Es war eine Zäsur an diesem 16. Januar 2021, einem Samstag. Doch anders als geplant. Vorgesehen war ein Aufbruch nach über 18 Jahren Angela Merkel als Parteivorsitzende und einem Zwei-Jahres-Intermezzo von Annegret Kramp-Karrenbauer. Drei Männer standen im Ring, einer, der 59jährige Armin Laschet, obsiegte schließlich mit 52,8 zu 47,2 Prozent gegen Friedrich Merz. Doch war es wirklich die erhoffte Befreiung? Vieles spricht dagegen.
Schon die Inauguration war mangelhaft. Friedrich Merz blamierte sich mit seinem Anspruch, das Bundeswirtschaftsministerium zu übernehmen. Und Jens Spahn konnte das Wasser nicht halten und schlüpfte in der Fragerunde kurzfristig, aber höchst unpassend in die Rolle des einfachen Parteimitglieds, um für seinen Favoriten, Armin Laschet, zu trommeln. „Schiebung“ und „Foulspiel“ dürften die Unterstützer von Friedrich Merz gerufen haben. Ganz unrecht hatten sie nicht.
Der Start also nicht unbedingt geglückt, doch das war harmlos im Vergleich zu den Herausforderungen, die nun absehbar und geradezu unvermeidlich auf den neuen Vorsitzenden zurollen. Sieben Hürden herkulischer Dimension, die er alle nehmen muss, um sich überhaupt Chancen auf den Einzug ins Kanzleramt machen zu können. Allerdings: Meistert er sie, dürfte er das Rüstzeug mitbringen, um das ersehnte Amt auch auszufüllen.
1 Kann Armin Laschet Berlin? Es ist eine häufig unterschätzte Frage. Vier Jahre hat der Aachener bisher im Bundestag gesessen, von 1994 bis 1998, das ist lange her. Berlin hat ein anderes Tempo als jede Landeshauptstadt, andere Medien, eine andere Härte, andere Fallgruben, in Berlin wird in vielerlei Hinsicht mit anderer Elle gemessen. Die Erfahrungen mussten schon viele machen, die vom Land in die Bundespolitik wechseln wollten, Annegret Kramp-Karrenbauer, seine Vorgängerin, war die letzte. Matthias Platzeck ist daran gescheitert, Kurt Beck ebenso, auch Christian Wulff war der medialen Unerbittlichkeit nicht gewachsen, und zuletzt auch Martin Schulz hat den Berliner Takt sträflich unterschätzt. Ab sofort werden zu jedem Thema frühere Aussagen und Positionen hervorgeholt, abgewogen und gewichtet, das private Umfeld, sein außerpolitisches Engagement wird beleuchtet und natürlich wird man sich auch für allfällige Nebentätigkeiten interessieren, wie es Peer Steinbrück schmerzhaft erfuhr. Auch sein Tun und Handeln als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen wird ab sofort anders vermessen werden. Die Kohle, das Klima, die Kriminalität, Themen gibt es zuhauf – jede Entscheidung und Äußerung aus Düsseldorf wird auf ihre bundespolitische Tauglichkeit abgeklopft werden.
Laschet war noch keine 48 Stunden im Amt, da wurden ihm bereits frühere fehlerhafte und kritikwürdige Aussagen zu China, Putin oder Assad vorgehalten. Mit Putin und seinen Militärs wollte er in Syrien kooperieren, dem chinesischen IT-Giganten Huawei in Europa Geschäfte ermöglichen und auch gegenüber der ungarischen Fidesz-Partei und ihrem Chef Viktor Orban zeigte Laschet bisher auffallend viel Verständnis. Schon kursieren frühere unbefangene Zitate seiner Frau, die engsten Mitarbeiter und Berater werden verortet werden, und die Frage stellt sich: Hat er die Härte, haben Familie und sein nahes Umfeld die Fähigkeit, all das an sich abtropfen zu lassen? Haben sie eine Ahnung, was auf sie zukommen wird? Es ist zu befürchten, und alles andere wäre eine Überraschung, dass die Ahnung von einer harten Realität überholt wird.
2 Wie wird Armin Laschet mit Friedrich Merz verfahren? Der unterlegene Widersacher aus dem Sauerland ist eine rollende Kanone, wie er unmittelbar nach der Kandidaten-Entscheidung zu erkennen gab. Auch wenn Merz drei Tage später zur Besinnung kam und dazu aufrief, „gemeinsam an die Arbeit“ zu gehen – nicht zum ersten Mal nach einer Niederlage reagierte er hochemotional, beleidigt, unberechenbar. Dem Sieger Laschet das Wirtschaftsministerium abzuverlangen ist nicht nur dreist, es ist geradezu töricht. Ein Parteivorsitzender hat nur sehr limitierten Einfluss auf Kabinettsposten, wenn er oder sie nicht auch Kanzler ist. Das musste Merz wissen. Und er musste auch wissen, das sich Angela Merkel nur ein einziges Mal von einem CDU-Minister getrennt hat, nämlich 2012 von Norbert Röttgen. Und sie wird dies gewiss nicht bei Peter Altmaier wiederholen, dem sie viel zu verdanken hat – und schon gar nicht acht Monate vor einer Bundestagswahl.
Wie also wird Laschet mit dem unberechenbaren Widersacher, der immerhin knapp die Hälfte der Delegierten hinter sich versammeln konnte, umgehen? Kann er ihn einbinden? Muss er ihn auf Abstand halten?
3 Eng damit verbunden ist die tiefer gehende Frage: Wie wird es dem neuen Vorsitzenden überhaupt gelingen, den konservativen Teil seiner Partei einzufangen und für den Wahlkampf zu mobilisieren? Wie versammelt der eher liberale Laschet jene Parteimitglieder aus Hessen, Baden-Württemberg und Ostdeutschland hinter sich, die nach zwei Dekaden mit zwei Frauen an der Parteispitze auf einen stramm konservativen Vorsitzenden Friedrich Merz gesetzt hatten? Jene Parteimitglieder, die Laschet eher für ein Leichtgewicht halten? Und inwieweit ist er bereit und in der Lage, dem konservativen Gedankengut der Union im Wahlprogramm Rechnung zu tragen, ohne sich selbst zu verbiegen? Wahl- und Parteiprogramme haben in der CDU nie die gleiche Rolle gespielt wie etwa in der SPD. Aber die Sehnsucht in beträchtlichen Teilen der Union nach einer Renaissance konservativer Werte ist nicht zu unterschätzen. Aus intrinsischer Überzeugung heraus, aber auch aufgrund der strategischen Überlegung, den Raum der AfD wieder einzuengen.
4 Wie wird er sein Verhältnis zu seinem politischen Partner Jens Spahn austarieren? Spahn drängt, ungeduldig, ehrgeizig und dadurch fehleranfällig und risikobehaftet für Laschet. Die Fürsprache für Laschet als angebliches Basismitglied während der Vorsitzendenkür auf dem Parteitag war nur das letzte Indiz für den Vorwärtsdrang des Gesundheitsministers. Dass er sich hinterher entschuldigt hat, hat es für ihn nicht besser gemacht. Und für Laschet nicht einfacher. Auch dass Spahn vor Weihnachten seine eigenen Chancen für eine Kanzlerkandidatur auszuloten versucht hat, passt ins Bild. Ist der stürmische Spahn das Mastermind für den neuen CDU-Vorsitzenden? Oder hat Laschet Kraft genug, allein zu laufen und Stürmen zu trotzen? Laschet wird gezwungen sein, den Eindruck von zu viel Nähe zu seinem selbst gewählten Partner Spahn gar nicht erst aufkommen zu lassen. Dafür wird er Spahn in die Schranken weisen müssen, auch mal öffentlich und demonstrativ. Es wird ohne einen Tritt in Spahns Kniekehle nicht gehen können. Aber kann Laschet das? Und wie geht der Minister im Gegenzug damit um?
5 Aber vor allem: Wie klärt Laschet die Kandidatenfrage? Klar, mit Markus Söder, dem Bayern. Aber kann er Söder die Kandidatur wirklich überlassen, und ist die K-Frage der Union wirklich offen? Kann er, aber dann kann er auch sein Amt als Parteivorsitzender alsbald wieder an den Nagel hängen. Denn der konservative Teil der CDU hat sich auch hinter Friedrich Merz versammelt, weil der sehr deutlich gemacht hat, dass er nicht nur den Vorsitz, sondern auch ins Kanzleramt will. Sollte Söder Kandidat werden, gibt es zwei Möglichkeiten: Söder verliert – und die Union muss aus dem Kanzleramt ausziehen, das dem eigenen Verständnis nach historisches Eigentum der Union ist. Oder Söder gewinnt – aber dann ist der CDU der Weg ins Kanzleramt auf viele Jahre hinaus verbaut. Denn dafür ist Söder mit seinen 54 Jahren jung genug. Und er ist, wie man weiß, so lernfähig, dass er nach Lage der Dinge auch in vier Jahren die Wahl gewinnen wird. Deshalb wird auch Jens Spahn seinen Partner Laschet zur Kandidatur drängen – oder ihm die Freundschaft endgültig aufkündigen. Ob er will oder nicht – Laschet wird den Kandidaten-Anspruch für sich reklamieren müssen.
6 Wie löst Armin Laschet das NRW-Problem? Die CDU hat ein Problem mit einem massiven Überangebot an ehrgeizigen Männern aus Nordrhein-Westfalen. Sollte Laschet ins Kanzleramt einziehen, muss er Jens Spahn, Norbert Röttgen und mutmaßlich auch Friedrich Merz Posten anbieten, mit denen die ihren Frieden schließen. Das dürfte insbesondere bei Spahn und Merz nicht einfach werden. Nicht zu vergessen Laschets Ankündigung, dass in einem von ihm geführten Kabinett auch die Frauen adäquat Berücksichtigung finden sollen. Schlägt er Spahn nach der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden vor, was vermutlich Teil einer frühen Absprache war, muss er dem amtierenden Fraktionschef Ralph Brinkhaus angemessenen Ersatz anbieten. Denn freiwillig gehen wird der Ostwestfale nicht. Dass er kämpfen kann und zudem risikobereit ist, hat er beim Duell mit Volker Kauder bewiesen. Warum sollte er auch weichen, schließlich hat Spahn nicht nur Freunde in der Fraktion. Und schließlich ist da noch Generalsekretär Paul Ziemiak, ebenfalls NRW, der für einen erfolgreichen Wahlkampf belohnt werden will. Schafft es Armin Laschet, all diesen ambitionierten Herren eine Perspektive für die Zeit nach dem Wahltag zu eröffnen? Wer leer ausgeht, wird zur Gefahr. Das weiß er. Seine eigene Zukunft wird auch davon abhängen.
7 Und nicht zuletzt: Wie regelt Armin Laschet die Nachfolge in in seinem eigenen Landesverband? Es sind noch 16 Monate bis zur Landtagswahl im größten Bundesland. Die Nachfolgen von Ministerpräsidenten sind heikle Operationen, Kurt Beck und Malu Dreyer ist es einst in Rheinland-Pfalz gelungen, Roland Koch und Volker Bouffier in Hessen ebenso, und auch Olaf Scholz und Peter Tschentscher waren in Hamburg erfolgreich. Doch letztlich überwiegen die Beispiele des Scheiterns, und als Hometurf für die CDU kann Nordrhein-Westfalen nicht gelten. Die Union wird also kämpfen müssen bei der nächsten Landtagswahl. In jedem Fall wird Laschet den Landesvorsitz abgeben, und sein Nachfolger wird eigene Ambitionen entwickeln – selbst wenn Laschet nicht Kanzlerkandidat wird.
Sieben parteipolitische Herausforderungen, die Armin Laschet in den nächsten Wochen und Monaten bevorstehen. Andere, noch nicht absehbare, werden hinzukommen. Sollte es Armin Laschet gelingen, dafür angemessene, überzeugende und vielleicht manchmal sogar geschmeidige Lösungen zu finden, hätte er die größten Hindernisse auf dem Weg ins Kanzleramt beiseite geräumt. Dann gäbe es allerdings auch einen guten Grund, ihm die Machtzentrale in Berlin zuzutrauen.
Eine anschauliche und nachvollziehbare Demonstration der parteipolitischen Schachzugsvarianten.
Zwei Fragen sollten ergänzt sein, die so tun, als ob das Parteigerangel von den Beteiligten zurückgestellt werden könnte:
A) Braucht Deutschland einen Laschet?
Die große Mentalitäten-Frage. Manche sagen, das Land brauche einen Versöhner. Das ist eine Kategorie religiös fundierter Ethik. In einem Land, das seit 50 Jahren peu à peu zu einer durchemotionalisierten Betroffenheits-Gesellschaft mutiert ist, die Staat als böse abkanzelt und sich nach Gemeinschaft sehnt, die aber von einem fürsorglichen Staat garantiert zu sein hat, scheint es wie das Schnitzel aufs blaue Auge zu passen. Deutschland braucht aber keine Moralisierungsförderung, sondern eine Versachlichungstherapie. Da ist dieser Ex-Chefredakteur einer katholischen Bistumszeitung mit seiner „Schaut her, ich bin ein warmherziger Universal-Integrierer“-Haltung grundfalsch. Einer der – wie er selbst bekennt – aus der katholischen Gemeindearbeit zur Politik kam, könnte in den Irrtum verfallen, dass Politik eine Sache der moralischen Appelle sei. Manches Statement deutet darauf hin. Dummerweise gibt es „bewegte“ Stimmungen im Land, die auf solche Irrtümer affektiv anspringen.
B) Kann Laschet große Welt?
Also ist und hat er eine Figur, die ihn auf dem europäischen, dem globalen Parkett Standing verleiht? Hier geht es noch weniger um versöhnungswilliges Lächeln. Das wird – als Effekt einer allzu durchschaubaren Benutzeroberfläche – eher abgestraft. Ich meine: Er kann nicht. Ich spitze zu: Er würde williges Opfer für despektierliche Cartoons werden. Wenn die CDU/CSU noch auf politstrategische Ratgeber hört, kann es nicht Laschet, muss es Söder werden. Eine Immunisierungsstrategie gegen allzu viel globales Versöhnungs-Pathos müsste her. Mehr klassische diplomatische Härte, mehr klare nationale Position im Sinne eines Europa der Nationalstaaten. Das bisherige EU-Pathos befördert nur eine Fake-Politik, die in der Substanz (siehe Flüchtlingspolitik) leerdreht.