
Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey haben sich mit ihrer 2022 erschienenen Studie Gekränkte Freiheit einen Namen gemacht. Dieser “Neoklassiker der Sozialwissenschaften”, wie der österreichische Standard lobte, analysierte den so bezeichneten “libertären Autoritarismus”. In ihrem aktuellen Buch Zerstörungslust kreiert das Autorenduo, das an der Universität Basel forscht, nun ein weiteres, noch drastischer formuliertes Label: den “demokratischen Faschismus”. Gemeint sind durch reguläre Wahlen an die Macht gekommene rechtspopulistische Regierungen, die liberale Errungenschaften wie Gewaltenteilung, unabhängige Justiz und freie Medien einschränken. Als Beispiele genannt werden Donald Trump in den USA, Javier Milei in Argentinien, Viktor Orban in Ungarn oder Giulia Meloni in Italien.
Die gewählte Begrifflichkeit ist plakativ und eingängig, aber dennoch problematisch – weil das Wort Faschismus, zumindest in Deutschland, sofort mit dem Regime des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird. Amlinger und Nachtwey weisen darauf hin, dass die von ihnen skizzierte Herrschaftsform etwas anderes meint. Es gehe nicht darum, dass der alte Faschismus als politische Gewaltherrschaft wiederkehren werde. Der Nachfolger sei “weniger organisiert und zentralisiert als sein Vorläufer in der Zwischenkriegszeit”, existiere aber “bereits jetzt als Fantasie in der Demokratie”, sei in ihr verankert und verstehe sich als “ihr Erneuerer”.
Personalisierte Fallgeschichten
Faschismus war einst eine mit Stolz geführte Selbstbezeichnung, stand für die von Benito Mussolini angeführte, in der Kunst vom italienischen Futurismus inspirierte soziale Bewegung. Erst durch die Verbrechen des 20. Jahrhunderts und vor allem nach dem Holocaust änderte sich dies. Der Philosoph Theodor Adorno, Autor der Studien zum autoritären Charakter, erinnerte 1967 daran, dass die Rechte nach dem Zweiten Weltkrieg Konzessionen gemacht habe: “Das offen Antidemokratische fällt weg, im Gegenteil: Man beruft sich auf die wahre Demokratie und schilt die anderen antidemokratisch.”

Diese Beschreibung passt heute, neben Trump oder Meloni, auch auf Politiker und Politikerinnen, die (noch) nicht an der Macht sind: Geert Wilders in den Niederlanden, Marine Le Pen in Frankreich oder Alice Weidel in Deutschland. Mit Hilfe personalisierter Fallgeschichten, die auf qualitativen Interviews beruhen, versucht das Buch herauszufinden, warum autokratische und illiberale Denkmuster jetzt wieder so viel Anklang finden. Wichtigster theoretischer Bezugspunkt ist dabei die Sozialforschung der Frankfurter Schule, zitiert werden immer wieder vor allem Erich Fromms Texte, etwa zur Anatomie der menschlichen Destruktivität.
Amlinger und Nachtwey diagnostizieren auch für die Gegenwart eine “Lust an der Zerstörung” als den Versuch, die Demokratie aus den Angeln zu heben. Diese Revolte verunsicherter (und teilweise tatsächlich deklassierter) Menschen richte sich im Kern gegen das kollektive Gefühl von Verlust, Ohnmacht und eines blockierten Lebens, für das die Betroffenen die moderne liberale Gesellschaft verantwortlich machen. Die politischen Eliten können die Versprechen der “Trente glorieuses”, der ersten Jahrzehnte der Nachkriegszeit, als Fortschritt und Emanzipation garantiert schienen, in einer Polykrise aus Klimawandel, Kriegen, Pandemien und Inflation nicht mehr einlösen.
Ein verzweifelter Versuch, nicht zermalmt zu werden
“Der demokratische Faschismus entspringt verschiedenen Quellen, die sich zu einem großen Strom vereinigen”, resümiert das Autorenteam. Dazu gehören “vom Abstieg bedrohte und radikalisierte Mittelklassen” sowie “Arbeiter, deren Lebensbedingungen seit Jahrzehnten stagnieren und die Hoffnung auf Besserung aufgegeben haben”. Das erzeuge vor allem bei jenen explosive Gefühle, die zuvor an die Moderne, an sozialen Aufstieg und Leistung geglaubt haben. Zudem werde der Liberalismus in Teilen selbst autoritär, stelle “an das moderne Individuum hohe Anforderungen der richtigen Lebensführung, oft in moralisierender Form”. Die imaginierte Zerstörung der Gesellschaft durch destruktive Persönlichkeiten sei so besehen ein “letzter verzweifelter Versuch, nicht von ihr zermalmt zu werden”.
Unter den derzeit zahlreich erscheinenden Titeln über oligarchisch und autoritär geprägte Regierungsstile ragt das Buch heraus, weil es explizit die emotionalen (und eben teils auch zerstörerischen) Elemente rechtsextremer und rechtspopulistischer Weltanschauungen thematisiert. Im Schlusskapitel fordern Amlinger und Nachtwey einen “postliberalen Antifaschismus”: Allein mit nüchternen Faktenchecks oder gut gemeinten Demokratietrainings könne man die hohen Zustimmungswerte rechtspopulistischer Einstellungen nicht eindämmen. Denn der “Maschinenraum des Faschismus” beruht vorrangig auf “affektiven Anziehungskräften”.
Carolin Amlinger & Oliver Nachtwey: Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025. 460 Seiten, 30 Euro
Siehe auf bruchstücke auch das Interview mit Oliver Nachtwey:
„Mobilisierung für einen muskelbepackten Kapitalismus“.