geschehen. Seit der Übernahme unseres Krankenhauses durch einen katholischen Träger zu Beginn dieses Jahres dürfen mein Team und ich keine Schwangerschaftsabbrüche mehr durchführen. Selbst dann nicht, wenn eine klare medizinische Indikation vorliegt, also bei schwerer Bedrohung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Patientinnen.“

Es ist ein skandalöser Zustand: In Deutschland kann sich dreißig Jahre nach Inkrafttreten der gesetzlichen Reglung für einen Schwangerschaftsabbruch ein großer Teil der öffentlich finanzierten Krankenhäuser der gesetzlichen Regelung im Sinn der Menschenwürde von Frauen verweigern.

Vorrang für Täterschutz

Aber Umfang und Intensität des Engagements der katholischen Kirche für Menschenwürde sind immer schon selektiv und opportunitätsgetrieben. Das zeigt sich auch im Umgang mit dem sexuellen Missbrauch durch kirchliche Amtsträger und in kirchlichen Einrichtungen. Der Täterschutz hatte bis zur Aufdeckung der vielfachen Skandale Vorrang vor der Menschenwürde der Opfer. Auch die oft blockierte und zögerliche Aufdeckung gibt ein schlechtes Zeugnis für den Respekt vor und Achtung der Menschenwürde der Betroffenen. Das gilt auch für die restriktive und unwürdige Haltung bei der Entschädigung der Missbrauchsopfer.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Eine Frau ist über Jahre hinweg von einem Priester, dem sie als Kind mit Billigung des damaligen Erzbischofs von Köln, Joseph Kardinal Höffner, zu Pflege übergeben worden war, schwer sexuell missbraucht worden. Der Priester wird 2022 zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Frau klagt auf Schmerzensgeld in Höhe von 830.00 € gegen das Erzbistum. Das Landgericht Köln hat die Klage abgewiesen, weil, so die Urteilsbegründung, der Priester „mehr oder weniger als Privatperson“ gehandelt habe und nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes. Die rechtliche Begründung wird juristisch als höchstproblematisch angesehen. Die Schande ist aber, dass sich das Erzbistum Köln gegen diese Klage gewehrt hat und um des schnöden Mammons willen dem sonst propagierten Bild von der „Berufung“ zum Priesterberuf und der allumfassenden Hingabe, die das Priesteramt verlangt, womit ja auch der Zölibat begründet wird, diametral entgegentritt. Der Kölner Verfassungsrechtler Stephan Rixen und der katholische Kirchenrechtler Norbert Lüdecke kritisieren, die strikte Trennung zwischen amtlichem Handeln und Privatleben passe zwar zu staatlichen Beamten, aber nicht zu katholischen Priestern.

Zwischenbemerkung zum Aufstand in der Unionsfraktion

Der Vorschlag für die Richterwahl ist vielleicht nur der Auslöser, nicht der tiefere Grund für den Aufstand der Unionsfraktion. Die miserable Vorbereitung von Seiten der Unionsführung hat für Abgeordnete schlagartig ein Ventil geschaffen, dem Unmut über die an anderen Punkten mitgetragenen politischen Kehrtwenden der Union Luft zu geben. Der Aufstand hat auch mit dem Unbehagen eines nicht geringen Teils der Unions-Abgeordneten mit dem Kurs der Partei- und Fraktionsführung seit dem Ergebnis der Bundestagswahl zu tun. Das neue Grundsatzprogramm der Union, durch das die Partei zunächst mit Friedrich Merz versöhnt und hinter Merz versammelt wurde, beruht auf wenigen unverrückbaren zentralen Säulen: einem strikten Sparkurs mit der klaren Absage an mehr Staatsverschuldung und die Reform der Schuldenbremse; der Förderung der Wirtschaft durch Vergünstigungen für sie; der Rückbau des Sozialstaates, angefangen bei der Grundsicherung; der radikalen Wende in der Asylpolitik; sowie einer Wende in der Gesellschafts- und Kulturpolitik, weg von der angeblich dominierenden Wokeness mit Gendern hin zu Heimat und Homogenität. Bei wesentlichen Punkten wurde dem Willen der SPD entsprechend eine Kehrtwende vollzogen, in anderen Punkten ist der Erfolg im Sinne der Union eher spärlich.
So gesehen war zu Beginn der Sommerpause keine Erfolgsbilanz zur angestrebten Wende zu spüren. Der „gemeinsame Vorschlag“, die eher liberale als linke Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin zu wählen, hat dann explosiv gewirkt, als Signal der Abkehr von dem Weg in eine konservative Gesellschaftspolitik, hinein in die Fänge von Grün und Links. So konnte eine schlecht oder, besser gesagt, nicht vorbereitete Entscheidung zum Ventil werden, das Unbehagen über die Politik der Partei- und Fraktionsführung, an Merz und Spahn, auszudrücken, noch dazu gestützt auf das Votum aus der katholischen Kirche – vermeintlich ohne damit großen Schaden anzurichten. Damit war das Desaster gegeben. Das Tor war so geöffnet, dass sich in den Unionsparteien die Fundamentalisten in Sachen Lebensschutz und Schwangerschaftsabbruch durchsetzen konnten.

Es gibt noch andere Gründe

Aus der Sicht der Kirchen geht es bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht nur um die Menschenwürde und das Lebensrecht Ungeborener. Denn die Vorwürfe einer abseitigen Position von Frauke Brosius-Gersdorf sind nicht tragfähig, das kann man inzwischen auch bei Jürgen Kaube in der FAZ und bei Burkhard Ewert von der Neuen Osnabrücker Zeitung nachlesen. Selbst der Bamberger Erzbischof Herbert Gössl nahm am 17. Juli seine Kritik zurück, bekräftigte aber die kirchliche Position zum Lebensschutz. Gleichzeitig wurde mit der Aktion des Heidelberger Kollegen von Frauke Brosius-Gersdorf, Ekkehart Reimer, deutlich, mit welchen Manipulationen das katholische Intensivsegment sie als linke „Aktivistin“ diffamiert (Änderung eines Wikipedia-Eintrags, Kennzeichnung als Aktivistin.) Reimer (taz: „Der Streitesel Gottes„) ist Vorsitzender des Cusanuswerks, des Begabtenförderungswerks der Deutschen Bischofkonferenz, das selbst seit Jahrzehnten eine Säule des konservativen Katholizismus ist.

Für die ablehnende kirchliche Haltung wird es noch andere Gründe geben. Sie liegen in Positionen, die Brosius-Gelsdorf schon wesentlich früher zum kirchlichen Arbeitsrecht vertreten hat und die der katholischen Kirche keineswegs passen. Sie hat sich 2015 in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch mit dem Spannungsfeld zwischen Kirchenrecht und Arbeitsrecht beschäftigt. Sie benennt die Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen und die Grenzen des kirchlichen Sonderrechts und fordert, die kirchlichen Arbeitgeber bei Einstellung und Kündigung stärker an die allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsätze binden – etwa bei Fragen wie der Anstellung wiederverheirateter Geschiedener oder homosexueller Mitarbeitender.

Zwar spielten diese Themen in der aktuellen Debatte um die Richterwahl eine untergeordnete Rolle, dennoch wurde in manchen katholischen Kommentaren am Rande angemerkt, dass Brosius-Gersdorf „den katholischen Wertekonsens nicht allumfassend teilt“ (katholisch.de) Die Aussicht, dass eine Verfassungsrichterin Brosius-Gersdorf künftig über Fälle zu kirchlichem Arbeitsrecht entscheiden könnte, sorgt für Unbehagen. Die Befürchtung lautet, sie könne im Namen der verfassungsrechtlichen Gleichheit kirchliche Sonderrechte weiter einschränken – eine Entwicklung, die im säkularen Staat und einer immer weniger kirchengebundenen Gesellschaft durchaus zu begrüßen wäre.

Genügend Aufgaben für die Verfassungsgerichtsbarkeit

Viele Fragen harren der Klärung: Wie der gesetzlich zulässige Schwangerschaftsabbruch eventuell auch außerhalb des Strafrechts geregelt werden kann, wie alle öffentlich bezahlten Kliniken verpflichtet werden, legalen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, wie dem staatlichen Arbeits- und autonomen Tarifrecht Vorrang vor kirchlichen Mitarbeiterordnungen und den Gewerkschaften ungehinderter Zugang zu kirchlichen Einrichtungen verschafft werden kann….

Das Bundesverfassungsgericht hat die Grundgesetzartikel zur Kirche immer sehr kirchenbezogen ausgelegt, was keineswegs zwangsläufig ist. (vgl. Th. Gawron, Bundesverfassungsgericht und Religionsgemeinschaften. Konstellationen von Mobilisierung, Entscheidung und Implementation, Berliner Wissenschafts-Verlag 2017). Das gilt sowohl für die Reichweite dessen, was kirchliche Einrichtungen sind, als auch dafür, was in ihnen Geltung hat. Eine restriktivere Definition dessen, was kirchliche Einrichtungen sind, wäre ebenso möglich, wie eine Klärung der Geltung staatlicher Gesetze für alle kirchliche Einrichtungen. „Die Religionsgesellschaften ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbstständig.“ (Weimarer Reichsverfassung Art.137 Abs. 3). Was „ihre Angelegenheiten“ sind, kann sicher der Interpretation und Entwicklung im Laufe der Zeit unterliegen. Bis hin zur Ablösung der jährlichen Staatsleistungen an die Kirchen, wie in WRV Art. 138, Abs. 1 verlangt, gibt es genügend mögliche Aufgaben für die Verfassungsgerichtsbarkeit, natürlich nur, wenn Gesetze, Klagen oder Beschwerden überhaupt vor dem Gericht landen. Dafür sind die Hürden jeweils hoch. Im zweiten Senat, dem Frau Brosius-Gersdorf angehören soll, könnte sie eine Stimme sein, die den Blickwinkel erweitert, so wie das Bundesverfassungsgericht gesellschaftlichen Wandel in seiner Rechtsprechung immer rezipiert hat.

Letztlich geht es um die Frage, ob eine unbestritten wissenschaftlich qualifizierte, eine liberale Persönlichkeit, die sich wissenschaftlich fundiert zu bestimmten grundrechtsrelevanten Punkten geäußert hat, ihren Platz im Bundesverfassungsgericht bekommt, ob im konsensualen Prozess die Vielfalt von Positionen und Meinungen ihren Platz behält, oder ob hier ein neues gesellschaftspolitisches, kulturkämpferisches Konfliktfeld droht.

Kulturkämpfer (Foto:Martin Rulsch auf wikimedia commons)

Man fragt sich auch, welche Kandidatin, welcher Kandidat sich überhaupt noch auf einen Prozess einlässt, an dessen Ende wissenschaftliche Beschädigung und persönliche Diffamierung drohen. Die Unionsparteien könnten den entstandenen Schaden minimieren, in dem sie im Gespräch mit den anderen demokratischen Parteien einen neuen Termin für die Abstimmung über den immer noch gültigen Vorschlag ansetzen. Vermutlich kann sich die Christenunion zu diesem Akt politischer Klugheit und Verantwortung nicht mehr durchringen. Hört man die Stimmen aus der Union, vor allem Markus Söder oder Alexander Dobrindt, so ist der Zug in Richtung Kulturkampf abgefahren. Auch wenn man bei der schlechten Qualität der Vorbereitung Jens Spahn keine Absicht des Scheiterns unterstellen will, seine Unfähigkeit zu einer soliden Vorbereitung führt zum selben Ergebnis: Schaden für die Unionsparteien und die Koalition, mehr noch ein Schaden für die künftige Qualität des Bundesverfassungsgerichts und vor allem: Ein Triumph für die AfD.

Klaus Lang
Dr. Klaus Lang studierte Katholische Theologie, Psychologie und Politik. Er war zunächst Pressesprecher des Vorstandes der IG Metall, 1981 wurde er Leiter der Abteilung Tarifpolitik, später leitete er die Abteilung des 1. Vorsitzenden und war Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, 2003 wurde er Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Er ist Mitglied im Rat der Stiftung Menschenrechte, der Förderstiftung von Amnesty International und im Sozialethischen Arbeitskreis Kirchen und Gewerkschaften.

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