„Es zerrisse die CDU und ihre Macht zerfiele“

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2026 und 2027 stehen zahlreiche Landtagswahlen an, darunter in großen Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Vor diesem Hintergrund erscheint „ein erneuter Wort- oder Tabubruch von Friedrich Merz oder der Union ausgeschlossen“, sagt Klaus Lang, Autor des Buches „Die rechte Mitte: Konservative Radikalisierung von CDU und CSU?“ und BruchstückeAutor im Interview mit Wolfgang Storz. Unbestritten habe Friedrich Merz die CDU vor allem in der Kultur-, Gesellschafts- und Migrationspolitik nach rechts geführt. Aber er gehe schon jetzt auf sehr dünnem Eis. Es könne ihm und seinem inneren Zirkel nicht entgehen: „Mit einer Enttabuisierung der AfD werden nicht länger die Wählerschaften von SPD, den Linken und Grünen dezimiert – die haben ihren Aderlass zur AfD schon hinter sich –, sondern ausschließlich Wähler*innen der CDU und der CSU.“

Wolfgang Storz: Unterstellen wir, SPD und Union wählen Anfang Mai wie geplant Friedrich Merz zum Bundeskanzler. Dann wird er ein ganz besonderer Bundeskanzler sein, denn: Bildet die SPD mit Merz eine solche Regierung, dann ist nicht nur sie, sondern der gesamte rechtsstaatlich orientierte Bundestag von diesem Moment an der Union, Kanzler Merz und dessen Richtlinienkompetenz ausgeliefert. Der Grund für diese besondere historische Konstellation: Die rechtsstaatlich-demokratisch orientierten Fraktionen haben keine Möglichkeit, diesen Kanzler legal zu stürzen oder mit einem Misstrauensvotum beispielsweise Neuwahlen zu erzwingen – weil nur Union und AfD zusammen die Mehrheit haben im Bundestag.
Was bedeutet das für das Verhalten der SPD und für Verabredungen, die sie vor der Wahl mit der Union treffen muss?

Klaus Lang: Im Koalitionsvertrag steht eine klare Absage an verfassungsfeindliche Bestrebungen und Rechtsextremismus. Das schließt jede Zusammenarbeit mit der AfD aus, in welcher Form auch immer. Vielleicht wird oft vergessen: Die AfD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz seit März 2021 als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft, bestätigt vom Oberverwaltungsgericht im Mai 2024. Die Beschwerde der AfD dagegen beim Bundesverwaltungsgericht wurde abgewiesen. Die AfD steht also dauernd und begründet unter diesem Verdacht. Die AfD-Landesverbände Sachsen und Thüringen werden noch dazu als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuft. Auch das gilt bis heute. Jede Form der Zusammenarbeit muss somit auch für die Unionsparteien ausgeschlossen sein. Ein erneuter Wort- oder Tabubruch von Friedrich Merz oder der Union erscheint mir momentan ausgeschlossen.

Was spricht für diese Annahme?

Lang: Merz geht schon jetzt auf sehr dünnem Eis. Sein Weg muss jetzt zielgerichtet zu politischen Erfolgen führen, auf der Basis des jetzt abgeschlossenen Koalitionsvertrages. Ein weiterer Tabubruch von Merz würde einen Teil der CDU-Wähler*innen zur AfD führen, andere, vor allem in den alten Bundesländern, zur SPD und den Grünen, vielleicht auch zur FDP. 2026 und 2027 stehen in großen Bundesländern Landtagswahlen an. Die CDU würde ihre Position im Vorfeld dieser Landtagswahlen massiv schwächen, beispielsweise in Baden-Württemberg, wo die Grünen wieder gewinnen könnten. Ähnlich ist das Bild in Nordrhein-Westfalen: Die CDU dort würde an die AfD, aber auch an die Grünen und die SPD verlieren. Wie würden denn SPD und Grüne auf einen solchen Tabubruch im Bund reagieren? Sie würden einen Wahlkampf gegen eine CDU als Wegbereiter der rechtsextremen, demokratie- und verfassungsfeindlichen AfD führen. Im Saarland und Bremen würde das in jedem Fall den jetzigen Regierungen, die von der SPD bzw. der SPD und den Grünen gestellt werden, einen Schub geben. Und in Schleswig-Holstein wäre die schwarz-grüne Regierung ebenfalls massiv bedroht.

Rechtsextreme Verbindungen sind beim Springer-Verlag Tradition

Wie stark sind inzwischen die Kräfte innerhalb der CDU geworden, die sich von der AfD „dulden“ lassen würden? Jens Spahn hat sich jüngst so geäußert: Die Union solle mit der AfD so umgehen wie mit jeder anderen Partei, womit er zwangsläufig sagt, er hält sie für eine Partei wie jede andere.

Screenshot: Bild-Online

Lang: Es gibt zweifellos Kräfte, die den Umgang mit der AfD „normalisieren“, die AfD wie jede andere Oppositionspartei behandeln wollen. Auch Michael Kretschmer, Ministerpräsident in Sachsen, und die Bundestagspräsidentin Juli Klöckner haben sich mit zwielichtigen Aussagen zu Wort gemeldet. Und es gibt in der Gesellschaft Kräfte, welche die Union gegenüber der AfD öffnen wollen. Ihnen ist die liberale Demokratie und die emanzipierte Gesellschaft nicht erst heute ein Dorn im Auge. Das zeigt sich bei den Medien des Springer-Konzerns, welche die Aussagen von Jens Spahn besonders prominent platzieren. Die Springer-Welt öffnete mit einem Auftritt für Elon Musk der AfD-Wahlpropaganda Tür und Tor. Das alles sind keine Zufälle. Die Verbindung zur extremen Rechten hat im Springer-Verlag Tradition, bis zurück zu den Kontakten zwischen dem Konzern-Gründer Axel Springer und Armin Mohler, dem damaligen Wortführer der Neuen Rechten.

Gefällt das Friedrich Merz? Führt er die CDU also bewusst nach rechts?

Lang: Unbestritten hat Friedrich Merz die CDU vor allem in der Kultur-, Gesellschafts- und Migrationspolitik nach rechts geführt. Ob sich das für die Partei bislang ausgezahlt hat, ist eher fraglich. Es mag die Mitgliedschaft nach der Ära Merkel erst einmal stabilisiert haben. Sein lauthals proklamiertes Ziel, die AfD zu halbieren oder auch nur zu schwächen, hat er damit nachweislich nicht erreicht. Eher hat er mit seinen auch in der Tonalität scharfen Forderungen in der Öffentlichkeit die Zustimmung zu einer sehr restriktiven Migrations- und Asylpolitik vergrößert und verhärtet. Wenn ich mir die Mitgliedschaft und die Funktionäre*innen der CDU auf lokaler und regionaler Ebene, auch auf Landesebene in den meisten Bundesländern anschaue, so stelle ich fest: Den meisten ist die AfD aus tiefstem Herzen zuwider.

Warum gibt es dann in der eigentlich liberal-konservativen CDU überhaupt diese Kräfte, die mit der AfD wie mit jeder anderen Partei umgehen wollen?

Lang: Ich muss zugeben: das ist für mich fast unverständlich. Denn diese Kräfte übersehen zudem, dass sie mit diesem Kurs vor allem der CDU selbst schaden. Mit einer Enttabuisierung der AfD werden nicht länger die Wählerschaften von SPD, den Linken und Grünen dezimiert – die haben ihren Aderlass zur AfD schon hinter sich –, sondern ausschließlich Wähler*innen der CDU und der CSU.

Können diese Normalisierungs-Befürworter überzeugen?

Lang: Ich nenne sie Vertreter der christdemokratischen Lockerungsbewegung und finde, die agieren alles andere als überzeugend, sondern vor allem widersprüchlich. Schauen wir uns Kretschmer an. Der sagt zum einen sehr klar: „Die AfD ist eine rechtsextreme Partei, sie will die Demokratie abschaffen.“ Und unterstreicht deshalb, es dürfe mit der AfD keine Zusammenarbeit geben. Gleichzeitig plädiert er dafür, der AfD im parlamentarischen Betrieb die gleichen Rechte wie anderen Parteien zu gewähren, auch dort, wo weder Gesetz noch Verfahren dies vorgeben. Das ist doch ein Eiertanz, mit dem er nicht nur sein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz desavouiert, sondern seine Landes-CDU. Was wird die Folge sein: Immer mehr Wählern*innen können so mit einem sogenannten gutem Gewissen AfD wählen — der Landesvater hält die ja auch für normal. Nach meiner Auffassung soll die AfD alles bekommen, was ihr nach Recht und Gesetz zwingend zusteht, aber keinen Deut mehr. So hat auch das Bundesverfassungsgericht geurteilt: Sie hat beispielsweise keinen Anspruch auf bestimmte Wahlpositionen im Deutschen Bundestag.

Es geht um die Zukunft Europas

Wer repräsentiert den liberalen Flügel in der CDU? Also den Flügel, der sich einer solchen Annäherung und Kooperation grundsätzlich verweigert. Und: Ist der in den Monaten vor und nach der Bundestagswahl eher schwächer oder stärker geworden?

Lang: Ich nenne mal einige Personen: Das sind die Ministerpräsidenten Daniel Günter, Schleswig-Holstein, und Hendrik Wüst, Nordrhein-Westfalen, das sind Karin Prien, bisher Ministerin in Schleswig-Holstein, jetzt neue Bundesministerin für Bildung und Familie, und Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen. Auch der Arbeitnehmerflügel, die CDU-Sozialausschüsse mit Dennis Radtke als Vorsitzendem, ist zu diesem Flügel zu rechnen. Nach meiner Überzeugung müsste sich dieser liberal-konservative Flügel schon jetzt wesentlich stärker zu Wort melden.
Schließlich geht es um weit mehr als um Aufstieg oder Eingrenzung der AfD. In der kommenden Legislaturperiode geht es um die Zukunft Europas. Europa ist als ökonomische Macht, als Wertegemeinschaft und als Hort der liberalen Demokratie massiv bedroht — von einem illiberal-autokratischen Zusammenspiel einer Trump-USA und eines Putin-Russland. Mit ihrer aggressiven imperialistischen Schutzmachtpolitik wollen Trump und Putin die Einheit Europa zerstören. Vor diesem Hintergrund mutet der Kampf gegen die demokratiefeindliche AfD nur wie ein Vorspiel an. Die Unionsparteien und Friedrich Merz müssen diese Dimension erkennen und benennen, wenn sie erfolgreich regieren wollen. Deutschland muss sich an die Spitze der Kräfte setzen, die dagegen Widerstand leisten. Allein deshalb, allein aufgrund dieser geradezu historischen außenpolitischen Dimension verbietet sich jegliches Paktieren mit der AfD. Merz kann als Kanzler nur Profil gewinnen, wenn er es als Hauptaufgabe sieht, im eigenen Land und in Europa die liberale Demokratie zu verteidigen.

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Robert Habeck wollte die Wählergruppe der einstigen liberalen Merkel-CDU für seine Grünen gewinnen. Gemessen am bescheidenen Wahlergebnis der Grünen: Gibt es diese Merkel-CDU auf dem Wählermarkt überhaupt noch?

Lang: Ich teile die Einschätzung nicht, die in der Frage steckt. Das war und ist vielleicht die Strategie von Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg. Habeck und seine Bundes-Grünen zielten vor allem auf die einstige sozialliberale bürgerliche Wählerschicht, die bereits vor Jahrzehnten unter Willy Brandt, teilweise auch noch unter Gerhard Schröder, zusammen mit einer sozialdenkenden aufgeschlossenen Arbeitnehmerschaft den Wahlerfolg der SPD ausgemacht haben. Und sie zielten auf die bürger- und menschenrechtsorientierten Wähler*innen der FDP. In beiden Wählerwelten waren sie begrenzt erfolgreich. Schaut man sich die Wählerwanderungen an, so sind die Merkel-Wähler bei der CDU geblieben, rechtskonservative Wähler sind, trotz des programmatischen Rechtsrucks der CDU, zur AfD abgewandert – darin manifestiert sich der große strategische Irrtum des Friedrich Merz. Die Mehrheit der CDU-Mitglieder, aber auch ihre Wähler*innen, wollten unter Merkel und wollen ebenso unter Merz wieder eine CDU, die den Kanzler stellt und das Land erfolgreich regiert.

Wir haben uns ausführlich mit der CDU beschäftigt. Wo steht in diesen Fragen die CSU?

Lang: Es ist auffallend, dass es aus der CSU keinerlei „Lockerungsaussagen“ zu der AfD nach der Bundestagswahl gibt. Im Gegenteil. Markus Söder bezeichnete die AfD sogar als „Systemgegner“ und beteuert: „Wir sind der Schutzwall. Wir sind die Brandmauer.“ Diese Position ist in sich schlüssig. Denn die CSU konnte mit diesem Kurs ihre Wählerschaft fast vollständig halten; die AfD hat in Bayern vor allem Stimmen aus dem Lager der Nichtwähler und von allen anderen Parteien gewonnen, jedoch nicht von der CSU. Die CSU wird nach meiner Einschätzung deshalb kein Motor der „Normalisierung“ der Beziehungen zur AfD sein. Sie hat ein entscheidendes Ziel: in Bayern immer eine Machtoption ohne AfD zu haben. Sie wird deshalb alles daransetzen, die AfD als Partei abzuwehren und zu ächten.

Was sollte einen Bundeskanzler Merz daran hindern, vorausgesetzt sein Koalitionspartner SPD nervt ihn zum wiederholten Mal wahlweise wegen des Mindestlohnes oder irgendwelcher Steuersenkungen, immer wieder mit Hilfe der AfD zu regieren?

Lang: Die Antwort habe ich oben gegeben: Es würde die CDU zerreißen und ihre Macht in den Ländern und im Bund würde zerfallen. Ein Zerfallsprozess in hoher Geschwindigkeit, gerade in den Wahljahren 2026 und 2027, in denen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gewählt wird. Der einzige Weg für Friedrich Merz und die Union ist, gemeinsam mit der SPD ohne Streit erfolgreich zu regieren, innerhalb der nächsten Monate sichtbare Erfolge auf den Weg zu bringen und in Europa eine wirksame Führungsrolle zu übernehmen. Eine Anbiederung an die AfD wäre für die CDU die politische Hölle.

AfD ideologisch radikalisiert

Was spricht vor dem Hintergrund der eben dargelegten politischen Lage für ein Verbotsantrag gegen die AfD?

Lang: Meines Erachtens spricht nichts dagegen. Er hätte schon 2000 gestellt werden müssen, als sich der informelle rechte „Flügel“ formal aufgelöst, in Wirklichkeit aber die AfD insgesamt übernommen hatte. Maximilian Krah, zuerst gewählter, dann versteckter Spitzenkandidat für die Europawahlen, jetzt wieder in der AfD hoch angesehen, steht exemplarisch für die ideologische Radikalisierung der AfD. Alice Weidel ist doch nur die opportunistische Vorzeigefrau der Mannschaft.

Redaktioneller Hinweis auf die aktuelle Nachricht vom 2. Mai 2025:
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als »gesichert rechtsextremistisch« ein.
Das meldet selbst bild.de

Was spricht dagegen?

Lang: Man kann einwenden, es sei undemokratisch, gegen eine Partei, die etwa 20 Prozent der Wählerstimmen bundesweit geholt hat, in manchen Bundesländern mehr als 30 Prozent, einen Verbotsantrag zu stellen. Das verkennt aber die Grundlagen eines möglichen Parteiverbots. Die Aussagen in Art.21 des GG sind eindeutig:

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes muss eine Partei die demokratische Ordnung zerstören wollen und für die Durchsetzung dieser Ziele auch mächtig genug sein. Das heißt: Wenn festgestellt wird, dass diese Partei die demokratische Grundordnung beseitigen will, dann sind diese Wahlerfolge gerade der zwingende Grund, sie zu verbieten, weil diese Erfolge ihre Macht und Gefährlichkeit belegen. Wenn die Mehrheit im Bundestag und die Bundesregierung nicht mit einem Verbotsantrag deutlich machen, dass die AfD die Demokratie aushebeln und die Verfassung zerstören will, werden über kurz oder lang die Parolen gegen die Zusammenarbeit mit ihr Schall und Rauch. Das entbindet eine neue Bundesregierung nicht davon, der Zustimmung zur AfD mit einer Politik der wirtschaftlichen Innovation und sozialen Gerechtigkeit den Boden zu entziehen.

Die Debatte um das Verhalten von CDU/CSU und des Kanzler in den Startlöchern, Friedrich Merz, gegenüber der AfD wird sich mit dem Verfassungsschutz-Bericht deutlich zuspitzen.
Siehe dazu auf Bruchstücke auch:
Erste Schachzüge für eine CDU/CSU/AfD-Regierung?
Jens Spahn und seine rechte Beihilfe für Rechtsradikale
Kanzler Merz – das Tor zur Vorhölle ist stets offen 

Wolfgang Storz
Dr. Wolfgang Storz (sto), (*1954), arbeitet als Publizist, Kommunikationsberater und Coach, zuvor tätig bei Badische Zeitung, IG Metall und Frankfurter Rundschau. Das Foto gibt eine jüngere Ausgabe der Person wieder.

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