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Atomkraftwerke: Sie sind unfassbar teuer, belasten mit ihrem Müll Generationen und sind dankbare Ziele für Terroristen und Militärs. Trotzdem wird weiterhin, nicht nur in Deutschland, an einer Renaissance gebastelt. Die Lobbyisten haben zwei Ziele im Blick: die Wiederinbetriebnahme bereits abgeschalteter Atomkraftwerke und die Entwicklung neuer Kraftwerks-Generationen, Kleinreaktoren und Fusionsmaschinen. Mit diesen Zielen haben sie es in die Wahlprogramme von CDU/CSU, AfD und FDP geschafft. In atompolitischer Hinsicht ist die Übereinstimmung der vier Parteien komplett. Bei beiden Zielen lohnt ein Blick ins Nachbarland Frankreich, der europäischen Atommacht.
Präsident Macron hatte 2021 die Fertigstellung eines ersten französischen Kleinreaktors (SMR) bis zum Ende des Jahrzehnts versprochen. Er nannte es „Réinventer le nucléaire“ und stellte eine Milliarde Euro staatlicher Förderung in Aussicht. Doch die Neuerfindung der Atomenergie ist in den vergangenen drei Jahren nicht vorangekommen. Beim SMR-Projekt des Elektrizitätsunternehmens EDF, genannt Nuward, wurde im vergangenen Juli bereits ein komplettes Redesign beschlossen; ob die bisherigen Partner diesen Weg mitgehen, ist fraglich. Ferner hat die Regierung die Förderungswürdigkeit von zwölf weiteren SMR-Projekten prüfen lassen; nur zwei, höchstens vier der zwölf sind der Förderung überhaupt würdig. Das Geld wurde natürlich trotzdem ausgegeben, und so wird es wohl auch hierzulande passieren — ohne dass irgendein Apostel der freien Marktwirtschaft daran Anstoß nehmen wird.
Mit zeitweise täglich erscheinenden Meldungen über irgendwelche exotischen Nuklearprojekte, deren Namen schneller vergessen sind als sie gedruckt werden, versucht in Deutschland insbesondere die FAZ den Eindruck einer weltweiten nuklearen Konjunktur zu wecken. Verfasst werden solche Artikel fast durchweg von Journalisten mit einem Studium der — Überraschung — Volkswirtschaft. Deswegen nutzt die Zeitung den Programmsprecher Energie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Walter Tromm, als fachkundigen Supervisor, jedenfalls darf er australische oder italienische Startups und andere Subventionsabgreifer unter dem Titel „Atom“ gnädig kommentieren und einordnen. Das KIT-Zentrum Energie gehört nach eigener Einschätzung zu „Europas Spitze in der Energieforschung“, bahnbrechende Leistungen sind freilich bisher nicht bekannt geworden. Oder sie sind so wichtig, dass sie geheim gehalten werden müssen.
Södersches Atom-Wirrwarr
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Es bleibt zudem das Vorhaben, stillgelegte AKWs wieder in Betrieb zu nehmen. Das Kasperletheater, das der Öffentlichkeit hier vorgespielt wird, lässt sich am Beispiel des bayrischen AKW Isar-2 veranschaulichen. Es erhielt im März 2024 eine Rückbaugenehmigung von Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler), also von der bayrischen Landesregierung. Das hindert Markus Söder, Chef dieser Landesregierung, nicht daran, „dringend einen Stopp des Rückbaus von Isar 2″ zu fordern. Auch sein Vize und Energieminister, Hubert Aiwanger (Freie Wähler), befürwortet eine Wiederinbetriebnahme. Aber anscheinend hört der Umweltminister nicht auf ihn und erst recht nicht auf Söder. Man kann der Berliner Ampel ja Chaos vorwerfen, aber was ist das denn? Während die Landesregierung anders spricht als sie handelt, zersägt der Betreiber von Isar-2, die Eon-Tochter PreussenElektra, unbeirrt den Primärkreislauf des Reaktors. Dabei weiß Jede*r, dass die CSU und PreussenElektra eigentlich ziemlich beste Freunde sind, die sich durch nichts und niemanden auseinanderdividieren lassen.
Um das bayrische Wirrwarr zu entflechten und zu verstehen, müssen wir wiederum von Frankreich lernen. Dort waren Ende 2021 Korrosionsschäden im Rohrensystem von Reaktoren entdeckt worden. In den folgenden Monaten und Jahren wurden teilweise sehr tiefe und lange Risse an Schweißnähten in immer mehr Reaktoren entdeckt. Über die Hälfte des französischen Nuklearparks ist von diesen Schäden betroffen, darunter auch solche Reaktoren, die in Alter, Leistung und Design den letzten deutschen Meilern sehr ähnlich sind. Während in Frankreich aufwändige und langwierige Reparaturen vorgenommen werden, hat man in Deutschland derartige Probleme entschieden dementiert — freilich vom Schreibtisch, aus, nicht etwa nach Untersuchungen am Objekt. Denn die deutschen Reaktoren sollten ja ohnehin bald stillgelegt werden, wozu also noch die Mühe.
Die Hälfte von Frankreichs Nuklearpark in der Werkstatt
Bei einer Wiederinbetriebnahme würden die Kraftwerke allerdings auf Herz und Nieren geprüft werden. Dabei würde sich vielleicht — nein, ziemlich sicher — herausstellen, dass es um sie nicht besser bestellt ist als in Frankreich. Und dann müsste die Atomkraftbranche einräumen, dass diese Hochrisikotechnologie in ihren letzten Betriebsjahren auf Sicht gefahren wurde, aber nicht nach Vorschrift. Was also tun? Schreddern! Die fraglichen Beweisstücke werden rasch entfernt — sie müssten ja ohnehin bei einer Wiederinbetriebnahme erneuert werden.
Atomgegner würden die stillgelegten AKWs lieber der internationalen Materialforschung zur Verfügung stellen. So könnten bessere Erkenntnisse beispielsweise darüber erhalten werden, wie die Neutronenversprödung auf den Stahl einwirkt. Womit natürlich die Frage verbunden ist, ob die üblich gewordenen Laufzeitverlängerungen von Atomanlagen vertretbar sind. Das wäre nicht nur für Frankreich, sondern auch für China interessant, wo in den letzten Jahren achtzehn Atomreaktoren nach französischem Design errichtet worden sind.
Der begonnene Abriss der AKWs macht eine erneute Inbetriebnahme nicht einfacher und schon gar nicht billiger. Bevor die Atomenergie erneut eine „bedeutende Rolle“ (Wahlprogramm der Union) einnehmen könnte, müssten also beachtliche Probleme gelöst werden. Und überhaupt erst qualifizierte Fachkräfte gefunden werden, die sie lösen können. Die lassen sich auch nicht aus dem Hut zaubern, aber egal. So gilt neuerdings die Devise: Probiert’s halt mit künstlicher Intelligenz. Und findet dann ein Unternehmen, das zusammengeflickte alte Atomkraftwerke versichert.
Bei kritischer Sichtung ist also von einem weltweiten Aufschwung der Atomenergie wenig bis gar nichts zu sehen. Trotzdem: Weil die Verhältnisse so sind, wie oben geschildert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Renuklearisierung kommen. Wir werden sie kritisieren, karikieren, dagegen protestieren und demonstrieren, bis neue Mehrheiten den Spuk wieder einmal beenden. Im Ergebnis sind dann weitere wichtige Jahre beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Entwicklung von Speichertechnologien und einem intelligenten Stromnetz, bei neuen Antrieben, Heizungen und beim Energiesparen verloren gegangen. Es wäre schön, wenn der Klimawandel so lange innehalten würde.