Meine Welt ist vagabund

Foto: Hatham auf Unsplash.com

Oxford Languages definiert ein Vagabundenleben als „ungebundenes, unstetes Leben mit häufigem Wechsel des Aufenthaltsortes und der Lebensumstände“. Vagabund*innen, eventuell auch sogenannte Tippelbrüder und Tippelschicksen, waren früher Menschen, denen ihre Mitmenschen meist mit Skepsis, oft mit Ablehnung und am liebsten gar nicht begegneten. Inzwischen scheint sich ihr Image positiv zu entwickeln. Heute, in der globalisierten und digitalisierten Gesellschaft, wirken Aussteiger*innen, Nomad*innen, Vagabund*innen zunehmend modern, mutig und hipp. Im Internet wird ihre Unabhängigkeit angepriesen. Aber ein Vagabundenleben muss man sich leisten können.

In Literatur und Kunst ist die Vagabundin, der Vagabund, eine positiv gezeichnete Figur, die für Reiselust, Abenteuer und grenzenlose Freiheit steht. So jedenfalls in der romantischen Verklärung, die eine ideale Projektionsfläche für den Landstreicher und den „Kunden“ (im Sinne von Kumpan), für den Vaganten, den Tippelbruder und sein weibliches Pendant, die Tippelschickse abgibt (ich nehme hier die Argumentation von Walter Fähnders, Universität Osnabrück, auf). Auch der Bohemien mit seiner nichtsesshaften Existenzweise passt in dieses Vagabundenbild. Unter „Vagabundage und Boheme“ erfasst Helmut Kreuzer in „Die Boheme-Analyse und Dokumentation der intellektuellen Subkultur vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ auch die jugendlichen Gammler der sechziger Jahre, die in Fußgängerzonen westdeutscher Städte anzutreffen waren.

Gypsy und Jet Set

1966 erschien der Dokumentarfilm Endless Summer, der von der Suche zweier amerikanischer Surfer nach der perfekten Welle erzählte – und damit einen neuen Lifestyle kreierte, den Gypset-Trend, der Gypsy („Zigeuner“) und Jet Set verknüpft: frei sein ohne auf Luxus zu verzichten. Der Gypset stellt ebenfalls eine Vagabundenfigur dar. Nur eben eine, die sich vom oben genannten Gammler elementar unterscheidet, wenn man Geld und Luxus als wesentlichen Unterscheidungsfaktor ansehen möchte. Der Gypset der 1960er Jahre entspricht dann wohl er dem Bobo der 2000er Jahre. Bobo? Was ist das nun wieder…?

David Brooks schildert 2001 in „Die Bobos. Der Lebensstil der neuen Elite“ sogenannte Bobos, als junge, kreative, gut ausgebildete, erfolgreiche “bourgeoise Bohemiens” mit Hang zum schnellen Geldverdienen. Der Schritt zur Digital Boheme, beschrieben von Sascha Lobo und Holm Friebe 2008 in „Wir nennen es Arbeit – Die digitale Boheme oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ ist dann nur noch kurz.

Obdachlos in Athen (Foto: Sascha Kohlmann)

The Vagabond, ein 450 Euro teurer Hut

Wer aussteigen möchte (aus dem arbeitsamen „Spießerleben“), muss aber zunächst einmal „e i n-gestiegen“ sein, sonst wird das Aussteigen schwierig. Aussteigen hat etwas von „alles hinter sich lassen, was man hatte und nun nicht mehr will“. Aussteigen heißt, sich Freiheiten zu nehmen, Freiheit zu genießen, dabei „gut leben“ (was auch immer das heißen mag) und dieses auch zeigen.

Für aktuell 450 Euro kann beispielsweise der Hut „The Vagabond“ auf der Website nomade-moderne erstanden werden kann. Der absichtlich mit künstlichen Verschleißerscheinungen versehene Hut soll dem Bild eines Nomaden und Vagabunden entsprechen. Der Vagabund*innenhut ist für finanziell gut ausgestattete Nomad*innen ein Statussymbol.

Ein ähnliches Bild im Kopf soll entstehen über die Nase. Nein, kein „Pennergeruch“, den manch einer schon in den öffentlichen Verkehrsmitteln erleben durfte, wenn ein obdachloser Mensch in das Abteil einstieg, während die anderen Fahrgäste einen großen Bogen um diese bemitleidenswerte, ebenfalls vagabundische Person ohne festen Wohnsitz machten. Nein, gemeint ist z. B. «Bohemian Soul», ein Parfüm der Firma Une Nuit Nomade. Der Bohème als Nomade riecht also gut. Das kann die Firma Douglas bestätigen, die auf ihrer Website den Duft Chloé Nomade“ mit einer unabhängigen, abenteuerlustigen, aufgeschlossenen und starken Nomadin assoziiert.

Steuerfrei, keine Bürokratie, keine Sorgen

Videos, wie „Auf Weltreise und 3 Jahre ohne festen Wohnsitz“ wollen indirekt zu einem nomadischen Leben ermuntern. Auf der Website www.staatenlos.ch wird ein direkter Zusammenhang von „ohne festen Wohnsitz“, „steuerfrei“, „keine Bürokratie“ und „keine Sorgen mehr“ hergestellt.
Weblogs, wie „Leben ohne Wohnung wie funktioniert das” und Reiseberichte über ein Leben ohne festen Wohnsitz beschreiben und bebildern das Leben ohne Wohnung als Abenteuer.
Zahlreiche online-Tools, wie Sofahopper, The Digital Home for Vagabonds and Houseless Travelers, The Guide to Hitchhiking the World, Nomad Wiki, Squat the Planet – An online community for misfit travelers und Moving Nomads wollen die Aussteigerin, den Aussteiger, in einer nomadischen Lebensweise unterstützen.
Mobile, nomadische, vagabundische Aussteiger*innen werden positiv und abenteuerlustig dargestellt. Es wird erläutert, welche Fertigkeiten benötigt werden, um ein permanentes Zuhause oder eine Erwerbsquelle verlassen zu können.

Allen, die sich nun von einem vagabundischen Leben angezogen fühlen, schicken wir den Ohrwurm: „Meine Welt ist bunt“, gesungen von Fred Bertelmann in seinem Schlagerlied, nun ja, „Der lachende Vagabund“ aus dem gleichnamigen Film von 1958:

„Was ich erlebt hab’, das kann nur ich erleben. Ich bin ein Vagabund. Selbst für die Fürsten soll’s den grauen Alltag geben. Meine Welt ist bunt. Mein Welt ist bunt! Ha-Ha-Ha-Ha-Ha!

Maik Eimertenbrink
Maik Eimertenbrink ist Dipl. Kommunikationswirt und arbeitet im Internationalen Anpassungslehrgang soziale Professionen (ApaLe) an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen. 2001 bis 2003 war er Mitglied beim Nachhaltigen Filmblick, 2008 gründete er zusammen mit Freunden den gemeinnützigen Verein Nachhaltigkeitsguerilla e. V. Er hat mit seinem Blog zahlreiche Preise gewonnen. Während seines Kommunikationsstudiums hat er sich auf Umwelt- und Nachhaltigkeitskommunikation spezialisiert und war freiberuflich für Nachhaltigkeitsprojekte bei Werbeagenturen wie ‘Die goldenen Hirschen Berlin’ tätig.

4 Kommentare

  1. Gruss, Leidensgenosse, Mitbuerger – Freund, Fan, Feind. (-1.Sa..17:40;1.Kor.14:19-).

    Es, ist wie eh und, je :
    Alle, Induvidualitaet gar, Not wird mal zum, Markt.
    Kaiserreich – BRD.
    Zerstoertes, Deutschland – Wirtschaftswunder.
    Hippybewegung – Die, Gruenen.
    BRD – Europaherz…!?-.

    Fueher, wars besser – Selbst, bin ich froh n Dach, ueben Kopf ne, Eigenstaendige Gottesbeziehung zu, haben.
    Frueher : Unmuendig, Abhaenig, Toericht … (-Dreckig-) :

    Ps, Maik : Die, E-Mail Adresse von den Vagabundten-Treffen Veranstalter/Verein, lautet??
    Gruss. (-White Pigeon-) Burkhard, die Offbg.12:5;Hebr.1:8. u.a. …

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