Der Streit, ob wegen der Covid-19-Krise eine energische Umweltpolitik `gekillt` oder im Gegenteil befördert wird, scheint offen. Einerseits tun die Lobbyisten der Automobilindustrie in diesen Wochen vieles, um beispielsweise die bereits in 2020 drohenden rund 15 Milliarden Strafzahlungen abzuwenden — EU-Autohersteller müssen die vermutlich bezahlen, weil sie die CO2-Grenzwerte nicht einhalten; allein für VW könnten es 4,5 Milliarden Euro werden. Andererseits gab es über dieses Wochenende einen Aufruf von gut 60 Unternehmen, darunter auch DAX-Konzernen wie Eon, Allianz oder der Deutschen Telekom, alle Investitionen und Maßnahmen, die wegen der Covid-19-Krise ergriffen würden, müssten „systematisch klimafreundlich“ ausgerichtet sein. Was heißt das für die Lufthansa?
Die Lufthansa befindet sich momentan im Sturzflug, wie die gesamte Luftfahrtbranche. Ihr Geschäft ist besonders klimaschädlich. Und um das zu retten, will sie bis zu zehn Milliarden Euro. Von den Steuerzahlern. Sogar Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, hat in Hörfunk-Interviews wenigstens indirekt bereits die ’soziale Frage‘ angesprochen: Helfe der Staat, dann dürfe das jeweilige Unternehmen keine Dividende an die Aktienbesitzer auszahlen und das Management keine Boni erhalten. Da trifft sich gut, dass die Lufthansa, deren Aktienkurs in den vergangenen sechs Monaten von gut 18 auf nun etwa acht Euro abgesackt ist, bereits im März die Dividendenzahlung für das Geschäftsjahr 2019 ausgesetzt hat; Börsen-Analysten orakeln bereits, ob die Lufthansa wegen ihrer Schwäche nicht bald aus dem DAX, der Bundesliga der Konzerne, werde absteigen müssen.
Koalitionspartner SPD will mehr als Altmaier: Die Hilfe des Staates müsse auch mit einer Jobgarantie verbunden werden. Vorstandsvorsitzender Carsten Spohr hat bereits angedeutet, die Flotte solle um etwa 100 Maschinen verkleinert werden, dann würden rein rechnerisch 10.000 Beschäftigte nicht mehr gebraucht.
Boni, Dividenden, Job-Garantie — das ist alles ein Thema.
Während SPD, Union und Gewerkschaften also relativ routiniert die Frage von Gerechtigkeit und des Sozialen auf den Verhandlungstisch legen, gibt es noch keine einflussreiche Stimme, welche die ökologische Frage anspricht. Geht es nach „Business Europe“, der Dachorganisation der wichtigsten europäischen Industrieverbände, dann sollte der Klimaschutz in Gänze sowieso erst einmal pausieren: kein geplantes Klimaschutzgesetz, keine Abgasgrenzen im Straßenverkehr, keine rigideren CO2-Reduktionen bis 2030. Produktion, Konsum, Wachstum und damit Wohlstand müssten erst wieder aufblühen. So stand es dem Inhalt nach in einem Brief, den Frans Timmermans, als stellvertretender Präsident der EU-Kommission zuständig für das EU-Großprojekt „Green deal“, bereits Mitte April erhielt. Übrigens: Er antwortete öffentlich mit der These darauf, dass er sich ein Wiederaufblühen gerade nur mit sauberen Techniken und erneuerbaren Energien vorstellen könne.
Aber: Wie viel Luftfahrt verkraften wir noch?
Und wie sauber oder dreckig ist die Flugflotte der Lufthansa? Ulrich Brand, Politikwissenschaftler an der Universität Wien, erinnert in diesen Tagen daran: Der Luftverkehr verantworte bis zu acht Prozent der weltweiten Klimagas-Emissionen.
So plädieren er und weitere Nachhaltigkeitsforscher, der Staat solle mit Steuergeldern zwar helfen, aber nur verbunden mit dem Ziel, die Luftfahrt-Branche schneller ökologisch umzubauen. Dazu zählen sie: ein Verbot von Kurzstreckenflügen; eine Kerosinsteuer und damit höhere Ticketpreise, allein um die einseitige Bevorzugung der Luftfahrt zu beenden; denkbar sei „auch eine progressive Abgabe für Vielflieger“, gebe es doch eine relativ kleine Gruppe von Geschäftsleuten und Reisenden, die sehr viel flöge. Die Politik müsse generell dieser großen Linie folgen: den Flugverkehr in Europa und der Welt „drastisch reduzieren“. Den Beschäftigten, die ihre jetzige Arbeit verlören, müssten klimafreundliche Alternativen angeboten werden. „Wir lieben Fliegen“, wirbt die Gesellschaft Condor seit Jahren, die momentan (vergeblich) zum Kauf angeboten wird. Es ist zu hoffen, dass wenigstens diese Phase der grenzenlosen Liebe, in der jeder und jede für 20 oder 30 Euro von immer mehr (Regional-)Flughäfen immer mehr Ziele ansteuern konnte, endgültig vorbei ist.