Auto-Konzerne, seit vielen Jahren verwöhnt mit Milliarden-Gewinnen, versuchen in diesen Tagen, der Bundesregierung eine möglichst hohe Summe an Steuergeldern abzupressen. Ihre Erfolgsaussichten sind hoch, wie immer. Ihr Argument: Sie seien die Leit-Branche der Volkswirtschaft, einer der Pfeiler, auf dem der Wohlstand der Exportnation Deutschland ruhe. Mit anderen Worten: Deutschlands Wohlergehen sei faktisch von ihr abhängig. Vor allem auf dieser faktenhaltigen Erpressung ruhen Macht und Einfluss der Auto-Manager, die in Kanzleramt und Ministerien ein und aus gehen. Ihre Vorstellungen von der Zukunft: Der alte Wahnsinn aus beinahe 48 Millionen zugelassenen Pkw’s mit Verbrennungsmotor geht fließend in einen neuen Wahnsinn aus künftig 48 und mehr Millionen (selbstfahrenden) Elektroautos über. Das ist ‚ihre’ Verkehrswende. Und dafür läuft die Lobbyarbeit auf Hochtouren.
Hildegard Müller lässt spätestens seit Anfang April die Fahne flattern: „…, der Weg nach vorn kann nur über Produktion, Innovation und Wachstum führen“. So die Präsidentin des Verbands der Deutschen Autoindustrie (VDA). Der Auto-Industrie kamen die Produktionseinschränkungen der ersten Krisenphase so ungelegen nicht: Die globalen Lieferketten hatten sowieso nur schlecht oder gar nicht mehr funktioniert; ganz abgesehen von der corona-unabhängigen veritablen Absatzkrise der Branche. Jetzt will sie möglichst schnell weiter produzieren wie vorher und dazu müssen Zulieferer, Stahlproduktion, grenzüberschreitender Güterverkehr, Handel und Zulassungsbehörden funktionieren, am besten europaweit.
Konferenz mit der Schutzpatronin
Bereits Anfang April hatten Vertreter der deutschen Automobilindustrie eine Telefonkonferenz mit der Bundeskanzlerin, in der sie diesen EU-weit abgestimmten Neustart forderten. Und vielsagend darauf pochten, dass die Folgen der Pandemie sich für ihre Branche in Grenzen halten. Etwas konkreter: Die EU müsse „eine Basis für eine wieder anspringende Nachfrage schaffen“, verlangt Müller — vermutlich in Form einer erneuten umweltschädlichen Abwrackprämie. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) nahmen die Minister Peter Altmaier und Olaf Scholz, der Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann und die Manager Herbert Diess (VW), Oliver Zipse (BMW) und Ola Källenius (Daimler) teil. Offiziell heißt es: „Wir stehen zu den CO2-Zielen“, so Ola Källenius, Vorstandsvorsitzender von Daimler.
Aber mit verteilten Rollen wird via Medien gestreut, was die Auto-Branche alles erreichen will. So argumentiert Gerhard Wolf, Auto-Analyst der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), also des Bundeslandes, das ohne Daimler und Porsche längst nicht so lebte: Es sei „zwingend erforderlich“ die CO2-Flottenregeln zu diskutieren. Denn in diesem Jahr müssen die europäischen Autohersteller vermutlich rund 15 Milliarden Strafzahlungen leisten; für VW könnten es 4,5 Milliarden sein, für Daimler wenigstens eine Milliarde, eben weil sie die CO2-Grenzwerte nicht einhalten. Und noch mehr: „Es muss Kaufanreize geben.“
Das Argument von Wolf: Die deutsche Wirtschaft sei sehr auto-abhängig. Daraus zieht er den Schluss, es müsse alles getan werden, um diese Branche zu stützen. Auf die naheliegende Idee, diese verhängnisvolle Abhängigkeit schleunigst abzubauen, auf die kommt er nicht. Und die FAZ sekundiert in einem Kommentar: „Wenn Politiker in Brüssel ihre Rolle aber eher in einer Verschärfung der CO2-Ziele sehen, wären sie in der Krise wirklich überflüssig.“
VW-Vorstand Andreas Renschler gibt Tage später der FAS ein großes Interview, in dem er eine Abwrackrämie für Lastwagen ins Spiel bringt. Ein Vorschlag, den er mit der Hoffnung verbindet: Vielleicht setze sich mit der jetzigen Krise „auch die heilsame Erkenntnis durch, […] dass man Unternehmen nicht immer stärker belasten und über Gebühr regulieren kann […].“
Diese Offensive wird auf EU-Ebene flankiert von „Business Europe“, der Dachorganisation der wichtigsten europäischen Industrieverbände. Sie schrieb Mitte April an Frans Timmermans, als stellvertretender Präsident der EU-Kommission zuständig für das Großprojekt „Green deal“, einen Brief mit der Devise: Die Klimapolitik solle jetzt erst einmal Pause machen, er möge beispielsweise rigidere Grenzen für Abgase im Straßenverkehr bitte erst einmal vergessen.
Günther Oettinger, zuletzt EU-Kommissar, zuvor CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, lässt heute als Berater seine Kontakte spielen: die CO2-Ziele für die Autohersteller lockern, die Strafzahlungen in 2020 vermeiden, die geplanten Erhöhungen der CO2-Einsparziele bis 2030 verhindern.
360 Milliarden Umsatz —meckert noch einer?
Die Liste derer, die sich mit Inbrunst für die Auto-Industrie verwenden, ist im Zweifel noch länger, vor allem mächtiger: Markus Söder (BMW), Winfried Kretschmann (Daimler, Porsche), Stephan Weil (VW) und Volker Bouffier (Opel). Eine realexistierende Auto-Nebenregierung, zu der sich nach Bedarf weitere ehemalige Wirtschaftsminister und hochrangige Parlamentarier hinzugesellen.
Wie eng die Kanzlerin mit der Autoindustrie zusammenarbeitet, zeigen die aktenkundig gewordenen Treffen, dokumentiert in einem Dossier von Greenpeace: Zwischen Anfang 2010 und Mitte 2013 trifft sich Merkel 33 Mal im Kanzleramt oder auf Veranstaltungen des Kanzleramtes mit Vertretern der Autoindustrie; Manager der deutschen Bauindustrie traf sie in diesem Zeitraum nicht ein Mal.
Alle Politiker haben immer die Sachzwänge auf ihrer Seite: Es geht etwa um 360 Milliarden Euro Umsatz. Die Branche gilt als innovativ und als eines der Fundamente der deutschen Exportstrategie. Etwa 1,8 Millionen Beschäftigte arbeiten direkt oder indirekt für die Autoindustrie. Ihre Pro-Kopf-Produktivität liegt deutlich über dem Durchschnitt. Und ihr Exportanteil wächst ständig und liegt inzwischen bei 75 Prozent.
Für Kritiker zeigte zuletzt der Bundestagsuntersuchungsausschuss zum VW-Abgasskandal, dass SPD und Union sich mehr als Schutzpatron der Autoindustrie denn als Aufklärer im Sinne der geschädigten Konsumenten gerierten. In einer blendenden Analyse der VW-Ereignisse kommt der taz-Autor Bernhard Pötter zu dem Schluss: „Deutschland ist eine Autokratie.“
Dass es in dieser Autokratie wirklich nicht mit rechten Dingen zugeht, zeigen auch die folgenden Textauszüge, publiziert bereits vor wenigen Jahren. Im FAZ-Hochglanzprodukt „magazin“ schildert Harald Krüger, Vorstandsvorsitzender von BMW (2015 bis Mitte 2019), seinen Kunden sei das Auto „sozusagen ein Kokon“, weshalb sich „unser Siebener“ mit „Massagesitzen, spezieller Lichtsteuerung, eigenen Duftstoffen, hochwertigen Ledervarianten und vielen weiteren Komfortfunktionen“ bereits an diesen Begehrlichkeiten orientiere. Auch habe besonders der „Mini“-Fahrer eine „sehr persönliche Beziehung zu seinem Auto“, weshalb der Konzern alles tue, dass der Fahrer eines „Mini“, der in Frankfurt in den Flieger steige, in Los Angeles nach seiner Ankunft den „identischen Mini“ vorfinde. Zitat: „…. der Mini erkennt seinen Fahrer und stellt sich ganz auf ihn ein“. Ist das noch normal? Können Manager, die (wenn auch nur aus Werbegründen) so ticken, über die Kühlerhaube hinaus denken?
Alternative zur Abwrackprämie
Ein Blick zurück: Nach der Finanzmarktkrise 2008/09 gab es für die Autoindustrie die Abwrackprämie (Volksmund), offiziell umgelogen in „Umweltprämie“. Durchgeboxt von Matthias Wissmann, einst Bundeswirtschaftsminister, damals Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. 2.500 Euro gab es für jeden, der sein Auto zur Schrottpresse fuhr und dafür ein neues oder einen Jahreswagen kaufte. Zwei Millionen Automobilisten machten das, die Fördersumme: fünf Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt. Der Umwelt hat es geschadet, nicht genutzt: Schließlich bringen auch die neuen Fahrzeuge mehr Feinstaub als im Prospekt versprochen über die Leute und allein die Neuherstellung braucht sehr viel Energie und weitere Ressourcen.
Zur Alternative stand damals: Alle Haushalte, die ein geringes Einkommen haben, sollten mit energiesparenden Haushaltsgeräten ausgestattet werden. Der damalige CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos, der für alle Hartz 4-Haushalte einen energiesparenden Kühlschrank vorschlug, sowohl unter sozialen wie ökologischen Aspekten sinnvoll, wurde dafür ausgelacht. Wenn die Automobilbranche mit der IG Metall zusammen etwas will, dann bekommen sie es auch.
Ein Ergebnis dieser jahrzehntelangen Autokonzern-Förderpolitik: Der Verkehrsbereich ist der einzige Sektor in Deutschland, in dem der Ausstoß an Treibhausgasen seit 1990 sogar gestiegen ist. Ein zweites Ergebnis: Das Schienennetz der Eisenbahnen in Deutschland hat derzeit eine Streckenlänge von rund 38.500 Kilometer, in den 1990er Jahren waren es noch 44.600.