Covid-Tests: Ach Kind, du hast leicht reden

Foto: Maskmedicare auf Unsplash

Die Corona-Testzentren offenbaren, was im Kapitalismus schiefläuft. Das erkennt doch jedes Kind. Hoffentlich wird sich dann noch irgendwer erinnern – irgendwann in der Zukunft, wenn ein heute noch nicht geborenes Kind fragt, warum denn eigentlich alles so schlecht funktioniert hat, damals im Kapitalismus des frühen 21. Jahrhunderts. Als anschauliche und ziemlich kindgerechte Antwort böte sich an, die Geschichte der Covid-Teststrategie zu erzählen.

Wie es damals, in den Zeiten der Pandemie, anfangs nur sehr aufwändige und teure PCR-Tests gab, die zuerst nur von Mediziner:innen bei Menschen, die Krankheitssymptome zeigten, angewendet wurden. Als dann ein paar mehr davon hergestellt wurden, gingen sie überwiegend an diejenigen, die besonders viel Geld damit machten, trotz eines tödlichen neuen Virus, also an Fußballklubs, für Autorennen und Managerkonferenzen, um alles so weitergehen zu lassen wie bisher.

Dann, im Frühsommer 2020 wurde klar, dass jede:r „symptomfreie:er Virenüberträger:in“ sein kann und viele wünschten sich nichts sehnlicher, als eine unkomplizierte Testmöglichkeit. Und tatsächlich: Kurz vor Weihnachten öffneten in Großstädten der wohlhabenden Welt die ersten „Schnelltest-Zentren“. Sie erinnerten ein wenig an Autowaschanlagen (wird dem Kind vielleicht nichts mehr sagen), und kosteten auch ähnlich viel. Weshalb auch im wohlhabenden Deutschland nur ein Teil der Bevölkerung mal eben mindestens 40  Euro locker machen konnte, um „freigetestet“ ohne schlechtes Gewissen die alten Eltern zu besuchen. Die anderen, deren Ansteckungs-Risiko schon wegen ihrer beengten Wohnverhältnisse und ihrer nicht-homeofficefähigen Arbeit um ein vielfaches höher war, jene, die also objektiv dringend viele Tests gebraucht hätten, die bekamen sie nicht.

„Geschäftsleute“ übernehmen

Zeitweise waren auch andere Therapien im Gespräch. Foto: Mike Baumeister auf Unsplash

An dieser Stelle wird das Kind nun sicher sehr ungläubig reagieren. Deswegen ist es gut, berichten zu können, dass auch damals einige Politiker:innen die Ungerechtigkeit erkannten und den „kostenlosen Bürger:innen-Test“ einführten. Zuerst einmal pro Woche, dann so oft jede und jeder wollte. Dafür waren mehr Testzentren nötig, aber es gab keine Ämter oder öffentlichen Einrichtungen, die diese Arbeit machen konnten. Sagten die Politiker:innen. Stattdessen sollten, gegen Zahlung einer Pauschale pro durchgeführtem Test, „Geschäftsleute“ übernehmen, und zwar möglichst diejenigen, denen die Pandemie ihren gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gerade unmöglich machte: Gastronomen, Kulturschaffenden, Bordellbetreiber –  egal, Hauptsache sie verfügten über leerstehende Räume, wussten wie Buchhaltung geht und konnten schnell das nötige Personal einstellen und schulen. Reihenfolge unwichtig.

Doch, damals schien das eine gute weil „unbürokratische“ Idee! Denn, liebes Kind, der eigentliche Test war wirklich nicht so kompliziert, das konnten auch damals sogar 14-Jährige lernen – und mit negativem Schnelltestergebnis war plötzlich wieder vieles erlaubt, was vorher verboten war. Weshalb quasi über Nacht mehr Testzentren entstanden als es je Café-to -go-Verkaufsstellen gegeben hatte. Wir hatten Test-Busse, Test-Lastenräder, Test-Zelte, und fast jede Nachtbar ohne Außen-Ausschank war auch ein Testzentrum. Es waren viel zu viele – vor allem nachdem die „Inzidenzwerte“ so sanken, dass etliches auch wieder ohne Test erlaubt wurde. Dann flog auch noch auf, dass nicht wenige Geschäftsleute die Buchhaltung kreativ zu ihren Gunsten frisiert hatten.

Aber wir hatten ja nichts anderes

Es folgten: Aufschrei in den Medien, Politiker:innen unter Druck, die jetzt allen Geschäftsleuten weniger Geld pro Test zahlten und Kontrollen androhten. Daraufhin entließen die Geschäftsleute Personal, so dass eine:r nun häufig allein zuständig war für Papierkram und Tests. Nun ja, dazwischen hätte diese Person sich jedesmal den Schutzanzug an- und ausziehen müssen, die Hände waschen, desinfizieren – ob unter diesen Bedingungen wirklich noch verlässliche Testergebnisse zu erwarten waren, wurde auch damals schon bezweifelt. Aber wir hatten ja nichts anders. Obwohl die schnell ansteckende Delta-Mutante des Virus da schon bekannt war und durch raffgierige Fußballfunktionäre jede Menge Gelegenheit bekam, sich auszutoben.

Ach Kind, du hast leicht reden: Einen Planungsstab, der anhand der Bevölkerungszahlen der jeweiligen Stadt ausgerechnet hätte, wie viele Tests nötig sind und dafür gesorgt hätte, dass vor Schulen, Nachbarschaftshäusern, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen so viel mobile Teststationen stehen, dass jede:r im Umkreis von einem Kilometer eine findet? Mit anständig bezahltem, wirklich geschultem Personal. Öffentlich, also von uns, dem Staat organisiert? Sowas konnten wir uns damals kaum vorstellen, wir lebten ja schließlich im Kapitalismus. Da ließen wir Delta auf uns zurollen und sahen es als neue Chance für die Testzentren, doch wieder auf ihre Kosten zu kommen, und vielleicht noch ein paar Arbeitsplätze zu schaffen.

Der Beitrag erschien unter dem Titel „Testzentren – Ein Kindergeschichte des Systemversagens“ zuerst auf OXI Blog.

Sigrun Matthiesen
Sigrun Matthiesen ist freie Journalistin in Berlin und beschäftigt sich häufig mit gesellschaftspolitischen Themen. Sie arbeitet unter anderem als Redakteurin für die Monatszeitung „OXI – Wirtschaft anders denken“ und betreibt die Textagentur "Worte und Geschichten”.

2 Kommentare

  1. Funktioniert alles schlecht im 21. Jahrhundert? In einer Mediengesellschaft scheint in der Tat nichts zu funktionieren. Wahrnehmungsfilterung könnte man es nennen. Ich zitiere dagegen:
    „Uns fällt auf, was nicht funktioniert. Was funktioniert, fällt uns nicht auf.“ Douglas Adams, klug-heiterer und kapitalistischer Erfolgs-Autor

    Schuld am unterstellten Nicht-Funktionieren sei wie immer der Kapitalismus. An der Evolutionsgeschichte von Covid-Tests sei das belegbar. Aha.
    Fakt ist: PCR-Tests waren und sind teurer als Schnelltests. Es sind auch ganz andere Tests. Die teuren sind aussagekräftiger und brauchen Laborarbeit. PCR-Tests konnten nebenbei nur im Kapitalismus entstehen. Basis ist die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), womit winzige Genspuren durch Vervielfältigung kenntlich gemacht werden können. Erfunden hat das Verfahren ein US-Biochemiker, wofür er 1993 zurecht den Nobelpreis bekam. Zugleich war er Aids-Leugner und glaubte an Außerirdische. Solche Typen können nur im Kapitalismus Karriere machen. Da geht es um Erfolg, weniger um Ideologie.

    Die Preise von PCR-Tests sind seit ihrer schnellen, weil konkurrenzgetriebenen Entwicklung gefallen. Dennoch schwanken sie stark. Am Flughafen Frankfurt/Main beispielsweise liegen sie aktuell zwischen 69 und 279 Euro. Entscheidend das Tempo: Beim billigsten muss man 24 Stunden auf das Ergebnis warten, beim teuersten nur 35 Minuten. Das sollte doch freuen: Eilige Geschäftsleute oder vergesslich-arrogante Edeltouristen müssen mehr zahlen.

    Der Kapitalismus hat dazu geführt, dass die Konkurrenz bei PCR-Tests schnell zu vielen Angeboten mit fallenden Preisen geführt hat. Die günstigsten Preise lagen im Frühjahr 2021 bei etwa 25 Euro. Angeboten wurden sie von einem cleveren jungen Gründer (Kapitalismus), der sehr schnell eine ganze Reihe von Testcentern mit ausgebildetem Personal (kompetenzgetestet) per Franchise-System (Kapitalismus) installierte. Es gab daneben eine ganze Reihe von anderen Anbietern mit günstigen Preisen. Es herrschte halt kapitalistischer Wettbewerb. Bis all diese Anbieter im Mail 2021 Abmahnungen einer Kanzlei bekamen. Die wurden im Auftrag eines im etablierten Medizinsystem exzellent vernetzten Großlabors (nicht-kapitalistisches Pfründe-Sicherungs-Prinzip) geschickt. Deren Argument: Das Testen ist eine ärztliche Leistung und muss daher nach der Ärztlichen Gebührenordnung (GOÄ ), also einer bürokratischen Spät-Variante des (eigentlich auch schon kapitalistischen) Zunft-Systems abgerechnet werden. Danach müsste ein Test um die 125 Euro kosten. Ein Laborbetreiber im MDR-Fernsehen (11.05.2021) erklärt den Unterschied so: „Die einen wollen halt an jedem Test viel verdienen, die anderen wollen viele Tests machen.“

  2. Was dem Kind schon auch erzählt werden sollte, Jo Wüllner deutet es an: Nicht jede privatwirtschaftliche/kapitalistische Lösung ist schlecht — ich denke an die vielen Apotheken, auch Arztpraxen und/oder Drogeriemärkte, die alle testeten, und denen ich eine gewisse Seriosität und Kompetenz zubillige. Dann musste der Interessent und auch die Interessentin eben auch mal ein paar Meter mehr als einen Kilometer, wie gefordert, gehen, um zu einem seriösen Testzentrum zu kommen. Könnte in einer Pandemie zumutbar sein. Entscheidend war (und wird vermutlich künftig bei der vierten Welle und/oder beim nächsten Virus wieder sein), dass es zu spät zu wenige kostenfreie Tests gab. Darauf sollte das Kind sehr achten, wenn es dann älter ist und für die Linke zum Bundestag kandidiert; es kann für diese soziale Frage deshalb nicht früh genug sensibilisiert werden.
    Aber abgesehen von diesen Details stimme ich dem „pädagogischen“ Grundanliegen dieser unterhaltsam geschriebenen Geschichte zu: Dem Kind sollte vorsichtshalber eher mehr denn weniger Mißtrauen gegenüber dem tollen Kapitalismus vermittelt werden ….

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