Obwohl knapp zwei Drittel aller hierzulande geleisteten Arbeitsstunden unbezahlte und bezahlte Sorgetätigkeiten sind, drehe sich die politische und wirtschaftliche Debatte – auch während und trotz Corona-Krise – schon wieder vorrangig um das andere Drittel, also produzierendes und verarbeitendes Gewerbe. Zeit für einen Care-Aufbruch, meint Gabriele Winker, Mitbegründerin des Netzwerkes Care Revolution.
Allein in der BRD entfallen 56 % aller Arbeitsstunden auf unentlohnte Sorgearbeit und nur 34% auf die gesamte Erwerbsarbeit; innerhalb der Erwerbsarbeit liegt der Anteil der entlohnten Arbeitsstunden von Care-Beschäftigten bei 8%. Darauf verweist Gabriele Winker, Professorin für Sozialwissenschaften an der TU Harburg, in einem Interview, das im Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stifung nachzulesen ist. Die Konzentration der Mainstream-Debatte auf produzierendes und verarbeitendes Gewerbe sei ganz im Sinne des neoliberalen Wirtschaftssystems, denn in diesen Bereichen lasse sich weiterhin Profitmaximierung durch Rationalisierung erzielen. Im Gesundheits- und Pflegebereich dagegen, also einem Teil der bezahlten Sorgearbeit, zeigt die derzeitige Krise selbst denen, die es vorher nicht wahrhaben wollten, dass Profitmaximierung tödlich sein kann.
Gleichzeitig kommen jetzt viele im privaten Bermudadreieck von Homeoffice, Homeschooling und Haushalt an ihre Belastungsgrenze.Gabriele Winker erhofft sich, dass wir diese Erfahrungen nach Corona nicht vergessen, sie wünscht sich einen Care-Aufbruch:
„Das beginnt damit, dass Care endlich als selbstverständliches Politikfeld in allen Parteien, Gewerkschaften, Organisationen, Initiativen, Kirchen wahrgenommen wird. Das heißt, wir richten auf allen Ebenen, im Bund, den Ländern und den Kommunen, Care-Räte ein und diskutieren dort, wie wir die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Sorgearbeit grundlegend verbessern können. Gleichzeitig sind wir alle als Menschen mit (tatsächlich oder potentiell) hohem Sorgebedarf aufgerufen, die Protest- und Streikaktivitäten der Care-Beschäftigten in Krankenhäusern, in der stationären, ambulanten und häuslichen Altenversorgung oder auch der Erzieher_innen zu unterstützen. Die Zeiten des Klatschens sind dann vorbei, gefragt sind stattdessen solidarische Aktionen vor den jeweiligen Orten, Plakataktionen an jedem Balkon, gemeinsame Demonstrationen und vieles mehr.“
60% aller unbezahlten Sorgetätigkeiten werden übrigens von Frauen geleistet, bei den bezahlten sind es 80%. Aber wen überrascht das schon.