Wie blöd dürfen wir sein?

Populisten – system(at)isch seziert 

„Der Staat, die Demokratie bedürfen des Schutzes vor manipulativen Algorithmen und dem Größenwahn demokratiefeindlicher Tech-Milliardäre“, betont der Systemforscher Fritz B. Simon im Interview mit Wolfgang Storz. Es sei noch kein angemessener Umgang gefunden worden mit der Tatsache, dass das Internet und Online-Plattformen die Kommunikationsstrukturen unserer Gesellschaft grundlegend verändert haben und teilweise sogar prägen. „Eine wirksame Antwort darauf ist existentiell.“ Simon kritisiert, dass im Wahlkampf fast alle nur noch darum konkurrierten, wer am besten Mauern um Deutschland herum bauen und das Land von Ausländern befreien könne. Dafür müsse auch den Massenmedien Verantwortung zugeschrieben werden, weil sie die Botschaft verstärkten, alle Probleme der Welt seien auf illegitime Migration zurückzuführen.

Wolfgang Storz: Den Wahlkampf, die Wahlbeteiligung, das Wahlergebnis und die allerersten Reaktionen auf dieses Ergebnis zu einer Momentaufnahme verdichtet — was ist ihr Eindruck?

Fritz B. Simon: Im Wahlkampf müssen die Unterschiede zwischen den Parteien betont werden. Damit der Wähler die Wahl nicht nur zwischen Parteien oder Personen, sondern auch zwischen Inhalten hat. Doch im deutschen Wahlkampf verengte sich alles auf die Migrationsfrage. Noch bedauerlicher war, dass irgendwann alle nur noch darum konkurrierten, wer am besten Mauern um Deutschland herum bauen und das Land von Ausländern befreien könnte. Dass Deutschland hunderttausende Migranten braucht, um seinen zunehmenden Mangel an Arbeitskräften zu kompensieren, fiel dabei durch den Rost der öffentlichen Kampagnen. Durch den Rost fiel auch: dass sich sogenannte Bio-Deutsche ebenfalls immer wieder als Messerstecher betätigen.

Es standen also die falschen Themen im Mittelpunkt?

Simon: Ignoriert wurde ja nicht nur der Mangel an Arbeitskräften. Die drohende Klimakatastrophe, die ebenfalls drohende Bildungskatastrophe, der desolate Zustand unserer öffentlichen Infrastrukturen, die nicht vorhandene Digitalisierung der Verwaltung, um nur einige bedeutende Herausforderungen zu nennen — das spielte ja alles kaum eine Rolle.

Das ereignete sich ja nicht gottgegeben. Wessen Verantwortung ist das? Haben die Medien versagt, mit ihrer Themensetzung?

Simon: Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Denn es war ja ein Zusammenspiel verschiedener Akteure. An erster Stelle stehen natürlich die Politiker, die diese für die Wähler möglicherweise mit Zumutungen verbundenen Themen vermeiden. Wer will schon gern Verzicht versprechen. Aber die Wähler sind da natürlich als Adressaten nicht einfach wegzudenken, wenn es um die Verantwortung geht. Doch woran sollen die sich orientieren, außer an dem, was in den Massenmedien verbreitet wird. Und wenn die Botschaft eben ist, alle Probleme der Welt sind auf die illegitime Migration zurückzuführen, dann wird solch ein Angebot der Komplexitätsreduktion eben nur zu gern angenommen. Daher muss den Medien wohl eine ziemlich große Verantwortung zugeschrieben werden.

Prof. Dr. Fritz B. Simon hat Medizin und Soziologie studiert, als Gruppendynamiktrainer, Psychotherapeut, Psychoanalytiker und Psychiater in unterschiedlichen Institutionen der Universitäts- und Versorgungspsychiatrie gearbeitet und seit Jahrzehnten soziale Systeme – von Familien und Organisationen bis zu Kriegen – beforscht. Er war Gründungsprofessor des Instituts für Familienunternehmen der Universität Witten, Mitgründer und Vizepräsident der Deutsch-Chinesischen Akademie für Psychotherapie und Vizepräsident des Europäischen Familientherapie Verbands (EFTA), ist geschäftsführender Gesellschafter des Carl-Auer Verlags, Heidelberg, Mitbegründer der Simon, Weber and Friends Systemische Organisationsberatungs GmbH, Heidelberg/Berlin. Langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Master-Fernstudiengangs „Systemische Beratung“ und „Systemisches Management“ der Universität Kaiserslautern. Seine Publikationsliste und weitere Informationen unter https://www.fritz-simon.de/

In unserem letzten Bruchstücke-Gespräch analysierten Sie die Dämonisierung der Grünen. Machte sich dies auch im Wahlkampf bemerkbar?

Simon: Die Kampagne gegen Robert Habeck halte ich für das Bemerkenswerteste im ganzen Wahlkampf. An vorderster Front waren die Springer-Presse und Markus Söder. Dieses Übermaß an Hetze und ja, richtigem Hass ist für mich erstaunlich, denn eine solche politische Körperverletzung wurde einem Politiker seit langem nicht mehr angetan; vielleicht früher Willy Brandt, der für Teile der Bevölkerung der verhasste Emigrant war.

Wie ist Ihre vorläufige Erklärung?

Simon: Offenbar wurde er als Politiker als so bedrohlich erlebt, dass, fern von jeder inhaltlichen Auseinandersetzung, das Ziel zu sein schien, ihn als Person so zu disqualifizieren, dass er als Konkurrent auf Dauer ausgeschaltet wird. Was mich aber auch irritiert: Warum hat er sich, warum haben sich die Grünen als Partei nicht aggressiver gewehrt gegen diese Kampagne? Nicht dass er keine Fehler gemacht hätte, aber was ihm alles an angeblichem Versagen zugeschrieben wurde, das war letztlich lächerlich. Söder und seine politischen Kumpanen haben nur noch das schlechte Wetter vergessen.

Dank der sehr hohen Wahlbeteiligung zeigt sich ein ziemlich repräsentatives politisches Bild. Trotz des dicken blau-braunen Flecks ist doch eine bunte Republik zu sehen. Was ist ihr Bild?

Simon: Bunt ist das Bild schon. Und die Höhe der Wahlbeteiligung ist insofern ein gutes Zeichen, dass auch die Unzufriedenen zu dem Schluss gekommen sind, mit ihrer Stimmabgabe wird auch ihre Meinung gehört. Die Buntheit kann aber schnell zum Problem werden, wenn deshalb keine tragfähige Regierung mehr gebildet werden kann.
Oder wenn es, wie sich jetzt abzeichnet, nur noch eine Option gibt.

Rechtsextreme hießen früher z. B. Strauß oder Dregger

Wie bewerten Sie das Abschneiden der AfD: offenkundig seit Jahren auf dem Weg nach oben, in ganz Deutschland bei 20 Prozent, in Ostdeutschland teilweise auf dem Weg zur absoluten Mehrheit?

Strauß war 1980 der bisher einzige
Kanzlerkandidat der CSU. (Foto, 1972: wikimedia commons)

Simon: Ich bin da unsicher, das ist für mich offen. Aber ein erster Hinweis: In Gesprächen mit Dieter Roth, dem Erfinder des Politbarometers im ZDF, lernte ich vor vielen Jahren, dass seit Gründung der Bundesrepublik stets ein Potenzial von 20 Prozent rechtsextremer Wähler bestanden habe. Früher wurde dieses Wählerklientel eben von der CDU/CSU, vor allem von der CSU eingefangen. So gab es Rechtsextreme schon immer im Bundestag. Früher trugen sie eben die Namen Alfred Dregger und Franz-Josef Strauß. Letzterer hatte ja die Parole ausgegeben, rechts von der CSU dürfe nur noch die Wand sein.

Damit erklären Sie aber auf keinen Fall, die doppelt so hohen AfD-Ergebnisse in Ostdeutschland.

Simon: Richtig. Darüber kann ich nur spekulieren. Es dürfte etwas mit der dort in 40 Jahren gewachsenen Kultur zu tun haben, die etwas anders ist als im Westen. Man ist prinzipiell gegen die Regierung (wie früher), aber erwartet von ihr, dass sie einen versorgt (wie früher). Wer AfD wählt, weiß nicht, was er will, aber er weiß, was er nicht will. Allerdings: Letzteres dürfte auch im Westen für die AfD-Wähler gelten.

Stimmen Sie dieser Beschreibung zu: Weil Putin-Russland kurz nach der letzten Bundestagswahl mitten in Europa einen Krieg begann und weil kurz vor dieser Wahl US-Präsident Trump im Handumdrehen ganz Europa, also auch Deutschland, den militärischen Beistand aufkündigte und lieber mit Russland dealt, deshalb fand diese Bundestagswahl unter ganz besonderen Umständen statt. Haben sich diese besonderen Umstände im Wahlergebnis niedergeschlagen?

Simon: Ich stimme der Beschreibung der Situation zu, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sich dies im Wahlergebnis niedergeschlagen hat. Wie hätte das auch geschehen sollen? Auf die neue Lage — besonders die USA betreffend — hat ja noch niemand eine angemessene Antwort, außer dass Europa sich unabhängiger machen muss. Also konzentriert man sich als Wähler auf das, was greifbar erscheint.

Wenn Sie noch einmal auf das Wahlresultat schauen, was erscheint Ihnen besonders bemerkenswert? Wahlentscheidungen sind ja kein Erntedankfest, sondern drücken Erwartungen aus, fragen also nach der Zukunft.

Simon: Dass die jungen Wähler die extremen Ränder gewählt haben: AfD und Linke. Dass junge Leute weniger in Kompromissen denken (und fühlen), finde ich verständlich und auch im Prinzip gut. Denn sonst würden wir immer nur weiter die abgestandene Suppe aufkochen. Dass beide Parteien eine auf diese Zielgruppe gerichtete Social-Media-Kampagne gefahren haben, das dürfte das Ergebnis beeinflusst haben, erklärt es aber nur begrenzt. Jedenfalls zeigt es den anderen Parteien, wo und wie sie ihre Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit verbessern müssen.

Sehen Sie in dieser Wahl der jungen WählerInnen nur Schlechtes?

Simon: Für die Zukunft hoffe ich, dass die beiden genannten Parteien aufgrund dieser Ergebnisse lediglich als Korrektiv für die Politik der anderen Parteien dienen, aber nie in Regierungsverantwortung gelangen. Wenn ich nach dem Guten im Schlechten suche, ja, dann hoffe ich, dass die demokratischen Parteien aus deren starken Prozentzahlen mindestens eine Lehre ziehen: dass sie vor allem den Gedanken der Kooperation und des Kompromisses kultivieren, auch um die Demokratie lebendig zu halten. Und dass sie auf keinen Fall Vernichtungskriege um Peanuts miteinander führen.

Trump in Deutschland ein Vorbild? Ausgeschlossen

Die deutsche Bevölkerung ist seit 1945 ihr politisches Leben lang auf die unverbrüchliche Freundschaft mit den USA als dem demokratischen Vorbild eingeschworen worden. Kritiker sprechen geradezu von einer Indoktrination in diesem Sinne. Was löst das massenpsychologisch aus, wenn der amtierende US-Präsident dem demokratischen Teil Deutschlands abrupt empathielos die kalte Schulter zeigt und nur noch das rechtspopulistische lieb hat?

Simon: Ich meine, dass die deutsche Bevölkerung zwischen den USA und Donald Trump und seiner Regierung unterscheidet. Trump gilt als Psychopath, daher wird sein Versuch, aus den USA ein autoritäres Regime zu machen, bislang nicht ernst genug genommen. Wir sollten das aber sehr ernst nehmen, da sich die Republikanische Partei inzwischen vollkommen in seinen Dienst gestellt hat und solchen autoritären und antidemokratischen Strebungen keinen Widerstand mehr entgegensetzt. In Deutschland dürfte das — zumindest ist das zu hoffen — zu einer Besinnung auf „mehr Europa“ führen; was in Deutschland ja eh schon mehr als in anderen Ländern der Fall ist. Dass Trump nun hier als Vorbild dient und idealisiert wird, halte ich für ausgeschlossen.

Klima-Katastrophe, KI und Robotisierung, disruptive Trump-Politik, Rüstungsspirale und eine Menge hausgemachter Probleme wie eine in Teilen zerrüttete Infrastruktur, Pflegenotstand, Wohnungsmangel … . Ist die Lage so, dass die Pfade der routinierten demokratisch-parlamentarischen Abläufe verlassen werden müssen? Haben wir den berühmt-berüchtigten Ausnahmezustand? Steuern wir auf eine Notstandsregierung zu mit einer Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede des künftigen Kanzlers?

Simon: Im Moment ist das Problem eher, dass die wirtschaftliche Lage als Katastrophe dargestellt wird, obwohl es bislang keine Katastrophe gibt, und damit eine selbsterfüllende Prophezeiung produziert wird: Die Bevölkerung denkt, Deutschland stehe wirtschaftlich am Abgrund, konsumiert deshalb weniger, spart mehr und so weiter. Und dieses Verhalten, das mit diesen Falschdarstellungen ausgelöst wird, das verstärkt die tatsächlich vorhandenen Probleme, die wir aufgrund von weltwirtschaftlichen Entwicklungen haben; denken Sie nur an den faktischen Wegfall des Marktes in China für die deutsche Autoindustrie.

Immer noch die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt

Also Sie behaupten, die deutsche Wirtschaft ist in einem relativ guten Zustand?

Simon: Bedenken Sie doch: Was sind wir denn mit einer Bevölkerung von 83 Millionen? Wir sind im Vergleich zu den USA und China ja nur ein kleiner Haufen. Und über was verfügen diese kümmerlichen 83 Millionen — immer noch über die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt. Also sollten doch die Wirtschaftsverbände ihre Negativ-Propaganda endlich mal zügeln oder besser einstellen. Allein damit würden sie Deutschland sehr dienen. Denn angesichts all der miesmachenden Kampagnen werden die tatsächlich großen Probleme vergessen. Beziehungsweise es wird wohl bewusst von ihnen abgelenkt. Was im Mittelpunkt stehen muss, darüber haben wir ja eingangs gesprochen. Das heißt aber, dass die Blut-Schweiß-Tränen-Reden erst irgendwann später kommen werden oder kommen müssen. Nämlich dann, wenn es gar nicht mehr gelingt, von der in Teilen verrotteten Infrastruktur und der Klimakrise abzulenken, weil diese Themen und Gefahren endgültig in den Alltag der Menschen eindringen.

Donald Trump lässt Elon Musk, den reichsten Mann der Welt, die Staatsbürokratie in den USA zerschlagen. 2016 organisierte der britische Rechtspopulist Boris Johnson den Brexit. Ist das der Kern, mit dem die rechtsextreme Politik fasziniert: dass deren Anführer eben nicht im pragmatischen Klein-Klein verharren, sondern große Visionen entwerfen und dann auch rücksichtslos angehen. Also eine Strategie der politischen Disruption. Wie die AfD: einfach Grenzen dicht.

Simon: Massen lassen sich nicht mit elaborierten intellektuellen Konzepten oder Modellen faszinieren oder verführen, sondern mit Gefühlen, durch die jede Komplexität radikal reduziert wird. Dann gelingt die Gleichschaltung der psychischen Befindlichkeiten und die allgemeine Begeisterung — mit der sind früher die Soldaten in den Krieg gezogen, das lässt sich sehr wohl vergleichen. Doch das gelingt immer nur um den Preis der Verblödung der Beteiligten. Ich entschuldige mich für den Begriff, aber er beschreibt eben nun einmal am treffendsten die entstehende Schlichtheit der propagierten Lösungen.
Und nun zum Beispiel Musk: Das Zerschlagen von US-Institutionen durch Elon Musk dürfte sich noch rächen. Denn in den Köpfen der Mitarbeiter und in den institutionalisierten Prozessen, die den Staat am Laufen halten, ist ja das Wissen der betreffenden Organisationen enthalten. Sie zu kappen, kann — das ist zumindest das Risiko — zu einem Kompetenzverlust in der Staatsführung und in der Organisation des öffentlichen Lebens führen, der nicht so einfach zu kompensieren ist und der zu beträchtlichem Chaos führen kann.

Könnten nicht auch demokratische PolitikerInnen faszinieren: indem sie radikal neue emanzipativ-positive Wege verkünden und angehen?

Simon: Wohl kaum. Es geht ja nicht darum, Sekten zu gründen. Und wovon sollte emanzipiert werden?

Unangemessen großartig oder unangemessen mies

Die AfD greift die parlamentarische Demokratie an. Alle anderen verteidigen sie so wie sie ist. Ist das nicht ein großer Fehler? Müssten die Demokraten nicht besser überlegen, wie sie das parlamentarische Parteiensystem demokratischer und damit attraktiver machen? Beispielsweise im Sinne von Volksabstimmungen zu bedeutenden Sachfragen wie in der Schweiz.

Simon: Nein. Dass es keine Volksabstimmungen gibt, war ja eine bewusste Entscheidung der Verfasser des Grundgesetzes, weil sie den Staat vor populistischen Bewegungen und der Verführbarkeit von Massen wie im Dritten Reich schützen wollten. Die Schweiz hat eine andere demokratische Tradition, die nicht mit der deutschen zu vergleichen ist. Die repräsentative Demokratie ist ein bewährtes Modell, das meines Erachtens nicht der prinzipiellen formalen Verbesserung bedarf.

Also alles gut?

Simon: Im Prinzip, aber nicht in diesem bedeutenden Punkt: Wir haben noch keinen angemessenen Umgang mit dem Fakt, dass nunmehr das Internet und die sogenannten sozialen Medien die Kommunikationsstrukturen unserer Gesellschaft grundlegend verändert haben und teilweise sogar prägen. Der Staat, die Demokratie bedürfen des Schutzes vor manipulativen Algorithmen und dem Größenwahn demokratiefeindlicher Tech-Milliardäre. Eine wirksame Antwort darauf ist existentiell.

Screenshot: WDR Monitor

Was verkörpert für Sie der künftige Kanzler Friedrich Merz? Haben Sie den Eindruck, dass er und seine künftige Regierung, um es klassisch-abstrakt zu fragen, sowohl die richtigen Dinge als auch die Dinge richtig machen werden?

Simon: Das bleibt zu hoffen. Schließlich kann man im Amt wachsen. Bislang scheint er mir noch nicht überzeugend, denn er hat seine eigenen Wahlchancen und sein Wahlergebnis dadurch ruiniert, dass er kurzsichtig auf die populistische Anti-Migrationskampagne aufgesprungen ist. Auch die Änderung der Schuldenbremse vor der Wahl rigoros abzulehnen, um sie einen Tag nach der Wahl dann doch in Frage zu stellen, zeugt von mangelnder Weitsicht. Alle Experten hatten ja gebetsmühlenartig immer wieder erklärt, warum die Schuldenbremse für Deutschland ein Problem ist.

Die politische Kommunikation, allen voran die Massenmedien, behandelt Wahlen primär als Entscheidungen, die aus der Politik resultieren. Nun spielt sich der Lebensalltag der Wählerinnen und Wähler weniger in der Politik, sehr viel mehr in der Familie, in der Arbeits- und Wirtschaftswelt, im Gesundheitssystem, in Unterhaltungsbereichen wie dem Sport etc. ab. Sehen Sie Zusammenhänge zwischen solchen anderen gesellschaftlichen Feldern und deren Funktionieren (das ja im Kern unabhängig von Politik stattfindet) mit dem Wahlergebnis?

Simon: Diese Bereiche scheinen seltsam von der Politik entkoppelt. Ungeachtet der Tatsache, dass es Reformbedarfe zur Genüge gibt, erklären 80 Prozent der Deutschen, dass sie privat in guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Aber die Stimmung der Bevölkerung ist trotzdem mies. Das hat sicher mit den Botschaften der Massenmedien zu tun. Nun neigen die Deutschen eh dazu, sich entweder unangemessen großartig oder unangemessen schlecht zu fühlen. Das Wahlergebnis reagiert wohl eher auf die miese Stimmung, mit der man in Deutschland ja im Zweifel immer Zustimmung finden kann.

Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

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