
Interessieren Sie sich (ein bisschen) für links- oder sozialliberalen Journalismus, dessen Elend und Glanz, für seine Gefäße wie taz, konkret, Freitag, Neues Deutschland, Frankfurter Rundschau (FR) — dann lesen Sie weiter, droht doch bei der Frankfurter Tageszeitung — wenige Tage vor den Feierlichkeiten zum heutigen 80.Geburtstag — bisher erfolgreich Verdrängtes ans Tageslicht zu dringen. Muss die Geschichte der FR, ganz ohne Tagebücher, in Teilen neu … . Die letzten 25 Jahre war meist die Gegenwart dieser Zeitung turbulent, und jetzt die Vergangenheit… . Alles eben zu seiner Zeit.

Dass nun das Vergangene ins Gären gerät, liegt an einer im angemessen linken VSA-Verlag publizierten Biografie („Es ist an der Zeit, die Geschichte der Frankfurter Rundschau zu erzählen“), die den zähen Niedergang dieser vor allem in den 1970er und 1980er Jahren sehr bedeutsamen Zeitung anekdotenreich erzählt und zudem die Volte wagt — wie der Titel verrät —, dieses Schicksal auch noch mit dem des linksliberalen Journalismus zu verknüpfen. Dieses Werk, historische Stammtischarbeit unter Weihrauch-Kessel, wurde von einem langjährigen Redakteur, der zu zahlreichen anspruchsvollen Themen arbeitet, mit Unterstützung vieler KollegInnen geschaffen, von angesehenen liberalen Frankfurter Bürgern mit einer, wie es heißt, erklecklichen Summe finanziert. Die Gestaltung legt es auch nahe: Das ist die offizielle Geschichte der FR. Nein, nein, sagt die amtierende Chefredaktion, mit Verlag und Zeitung habe das gar nichts zu tun, das sei ein Privatprojekt des Herrn Göpfert. Interessant. Warum diese sehr spitzen Finger? Das wird leider nicht gesagt, weshalb die Stellungnahme merkwürdig interessant wird.
Funktionierendes Geschäftsmodell
Noch interessanter ist jedoch die Intervention von Ann Anders und des Journalisten Alf Mayer. Ann Anders reklamiert offensichtlich seit langem, dass die (vermutlich entscheidenden verlegerischen) Verdienste ihres Vaters, Karl Anders, für den Aufbau des über Jahrzehnte funktionierenden Geschäftsmodells der Zeitung — kurz gesagt: wir bauen eine moderne Druckerei auf und finanzieren die Zeitung aus deren Gewinne — nie gewürdigt worden seien; mehr noch, der Name ihres Vaters werde seit den fünfziger Jahren verleugnet. Nachdem in der FR-Geschichte des Herrn Göpfert der Name Karl Anders (unter anderem Widerstandskämpfer, Krimi-Liebhaber, erfolgreicher Verlags-Manager, Wahlkampfleiter von Willy Brandt) ebenfalls nicht erwähnt wird, platzte ihr und dem Journalisten Alf Mayer der Kragen. Sie machten ihr profundes Wissen nun öffentlich und forderten die FR-Chefredaktion auf, diese omerta, dieses Schweigegelübde, wie sie es sehen, zu beenden. Diese sagte, ja, ja, das wollen wir tun. Mal seh`n.

(Screenshot: FR vom 01. 08. 2025 | Zitat: Leitlinien aus der Ära von Karl Gerold)
Die Frankfurter Rundschau hat einen Säulenheiligen: Karl Gerold. Es gibt eine Karl Gerold-Stiftung — die bisher sich zu allem ausschweigt und -sitzt —, es gibt in Frankfurt einen Karl Gerold-Platz, Verlag und Redaktion hielten ihn immer hoch, bis heute, als die verlags-entscheidende Figur seit Gründung bis Anfang der 1970er Jahre; was für eine emanzipative Redaktion schon immer merkwürdig war, wurde und wird doch in bierseligen Erinnerungen ein Bild von Gerold als Früh-Ausgabe eines publizistischen Trump gezeichnet (Wer verhängt hier Sanktionen? Ich! Und Sie sind sofort entlassen! Dieser Leitartikel wird in meiner Zeitung nicht erscheinen!). Wie dem auch sei: In der bisherigen sehr dürftigen eigenen Geschichtsschreibung der einst bedeutsamen sozialliberalen Zeitung — in der übrigens auch die etwa zehnjährige Arbeit von Karl-Hermann Flach für die FR zu gering geschätzt wird — steht ungerührt Karl Gerold oben auf der Säule. Und wer Karl Anders und dessen Arbeit bei der Zeitung zum Thema macht, der werkelt mit Vorschlaghammer und Meißel und offenem Ende an der Säule herum. Zwangsläufig.
Noch den Rat an das Lese-Publikum: Bleiben Sie dran, verfolgen Sie die brandneuen Entwicklungen über die Vergangenheit der Frankfurter Rundschau …, Sie erfahren vieles und viel mehr unter
https://culturmag.de/crimemag/alf-mayer-warum-wird-karl-anders-bei-der-fr-totgeschwiegen/173163
Noch eine Bemerkung zum Buchtitel: Der Niedergang der Frankfurter Rundschau ist der Niedergang der Frankfurter Rundschau. Mehr nicht. Er ist buchstäblich einmalig. Sollte der linksliberale Journalismus je auch im Niedergang sein, dann ist das eine andere Geschichte.
Claus-Jürgen Göpfert: Zeitung im Kampf. 80 Jahre Frankfurter Rundschau oder:
Niedergang des linksliberalen Journalismus?
VSA, Hamburg, 2025, 232 Seiten, 16.80 Euro
Transparenzhinweis: Der Autor durfte einige Jahre, als leider alle Konten und Kassen schon leer und der letzte Kredit der Frankfurter Sparkasse bereits gewährt war, dem Blatt unter anderem als Chefredakteur dienen.
Ich kann Wolfgang Storz nur recht geben. Seit 1964 las ich „meine“ FR regelmäßig und wie eine Mitgliedschaft in einer Kirche habe ich bis Sommer letzten Jahres ein Abo.
Dann habe ich das Abo gekündigt, weil gefühlt 60 Prozent der Texte identisch waren mit meiner Lokalzeitung. Als noch Jutta Roitsch in der Redaktion arbeitete, konnte man als bildungspolitisch Interessierte auf die Zeitung nicht verzichten. Die FR schwenkte auf den bellizistischen Mainstream ein. Stephan Hebel ging in den Un-Ruhestand und nur auf die Texte von Pit von Bebenburg zu warten, lohnte sich auch nicht mehr. Schade, dass eine einstmals kritische links-liberale Stimme auf dem Markt der Tageszeitungen verloren ging.