Klima und Corona: Zwei Krisen – eine Antwort

1. Die Klimakatastrophe und die Corona-Pandemie sind keine voneinander unabhängigen, schicksalhaften Ereignisse. Abläufe der natürlichen Umwelt wirken gegen die Menschheit, weil diese sich auf dem Globus zu viel Raum genommen und ihren Stoffwechsel mit der Natur zu sehr beschleunigt und intensiviert hat. Sie zerstört ihre eigenen natürlichen Lebensgrundlagen und rückt zu dicht an die Lebensräume anderer Lebewesen. Die Risiken sind nicht mehr kalkulierbar.

2. Die Globalisierung der letzten 30 Jahre hat zweifellos Erfolge gebracht: Die Zahlen von absoluter Armut, Kindersterblichkeit und Analphabetismus haben sich halbiert. Zugleich aber ist die Kluft zwischen Reich und Arm größer geworden; die „imperiale Wirtschaftsweise“ hat den Globus als Ganzes überlastet. Die natürlichen Kreisläufe geraten immer mehr aus dem Gleichgewicht – mit existentiellen Folgen für die Gattung Mensch. Die Erde braucht keine Menschen.

3. Technische Mittel und die Optimierung operativer Verfahren können einige Folgen abmildern und die Widerstandsfähigkeit der Menschheit erhöhen. Sie weiterzuentwickeln, ist unvermeidlich geworden.  Das gilt auch für das effektive Management von Not- und Krisensituationen, das demokratische Entscheidungen nicht grundsätzlich aushebeln darf. Doch auch wenn kurzfristiges Krisenmanagement unerlässlich ist – die Zukunft liegt nur in einer grundsätzlichen Umkehr des Wirtschaftens, von Produktion, Handel und Konsum. Prävention ist die einzige Möglichkeit, weitere katastrophale Zuspitzungen zu verhindern.

4. Unbegrenzter Freihandel und rücksichtslose internationale Arbeitsteilung sind zur Leit- Ideologie von Wirtschaftspolitik und -wissenschaft geworden. Ihr theoretisches Kalkül der komparativen Kostenvorteile mag kleinräumig aufgehen; im globalen Maßstab hat es sich als fatal erwiesen – rational im Detail, irrational im Ganzen. Eine aufgeklärte Wirtschaftspolitik muss die fundamentalen Erkenntnisse der Natur- und Geowissenschaften über die Grenzen des Wachstums zur Maxime ihres Handelns erklären. Quantitatives Wachstum und Profitmaximierung haben als Strategien globaler Wohlstandssteigerung ausgespielt. Selektives Wachsen und Schrumpfen auf der Basis vernunftgeleiteter politischer Steuerung müssen das interessengeleitete Marktgeschehen ersetzen.

5. Märkte sind unverzichtbar, doch sie bedürfen einer ökologischen und sozialen Rahmensetzung, die in alle Investitionsentscheidungen von Unternehmen hineinwirkt. Die einseitige Exportorientierung und die Zwangsintegration von Ländern und Regionen in den Weltmarkt muss abgelöst werden durch eine wirtschaftliche Binnenorientierung mit der Förderung regionaler, möglichst nachhaltig erzeugter Produkte, kürzerer Lieferketten und der Kaufkraftsteigerung ökonomisch schwächerer Schichten. Eine internationale Finanzpolitik, die eher auf Schuldenerlasse als auf neue Kredite setzt, kann ein solches Umsteuern unterstützen. Eine Wirtschaftsdemokratie, die über die gängigen Modelle von innerbetrieblicher Mitbestimmung hinausgeht, kann die Entscheidungsmacht von Shareholdern, Investmentbankern und bonusgierigen Managern eindämmen.

6. Die maximale Weltmarktintegration hat sich als Irrweg herausgestellt. Die Antwort auf die Globalisierung aber kann nicht der Rückfall in nationalstaatliche Enge sein, erst recht nicht in föderale Kleinstaaterei. Regionale Strukturen, die – neben einzelnen Großstaaten – Staatengruppen umfassen, könnten den richtigen Mittelweg darstellen und eine polyzentrische Weltordnung ohne bipolare Blockbildung schaffen. Ihre politische Stärkung kann Institutionen schaffen, die nationale Interessen einhegen und einen globalen friedlichen Interessenausgleich organisieren. Bei aller Kritik an ihrem heutigen Zustand liegt unsere Zukunft deshalb in einer politisch gestärkten, demokratisierten, entbürokratisierten und friedlichen Europäischen Union, die sich den hier formulierten Zielen verpflichtet.

7. Primaten und Hominiden wurden zur Gattung Mensch, zum Homo sapiens, durch Kultur, Kooperation und Ordnungsmuster, die Hass und Gewalt eindämmten. Die Geschichte stellt sich – bei allen grauenvollen Rückfällen – insgesamt als Prozess der Zivilisation dar und muss als Maßstab für das heutige Handeln von Politik und Wirtschaft gelten. Die Vereinten Nationen haben den zivilisatorischen Fortschritt kodifiziert. Sie zu stärken und weiterzuentwickeln liegt im Interesse der Menschheit. Die UNO-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung umreißt die Aufgaben, denen sich Politik und Wirtschaft auch im Sinne von Krisenprävention stellen müssen.

8. Die eigentlich glückliche Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung trägt zu einer Beschleunigung der ökologischen Krise und der Pandemiegefahren bei. Weil immer mehr Menschen immer länger leben, werden immer mehr Lebensräume überstrapaziert. Auch wenn die VN ein Ende des Bevölkerungswachstums bei etwa 11 Milliarden Menschen annehmen – es sind zu viele. Wie deren Versorgung organisiert werden könnte, ist offen. Eine weitere industrielle Intensivierung der Landwirtschaft, die heute schon einen großen Anteil am ökologischen Desaster trägt, dürfte jedenfalls nicht die Lösung sein. Wenn nicht Kriege und Seuchen wie in früheren Zeiten das Bevölkerungswachstum signifikant drosseln sollen, dann gehört das Thema der Bevölkerungspolitik wieder prominenter auf die Tagesordnung.

9. Während einige Regionen heute die Bevölkerungszahl stabil halten, weisen andere erhebliche Wachstumsraten auf. Ob die forcierten Bildungsangebote für Frauen und der Einsatz für Sozialstaatlichkeit statt der Familien- und Clanorientierung rechtzeitige und hinreichende Effekte haben werden, darf – so notwendig sie sind – bezweifelt werden. Global verabredete bevölkerungspolitische Zielgrößen könnten sich an der durchschnittlich nötigen Reproduktionszahl von 2,1 Kindern pro Frau orientieren. Sie müssten in allen Regionen der Erde gegen alle religiösen, kulturtraditionalistischen und patriarchalischen Muster durchgesetzt werden.

Fazit

Die Corona-Krise ist quälend, aber sie bietet auch eine Chance. Sie bietet die vielleicht letzte Chance, vernunftgesteuert die Entwicklungsrichtung zu ändern, bevor ein katastrophaler natürlicher Super-GAU der in ihrer Hybris selbsternannten „Krone der Schöpfung“ (corona genesis) ein Ende macht. Ein Zurück zum Status quo ante, wie er von den Profiteuren des gescheiterten Systems gefordert wird, ist jedenfalls der falsche Weg.

Dieses Thesenpapier reiht sich ein in die auf bruchstuecke bisher publizierten Manifeste und Appelle wie “Ein Wiederaufbau-Plan für Mensch und Umwelt!”, “Wir können die Niederlande radikal nachhaltiger und gerechter machen”, “Welches Danach wollen wir?”.

Ludger Volmer
Ludger Volmer war von 1991 bis 1994 Sprecher des Bundesvorstandes der Partei “Die Grünen”, von 1998 bis 2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Heute ist Volmer freiberuflicher Publizist, Dozent und Politikberater.

4 Kommentare

  1. Wo werden heute noch solche Debatten geführt? Wo ist der Ort, um sie anzustoßen? Zugegeben, ich bin schon lange nicht mehr „im politischen Geschäft“, wenn ich es denn je war. Ich erkenne einen modifizierten Senghaas, Debatten um qualitatives Wachstum, einen Menzel, der an eine neue Weltordnung mit supranationalen Organisationen glaubte. Das ist alles nicht falsch, im Gegenteil, aber die Bedingungen haben sich arg gewandelt. Da ist Trump nur ein Schlagwort von vielen, das sich anführen ließe. Ob daran Corona etwas ändert? Ich bin skeptisch. Der Drang überdreht, beschleunigt weiter zu machen wie bisher, der ist ja jetzt schon erkennbar. Nein, es entwertet nicht den Versuch, diese Debatten anzustoßen. es gibt ja Stimmen, die das anstreben. ich bin gespannt, ob sie im Chor des „Retten, was zu retten ist“ Gehör finden werden.
    Zum Regulieren des Bevölkerungswachstums hörte ich von meiner Frau, Birgit Wehrhöfer, das sei eine Sache der Emanzipation der Frau verbunden mit einer grundlegenden Reform der Sozialsysteme bzw. deren Schaffung, dann sinken die Geburtenraten.
    So oder so: Ein bedenkenswerter Einwurf. Mehr davon.

  2. Danke meine Herren, so bedenkenswert vieles ist und so selbstverständlich sowieso, so sehr muss ich mich doch dagegen verwahren dass dem Thema Sorgetätigkeiten keine einzige Zeile gewidmet wird und folgerichtig Frauen auch erst unter Punkt 9 erwähnt werden und zwar gewissermaßen als Problemträgerinnen weil sie zur Überbevölkerung beitragen, die dummen Dinger. Tut mir leid, wer mich so nicht anspricht hat mich als Bündnispartnerin leider schon verloren.

    1. Aber es kommt doch darauf an, Schwachstellen der Argumentation aufzuzeigen, um dann weiter gemeinsam an und in der sache zu arbeiten/zu argumentieren.
      Frauen sind natürlich nicht die Problemträgerinnen. Es sind Strukturen, die nur gemeinsam überwunden werden können.

      1. Ich denke auch, das ist der richtige Weg. An unserem Blog hier gefällt mir auch der Untertitel, wo von “konstruktiver Radikalität“ gesprochen wird. In jedem komplexeren Konstruktionsprozess gibt es Schwachstellen, Fehler, die zu korrigieren sind. Manchmal muss man auch die Richtung ein bisschen ändern. Viele von uns Männern haben auch nach über 40 Jahren feministischer Erziehung in Genderfragen immer noch und immer wieder (vermaledeit!) blinde Flecken. Hab Geduld mit uns, Sigrun!

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