Alarmglocken, Sperrzonen und kampferprobte Bauern

In Frankreich haben die Weihnachtsferien begonnen: Das ist stets ein großer Aufbruch in den Winterurlaub oder zu der Verwandtschaft auf dem Lande. Reibungslos wird die Fahrt diesmal nicht verlaufen. Vor allem im Südwesten des Landes blockieren Bauern mit ihren Traktoren Autobahnen und Nationalstraßen, zünden Strohballen an und kippen Mist vor die Rathäuser: Die Bauern der rechtsradikalen Coordination rurale sind an ihren gelben Mützen zu erkennen, die der linksextremen Confédération paysanne („Wir lassen uns nicht unterkriegen!“) an den Klassenparolen. Um was aber geht es in diesen Tagen?

Französische Bauern, das sind noch 2,5 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung oder rund eine halbe Million, sind kampferprobt und können bei nahezu jedem Kräftemessen mit dem Staat und den jeweiligen Regierungen auf die Solidarität mit der Bevölkerung rechnen. Selbst in den Weihnachtsferien.

Ohne irgendeinen Aufruhr wurde im Juli die 19. Etappe der Tour de France über den Col des Saisies umgeleitet. Im Savoie hatte sich die hochansteckende Rinderseuche „Lumpy Skin Disease“ ausgebreitet: Hunderte von Rindern mussten getötet (gekeult) werden, 200 Tonnen Käse (von möglicherweise verseuchter Milch) wurden beschlagnahmt. Im Landwirtschaftsministerium in Paris, in der EU schrillten die Alarmglocken und in aller Eile wurden Ende Juli erste Sofortmaßnahmen beschlossen: Sperrzonen, Schutzzonen, Überwachungszonen. Impfstoffe wurden in aller Eile mobilisiert: auch wenn sie noch nicht zugelassen waren.

Hochgefährlich

In Deutschland stehen zur Zeit keine zugelassenen Impfstoffe zur Verfügung, melden die zuständigen Institute. So ist die Angst vor dieser Seuche, die sich langsam in Europa ausbreitet, und vor bisher noch weitgehend unbekannten Nebenfolgen von großangelegten, teuren Impfkampagnen groß. Dennoch blieben in Frankreich bis weit in den November Proteste aus. Erst eine neue Welle von Infektionen im Doubs und Jura, dann in den südwestlichen Departements der Pyrenäen löste teilweise gewalttätige Proteste aus: Die Bilder gingen tagelang durch die französischen Medien: Bauern, die Tierärzte von ihrem Hof vertrieben, Bauern, die von wenig zimperlichen Polizisten in Schach gehalten wurden, damit Kühe getötet oder geimpft werden konnten.

Das Misstrauen, das dem Staat, dem Präsidenten der Republik und dem Premierminister Sébastien Lecornu entgegenschlägt, ist ebenso wenig neu wie die bäuerliche Gewaltbereitschaft. Neu ist aber in diesen Tagen, dass sich die Bauernsyndikate der extremen Rechten und der extremen Linken auf den Autobahnen, vor den Rathäusern und in den Medien an Radikalität gegenseitig zu überbieten versuchen, vor Falsch- und Verschwörungsmeldungen nicht zurückschrecken und gegen Tierärzte wie Wissenschaftler mobilisieren. Appelle der Regierung zur Mäßigung während der Weihnachtszeit verhallen bisher.

Unmittelbar helfen will Lecornu mit einem Sonderfonds (11 Millionen Euro) und weiteren Verhandlungen schon am 5. Januar, doch den Gelbmützen reicht das nicht: Sie wollen gegen den Rat der Wissenschaftler den Verzicht auf Notschlachtungen und eine Impfung aller Rinder in Frankreich. Auch die Linksextremen mobilisieren weiter, nun auch gegen das Mercosur-Abkommen und die französische Landwirtschaftspolitik überhaupt.

Gibt es für die derzeitige radikale Maßlosigkeit eine Erklärung? Im März stehen in Frankreich die Wahlen zu den Bürgermeisterämtern und Gemeinderäten an: Sowohl der rechtsextreme Rassemblement National (RN) als auch die linksradikalen „Insoumis“ (Unbeugsamen) gehen im ländlichen Raum massiv auf Stimmenfang. Da passt die Seuche ins Konzept. Hochgefährlich ist das alles.

Jutta Roitsch
Jutta Roitsch, Diplom-Politologin und freie Autorin, von 1968 bis 2002 leitende Redakteurin der Frankfurter Rundschau, verantwortlich für die Seiten »Aus Schule und Hochschule« und »Dokumentation«, seit 2002 als Bildungsexpertin tätig, Engagement in der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, vereinigt mit der Gustav-Heinemann-Initiative (GHI), Autorin der "Blätter für deutsche und internationale Politik", der "Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik".

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