Marine Le Pen feiert ihren Überraschungserfolg

Am Tag danach herrschten im Palais Bourbon, dem Sitz der französischen Nationalversammlung, Katzenjammer auf der einen Seite, Triumphgeheul auf der anderen Seite: Der rechtsextreme Rassemblement National (RN) hatte mit 185 zu 184 Stimmen eine Resolution durchgebracht, die das mehr als angespannte Verhältnis zwischen Frankreich und Algerien weiter belastet. In der Resolution wird die Kündigung des französisch-algerischen Abkommens vom 27. Dezember 1968 gefordert. Das Abkommen enthält großzügigere Sonderregelungen für Algerier und ihre Familien bei der Einreise, der Beschäftigung und der Aufenthaltsdauer. Die Rechtsextremen nutzten an diesem 30. Oktober das Recht der „niche parlementaire“ und bestimmten die Tagesordnung im Parlament. Vor dem halbleeren Parlament präsentierten sie die Resolution und genossen den Triumph. Denn gegen dieses „veraltete Relikt“ wetterte nicht nur der antiarabische Bruno Retailleau von den rechten Republikanern und bis vor kurzem Innenminister. Auch der ehemalige Republikaner und Bürgermeister von Le Havre, Edouard Philippe, einst Premierminister unter Emmanuel Macron und Kandidat von Horizons für die Präsidentschaftswahlen 2027, verlangte bereits vor zwei Jahren im Parlament eine Kündigung: Die Resolution im Dezember 2023 wurde mit 151 gegen 114 Stimmen abgelehnt.
Nun ist der „cordon sanitaire“, wie in Frankreich die Brandmauer zu den Rechtsextremen genannt wird, gerissen: Die Abgeordneten von Horizons und den Republikanern stimmten mit dem RN: Von den 577 Abgeordneten glänzten 200 durch Abwesenheit, darunter Gabriel Attal, der Fraktionsvorsitzende der Macronisten. Auch auf der Linken fehlten die Parlamentarier. Und am Tag danach: Aus der rechten Mitte kommen kleinlaute Töne: Man habe die Wirkungen unterschätzt, heißt es bei Horizons. Aus dem Elysee Palast dringt Verärgerung über diese unerwünschte Einmischung des Parlaments in die Diplomatie und die Außenpolitik. Und in Algerien überschlägt sich die Entrüstung und heizt die antifranzösische Stimmung weiter an. Marine Le Pen feiert ihren Überraschungserfolg.

Jutta Roitsch
Jutta Roitsch, Diplom-Politologin und freie Autorin, von 1968 bis 2002 leitende Redakteurin der Frankfurter Rundschau, verantwortlich für die Seiten »Aus Schule und Hochschule« und »Dokumentation«, seit 2002 als Bildungsexpertin tätig, Engagement in der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, vereinigt mit der Gustav-Heinemann-Initiative (GHI), Autorin der "Blätter für deutsche und internationale Politik", der "Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik".

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