Wie ein gigantisches Förderprogramm wenige Gewinner
und einige Verlierer produziert
Geld regiert die Welt und Deutschland. Hat die Regierung das Geld, kann sie besser regieren. Die deutsche Regierung hat 130 Milliarden Euro eingesammelt. Das liegt nun nicht etwa in Tresoren unter dem Bundeskanzleramt (obwohl das ja wie ein futuristisches Fort Knox aussieht), sondern ist virtuelles Geld.
Und genau besehen ist es Geld, das die Regierung teils gar nicht hat. So bei der Reduzierung der Mehrwertsteuer für die Automobilindustrie. Da verzichtet die Regierung auf Geld, dass sie allerdings nur einnehmen kann, wenn sie noch mehr Geld ausgibt. Oder umgekehrt: Die Regierung kann mit dem Verzicht auf noch nicht eingenommene Mehrwertsteuer nur punkten, wenn die Automobilindustrie Umsätze macht, für die Mehrwertsteuer anfällt, auf die verzichtet werden kann. Ob das elegant, paradox oder irgendwie wahnsinnig ist, will ich nicht entscheiden, wenn selbst Wirtschaftswissenschaftler da sehr unentschieden bei der Beurteilung sind.
Das Problem mit dem Geld der Regierung: Davon profitieren nun doch nur ‚gute‘ Autohersteller. Also solche mit elektrifizierten Privatmobilen im Flotten-Portfolio. Die bösen, also die auf Diesel und Benziner eingeschworenen, bekommen nichts. Jedenfalls nicht in Form von direkten Kaufprämien. Eigentlich bekommen sie schon einiges. Zum Beispiel in Form von Strukturhilfen. Oder Geld für den Ausbau des Netzes elektrischer Tankstellen. Geld um die Ecke sozusagen. Oder eben Geld, von dem die Autohersteller nur etwas haben, wenn sie von böse auf gut umschalten. Man könnte es Nudging-Money nennen, also Geld, mit dem politisch etwas angestoßen werden soll. Das ist doch was, könnte man sagen.
Wenn Gießkannen nicht richtig nass machen
Leider ist es nicht so einfach. Die Autoindustrie ist Arbeitgeber. Um die 820.000 Menschen arbeiten in Deutschland direkt, ein paar Hunderttausend mehr um die Ecke in der und für die Branche. Und deshalb wollte die Branche Förderung mit der Gießkanne, also eine Kaufprämie für alle Autos, ungeachtet, ob mit bösem oder gutem Antrieb. (Wobei ja nicht mal klar ist, ob der gute Antrieb wirklich gut ist. Auf lange Sicht, oder unter Einrechnung aller Faktoren; aber das lassen wir jetzt mal außen vor, es ist schon unübersichtlich genug.)
Wenn nicht jeder Autokauf prämiert wird, kann das Arbeitsplätze kosten. Jedenfalls bei einigen Unternehmen. Anderen ginge es besser. Eine wuselige Rechnerei … Im Februar 2020 waren 3,4 Prozent der zugelassenen Autos reine Stromer. Nimmt man die Hybriden dazu, waren 6,9 Prozent mindestens halb-ökologisch angetrieben. Das ist grausam wenig. Die Gründe für die Zurückhaltung beim Konsumenten sind bekannt: viel Gewohnheit, einiges an Sparsamkeit und ein paar ernst zu nehmende technische Einwände. Immerhin aber stieg der Anteil deutscher E-Mobile unter den E-Mobilen überhaupt laut Verband der Automobilindustrie (VDA) auf 63 Prozent. Acht der zehn meist zugelassenen Modelle kommen bereits von deutschen Herstellern.
Es gibt also deutsche E-Mobile. 60 Modelle sollen es laut VDA sein. (Nun ja, es sind auch Modellvarianten darunter; aber seien wir nicht kleinlich.) Und etwa 90 weitere Modelle sollen bis 2023 hinzukommen. Es gibt also bereits Auswahl an guter deutscher Qualitätsarbeit. Da sollte es doch eigentlich rein unternehmerisch wurscht sein, ob es für jeden Antrieb oder nur für E-Mobile eine Kaufprämie geben soll.
Ist es aber nicht. Denn eine Kaufprämie gibt es auch für ausländische Fahrzeuge. Und wir kaufen solche Autos gerne. Das zeigte die Abwrackprämie von 2009 nach der Finanzkrise. VW und Opel profitierten zunächst, dann aber die Ausländer. Deutsche Premiummarken hatten das Nachsehen. Dann sackten die Umsätze wieder ein. Und der Anteil deutscher Modelle am Gesamtverkauf war nach der Aktion deutlich gefallen.
Die Lehre aus der alten Prämie: Eine neue Gießkanne wäre ein Strohfeuer. Es gäbe vorgezogene Käufe und vielleicht Zehntausende Autos, die den unumgänglichen Umbau der Branche zur E-Mobilität weiter verzögern. Also ist der Fokus auf E-Förderung richtig. Aber nicht schön für die Branche. Denn deutsche E-Mobile sind teuer. Und wer 100.000 Euro für einen E-Porsche Taycan ausgeben kann, der nimmt zwar eine Prämie beiläufig mit, wird dadurch aber nicht in seiner Kaufentscheidung massiv animiert. Budget-Modelle wie der ID.3 von VW, der zum Käfer der E-Welt aufsteigen soll, sind noch nicht auf dem Markt. Der putzige Renault Zoe aber schon länger. Und da stimmt der Vorwurf: Deutschland hat den Massenmarkt der Kompakt- und Mittelklasse verschlafen. Oder anders: Man ist zu spät eingestiegen. Denn am Anfang ist jede neue Technologie teuer. Die Phase muss überstanden werden. Mancher ausländische Hersteller, auch aus der EU, ist da weiter.
Die SPD schlägt eine grüne Schlacht. Und verliert eine rote
Weil das alles schwer zu kalkulieren ist, sind deutsche Hersteller für die Gießkanne. Und weil sie den breiten Guss nun nicht bekommen, sind sie sauer. Aber nicht nur die, sondern auch die Gewerkschaften. „Die Parteispitze der SPD sollte sich hinterfragen. Vertritt sie tatsächlich noch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?“ Das hat der MAN-Konzernbetriebsratschef Saki Stimoniaris, der als Aufsichtsratsmitglied naturgemäß das Wohl des ganzen Unternehmens im Auge behalten muss, in Richtung SPD-Vorsitz gefragt.
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans haben in den letzten Tagen eine grüne Schlacht gekämpft und gewonnen. Aber dabei selbst und für die Partei einen Kampf verloren. Von Sozialdemokraten wird in Gewerkschaftskreisen immer noch sehr wertkonservativ unbedingte Solidarität mit Arbeitnehmern erwartet. Und damit eine Wirtschaftspolitik, die auf dem Umweg über industriefreundliche Regeln Arbeitsplätze sichert. Da sieht die E-Prämie – zwar rational nur schwer begründbar – nach Verrat aus. Passend harsch die Urteile. „Jeder Industriearbeitsplatz, der in einem Hochlohnland wie Deutschland verschwindet, kommt nicht mehr zurück.“, mahnt IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.
Wie sieht die wirtschaftspolitische Strategielage nun aus? Die SPD hat einen Pyrrhussieg errungen. Qualifizierte Industriearbeiter werden sich weiter von der schon lange ehemaligen Arbeiterpartei abwenden. Profitieren werden teils die Grünen, die sich nicht direkt an Arbeitsplätzen versündigen mussten. Wer von halb Rot abwandert, landet aber nicht unbedingt bei Grün; und im Falle der Automobilbranche sicher nicht bei Rot. Unter dem Strich ist die CSU der Sieger. Markus Söder hat sein Profil weiter geschärft, im guten Sinne zweischneidig: Bei der Autodiskussion wollte er die Gießkanne, bei der Förderung von Familien unterstützte er sogar einen Vorschlag seines Demnächst-Rivalen Scholz. Söders Position ist unumstritten. Und selbst wenn sich jetzt basisdemokratischer Pragmatismus bei der SPD breit macht und Olaf Scholz wieder in die Nähe der Kanzlerkandidatur bringt, dürfte nur noch eine zweite Corona-Welle den kommenden Kanzler unterspülen.
Wenn es das Ziel der Bundesregierung gewesen wäre, vor allem oder gar allein Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu schaffen, wären die Beschlüsse der Regierung tatsächlich verfehlt. Aber wie kommt der Autor auf diese Idee?
Das war nie das Ziel. Je weniger Steuergelder für die Auto-Industrie ausgegeben werden, desto mehr bleiben, um in anderen Branchen die Zahl der Arbeitsplätze zu mehren.
Das Grundargument des Autors gab es immer: bei der Erstellung von Atomkraftwerken, bei der Produktion von Waffen — bloß nichts ändern, es gehen Arbeitsplätze verloren. Heute gibt es eben viele qualifizierte Arbeitsplätze im Sektor Erneuerbare Energien, und es ist gut, dass die Rüstungsindustrie in der deutschen Volkswirtschaft eine verschwindend kleine Rolle spielt. Ginge es nach Wüllner, dann würde die Welt still stehen und in Deutschland würden immer dieselben alten Produkte hergestellt, in diesem Fall eine Kiste aus Blech und Stahl auf vier Rädern. Gott sei Dank denkt die neue SPD-Spitze über die Motorhaube hinaus.
Würde ich den Autor nicht kennen, würde ich böswillige Gewaltfehldeutung unterstellen. So bin ich ratlos, mühe mich aber um sachliche Korrektur:
„Arbeitsplätze zu schaffen“ war an keiner Stelle das Thema. Daher von der Mahnliste zu streichen.
Arbeitsplatzsicherung war allerdings das Thema, das von Gewerkschaften und Betriebsräten ins Spiel gebracht wurde.
Von der Seite wird nicht nur von „Schaden“, sondern von „Verrat“ gesprochen.
Das habe ich wiedergegeben. Und als „wertkonservative“ Forderung nach „unbedingter Solidarität“ bezeichnet. Muss ich das brachialer formulieren, damit die intendierte Bewertung klar wird? Ich unterstelle: nicht im Kontext dieses Blogs.
Die Bewertung der E-Förderung ist eindeutig: Ich muss mich (peinlicherweise) selbst zitieren:
„Eine neue Gießkanne wäre ein Strohfeuer. Es gäbe vorgezogene Käufe und vielleicht Zehntausende Autos, die den unumgänglichen Umbau der Branche zur E-Mobilität weiter verzögern. Also ist der Fokus auf E-Förderung richtig.“
Mein „Grundargument“ sei, dass Politik Arbeitsplätze um jeden Preis zu sichern habe.
Ich finde nicht einen Halbsatz, der das stützt.
Ist es nicht mehr statthaft, Gründe anderer (Gewerkschaftskritik an SPD) für Urteile zu nennen?
Der Konflikt ist da, er wird allerorten thematisiert. Und er wird uns begleiten.
Wer also von Politik etwas fordert, muss dies Konfliktfeld mitbedenken.
Wie? Kurzfristig taktisch, langfristig strategisch.
Aber keineswegs öko-voluntaristisch.
Es gibt Gewerkschaften, Betriebsräte, Mitbestimmung, Arbeitervertreter in Aufsichtsräten. Primmärinteresse ist dort Arbeitsplatzerhalt. Das muss man feststellen können. Es gehört zum System dieser Republik. Das Dilemma begleitet Gewerkschaft seit Jahrzehnten.
Im weiteren werden die Arbeitsplätze in AKWs und der Rüstung gegen die im Sektor erneuerbare Energien gesetzt. (Was in meinem Text überhaupt nicht Thema ist.)
Da bleibt mir nur zu sagen:
Klassische AKW gehören abgeschaltet. Und die Entwicklung neuer Formen (Fusionsreaktoren und mindestens zwei weitere Technologien) sollten weiter erforscht werden. Weil das Tabuthema ist (schon Greta Thunberg hat sich bei ihren JüngerInnen mit diesem Thema verbrannt), wird Deutschland hier in 10, 20 Jahren massiv ins Hintertreffen geraten. Weil China und die USA sehr viel Geld hineinstecken.
Die Schlusspassage des Kommentars grenzt an Deutungswahn.
Da hier Lesende ältere Dispute nicht kennen:
Ich bekenne mich hiermit frank & frei zu einem ungebremsten High-Tech-Ökologismus.
Was dabei herauskommt, weiß ich nicht. Anders als orthodox sozialisierte Visionäre bin ich aus erkenntnistheoretischen Gründen sehr vorsichtig.
Was klar ist: Es muss sehr viele, sehr neue, auch sehr unbekannte, überraschende Produkte geben.
Die werden sogar allerorten bereits entwickelt. Wie beispielsweise ein Fließwasser-Stromgenerator für Flüsse, der in Deutschland entwickelt, nun aber in den USA vermarktet wird, weil ökologisches Denken hierzulande eher entlang von Grassoden als von Leiterbahnen denkt. (Das war jetzt zugegeben nicht mehr sachlich, sondern polemisch.)