COP30-Konferenz an der Konfliktachse solar versus fossil

Screenshot: „Klimafaktenpapier

Im brasilianischen Belém läuft die COP30 und Jasper von Altenbockum verkündet in der FAZ, „besser die Folgen des Klimawandels mit Realismus bekämpfen als die Ursachen mit Utopismus„. Sein Versuch, klimapolitischen Revisionismus zum eigentlichen Pragmatismus zu adeln – „es ist der Gegensatz zwischen einer Politik, die gesinnungsethisch gegen eine Wand rennt, und einer Politik, die durchsetzen will, was real möglich ist“ – wird von den drei Hauptpfeilern der Rechtfertigung des Falschen getragen: Herabwürdigung vernünftiger Veränderungsmotive zur heute eh schlecht angesehenen Moralangelegenheit; Naturalisierung gesellschaftlich gemachter, also eigentlich veränderbarer Gegebenheiten zur angeblich unverrückbaren Wand; Verteidigung eines anachronistisch gewordenen Pragmatismus-Radikalismus-Verständnisses, das sich vor der Biophysik längst blamiert hat: Was als Realpolitik heute noch gelten will, müsste zu einem Radikalismus bereit sein, den im Grunde derzeit alle scheuen. Womit der verletzliche Punkt der hier formulierten Kritik an Altenbockum markiert wäre: Haben denn die Gutwilligsten einen belastbaren Plan, das durchzusetzen, was klimapolitisch wirklich nötig wäre?

Man kann von Altenbockums Einlassung auch als modellhaft betrachten, es ist von Sound und Stoßrichtung her das, was man auch von Bill Gates gelesen hat, der dies als »Truth« sprachlich gegen Kritik abpanzert, es liegt auf der Linie der Rede von Friedrich Merz beim Klimagipfel, entspricht dem politischen Agieren vieler Regierungen: Es wird schon nicht so schlimm – und was dann doch auf uns zukommt, das lässt sich technisch und im Rahmen des Bestehende lösen.

 »Unsere Wirtschaft ist nicht das Problem. Unsere Wirtschaft ist der Schlüssel.« (Friedrich Merz)

In anderer Variante wird der »pragmatische Klima-Reset« von Michael Liebreich von BloombergNEF propagiert: das 1,5-Grad-Ziel, ohnehin nicht mehr erreichbar, führe zu schlechten politischen Entscheidungen, realistische Zeit- und Senkungspläne seien nötig – was praktisch die Aufgabe des Ziels Dekarbonisierung bedeutet. Rico Grimm von Cleantech hat dazu ein paar Anmerkungen gemacht. Und Ottmar Edenhofer ruft hier in Richtung Gates dazwischen, dass es Unsinn ist, Klima- von Entwicklungspolitik zu trennen: »Entwicklungspolitik in einer um drei oder vier Grad erwärmten Welt kann sich niemand vorstellen.“

Verschärfte globale Spannungen zwischen Norden und Süden

Wo stehen wir? Laut »Emissions Gap Report 2025« des UNEP wird die globale Erhitzung Ende des Jahrhunderts bei 2,8 Grad Celsius liegen, wenn die gegenwärtige Politik fortgesetzt wird; bei vollständiger Umsetzung der NDCs käme die Welt 2100 bei 2,3 bis 2,5 Grad heraus. Unlängst warnten Meteorologen und Physikerinnen, dass bereits um 2050 herum die Erwärmung 3 Grad erreichen könnte, bis 2100 seien bis 5 Grad wahrscheinlich. Laut einer neuen Studie von Climate Analytics und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist das 1,5-Grad-Ziel doch noch erreichbar – vorausgesetzt, alle Staaten handeln mit »höchstmöglicher Ambition«. Schon in diesem Wunsch-Szenario dauert der Overshoot freilich länger und wird wärmer als in früheren Analysen.

Setzen weiter die »Pragmatiker« den Kurs, wird umso realistischer, dass die Folgen einer auch nur vorübergehenden Überschreitung der Temperatur-Zielmarken schwerwiegender sein werden. Irreversibel ist ein Teil von ihnen ohnehin, etwa der Meeresspiegel-Anstieg, wie unter anderem das Potsdam-Institut analysiert hat. Wie »realistisch« Pläne sind, von der maximalen Erwärmung etwa durch hochskalierte CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre herunterzukommen, kommt als offene Frage hinzu. Etwas trügerisch ist auch die Fokussierung auf die globalen Temperaturwerte bei all diesen Szenarien. Bisher sind in der Bundesrepublik die Temperaturen im Zuge der Erderhitzung »doppelt so schnell gestiegen als im weltweiten Durchschnitt«, so der DWD in einem neuen Faktenpapier 2025 zu Extremwetter. Der Aufwuchs betrug in Deutschland bereits 2,5 Grad; das Jahresmittel für 2024 lag hierzulande bereits 3,1 Grad über dem frühindustriellen Niveau. Wie realistisch werden also fünf oder sechs Grad mehr und was heißt das für das, was dann noch »real möglich ist«, etwa an Landwirtschaft, Wasserversorgung, Biodiversität und so fort?

Screenshot: „Klimafaktenpapier

Nicht ganz überraschend nimmt die Geopolitik als Rahmen einen zentralen Stellenwert in den Debatten um die COP30 ein, vor allem die durch verschiedene Faktoren verschärften Spannungen zwischen globalem Norden und Süden. Unlängst hat die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik ein Memo »zur Interdependenz von Klimawandel und Geopolitik« herausgegeben. Wie der Klimawandel selbst »als Risikomultiplikator und Konflikttreiber« wirkt, wird hier übersichtlich erläutert. Sich Staatenbeziehungen nicht mehr nur im »alten Raster« anzusehen, sondern durch ein planetares Paradigma, erweitert die Perspektiven. Susanne Götze konstatiert zum Start der 30. Weltklimakonferenz einen »Kampf der Welten – Ölländer gegen Elektrostaaten«, wobei China die Spitze der letzteren innehat, die Petrostaaten nicht aufgeben und die EU irgendwie zwischen den Stühlen sitzt.

Screenshot: „Klimafaktenpapier

„Jedes Zehntelgrad ist entscheidend“

Niklas Höhne vom New Climate Institut spricht bei den »Klimareportern« über die aktuelle Rollenverteilung entlang der Konfliktachse solar versus fossil. Höhne spricht hier mit der Entwicklungsgeographin Lisa Schipper und Lambert Schneider vom Öko-Institut über den Stand der Dinge zu Beginn des Klimagipfels. Dass die »USA nicht im Weg« sind, sieht Christian Stöcker als gutes Omen für Belém – und er findet auch noch vier weitere Punkte, »warum diese Klimakonferenz ein Erfolg werden könnte«, darunter die nach wie vor »gewaltigen« globalen Mehrheiten für mehr Klimaschutz und »die Märkte«: Es werde heute in erneuerbare Energien, Speichertechnologie, Elektromobilität und so weiter »bereits doppelt so viel investiert wie in fossile Brennstoffe«. Auch Michael Bauchmüller ist ein bisschen optimistisch, die COP30 könnte Fortschritte im Kampf gegen die Erderwärmung bringen, »obwohl alle Zeichen auf Rückschritt stehen. Ganz unmöglich ist das nicht«.

Marlene Weiß sieht das anders: »Vieles könnte man immer noch verhindern, die Lösungen sind da, mehr als je zuvor. Aber zehn Jahre nach dem Paris-Vertrag muss man zum bitteren Ergebnis kommen: Es ist uns wohl nicht wichtig genug.« Worum es beim »Rettungsgipfel in Brasilien« geht, außer um ein »Treffen gegen den Weltuntergangsblues«, wird unter anderem hier und hier erläutert. Beim Carbonbrief gibt es wie üblich tolle Übersichten darüber, wer was bei der COP30 will und wie nahe diesmal ein »globales Ziel der Anpassung« liegen könnte. Auch ein umfassendes Tracking der Verhandlungstexte wird wieder angeboten. Die Datenlabore dreier deutscher Bundesministerien und die GIZ haben »ein KI-Tool entwickelt, das Delegationen bei der Verarbeitung von UNFCCC-Eingaben zum COP-Prozess unterstützt« – hier geht es zu NegotiateCOP. Und die Deutsche Meteorologische Gesellschaft hat anlässlich Belém noch einmal ein gut verständliches »Klimafaktenpapier« veröffentlicht – Motto: »Jedes Zehntelgrad ist entscheidend«.

Der Beitrag erschien zuerst als Klimanotizen 77 auf linksdings.

Tom Strohschneider
Tom Strohschneider ist Journalist und Historiker, war Redakteur des Freitag und der TAZ, 2012-2017 Chefredakteur Neues Deutschland und arbeitete federführend an der monatlich erscheinenden Wirtschaftszeitung OXI mit.

Hinterlasse einen Kommentar.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert