Im Rampenlicht des deutschen Films steht der über das Internet unters Volk gebrachte Episodenfilm mit abnehmender Besetzung #allesdichtmachen. In den Monodramen sind prominente deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler zu sehen. Sie erreichen das, was der deutsche Film seit vielen Jahren nicht mehr geschafft hat. Ein Beleuchtungsversuch.
„Ihr seid hässlich! Wir alle sind hässlich, aber weniger hässlich als Ihr!“ „Orgien! Orgien! Wir wollen Orgien!“ Das Schauspielensemble in „Asterix und der Kupferkessel“ zieht alle Register, um das dekadente römische Publikum in den Bann zu ziehen. Dann tritt der sichtlich überforderte Obelix auf die Bühne. Der Regisseur lockt den Laienschauspieler aus der Reserve: „Sag was! Los! Egal was! Was Dir durch den Kopf geht!“ Und Obelix sagt den berühmten Satz: „Die spinnen, die Römer!“ Der anwesende römische Präfekt ruft erbost die Armee: „Das ist unzulässig! Verhaftet mir die Idioten, die es wagen sich über die Obrigkeit lustig zu machen.“
Das kundige Theaterpublikum ist fasziniert. „Ausgezeichnet inszeniert.“ „Eine neue Ästhetik. Mir sagt das was.“
Jedem Tierchen sein Pläsierchen
Auch im Fall von #allesdichtmachen sind die Geschmäcker verschieden und einige Gemüter erhitzt. Z.B. darüber, dass Populisten, Dumm- und Querköpfen et al. in Ermangelung eigener geistiger Leistung parasitär an allem Gefallen finden, was ihnen in den Kram passt. Medienschaffende können sich ihr Publikum nun mal nicht aussuchen wie die Gäste auf der eigenen Party. Auch als es noch Kino gab, wünschte man sich in Reichweite ungebührlichen Verhaltens auf den Rängen jene Sorgfaltspflicht der Kinobetreiber, für die Hundezüchter:innen bei der Auswahl der Herrchen und Frauchen von Tierfreunden geschätzt sind.
Sei realistisch, verlange das Unmögliche
Worum handelt es sich bei #allesdichtmachen und was ist das Ziel, fragen sich die Kritiker:innen der Kampagne. Als ob in Corona-Zeiten immer klar ist, was genau das Ziel und die dafür probaten Mittel sind.
Eine PR-Kampagne ist die Aktion sicher nicht. Bleibt die Unterhaltung und damit die Kunst der Darstellung. Damit wäre die Zielfrage dann auch schon beantwortet. Ästhetik ist zweckmäßig ohne Zweck oder in den Worten Immanuel Kants „eine Beschäftigung der Erkenntniskräfte ohne weitere Absicht“.
Mit diesem Begriff von Ästhetik werden die Kritiker:innen der Aktion so wenig anfangen können wie eine Naturkundlerin, die dem Schauspieler Jan Josef Liefers in einer TV-Sendung bei Maybrit Illner gegenübersaß. So wie jene Wissenschaftsjournalistin kommen inzwischen die meisten Mitmenschen bei Ästhetik über Albrecht Dürers betende Hände, übrigens das häufigste Tatoomotiv, nicht hinaus. Nicht so die Forschergruppe Poetik und Hermeneutik, die bereits 1968 das geneigte Bildungsbürgertum über das „Absurde, Abscheuliche, Anstößige, Böse, Ekelhafte, Grausige, Häßliche, Kitschige, Krankhafte, Langweilige, Lehrhafte, Niedrige, Obszöne, Politische, Schaurige, Schockierende, Schreckliche, Unbewußte“ als „Grenzphänomene des Ästhetischen“ unterrichtete. Woher sollen die Menschen das auch wissen, wenn Bildung, Kunst und Kultur inzwischen weniger zählt als Friseursalons und Baumärkte.
Fragen Sie Künstler nie, warum …
Der Lackmustest der Kunst ist die Warumfrage. Wenn Ästhetik absichtslos gedacht ist, sollte man Künstler:innen auch nicht zu Erklärungen nötigen. Und diese sollten sich auch nicht darauf einlassen, Rede und Antwort zu stehen. Tun sie es doch, ist das Ergebnis dann im Vergleich zum Werk so unerträglich fad und faszinationslos wie Interviews mit Fußballtrainern.
De gustibus non est disputandum
Zur Kunst gehört der Vorwurf der Geschmacklosigkeit. Aber wie wenig muss man sich im 100. Geburtsjahr von Joseph Beuys noch anstrengen, um die Gesellschaft in Erregung zu versetzen. Obelix’ Epigone Guy Debord und seine Bande entführten 1950 bei einer Ostermesse in der Pariser Kathedrale Notre-Dame einen Priester, ersetzten diesen durch einen verkleideten Dominikaner, der vor etwa 10.000 Besuchern den Tod Gottes verkündete. Die Gruppe wurde danach beinahe gelyncht.
ZDF-Haussatiriker Böhmermann nimmt die Aktion in seiner in der Walpurgisnacht ausgestrahlten Show zum Anlass einer beißenden Kritik am deutschen Heimatfilm des 21. Jahrhunderts – Zitat: „Man muss lieb sein. #allesdichtmachen ist nur ein Skandal, der dieser Kunst lange gefehlt hat.
Anregende Subversion, diese querschlägerische Analyse.
Keine Gegenrede, nur ein paar schnelle Assoziationen:
Zum Spektakel gehört heute, dass alle zu allem eine Meinung haben, passende Meinungen anderer liken und unpassende Meinungen anderer haten. Das „reine“ Spektakel (Asterix & Obelix beim Gladiatorenkampf) nach antiken Mustern, dem nur mit Applaus, Katharsis oder Buhs begegnet werden kann, ist vorbei.
Das ist für Medien praktisch, weil jedes interaktivistische Spektakel weitere nach sich ziehen kann. Ein Shitstorm gegen Prominente ist heute attraktiver als sagen wir Raketenangriffe auf Jerusalem. Die „betroffenen“ Prominenten kann man schließlich in eine weitere Diskussions-Schalte reinholen, die Terroristen kann man nur kommentieren.
Liefers fragte sich – freundlich schuldübernahmebereit – im Fernsehinterview: „Wurde da was missverstanden? Oder wurde es missverständlich gemacht?“
Es ist einfacher: Ironie wird in einer Betroffenheits-Gesellschaft nicht verstanden. Und darf nicht verstanden werden. Weil Ironieverständnis den mentalen Seitenwechsel braucht. Und damit ideologische Fronten löchrig macht. Diese letzten deutschen Jahre (bereits Jahrzehnte?) sind aber maximal ironieunfähig-bieder-gutwillig gestimmt. (Und es legt noch zu.)
Damit wäre das Spektakel (à la Debord) in eine neue Stufe der Blendung (mindestens doppelsinnig) eingetreten: Alle partizipieren interaktivistisch am Spektakel, aber immer mehr nehmen auch alles immer ernster. Wir könnten wieder einmal von einem heraufziehenden Gap sprechen: zwischen den Gaga-Spielern (zwischen H. Schmidt und Böhmermann) und den ernsten, betroffenen, sinnsuchenden Spielern. Die beiden Mitspielweisen sind nicht nur nicht kompatibel, sie können sich zunehmend überhaupt nicht verstehen. Was weitere Spektakel (Shitstorms) anfeuert.
War es PR, Kunst oder Unterhaltung?
Es war PR, weil jedes Senden von Botschaften unter den Bedingungen universellen Marketings PR ist. Und umgekehrt: Wenn ein Schauspieler nicht weiß, dass ein inszeniertes Statement automatisch PR ist – wofür auch immer – sollte er sich ins Kämmerlein zurückziehen.
Es war Kunst – wenn auch nicht state of the art -, denn es war die Simulation von Authentizität. Alle taten so (ästhetisierende Differenz), als ob sie etwas meinen würden, und haben damit etwas leicht anderes gesagt.
Es war Unterhaltung, weil alles, was Medien abstrahlen Unterhaltung ist. Das Böseste, Dümmste, Ernsteste, Ironischste ist Unterhaltung, weil sich Menschen davon unterhalten lassen. Was auch sonst? Was könnten sie sonst tun? Vielleicht demonstrieren gehen? Aber auch das wäre Spektakel und eine neue Runde der Selbst- wie Fremdunterhaltung. Selbst der Bericht über Hungerkatastrophen ist Unterhaltung. Auch, weil man sich dann aufgeregt unterhalten kann. Aufregung ist ja nur die Empörungsvariante der Anregung.
Dumme Sache (die man weiterdenken müsste):
In den 1960ern, 1970ern sollte die Kunst politisch werden (Peter Weiss, Ästhetik des Widerstands). Stattdessen eroberte sie luxuriöse Freiräume der beliebigen Provokationen, die als Innovationen verkauft werden konnten. Unter dem strengen Blick einer sich ausbreitenden Betroffenheitskultur wird aber plötzlich alle Kunst automatisch politisch. Jeder Widerstand dagegen ist zwecklos …